Gerichtliche Haftung eines Bankvorstands für spekulative Geschäftsaktivitäten
Mit Urteil vom 8. August 2025 (Az. 43 O 18215/19) hat das Landgericht München I die Reichweite der Pflichten von Bankvorständen bei der Durchführung und Überwachung hochriskanter Finanzgeschäfte in bemerkenswerter Weise konkretisiert. Die Entscheidung spiegelt die vielschichtigen Kriterien wider, unter denen Mitglieder des Vorstands bei unzureichender Risikosteuerung und Kontrollausübung für entstandene Schadensfälle gegenüber ihrer Institution persönlich einstehen müssen.
Hintergrund des Verfahrens
Im zugrundeliegenden Fall hatte eine Bank in mehreren Geschäftsjahren erhebliche Verluste infolge diverser spekulativer Zinssatzswap-Geschäfte hinzunehmen. Die zuständigen Organe machten im Nachgang sowohl eine Überschreitung der zulässigen Risikotragfähigkeit als auch Versäumnisse im Management der daraus entstehenden Gefahren geltend. Im Zentrum der gerichtlichen Überprüfung stand, inwieweit das ehemalige Vorstandsmitglied bei der Organisation, Steuerung und Kontrolle dieser hochkomplexen Geschäftsvorfälle seinen gesetzlichen Pflichten genügt hatte.
Sorgfaltspflichten und Grenzen der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit
Vorstandsmitglieder einer Bank sind gemäß § 93 AktG verpflichtet, die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters walten zu lassen. Diese Pflicht umfasst insbesondere die sorgsame Auswahl, Planung und Überwachung risikobehafteter Geschäfte – mit Maßnahmen zur Sicherstellung eines effektiven Risikomanagementsystems, interner Kontrollmechanismen und einer angemessenen Aufbereitung der Entscheidungsgrundlagen.
Die sogenannte Business Judgement Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) gesteht dem Vorstand grundsätzlich einen Entscheidungsspielraum zu, solange das Handeln auf einer hinreichend informierten Grundlage erfolgt und das Wohl der Gesellschaft im Blick behält. Das Urteil aus München zeigt indes deutlich, dass diese Regel nicht für den Fall gilt, in dem zentrale Kontrollpflichten verletzt oder Warnsignale systematisch ignoriert werden.
Kernaussagen und Auswirkungen der Entscheidung
Pflicht zur risikoorientierten Geschäftssteuerung
Nach Ansicht des Gerichts resultiert die persönliche Haftung des Vorstands insbesondere dann, wenn hochriskante Finanzprodukte ohne adäquate Analyse und Bewertung ihrer Risiken abgeschlossen werden. Wie aus der Urteilsbegründung hervorgeht, hatte das beklagte Vorstandsmitglied wiederholt Warnhinweise der internen Revision und anderer Kontrollinstanzen missachtet. Insbesondere fehlte es an der systematischen Überprüfung der Angemessenheit der Risiken gegenüber der Risikotragfähigkeit der Bank, was einen Verstoß gegen die Governance-Anforderungen gemäß MaRisk (Mindestanforderungen an das Risikomanagement) bedeutete.
Bedeutung einer wirksamen Überwachung
Das Gericht betonte weiter, dass der Vorstand nicht nur verpflichtet ist, ein Risikomanagementsystem einzurichten, sondern auch dafür Sorge zu tragen hat, dass dessen Funktionsfähigkeit dauerhaft überwacht und den jeweiligen Entwicklungen angepasst wird. Die Delegation von Verantwortlichkeiten an nachgelagerte Stellen entbindet den Vorstand nicht von seiner Kontrollfunktion. Im konkreten Fall hatte die unzureichende Beaufsichtigung und unterlassene Konsequenzziehung aus festgestellten Fehlern maßgeblich zur Schadensentstehung beigetragen.
Persönliche Haftung und Anspruchsdurchsetzung
Bei ernsten Pflichtverletzungen kann die Bank – vertreten durch die Hauptversammlung oder im Insolvenzfall durch den Insolvenzverwalter – Regressforderungen gegen ehemalige Vorstände geltend machen. Die Höhe des zu ersetzenden Schadens richtet sich nach dem konkret festgestellten Fehlverhalten und dem daraus resultierenden finanziellen Nachteil der Gesellschaft.
Einordnung und Praxisrelevanz
Diese Entscheidung unterstreicht die gesteigerten Anforderungen an Kontrolle und Steuerung insbesondere bei bankenaufsichtsrechtlich relevanten Geschäften. Im Kern wird deutlich, dass ein nachlässiger oder unzureichender Umgang mit Risiken nicht mehr allein mit Verweis auf unternehmerische Freiheit gerechtfertigt werden kann. Die Gerichte setzen bei der Beurteilung von Vorstandshaftungsfällen hohe Maßstäbe an die persönliche Leistungsbereitschaft und Integrität der handelnden Personen.
Ausschlaggebend ist insbesondere, wie sorgfältig und sachorientiert Vorstandsmitglieder Geschäftsentscheidungen vorbereiten und realisieren, wie Risiken identifiziert, bewertet und gesteuert werden und ob sie einsatzbereit auf Hinweise aus internen Kontrollsystemen reagieren.
Das Verfahren verdeutlicht weiter, dass in komplexen Fällen stets sowohl Fragen der Governance-Strukturen als auch der konkreten Umsetzung von Überwachungs- und Steuerungsmaßnahmen einer eingehenden gerichtlichen Prüfung unterliegen. Die Unschuldsvermutung bleibt bis zum endgültigen Abschluss sämtlicher Rechtsmittelverfahren auch für das belangte Vorstandsmitglied gewahrt.
Hinweis
Dieser Artikel basiert auf dem Urteil des Landgerichts München I vom 8. August 2025 (Az. 43 O 18215/19), dessen vollständige Begründung unter https://urteile.news/LG-Muenchen-I43-O-1821519Ehemaliger-Bankvorstand-haftet-fuer-risikoreiche-Geschaefte~N35287 eingesehen werden kann. Laufende oder potentielle weitere Rechtsmittelverfahren sind zu berücksichtigen.
Banken, Unternehmen und Privatpersonen, die mit Fragestellungen rund um die Organhaftung und Risikosteuerung konfrontiert sind, können sich bei Bedarf jederzeit vertrauensvoll an die im Wirtschaftsrecht erfahrenen Rechtsanwälte bei MTR Legal Rechtsanwälte wenden.