OLG Frankfurt a. M.: Keine Rückforderung von Kompensationszahlungen nach Änderung der steuerlichen Anrechnung bei Cum/Cum-Transaktionen
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 11.08.2023 (Az. 10 U 7/20) eine für den Kapitalmarkt bedeutende Entscheidung hinsichtlich Kompensationszahlungen im Zusammenhang mit sogenannten Cum/Cum-Geschäften getroffen. Im Mittelpunkt des Verfahrens stand die Frage, ob Kompensationsleistungen, die im Rahmen dieser Geschäfte vereinbart und gezahlt wurden, nachträglich aufgrund einer Änderung der gesetzlichen Regelungen zur steuerlichen Anrechnungspflicht auf Dividenden zurückgefordert werden können.
Hintergrund: Struktur und Zielsetzung von Cum/Cum-Transaktionen
Funktionsweise von Cum/Cum-Geschäften
Cum/Cum-Geschäfte entwickelten sich zunächst als legitime Gestaltungsform im institutionellen Wertpapierhandel. Sie zielten darauf ab, ausländischen Investoren eine Optimierung ihrer Steuerlast in Bezug auf inländische Dividendenzahlungen zu ermöglichen. Hierzu wurden Wertpapiere kurz vor dem Dividendenstichtag an inländische Kreditinstitute übereignet, um von deren Möglichkeit zur steuerlichen Anrechnung der Kapitaleinkünfte Gebrauch zu machen. Nach der Dividendenausschüttung erfolgten die Rückübertragung der Wertpapiere und ein finanzieller Ausgleich (Kompensation).
Typische Vertragsgestaltungen
Zentrale Regelungsinhalte dieser Transaktionen waren neben der zeitweiligen Übertragung der Aktien u. a. die Vereinbarung einer Kompensationszahlung durch das ausländische Institut an das inländische Kreditinstitut. Mit dieser Zahlung sollte der steuerliche Vorteil, der sich aus der Anrechenbarkeit der Kapitalertragsteuer für das inländische Institut ergab, wirtschaftlich ausgeglichen werden.
Rechtsstreit um Kompensationszahlungen nach Änderung der steuerlichen Anrechnung
Gesetzgeberischer Eingriff und Wegfall der Anrechnungsmöglichkeit
Mit Einführung des § 36a EStG im Jahr 2016 unterband der Gesetzgeber die Gestaltungsmöglichkeiten durch Cum/Cum-Transaktionen weitgehend, indem er die Anrechnung der Kapitalertragsteuer auf Dividendenzahlungen bei entsprechenden Gestaltungen für inländische Banken abschaffte. In der Folge stand die Frage im Raum, ob auf Basis der neuen Rechtslage gezahlte Kompensationsleistungen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten dieser Regelung rückabgewickelt bzw. zurückgefordert werden können.
Entscheidung des OLG Frankfurt am Main
Das OLG Frankfurt a. M. hat diese Frage im vorliegenden Fall klar verneint. Selbst der nachträgliche Wegfall der rechtlichen Anrechenbarkeit der Kapitalertragsteuer berechtigt nicht zur Rückforderung einer aufgrund vertraglicher Vereinbarung geleisteten Kompensationszahlung. Nach Auffassung des Gerichts war die Kompensationsvereinbarung nicht an eine Weitergeltung der steuerlichen Rahmenbedingungen geknüpft. Die Parteien hatten nach Inhalt und Zweck der vertraglichen Regelungen bewusst das Bestehen steuerlicher Vorteile zu einem bestimmten Zeitpunkt vorausgesetzt, jedoch keinen Anpassungsvorbehalt im Fall späterer gesetzlicher Änderungen aufgenommen.
Schwerpunkt der Urteilsbegründung
Risikozuordnung und Vertragsauslegung
Das Gericht stellte insbesondere auf die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien ab. Die Zahlungspflicht sollte nach Überzeugung der Richter unabhängig von etwaigen späteren steuerrechtlichen Änderungen bestehen bleiben, da die Gestaltungshöhe ausschließlich an die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Transaktionsdurchführung anknüpfte.
Keine ergänzende Vertragsauslegung
Das OLG Frankfurt sah auch keinen Raum für eine ergänzende Auslegung dahingehend, dass im Falle späterer gesetzlicher Änderungen ein Anspruch auf Vertragsanpassung oder Rückgewähr der Kompensation bestehen würde. Sofern die Parteien keine ausdrückliche Regelung zu derartigen Entwicklungen getroffen hätten, könne eine solche nachträgliche Anspruchsgrundlage nicht konstruiert werden. Diese Entscheidung steht im Einklang mit grundsätzlichen zivilrechtlichen Maßstäben zur Vertragsbindung und Risikotragung.
Praktische Implikationen für den Kapitalmarkt
Bedeutung für beteiligte Marktakteure
Die Entscheidung verdeutlicht, dass Kompensationszahlungen, die im Zusammenhang mit Wertpapiertransaktionen auf der Grundlage bestimmter steuerlicher Rahmenbedingungen vereinbart wurden, auch unter veränderten gesetzlichen Voraussetzungen Bestand haben können. Für Kreditinstitute, institutionelle Investoren und sonstige Marktteilnehmer, die in vergleichbare vertragliche Strukturen eingebunden waren, unterstreicht das Urteil die hohe Relevanz einer klaren Regelung zur Risikoverteilung im Falle steuerrechtlicher Änderungen.
Anforderungen an die Vertragsgestaltung
Vor dem Hintergrund des Urteils lässt sich ableiten, dass die Aufnahme von Anpassungsklauseln im Hinblick auf mögliche Veränderungen des steuerlichen Rechtsrahmens erhebliche Bedeutung haben kann, um nachträgliche Unsicherheiten und Streitigkeiten zu vermeiden. Dabei bleibt jedoch jeder Einzelfall zu würdigen und ist jeweils auf die individuelle Vertragsgestaltung abzustellen.
Zivilrechtliche Rückforderungsansprüche
Das Urteil des OLG Frankfurt am Main betont die grundsätzlich bestehende Bindungswirkung auch gegenüber veränderten äußeren Umständen, sofern sich aus der getroffenen Vereinbarung keine abweichende Risikoverteilung ergibt. Soweit kein gesetzlicher oder vertraglicher Rückzahlungstatbestand gegeben ist, scheiden entsprechende Rückforderungsansprüche regelmäßig aus.
Weiterführende Hinweise
Das Verfahren und die zugrunde liegenden Sachverhalte sind Ausdruck der vielschichtigen Fragestellungen an der Schnittstelle von Steuerrecht und zivilrechtlicher Vertragsbindung, welche durch die Entwicklung des Steuerrechts und regulatorische Eingriffe erhebliche Umwälzungen im Kapitalmarkt auslösen können.
Hinweis auf laufende Rechtsentwicklung
Angesichts laufender Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsentwicklungen im Bereich des Kapitalmarktrechts und steuerrechtlicher Regelungen empfiehlt sich eine fortlaufende Beobachtung weiterer Entscheidungen und möglicher Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen.
Sollten sich im Zusammenhang mit Kompensationszahlungen, Cum/Cum- oder vergleichbaren Kapitalmarktgeschäften rechtliche Fragen zu vertraglicher Risikoverteilung, Rückforderungsansprüchen oder steuerlichen Implikationen ergeben, stehen die Rechtsanwälte von MTR Legal als Ansprechpartner zur Verfügung und unterstützen bei der Analyse und Beurteilung komplexer Sachverhalte.