Hintergrund zum Beschluss des Bundesgerichtshofs
Mit Beschluss vom 12. April 2023 (Az.: V ZB 64/21) hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Frage erörtert, unter welchen Voraussetzungen ein Insolvenzverwalter dazu befugt ist, ein im Grundbuch eingetragenes Wohnungsrecht des Insolvenzschuldners am eigenen Grundstück löschen zu lassen. Dieses Urteil hat Implikationen für die insolvenzrechtliche Verwaltung und Verwertung von Grundstücken, die vom Wohnungsrecht des Schuldners belastet sind.
Problemstellung: Wohnungsrecht als insolvenzsicheres Recht?
Wohnungsrechte im Überblick
Das Wohnungsrecht nach § 1093 BGB verleiht einer bestimmten Person das Recht, ein Gebäude oder einen Teil davon zu bewohnen. Es handelt sich hierbei regelmäßig um ein höchstpersönliches Nutzungsrecht, das weder übertragbar noch vererblich ist. In der Praxis werden solche Rechte oft im Rahmen von Immobilienübertragungen genutzt, um dem bisherigen Eigentümer oder Dritten weiterhin ein gesichertes Wohnrecht einzuräumen.
Insolvenzrechtliche Einordnung
Wird über das Vermögen des Berechtigten die Insolvenz eröffnet, stellt sich die Frage, wie sich das grundbuchlich gesicherte Wohnungsrecht auf die Insolvenzmasse auswirkt. Dabei ist zu differenzieren, ob das Wohnungsrecht zugunsten des Schuldners oder Dritter besteht und welche Handlungsoptionen dem Insolvenzverwalter zur Verfügung stehen, um die Verwertbarkeit des Grundstücks zu gewährleisten.
Befugnisse des Insolvenzverwalters
§ 80 InsO: Vermögensverwaltende Befugnisse
Gemäß § 80 Abs. 1 InsO geht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht zur Verwaltung und Verfügung über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen auf den Verwalter über. Der Insolvenzverwalter ist dabei gehalten, das Vermögen zu Gunsten der Gläubiger bestmöglich zu verwerten.
Das Wohnungsrecht des Schuldners als Hindernis der Verwertung
Ein im Grundbuch eingetragenes Wohnungsrecht kann der Veräußerung des Grundstücks entgegenstehen, da es einen erheblichen wertmindernden Einfluss auf den Veräußerungserlös haben kann. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit das Wohnungsrecht des Schuldners selbst „mitverwertet“ oder gelöscht werden kann.
Das zentrale Problem: Löschung eines eigenen Rechts durch den Insolvenzverwalter
Der BGH hatte zu klären, ob der Insolvenzverwalter befugt ist, die Löschung eines Wohnungsrechts des Schuldners an dessen eigenem Grundstück zu veranlassen. Dies betrifft Fälle, in denen der Schuldner vor der Insolvenz ein solches Recht zugunsten seiner eigenen Person bestellt hat.
Entscheidungsgründe des Bundesgerichtshofs
Zuordnung des Wohnungsrechts zur Insolvenzmasse
Der BGH stellte klar, dass das Wohnungsrecht des Schuldners an seinem eigenen Grundstück als ein zur Masse gehörendes Recht zu behandeln ist. Nach § 80 InsO steht dem Insolvenzverwalter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis – mithin auch die Befugnis, das Wohnungsrecht aufzuheben oder löschen zu lassen – zu. Die Verwertung des Grundstücks kann dadurch erleichtert werden.
Grundbuchrechtliche Besonderheiten
Im Falle der Löschung eines Wohnungsrechts ist grundsätzlich die Zustimmung des Berechtigten erforderlich. Da jedoch der Insolvenzverwalter mit Verfahrensbeginn an die Stelle des Schuldners tritt, kann dieser nunmehr die Zustimmung zur Löschung erklären. Das gilt jedenfalls dann, wenn das Wohnungsrecht subjektiv nicht von weiteren Rechten Dritter abhängt oder in sonstiger Weise beschränkt ist.
Schutz der Gläubigerinteressen
Die Entscheidung des BGH berücksichtigt den Schutzzweck des Insolvenzverfahrens: Maximierung der Insolvenzmasse und gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger. Ein an der Person des Schuldners hängendes Wohnungsrecht, das allein diesem zugutekommt, kann einer bestmöglichen Verwertung entgegenstehen und darf entfernt werden, um den Interessen der Gläubiger gerecht zu werden.
Praxisrelevanz der Entscheidung
Bedeutung für die Grundstücksverwertung bei Insolvenzverfahren
Die BGH-Entscheidung schafft Klarheit für Insolvenzverwalter, Erwerber und Gläubiger dahingehend, dass ein insolvenzbedingtes Wohnungsrecht des Schuldners an seinem eigenen Grundstück der freien Verfügbarkeit nicht im Wege steht. Immobilien können damit unbelastet verwertet werden, was häufig zu einer erheblichen Wertsteigerung führen kann. Dies ist sowohl bei der Bewertung von Sicherheiten als auch im Rahmen des Insolvenzplans beachtlich.
Abgrenzung zu Wohnrechten Dritter
Es bleibt zu differenzieren, wenn das Wohnungsrecht nicht dem Schuldner, sondern einer anderen Person – etwa Ehegatten oder Verwandten – eingeräumt wurde. In solchen Fällen ist eine Löschung regelmäßig nicht durch den Insolvenzverwalter allein herbeizuführen, da Rechte Dritter geschützt sind und nicht zur Insolvenzmasse gehören.
Grundbuchverfahren nach der Löschungsreife
Für das Grundbuchamt ergibt sich aus dem BGH-Beschluss eine klare Linie: Liegt ein Löschungsantrag des Insolvenzverwalters für das Wohnungsrecht des Schuldners vor und sind sonstige Voraussetzungen erfüllt, kann die Eintragung der Löschung erfolgen.
Ausblick und offene Fragen
Der BGH-Beschluss stärkt die Stellung des Insolvenzverwalters in Bezug auf das zur Masse gehörende Vermögen und bejaht ausdrücklich die Löschungsbefugnis hinsichtlich von höchstpersönlichen Wohnungsrechten des Schuldners an eigenen Immobilien. Ungeklärt bleibt indes, inwieweit vertragliche Besonderheiten oder nachträgliche Vereinbarungen berücksichtigt werden müssen, etwa wenn das Wohnungsrecht als Sicherheit bestellt wurde oder komplexe Verhältnisse vorliegen.
Fazit
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12. April 2023 ist für die Praxis der Insolvenzverwaltungen und die Grundstücksverwertung von erheblicher Bedeutung. Sie ermöglicht eine effizientere Massegenerierung, indem nutzlose Belastungen im Insolvenzfall beseitigt werden können. Bei spezifischen rechtlichen Fragestellungen zu Wohnungsrechten im Kontext der Insolvenz empfiehlt es sich, auf die individuelle Konstellation zu achten.
Für Fragen rund um die Gestaltung, Verwaltung oder Verwertung von Grundstücken im Insolvenzfall stehen die erfahrenen Rechtsanwälte von MTR Legal bundesweit und international zur Verfügung.