Der Kinderzuschlag im Kontext des Unterhaltsrechts: Berücksichtigung als Einkommen des Kindes
Die unterhaltsrechtliche Behandlung staatlicher Transferleistungen ist regelmäßig Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen und rechtlicher Auseinandersetzungen. Insbesondere die Frage, ob der Kinderzuschlag gemäß § 6a Bundeskindergeldgesetz (BKGG) als Einkommen des Kindes im Rahmen von Unterhaltsberechnungen zu berücksichtigen ist, war bislang umstritten. Mit Beschluss vom 30.09.2019 (OLG Hamm, Az. 4 UF 2/19) hat das Oberlandesgericht Hamm diese Thematik einer vertieften Bewertung unterzogen und die Bedeutung dieser Entscheidung für die Praxis des Familienrechts konkretisiert.
Systematik des Kinderzuschlags
Zielrichtung und rechtliche Verortung
Der Kinderzuschlag nach § 6a BKGG wird an Eltern oder Erziehungsberechtigte gezahlt, deren eigenes Einkommen für den eigenen Bedarf ausreicht, jedoch nicht oder nur knapp ausreicht, auch den Bedarf der im Haushalt lebenden Kinder zu decken. Der Zuschlag dient dem Zweck, Familien mit niedrigem Erwerbseinkommen den Bezug von ergänzenden Sozialleistungen – insbesondere Leistungen nach dem SGB II – zu ersparen. Die Auszahlung erfolgt an die Eltern, formal aber zur Sicherstellung des Kindesunterhalts.
Abgrenzung zu anderen Sozialleistungen
Im Unterschied zu kindbezogenen Leistungen wie dem Kindergeld, das als steuerliche Ausgleichszahlung konzipiert ist, oder Leistungen aus dem SGB II, die einkommens- und bedarfsabhängig gezahlt werden, hat der Kinderzuschlag einen eigenständigen Legitimationszweck: Er schließt die Lücke bei Kindern, die mangels Leistungsberechtigung der Eltern nicht durch andere Sozialleistungen hinreichend abgesichert werden.
Kinderzuschlag als Einkommen im unterhaltsrechtlichen Rahmen
Maßgebliche Entscheidungsgrundlagen
Das OLG Hamm hat sich mit der Fragestellung befasst, ob und in welcher Form der Kinderzuschlag bei der Bemessung des Unterhalts nach § 1612a BGB zu berücksichtigen ist. Entscheidend ist hierbei die Bestimmung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens des Kindes, das maßgeblich für die Unterhaltsverpflichtung nichtehelicher Elternteile, aber auch im Rahmen sonstiger unterhaltsrechtlicher Beziehungen ist.
Einordnungsfrage: Einkommen des Kindes oder der Eltern?
Nach Auffassung des OLG Hamm ist der Kinderzuschlag als Einkommen des Kindes und nicht als Einkommen der Eltern zu qualifizieren. Zur Begründung verweist das Gericht auf die Zweckbestimmung des Kinderzuschlags. Die Leistung wird ausschließlich zum Zweck der Deckung des existenziellen Bedarfs des Kindes gewährt, wobei die Auszahlung zwar an die Sorgeberechtigten erfolgt, die Verfügung jedoch ausschließlich auf den Unterhalt des Kindes beschränkt ist. Daraus folgt, dass der Kinderzuschlag den Bedarf des Kindes unmittelbar mindert und damit den von dritter Seite (insbesondere vom Elternteil) zu erbringenden Unterhalt reduziert.
Grundsatz der Gleichbehandlung staatlicher Leistungen
Das Gericht stellt klar, dass sich die unterhaltsrechtliche Einordnung des Kinderzuschlags an den Maßstäben orientiert, die auch für andere Leistungen gelten, die originär dem Kindeswohl dienen. Der Charakter der Zahlung als zweckgebundene Leistung zugunsten des Kindes rechtfertigt die Berücksichtigung als kindbezogenes Einkommen.
Folgewirkungen für die unterhaltsrechtliche Praxis
Bedeutung für die Unterhaltsberechnung
Die Einbeziehung des Kinderzuschlags als Einkommen des Kindes wirkt sich unmittelbar auf die Höhe des zu zahlenden Kindesunterhalts aus. Der Bedarf eines Kindes, der nach Maßgabe der Düsseldorfer Tabelle oder nach konkretem Bedarf zu ermitteln ist, wird durch eigene Einkünfte des Kindes (dazu zählt gemäß OLG Hamm auch der Kinderzuschlag) reduziert. Die unterhaltsverpflichtete Person kann sich auf diese Weise auf eine geringere Unterhaltslast einstellen, da der durch andere Quellen gedeckte Bedarf mindernd einzustellen ist.
Abgrenzung bei Anspruchsübergang und Drittleistungsrecht
Die Entscheidung des OLG Hamm verdeutlicht gleichzeitig, dass nicht jede staatliche Transferleistung automatisch unterhaltsrechtlich als Einkommen des Kindes behandelt wird. Entscheidend ist die Zweckgebundenheit sowie die Frage, ob die Zahlung den Unterhaltsbedarf des Kindes oder der Eltern decken soll. Die nach Sinn und Zweck des Gesetzgebers gebotene Differenzierung bleibt damit weiterhin maßgeblich.
Verfahrensrechtliche Implikationen und aktuelle Entwicklung
Die Berücksichtigung des Kinderzuschlags als Einkommen des Kindes kann Einfluss auf bestehende und zukünftige Verfahren zur Unterhaltsberechnung nehmen. Verfahrensbeteiligte sind gehalten, die tatsächlichen Zuflüsse aus dem Kinderzuschlag im Rahmen des unterhaltsrechtlichen Offenlegungsverfahrens anzugeben und zu belegen. Die Entscheidung zeigt zudem die Dynamik in der familienrechtlichen Rechtsprechung in Bezug auf Schnittstellen zu sozialrechtlichen Leistungsansprüchen.
Fazit und Ausblick
Das OLG Hamm hat mit seinem Beschluss neue Akzente in der Bewertung des Kinderzuschlags im Unterhaltsrecht gesetzt. Mit der Einordnung als Einkommen des Kindes wird dem dualen Zweck – Sicherung des Kindeswohls und Entlastung der öffentlichen Haushalte – gleichermaßen Rechnung getragen. Die Thematik bleibt jedoch dynamisch, da sowohl Änderungen im Sozialleistungsrecht als auch divergierende obergerichtliche Entscheidungen den Meinungsstand fortlaufend beeinflussen können.
Angesichts der komplexen Zusammenhänge zwischen Familien- und Sozialrecht ist eine differenzierte Einordnung des Kinderzuschlags in die Unterhaltsberechnung unerlässlich. Wer vertiefende rechtliche Fragen zur Berücksichtigung staatlicher Transferleistungen oder zur Berechnung von Unterhaltsverpflichtungen hat, findet bei MTR Legal – insbesondere im Bereich Rechtsberatung im Familienrecht – kompetente und individuelle Unterstützung durch erfahrene Ansprechpartner.