Keine Verpflichtung zur Zahlung von Negativzinsen bei Schuldscheinen

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Keine Zahlungspflicht von Negativzinsen aus Schuldscheindarlehen – Aktuelle Entwicklungen durch die Entscheidung des BGH

Die Rahmenbedingungen auf den Finanzmärkten haben sich in den vergangenen Jahren fundamental gewandelt. Insbesondere das Phänomen negativer Zinsen auf Einlagen oder Kredite innerhalb des deutschen Banken- und Kapitalmarktrechts eröffnete neue haftungs- und vertragsrechtliche Fragestellungen. Unternehmen, institutionelle Investoren und vermögende Privatpersonen stehen zunehmend vor der Herausforderung, die rechtlichen Konsequenzen von Negativzinsen bei verschiedenen Darlehensformen vorausschauend zu erfassen.

Ein aktueller Rechtsstreit zwischen einem öffentlich-rechtlichen Kreditinstitut und einem Darlehensgeber über die Wirksamkeit einer Verpflichtung zur Zahlung sogenannter Negativzinsen aus einem Schuldscheindarlehen hat nun den Bundesgerichtshof befasst (BGH, Urteil v. 9. Mai 2023, Az. XI ZR 544/21). Die dort getroffene Entscheidung schafft Klarheit mit Blick auf die (Nicht-)Pflicht, negative Zinsen („Verzinsung unter Null”) auf eine bereits ausgezahlte Darlehenssumme im Rahmen eines Schuldscheindarlehens zu leisten.

Schuldscheindarlehen: Rechtsnatur und Vertragsausgestaltung

Charakteristika und Marktüblichkeit

Das Schuldscheindarlehen stellt eine im institutionellen Bereich – insbesondere bei Unternehmen und öffentlich-rechtlichen Kreditgebern – weit verbreitete Kreditform dar, die sich durch einen vergleichsweise unkomplizierten Abschlussvorgang und häufig standardisierte Vertragsbedingungen auszeichnet. Anders als bei klassischen Bankkrediten wird hier das Darlehen nicht zwingend öffentlich begeben, sondern zwischen den Vertragsparteien bilateral beurkundet. Die Verzinsungsstrukturen orientieren sich typischerweise an Referenzzinssätzen (z.B. EURIBOR), zu denen ein vertraglich vereinbarter Aufschlag oder Abschlag (Spread) hinzutritt.

Entwicklung der Zinslandschaft

Mit Einführung und anhaltender Nutzung von negativen Referenzzinssätzen im Euro-Währungsgebiet wurde die Frage relevant, ob vertraglich vereinbarte Zinsschuldnerschaften auch zu einer faktischen Zahlungsverpflichtung des Darlehensgebers führen können, wenn sich die Kalkulation unter Berücksichtigung des Referenzzinssatzes zu einem negativen Wert entwickelt. Banken und institutionelle Kreditnehmer standen und stehen vor der Herausforderung, die ursprünglichen Intentionen der Parteien in der Maßstabsbildung für die Vertragsauslegung zu ermitteln.

Streitgegenstand im Rechtsstreit: Negativzinsen bei Schuldscheindarlehen

Im Ausgangsfall gewährte ein Darlehensgeber (Land) einem Kreditinstitut ein langfristiges Schuldscheindarlehen, dessen Zinsberechnung sich auf den jeweiligen EURIBOR bezog. Nachdem der relevante Referenzzinssatz ins Negative geriet und die Summe des Referenzzinses und des vereinbarten Aufschlags unter null fiel, verlangte das Kreditinstitut vom Darlehensgeber die Zahlung von Negativzinsen. Der Darlehensgeber verweigerte dies mit der Begründung, eine vertragliche Zahlungsverpflichtung in Höhe negativer Zinsen bestehe nicht.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Keine automatische Pflicht zur Zahlung von Negativzinsen

Maßgebliche Argumentationslinien

Der Bundesgerichtshof hat klargestellt: Das bloße Sinken der Zinskomponente eines Schuldscheindarlehens unter null – sei es aufgrund eines negativen Referenzzinssatzes oder einer entsprechenden Berechnungsformel – führt grundsätzlich nicht zu einer eigenständigen Zahlungsverpflichtung des Darlehensgebers an den Darlehensnehmer. Die maßgebliche Vertragsauslegung ergebe weder nach dem Wortlaut noch nach der systematischen Betrachtung des Darlehensvertrags oder nach ergänzenden Auslegungsmaßstäben eine Verpflichtung zur Zahlung von Negativzinsen, soweit die Parteien dies nicht ausdrücklich geregelt haben.

