Einordnung der nachehelichen Abfindungsleistung nach marokkanischem Recht im deutschen Unterhaltsrecht
Das Oberlandesgericht Stuttgart hat mit Beschluss vom 7. Juli 2020 (Az.: 11 WF 19/19) Fragen zur Einordnung einer nachehelichen Abfindungsleistung im Falle eines in Marokko geschlossenen und geschiedenen Ehevertrags unter deutschem Unterhaltsrecht erörtert. Der Fall beleuchtet die komplexen Schnittstellen von familienrechtlichen Regelungen verschiedener Rechtsordnungen und deren Auswirkungen bei parallelen Ansprüchen auf Trennungs- und nachehelichen Unterhalt.
Sachverhalt und Problemaufriss
Im Ausgangsfall verlangte die Antragstellerin im Anschluss an die Scheidung von ihrem Ehemann Trennungsunterhalt, nachdem sie von diesem nach marokkanischem Recht bereits eine Abfindungsleistung für die Säumung (sog. „mu’akhar as-sadaq“) erhalten hatte. Die Kernfrage betraf, ob diese Leistung nach der Scheidung als Erfüllung von Unterhaltsansprüchen im Rahmen des deutschen Rechts behandelt werden kann oder ob separater Unterhalt im Sinne des § 1361 BGB gefordert werden kann.
Rechtsvergleich: Ehebedingte Ausgleichsleistungen im internationalen Kontext
Das marokkanische Recht kennt die sog. Sadaq-Zahlung, die bei Eheschließung vereinbart, aber nicht sofort gezahlt und erst bei Scheidung fällig wird. Sie soll die ökonomische Situation der geschiedenen Ehefrau absichern. Im deutschen Recht wird im Rahmen von § 1361 BGB ein Anspruch auf Trennungsunterhalt gewährt, der bereits mit der Trennung der Eheleute entsteht und bis zur Scheidung fortbesteht.
Entscheidend für die Beurteilung war, ob die in Marokko gezahlte Nachscheidungsabfindung und der Trennungsunterhalt im deutschen Recht – ihrem Zweck nach – vergleichbar sind oder nicht.
Die Entscheidung des OLG Stuttgart: Differenzierte Betrachtung
Das Oberlandesgericht Stuttgart legt in seiner Begründung dar, dass die nach marokkanischem Recht geleistete nacheheliche Abfindung rein kompensatorischen Charakter im Falle der Scheidung besitzt. Sie ist kein Entgelt für während der Ehe nicht gezahlten Unterhalt und steht in keinerlei Zusammenhang mit dem deutschen Trennungsunterhalt, dessen Anspruch bereits mit der Trennung, vor Rechtskraft der Scheidung, eintritt.
Die dem marokkanischen Unterhaltsrecht entspringende Leistung verschiebt keinen Anspruch auf Trennungsunterhalt, sondern regelt vielmehr die wirtschaftliche Kompensation nach Auflösung der Ehe. Folgerichtig können Leistungen aus beiden Systemen nebeneinander verlangt werden, solange keine Doppelleistung für identische Zeiträume und Zwecke erfolgt.
Bedeutung für die Behandlung internationaler Ehen
Durch die Globalisierung und zunehmende Bewegungsfreiheit in Europa und weiten Teilen der Welt rücken grenzüberschreitende Fälle internationaler Ehen und Scheidungen immer weiter in den Vordergrund. Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen, insbesondere in Bezug auf die finanziellen Folgen von Trennung und Scheidung, bergen erhebliche Risiken und Unsicherheiten für die Beteiligten. So wie im entschiedenen Fall des OLG Stuttgart, der sich mit der Reichweite und Auslegung spezifischer familienrechtlicher Kompensationsleistungen im internationalen Beziehungsgeflecht auseinandersetzt.
Zudem unterstreicht das Urteil die Notwendigkeit einer sorgfältigen Prüfung, welchem Zweck genau spezifische Zahlungen dienen und in welchem rechtlichen Rahmen sie erbracht wurden. Nur dadurch kann ausgeschlossen werden, dass Unterhaltsansprüche zu Unrecht beschränkt oder aber doppelt gewährt werden.
Wechselwirkung zwischen deutschem und marokkanischem Recht bei Unterhaltsfragen
Die Auseinandersetzung des OLG Stuttgart zeigt exemplarisch, dass ausländische Leistungen stets auf ihren inländischen Zweck zu untersuchen sind. Entscheidend ist nicht die bloße Auszahlung einer Geldleistung, sondern deren rechtlicher Entstehungsgrund und Bezugszeitraum. Durch die Differenzierung zwischen einer nach marokkanischem Recht fällig werdenden, nachehelichen Pauschalzahlung und dem nach deutschem Recht bestehenden Anspruch auf Trennungsunterhalt wird deutlich, dass beide Institute eigenständigen, nicht deckungsgleichen Zielen dienen.
Keine Doppelleistung – Zweckübertragendes Auslegungserfordernis
Es ist zu beachten, dass Trennungsunterhalt und die Sadaq-Abfindung nicht für denselben Zeitraum anfallen. Mit der rechtskräftigen Scheidung entfällt der Trennungsunterhalt; erst danach wird die marokkanische Abfindung fällig. Insoweit besteht – anders als manchmal vermutet – keine Doppelzahlung für gleiche rechtlichen Ansprüche, vielmehr vielmehr eine zeitliche und inhaltliche Abgrenzung der Leistungen.
Fazit und Ausblick
Die Entscheidung des OLG Stuttgart betont die Wichtigkeit eines präzisen Verständnisses fremder Rechtsinstitute, wenn Betroffene mit Ansprüchen aus unterschiedlichen Rechtsordnungen konfrontiert werden. Im internationalen Scheidungsrecht ist die richtige Qualifikation und Einordnung der Auslandspflichten und -leistungen von zentraler Bedeutung, um Rechtssicherheit und einen gerechten Ausgleich für alle Beteiligten zu gewährleisten.
Gerade Unternehmen, vermögende Privatpersonen und Investoren mit internationalen Rechtsbeziehungen sollten die vielschichtigen Wirkungen aus interkulturellen Eheverträgen sowie unterhaltspflichtigen Leistungen unter verschiedenen Rechtsordnungen stets in die familienrechtliche und wirtschaftliche Planung integrieren.
Sollten Sie im Zusammenhang mit der Bewertung oder Abwicklung internationaler Unterhaltsansprüche, der Einordnung ausländischer Abfindungsleistungen oder sich überschneidenden Unterhaltsregeln vor besonderen Herausforderungen stehen, stehen Ihnen die Rechtsanwälte bei MTR Legal für weiterführende Informationen zur Verfügung.