Mindestlohn bleibt bei Insolvenzanfechtung ohne Sonderregelung

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Insolvenzanfechtung und Mindestlohn – Keine Privilegierung bei Anfechtung durch den Insolvenzverwalter

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinem Urteil vom 25. Mai 2022 (Az. 6 AZR 497/21) eine für Unternehmen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gleichermaßen bedeutsame Frage geklärt: Die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns ist grundsätzlich nicht vor einer insolvenzrechtlichen Anfechtung nach § 134 InsO geschützt. Das Gericht stellte klar, dass auch die Mindestlohnkomponente von Arbeitsentgeltanfechtungen infolge einer Gläubigerbenachteiligung nicht ausgenommen ist. Diese Entscheidung hat weitreichende praxisrelevante Konsequenzen für Unternehmen, Insolvenzverwalter und Mitarbeitende, deren Lohnansprüche zeitnah vor Insolvenzeröffnung durch ihre Arbeitgeber erfüllt wurden.

Rechtlicher Hintergrund: Insolvenzanfechtung und Arbeitnehmerentgelt

Systematik der Insolvenzanfechtung

Gemäß §§ 129 ff. InsO können bereits erfolgte Zahlungen des insolventen Schuldners an Gläubiger innerhalb bestimmter Zeiträume vor Insolvenzantrag durch den Insolvenzverwalter angefochten und zurückgefordert werden. Die sogenannte Deckungsanfechtung (§ 130 InsO) und die Rechtshandlungen „unentgeltlicher Leistungen“ (§ 134 InsO) dienen der Herstellung der durch das Insolvenzrecht intendierten Gläubigergleichbehandlung. In der Praxis bedeutet dies, dass auch die Zahlung von Arbeitsentgelt, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, der insolvenzrechtlichen Rückforderung unterliegen kann.

Privilegierungstatbestände im Arbeitsrecht

Das Arbeitsrecht sieht zahlreiche Schutzmechanismen für lohnabhängige Beschäftigte vor – insbesondere in prekären insolvenznahen Situationen. Eine besondere Vorstellung bestand hinsichtlich des gesetzlichen Mindestlohns (§ 1 MiLoG), welcher in die allgemeine Diskussion um den Pfändungsschutz und die soziale Absicherung eingebettet wird. Das BAG hatte nun zu entscheiden, ob der Mindestlohn insoweit einen anfechtungsrechtlichen Sonderstatus genießt und somit einer Rückforderung durch den Insolvenzverwalter entzogen ist.

Die Entscheidung im Überblick: Mindestlohnansprüche sind anfechtbar

Sachverhalt und Entscheidung des BAG

Im zugrundeliegenden Fall erfolgten Zahlungen des gesetzlichen Mindestlohns kurz vor dem Antrag auf Insolvenzverfahren. Der Insolvenzverwalter erklärte daraufhin die Anfechtung nach § 134 InsO mit der Begründung, es handele sich um eine unentgeltliche Leistung, da dem Arbeitnehmer kein „neues Vermögen“ zugeführt wurde. Der Arbeitnehmer wandte ein, der Mindestlohnanspruch sei als Existenzminimum besonders schutzwürdig und dürfe, ähnlich wie bei sozialrechtlichen Normen oder dem Pfändungsschutz, nicht zurückgefordert werden.

Das BAG folgte dieser Argumentation jedoch nicht und führte aus, dass eine ausdrückliche Ausnahme für den Mindestlohn im Anfechtungsrecht nicht vorgesehen sei. Auch verfassungsrechtliche Schutzpflichten geböten keine abweichende Betrachtung, da der Gesetzgeber bewusst keine Sonderregelung zum Schutz des Mindestlohns im Insolvenzrecht geschaffen habe.

Kernaussagen des Urteils

Das Gericht betonte, dass der Mindestlohn zwar dem sozialpolitischen Ziel des Existenzschutzes dient, jedoch kein insolvenzrechtliches Privileg begründet. Arbeitsentgelte, auch soweit sie auf dem Mindestlohn beruhen, unterliegen somit den allgemeinen Vorschriften der Insolvenzanfechtung. Erstattet der Arbeitnehmer die als Mindestlohn gezahlten Beträge nach erfolgreicher Anfechtung, kann dieser Erstattungsanspruch keine andere insolvenzrechtliche Bewertung erfahren.

Auswirkungen für Unternehmen, Gläubiger und Mitarbeitende

Unternehmensebene: Sicherheiten in Krisenzeiten

Für zahlungsunfähige Unternehmen und deren Leitungsorgane verdeutlicht die Entscheidung, dass Zahlungen auf Arbeitsentgelt, selbst auf gesetzlicher Mindestlohnbasis, keine privilegierende Wirkung in Bezug auf das Insolvenzrisiko entfalten. Werden Löhne im anfechtungsrelevanten Zeitraum vor Insolvenzantrag erfüllt, kann der Insolvenzverwalter diese – nach den Voraussetzungen der §§ 129 ff. InsO – grundsätzlich zurückfordern.

Arbeitnehmer: Schutzlücke trotz sozialpolitischer Intention?

Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ergibt sich aus dem Urteil eine potenzielle Schutzlücke: Selbst der Mindestlohn ist als Bestandteil des allgemeinen Arbeitsentgelts von der Anfechtbarkeit nicht ausgenommen. Personen, die kurz vor Insolvenzeröffnung noch ihren Arbeitslohn – auch nur in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns – ausgezahlt bekommen haben, unterliegen mithin dem Risiko der Rückforderung. Hierdurch wird deutlich, dass der pfändungsgeschützte Mindestlohn keinen Schutz gegen die insolvenzrechtliche Anfechtung entfaltet. Zwar besteht unter Umständen ein Anspruch auf Insolvenzgeld, eine vollständige Kompensation oder Privilegierung gegenüber der Insolvenzmasse ist hiermit jedoch nicht verbunden.

Gläubigergleichbehandlung und insolvenzrechtliche Systematik

Die Entscheidung stärkt das Prinzip der Gläubigergleichheit und vermeidet Privilegien, die nicht durch ausdrücklichen Gesetzesbefehl vorgesehen sind. Der Gesetzgeber wäre insofern berufen, eine solche Regelung normativ auszugestalten, wenn diese gewollt wäre. Bislang verbleiben Entgeltzahlungen, unabhängig von ihrer Art und Höhe, im Anwendungsbereich der Insolvenzanfechtung.

Implikationen und Ausblick

Die Entscheidung des BAG bringt für alle am Wirtschaftsleben beteiligten Akteure wesentliche Rechtssicherheit hinsichtlich der Behandlung von Mindestlohnzahlungen im Insolvenzfall. Zugleich verdeutlicht sie den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers im Spannungsfeld zwischen Gläubigergleichheit und sozialpolitischer Schutzintention. Unternehmen wie auch Mitarbeitende sind gut beraten, die Auswirkungen insolvenzrechtlicher Anfechtung auf Entgeltzahlungen im Auge zu behalten.

Sollten Sie weiterführende Fragen zu Anfechtungstatbeständen im Zusammenhang mit Arbeitsentgelt oder zum insolvenzrechtlichen Umgang mit Mindestlohnzahlungen haben, finden Sie im Bereich der Rechtsberatung im Insolvenzrecht von MTR Legal umfassende Informationen und Unterstützung für komplexe unternehmerische Fragestellungen im Insolvenzkontext.

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