Ein Kreditinstitut könne aus dem Umstand, dass in der Zinsberechnungsformel ein negatives Ergebnis entsteht, keine über den eigentlichen Vertragszweck hinausgehende Forderung herleiten. Grundlage des Anspruchs auf Zahlung von Zinsen sei stets der im Austausch für die Kapitalüberlassung geschuldete Entgeltsanspruch – nicht jedoch ein über diesen Rahmen hinausgehender Anspruch auf Zahlung reziproker Zinsleistungen durch den Darlehensgeber.

Relevanz der Parteivereinbarung

Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass die Vertragsparteien die Modalitäten der Zinsberechnung, insbesondere die Behandlung von Negativzinsen, grundsätzlich frei und situationsgerecht ausgestalten können. Ein Fehlen expliziter Regelungen im Hinblick auf Negativzinsen ist nach Auffassung des Gerichts aber dahingehend auszulegen, dass keine vertragliche Pflicht zur Zahlung solcher Zinsen besteht. Die Entscheidung des BGH ist insofern Ausdruck einer dem Leitbild des deutschen Schuldrechts entsprechenden Auslegungspräferenz für eine grundsätzlich zinslose Kapitalüberlassung des Darlehensgebers, soweit und solange keine positiven Zinsen anfallen.

Einschränkungen und Einordnung

Der BGH hat seine Entscheidung auf die konkret zu beurteilenden Vertragsmodalitäten gestützt. Eine Übertragung der Entscheidungsgrundsätze auf alle Formen von Darlehensverträgen (insbesondere bilaterale Spezialvereinbarungen oder syndizierte Kredite) erfordert eine eingehende Prüfung des jeweiligen vertraglichen Kontextes. Es bleibt zu berücksichtigen, dass die Parteien im Rahmen der Vertragsfreiheit Negativzinsen (im Sinne einer reziproken Zahlungspflicht des Darlehensgebers) ausdrücklich vereinbaren können – ein solcher Ausnahmefall lag dem behandelten Sachverhalt jedoch nicht zugrunde.

Implikationen für die Praxis und künftige Vertragsgestaltung

Bedeutung für Unternehmen und Investoren

Die Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs betrifft insbesondere institutionelle Investoren, Unternehmen und öffentlich-rechtliche Kreditinstitute, die als Darlehensgeber oder Darlehensnehmer in der Vergangenheit ältere Schuldscheindarlehensverträge mit variabler Zinsbasis geschlossen haben. Für die künftige Ausgestaltung und Verhandlung von Kreditverträgen empfiehlt es sich, die Auswirkungen negativer Referenzzinssätze bereits bei Vertragsschluss transparent zu regeln, um Unsicherheiten bei Marktschwankungen vorzubeugen. In Konstellationen mit standardisierten Vertragsmustern gewinnt die sorgfältige Prüfung und – soweit gewünscht – Erweiterung von Zinsklauseln an Bedeutung.

Offene Fragen und künftige Gerichtsentscheidungen

Mit der Behandlung der Zahlungspflicht von Negativzinsen im Kontext von Schuldscheindarlehen ist ein grundlegender Aspekt geklärt. Weitere ungeklärte Fragestellungen, etwa zur Reichweite ergänzender Auslegungen, zu etwaigen Rückforderungsrechten und zu Auswirkungen auf andere Kreditformen, könnten Gegenstand künftiger Rechtsprechung sein; hierzu bleibt jeweils die individuelle Vertragssituation maßgeblich.

Fazit

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 9. Mai 2023 gibt sowohl Kreditinstituten als auch Darlehensgebern Orientierungsgrundlagen für den Umgang mit negativen Zinsen aus Schuldscheindarlehen. Für Unternehmen, Investoren und finanzierende Kreditinstitute empfiehlt sich angesichts der vielschichtigen Vertragsvarianten eine individuelle Überprüfung bestehender oder in Verhandlung befindlicher Kreditverträge, um rechtliche und wirtschaftliche Risiken anhand der aktuellen Rechtsprechung einzuordnen. Für alle weitergehenden Fragestellungen rund um Zinsstrukturen, Vertragsauslegung oder Streitigkeiten im Bank- und Kapitalmarktrecht stehen die Berater von MTR Legal Rechtsanwälte kompetent zur Verfügung. Weitere Informationen zu unseren Leistungen finden Sie unter Rechtsberatung im Bankrecht.

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