Grundlagen des Kündigungsschutzes im neu geschaffenen Arbeitsverhältnis
Der Kündigungsschutz zählt zu den zentralen Instrumenten des Arbeitnehmerschutzes im deutschen Arbeitsrecht. Maßgebliches Regime ist hier das Kündigungsschutzgesetz (KSchG), das regelt, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitsverhältnis von Seiten des Arbeitgebers aufgelöst werden kann. Im Vordergrund steht insbesondere die Frage nach dem Beginn des Kündigungsschutzes bei wiederholt eingegangenen Arbeitsverhältnissen oder bei einem durchgängig bestehenden Vertragsverhältnis mit zwischenzeitlicher Unterbrechung.
Die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG und ihre Bedeutung
Rechtlicher Anwendungsbereich der Wartezeit
Nach § 1 Abs. 1 KSchG findet das Gesetz auf Arbeitsverhältnisse Anwendung, sofern diese länger als sechs Monate ohne Unterbrechung bestanden haben. Die Vorschrift normiert somit eine Wartezeit, während der ein Arbeitnehmer noch keinen Schutz vor ordentlichen Kündigungen nach dem KSchG genießt. Für die Unternehmenspraxis ist von zentraler Bedeutung, in welchen Fällen diese Wartezeit von Neuem zu laufen beginnt.
Wiederaufnahme eines Arbeitsverhältnisses nach Vertragsbeendigung
Wird ein zuvor beendetes Arbeitsverhältnis in identischer oder modifizierter Form neu begründet, stellt sich die Frage, ob die bereits vor der Unterbrechung verbrachte Beschäftigungszeit auf die Wartefrist angerechnet werden kann. Hierzu lag eine bedeutsame Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2005 vor (BAG, Urteil v. 27.10.2005 – 2 AZR 614/04). Im Mittelpunkt des Urteils stand die Bewertung, ob und inwieweit bei einem formell neuen Arbeitsverhältnis auf bereits geleistete Dienstzeiten aus einem vorausgegangenen Vertrag abgestellt werden darf.
Die Entscheidung des BAG vom 27.10.2005
Sachverhalt und Prozessverlauf
In dem Verfahren war ein Arbeitnehmer zunächst in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt, das ordnungsgemäß beendet wurde. Im unmittelbaren Anschluss wurde mit demselben Arbeitgeber ein neuer Arbeitsvertrag geschlossen – unabhängig davon, ob die ausgeübte Tätigkeit oder der Inhalt des Vertrags gleichartig war. Nach kurzer Zeit im neuen Beschäftigungsverhältnis sprach der Arbeitgeber die Kündigung aus. Der Arbeitnehmer berief sich auf den bereits durch die frühere Beschäftigungszeit erfüllten Kündigungsschutz; der Arbeitgeber hingegen verwies auf die Notwendigkeit der erneuten Wartezeit.
Rechtliche Bewertung durch das Bundesarbeitsgericht
Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, dass der Kündigungsschutz nach § 1 II KSchG erst nach einer ununterbrochenen Beschäftigungsdauer von sechs Monaten im betroffenen Arbeitsverhältnis eintritt. Wird nach einer – auch nur kurzzeitigen – Unterbrechung ein neues Arbeitsverhältnis begründet, beginnt die Wartezeit nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung erneut zu laufen. Frühere Beschäftigungszeiten aus vorangegangenen Arbeitsverhältnissen können nicht angerechnet werden, sofern es sich nicht um einen Fortbestand desselben Arbeitsverhältnisses handelt. Relevant ist ausschließlich der Zeitraum des aktuell bestehenden Kontrakts. Maßgeblich hierfür ist die rechtliche Neubestellung der Vertragsbeziehung, unabhängig davon, ob Arbeitgeber und Arbeitnehmer identisch sind bzw. ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang besteht.
Differenzierung bei Unterbrechungen und Vertragsfortsetzungen
Zu trennen ist indes zwischen der bloßen Unterbrechung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses und dessen rechtlicher Fortsetzung oder Änderung. Nur wenn das Vertragsverhältnis rechtlich als fortbestehend eingeordnet werden kann – etwa bei vorübergehenden, arbeitnehmerseitig veranlassten Pausen (z.B. Mutterschutz, Elternzeit) – wird die Wartezeit nicht unterbrochen. Im Unterschied dazu führt die wirksame Beendigung und anschließende Neubegründung zu einem Neuanlauf der Wartezeit. Die Motive der Vertragsparteien bleiben dabei unbeachtlich.
Folgewirkungen für Arbeits- und Gesellschaftspraxis
Relevanz für Umstrukturierungen und Betriebsübergänge
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hat erhebliche praxisrelevante Auswirkungen, insbesondere bei betrieblichen Umstrukturierungen, Fusionen oder konzerninternen Versetzungen mit rechtlicher Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses. Auch in Fällen von Betriebsübergängen nach § 613a BGB kommt es regelmäßig zu der Frage, ob die Schutzmechanismen des KSchG unmittelbar Anwendung finden oder eine neue Wartezeit in Gang gesetzt wird. Unternehmen und Investoren sollten den arbeitsrechtlichen Regelungsrahmen in gesellschaftsrechtlichen Transaktionen sorgfältig einplanen.
Rechtssicherheit und klare Vertragsgestaltung
Für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer schafft die eindeutige Linie der Rechtsprechung Rechtssicherheit, mindert jedoch zugleich die Möglichkeiten, durch Vertragspraxis oder freiwillige Übereinkünfte vom gesetzlichen Leitbild abzuweichen. Lediglich durch eine lückenlose Vertragskontinuität kann die Wartezeit nach KSchG über das ursprüngliche Arbeitsverhältnis hinaus erhalten bleiben.
Ausblick
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts unterstreicht, dass beim Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags – selbst zwischen denselben Parteien und selbst bei nahtlosem Übergang – die gesetzliche Wartezeit für den allgemeinen Kündigungsschutz grundsätzlich zurückgesetzt wird. Dies betrifft auch komplexe Konstellationen unternehmensinterner Wechsel und spielt im Kontext gesellschaftsrechtlicher Umstrukturierungen und Unternehmenskäufe eine erhebliche Rolle. Bei detaillierten Fragestellungen zu Anwendbarkeit und Auslegung des Kündigungsschutzgesetzes im Zusammenspiel mit gesellschaftsrechtlichen Gestaltungen empfiehlt es sich, die Einschätzung spezialisierter Kanzleien einzuholen. Über die Rechtsberatung im Gesellschaftsrecht von MTR Legal Rechtsanwälte können individuelle Lösungswege erörtert und maßgeschneiderte Strategien für Ihr Unternehmen entwickelt werden.