Bundesgerichtshof erklärt Haftungsvergleiche im VW Dieselskandal für unwirksam

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BGH-Entscheidung zu Haftungsvergleichen zwischen Volkswagen und D&O-Versicherern im Kontext des Dieselskandals

Am 30. September 2025 hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit einer wegweisenden Entscheidung (Az. II ZR 154/23) zentrale Aspekte der rechtlichen Auseinandersetzungen rund um den sogenannten Dieselskandal neu bewertet: Haftungsvergleiche zwischen der Volkswagen AG und mehreren Versicherungsunternehmen, die im Rahmen der Manager-Haftpflicht (D&O-Versicherung) abgeschlossen wurden, wurden für intransparent und unzulässig erklärt. Die Gerichte der Vorinstanzen hatten die Vereinbarungen zwischen Volkswagen und den Versicherern hinsichtlich der Haftung früherer Vorstandsmitglieder zunächst gebilligt. Durch die aktuelle BGH-Entscheidung erhält die Diskussion um Reichweite und Zulässigkeit von D&O-Deckungen sowie um den Maßstab der gesellschaftsrechtlichen Corporate Governance erheblichen Aufwind.

Hintergrund: D&O-Deckung im Haftungsfall

Die D&O-Versicherung (Directors and Officers Liability Insurance) schützt Organmitglieder und leitende Angestellte eines Unternehmens vor Ansprüchen, die aufgrund von Pflichtverletzungen im Dienst erhoben werden. Im Kontext des Dieselskandals stellte sich die Frage, in welchem Umfang D&O-Versicherer einstandspflichtig sind und inwieweit Unternehmen wie Volkswagen mit diesen Versicherern Vergleiche schließen dürfen, insbesondere wenn Parteieninteressen potenziell kollidieren und der gesellschaftsrechtlich gebotene Haftungsmaßstab tangiert wird.

Das Verfahren vor dem Bundesgerichtshof

Volkswagen hatte, vertreten durch Aufsichtsrat und Vorstand, im Nachgang des Dieselskandals Vergleichsvereinbarungen mit verschiedenen Managerversicherern getroffen, wonach Versicherer erhebliche Zahlungen zur Abgeltung möglicher Schadensersatzforderungen leisten sollten. Gleichzeitig sollten frühere Vorstandsmitglieder damit weitgehend von weitergehenden Ansprüchen freigestellt werden. Das Landgericht und das Oberlandesgericht hatten diese Lösungen zunächst bestätigt und sich auf die Unternehmensautonomie berufen.

Der BGH prüfte die Vergleichsregelungen jedoch intensiver:

  • Die Richter stellten fest, dass die abgeschlossenen Vergleiche in entscheidenden Teilen nicht hinreichend transparent gestaltet und damit nicht geeignet seien, die Kontrollmöglichkeiten der Aktionäre sowie den Schutz vor Interessenkonflikten sicherzustellen.
  • Insbesondere würden Aktionäre und andere potenziell geschädigte Stakeholder überwiegend außen vor bleiben, wenn Vergleiche ausschließlich zwischen Unternehmen, früheren Vorstandsmitgliedern und Versicherern verhandelt werden, ohne die Offenlegung der zugrundeliegenden Bewertung und Entscheidungsgrundlagen.
  • Die Rechte der Hauptversammlung auf Mitwirkung und Information wurden als nicht ausreichend berücksichtigt angesehen.

Der BGH betonte zudem, dass die Prüfung von Vorstandsverantwortlichkeit und etwaigen Pflichtverletzungen nicht allein der Verhandlungsmacht und der Verwertungslogik der Parteien überlassen bleiben darf.

Gesellschaftsrechtliche Implikationen und Auswirkungen auf die Governance

Die Entscheidung des BGH rückt die gesellschaftsrechtliche Sorgfaltspflicht (§ 93 AktG) und die gebotene Kontrolle durch die Hauptversammlung in den Vordergrund. Nach Ansicht des Gerichts muss jede Form der Haftungsvergleichslösung sicherstellen, dass die Interessen der Gesellschaft und ihrer Organe, insbesondere die Minderheitsinteressen, nicht unterlaufen werden.

Die Pflicht zur vollständigen und nachvollziehbaren Aufklärung des Sachverhalts wurde als essenziell herausgestellt. Vertraulich vereinbarte Abgeltungen, die ohne angemessene Kontrolle und Transparenz geschlossen werden, seien mit dem Haftungsregime des Aktienrechts und der Verantwortung der Gesellschaftsorgane nicht vereinbar.

Für D&O-Versicherungen und deren künftige Vertragsgestaltung ergibt sich daher eine anspruchsvollere Trennlinie: Sowohl die Reichweite der Deckung als auch die Modalitäten eventueller Vergleiche sind einer weitergehenden gerichtlichen und gesellschaftsinternen Kontrolle unterworfen.

Auswirkungen auf die Unternehmenspraxis und laufende Verfahren

Mit dem Urteil schafft der BGH einen richtungsweisenden Präzedenzfall. Zukünftig sind Unternehmen – und insbesondere deren Organe – angehalten, bei der Regelung von Schadensersatzfällen im Zusammenhang mit D&O-Versicherungsleistungen umfangreiche Prüf- und Offenlegungspflichten zu erfüllen. Vergleichsverhandlungen dürfen nicht zu Lasten der Gesellschaft und ihrer Anteilseigner geführt werden, ohne dass deren Rechte umfassend gewahrt werden.

Es ist zu beachten, dass zahlreiche Aspekte der zivilrechtlichen Aufarbeitung des Dieselskandals weiterhin gerichtlich nicht abschließend geklärt sind. Für sämtliche daran beteiligte Personen und Unternehmen gilt grundsätzlich die Unschuldsvermutung, solange keine rechtskräftigen Entscheidungen zu Pflichtverstößen bestehen.

Quellenhinweis

Die Entscheidungsgründe und Hintergrundinformationen basieren auf der veröffentlichten Urteilsanmerkung zu BGH, Urteil vom 30.09.2025 – II ZR 154/23, abrufbar unter urteile.news.

Weiterführende rechtliche Perspektiven

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs markiert einen weiteren Meilenstein bei gesellschaftsrechtlichen Haftungsthemen sowie im Umgang mit D&O-Versicherungen in Deutschland. Die damit verbundenen Fragestellungen betreffen zahlreiche Akteure der Unternehmenslandschaft, von Organmitgliedern über Großaktionäre bis zu institutionellen Investoren. In einer zunehmend verrechtlichten und globalisierten Gesellschaft werden die Anforderungen an Compliance und Transparenz weiter steigen.

Bei weitergehenden Fragestellungen im Schnittfeld von Haftungsrecht, Gesellschaftsrecht und Versicherungsrecht steht das Team von MTR Legal Rechtsanwälte als Ansprechpartner zur Verfügung.

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