Bundesgerichtshof präzisiert Grundsätze zur Abfindung in Aktien bei Eingliederung und Spruchverfahren
Am 18. Oktober 2010 hat der Bundesgerichtshof (Az. II ZR 270/08) eine bedeutsame Entscheidung gefällt, welche die Abfindung von außenstehenden Aktionären im Kontext einer gesellschaftsrechtlichen Eingliederung und dem anschließenden Spruchverfahren betrifft. Die Tragweite des Urteils erstreckt sich auf zahlreiche gesellschaftsrechtliche Gestaltungen und berührt insbesondere die Rechte von Minderheitsaktionären, Unternehmensgruppen und beteiligten Emittenten am Kapitalmarkt.
Hintergründe der Entscheidung
Die Eingliederung eines Unternehmens als abhängige Gesellschaft in einen herrschenden Konzern (§§ 319 ff. AktG) erfordert nach deutschem Gesellschaftsrecht, dass die Minderheitsaktionäre der abhängigen Gesellschaft grundsätzlich eine angemessene Abfindung erhalten. Die Art und Weise dieser Abfindung – in bar oder in Form von Aktien des herrschenden Unternehmens – bildet einen häufigen Streitpunkt zwischen den beteiligten Parteien. Um die Schutzwürdigkeit der Minderheitsaktionäre sicherzustellen, sieht das Spruchverfahren (§§ 327f, 320b AktG) eine gerichtliche Überprüfung der festgelegten Abfindungshöhe und deren Ausgestaltung vor.
Juristische Schwerpunkte der höchstrichterlichen Entscheidung
Anspruch auf gleichwertige Aktien
Zentraler Aspekt des BGH-Urteils war die Frage, ob die in Aktien gewährte Abfindung auch dann als angemessen und vollwertig gilt, wenn die Aktionäre bereits im Eingliederungszeitpunkt Aktien des herrschenden Unternehmens erhalten und im späteren Spruchverfahren ein Nachbesserungsanspruch festgestellt wird. Der Bundesgerichtshof betont hierbei, dass allein die tatsächliche Gleichwertigkeit der übergebenen Aktien maßgeblich ist. Es genügt nicht, dass Aktien formal geliefert werden; es muss sichergestellt sein, dass die Minderheitsaktionäre eine mit ihrer früheren Beteiligung ökonomisch vergleichbare Rechtsposition erwerben.
Relevanz des Referenzzeitpunkts
Ein weiterer Schwerpunkt der Entscheidung lag auf der Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Angemessenheit der gewährten Abfindung. Nach ständiger Rechtsprechung ist hierfür grundsätzlich der Zeitpunkt der Hauptversammlung entscheidend, in der die Eingliederung beschlossen wird. Der Bundesgerichtshof bestätigt, dass spätere Kursschwankungen oder Unternehmensveränderungen regelmäßig unbeachtlich sind, solange die Aktien zum Eingliederungsstichtag ausreichend fungibel und marktgängig sind.
Nachbesserungsrechte und Spruchverfahren
Stellt das Spruchverfahren eine höhere Abfindung fest, haben die außenstehenden Aktionäre einen Anspruch auf Zuzahlung. Diese Zuzahlung kann von den Aktionären gegebenenfalls auch dann verlangt werden, wenn sie im Eingliederungsverfahren bereits Aktien erhalten haben, soweit die gerichtliche Überprüfung eine anfängliche Unterbewertung ergibt. Diese Nachbesserung steht im Einklang mit dem gesetzlichen Minderheitenschutz und dient dazu, materielle Nachteile zu kompensieren, die sich aus einer unangemessen gestalteten Erstausgabe ergeben könnten.
Implikationen für Unternehmenspraxis und Aktionärsschutz
Bedeutung für Unternehmensgruppen und Investoren
Die Entscheidung schafft eine erhöhte Rechtssicherheit für Unternehmensgruppen, die Eingliederungen planen. Sie verpflichtet diese jedoch gleichermaßen, die ökonomische Gleichwertigkeit der angebotenen Aktien im Auge zu behalten. Gleichzeitig gewährleistet sie für Minderheitsaktionäre ein effektives Instrumentarium, um im Falle einer unangemessenen Abfindung eine gerichtliche Nachbesserung durchzusetzen.
Künftiger Regelungsbedarf und Entwicklungen
Das Urteil unterstreicht die Bedeutung sorgfältiger Unternehmensbewertung und transparenter Aufklärung bei der Durchführung von Eingliederungsverfahren. Nicht unerwähnt bleiben sollte die steigende Bedeutung, die internationalen Rechnungslegungsstandards und komplexen Bewertungsverfahren bei diesen Transaktionen zukommt. Aus Sicht der rechtlichen Strukturierung wird es für Unternehmen zunehmend relevant, die Regelungen zur Bar- und Sachabfindung präzise zu beachten und durch geeignete Mechanismen in der Vertrags- und Satzungsgestaltung abzusichern.
Zusammenfassung und Ausblick
Das Urteil des Bundesgerichtshofs stellt einen weiteren Eckpfeiler im Bereich des aktienrechtlichen Minderheitenschutzes dar. Es betont die Verpflichtung der herrschenden Unternehmen, im Rahmen von Eingliederungen für eine tatsächlich gleichwertige Stellung der außenstehenden Aktionäre zu sorgen und bietet durch das Spruchverfahren eine effektive Korrekturmöglichkeit. Für die Praxis im Unternehmens- und Kapitalmarktrecht ergeben sich hieraus erhöhte Anforderungen an die Bewertung und Strukturierung gesellschaftsrechtlicher Eingliederungen.
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