Corona-Überbrückungshilfe als unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen – Aktuelle Entwicklungen
Die Bewertung von staatlichen Unterstützungsleistungen im Rahmen der COVID-19-Pandemie wirft weiterhin bedeutsame Fragen im Unterhaltsrecht auf. Insbesondere stellt sich bei der sogenannten Corona-Überbrückungshilfe die Problematik, ob und inwieweit diese Hilfszahlungen als Einkommen im Sinne des Unterhaltsrechts zu berücksichtigen sind. Das Oberlandesgericht Bamberg bestätigte mit Urteil vom 6. April 2022 (Az. 2 UF 23/22), dass die Corona-Überbrückungshilfe dem unterhaltsrelevanten Einkommen zuzurechnen ist. Das Urteil verdeutlicht die unterhaltsrechtliche Behandlung dieser pandemiebedingten Zahlungen und liefert wichtige Anhaltspunkte für Unterhaltspflichtige, Unterhaltsberechtigte sowie deren Berater.
Hintergrund der Corona-Überbrückungshilfe
Die staatlichen Überbrückungshilfen wurden eingerichtet, um die ökonomischen Folgen der COVID-19-Pandemie insbesondere für selbständige Unternehmer sowie Soloselbständige und Freiberufler abzumildern. Ziel war es, existenzgefährdende Umsatzeinbrüche abzufedern und die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit der Betroffenen zu erhalten. Im Rahmen der Antragstellung sind umfassende Angaben zu Betriebskosten, Einnahmen und der wirtschaftlichen Situation zu leisten, wobei die Hilfen regelmäßig zweckgebunden als Zuschüsse zur Deckung betrieblicher Fixkosten ausgezahlt werden.
Die unterhaltsrechtliche Einordnung von Coronahilfen
Grundsatz der Einkommensrelevanz
Nach gefestigter Rechtsprechung sind im unterhaltsrechtlichen Kontext alle tatsächlich erzielten Einnahmen zu berücksichtigen, die dem Unterhaltspflichtigen zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zur Verfügung stehen, sofern sie nicht explizit zweckgebunden oder als reine Durchlaufposten zu qualifizieren sind. Zu diesen Einnahmen zählen nach ständiger Praxis neben den Einkünften aus selbständiger oder nichtselbständiger Tätigkeit auch staatliche Transferleistungen, sofern diese nicht ausschließlich einer bestimmten berufsbezogenen Zweckbindung unterliegen.
Entscheidung des OLG Bamberg
Das OLG Bamberg geht davon aus, dass die im Rahmen der Corona-Überbrückungshilfe gewährten Leistungen grundsätzlich zum Einkommen des Empfängers im Sinne von § 1603 BGB zu zählen sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Mittel dazu dienen, betriebliche Aufwendungen zu kompensieren, die andernfalls von privaten Einnahmen – und damit aus dem unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen – hätten bestritten werden müssen. Eine anderweitige Bewertung kommt nach Ansicht des Gerichts lediglich in Betracht, wenn die Zweckbindung der Mittel derart eng ausgestaltet ist, dass eine unmittelbare Verwendung für den Lebensunterhalt von vornherein ausgeschlossen ist.
Auswirkungen auf die Bemessung der Unterhaltsfähigkeit
Durch die Einbeziehung der Überbrückungshilfen in die Einkommensermittlung erhöht sich das für die Unterhaltsberechnung maßgebliche Einkommen. Derartige Hilfszahlungen sind daher bei der Bewertung der Leistungsfähigkeit einer unterhaltspflichtigen Person mitzuberücksichtigen, sofern nach Abzug der tatsächlich mit Hilfe der Mittel beglichenen Fixkosten noch ein Überschuss verbleibt oder der genaue Umfang der berücksichtigten Betriebsausgaben im Einzelfall nicht zweifelsfrei feststellbar ist.
Abgrenzung zu anderen Unterstützungsleistungen
Zu differenzieren ist zwischen den Überbrückungshilfen und anderen pandemiebedingten Unterstützungen, etwa Kurzarbeitergeld, Soforthilfen oder steuerlichen Erleichterungen. Während beispielsweise Kurzarbeitergeld grundsätzlich als Einkommen anzurechnen ist, können rein betrieblich verwendete Mittel, wie sie vereinzelt bei Soforthilfen vorkommen, in engen Ausnahmefällen außen vor bleiben, sofern eine strikte Zweckbindung nachweisbar ist.
Praktische Implikationen und Unsicherheiten
Rückzahlungspflichten und Prognoseentscheidungen
In der Praxis besteht oftmals Unsicherheit darüber, inwieweit erlangte Hilfsleistungen im Nachhinein als zu hoch berechnet angesehen und zurückgefordert werden können. Unterhaltsrechtlich bleibt jedoch maßgeblich, welches Einkommen dem Pflichtigen zum Zeitpunkt der Unterhaltsberechnung zur Verfügung steht. Prognoseentscheidungen für die Einkommensentwicklung in Krisenzeiten sind stets mit Vorsicht zu treffen und bedürfen einer sorgfältigen Dokumentation der einzelnen Beträge sowie deren Verwendung.
Offenlegungspflichten und Transparenz
Der Unterhaltspflichtige trifft gegenüber dem Berechtigten sowie vor den Gerichten eine umfassende Darlegungslast hinsichtlich aller relevanten Einkommensbestandteile. Dazu gehören auch Angaben über die Höhe, den Bewilligungszeitraum und die Verwendung der empfangenen Corona-Hilfen. Die Transparenz dieser Angaben ist essenziell, um eine sachgerechte und tatsächsgerechte Unterhaltsberechnung zu ermöglichen.
Fazit und Ausblick
Die Entscheidung des OLG Bamberg bekräftigt die Tendenz der Rechtsprechung, pandemiebedingte Unterstützungsmaßnahmen als einkommensrelevant zu werten und damit auch im unterhaltsrechtlichen Kontext zu berücksichtigen. Angesichts der Komplexität und der Vielschichtigkeit staatlicher Hilfsprogramme bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung sich künftig zu weiteren vergleichbaren Konstellationen positionieren wird. Unternehmer, Selbständige und Freiberufler im Spannungsfeld von unterhaltsrechtlichen Verpflichtungen und staatlichen Hilfen sollten die aktuelle Entwicklung sorgfältig beobachten.
Quelle
Das Urteil des Oberlandesgerichts Bamberg vom 6. April 2022 (Az. 2 UF 23/22) ist abrufbar unter urteile.news.
Für Fragen oder Unsicherheiten im Zusammenhang mit der unterhaltsrechtlichen Bewertung von Corona-Hilfszahlungen sowie weiteren wirtschaftsrechtlichen Themen stehen die Rechtsanwälte von MTR Legal – einer bundesweit und international tätigen Wirtschaftskanzlei – gerne zur Verfügung.