Entscheidung des OLG Frankfurt zur Kündigung von Bankkonten unter dem Einfluss ausländischer Sanktionen
Mit Urteil vom 17. Juli 2023 (Az.: 10 U 137/23) hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main eine für den Bankensektor bedeutsame Entscheidung getroffen: Eine Bank mit Sitz in der Europäischen Union ist gemäß EU-Recht grundsätzlich nicht berechtigt, die Geschäftsbeziehung zu einem Kunden allein auf der Grundlage von US-amerikanischen Sanktionsvorschriften zu beenden, sofern eine gleichgelagerte europäische Sanktionsregelung nicht existiert. Dieses Urteil hat weitreichende Konsequenzen für die Vertragsgestaltung von Banken und unterstreicht die Eigenständigkeit des europäischen Sanktionsrechts im Verhältnis zu extraterritorial wirkenden Normen anderer Staaten.
Hintergrund des Rechtsstreits
Dem Verfahren lag die Kündigung eines Girokontos bei einer in Deutschland ansässigen Bank zugrunde. Die Kündigung erfolgte ausschließlich mit der Begründung, dass bestimmte, in den USA geltende Sanktionslisten gegen den Kontoinhaber gerichtet seien, obwohl nach Maßgabe der einschlägigen EU-Vorschriften keine Sanktionen gegen dieselbe Person oder Organisation ausgesprochen worden waren. Der Kontoinhaber wandte sich mit einer Klage gegen die einseitige Auflösung des Kontos aufgrund vermeintlicher Pflichtverstöße.
Relevanz und Anwendungsbereich von US-Sanktionen im europäischen Bankgeschäft
Eigenständigkeit des europäischen Sanktionsrechts
Das Oberlandesgericht betonte ausdrücklich die Souveränität des europäischen Sanktionsrahmens. Das heißt, Maßnahmen ausländischer Rechtsordnungen – hier insbesondere US-amerikanische Sanktionen – erfahren in der EU grundsätzlich keine automatische Anwendung, soweit diese nicht durch eine vergleichbare oder ausdrücklich anerkannte Vorschrift im Unionsrecht gedeckt sind. Das betrifft insbesondere sogenannte extraterritoriale Sanktionen der USA, die nicht durch zwischenstaatliche Vereinbarungen mit der EU oder durch eine sekundärrechtliche Umsetzungsmaßnahme im europäischen Recht legitimiert wurden.
Grenzen der vertraglichen Gestaltungsfreiheit von Banken
Obwohl Banken im Rahmen der Vertragsfreiheit grundsätzlich berechtigt sind, Geschäftsbeziehungen unter Einhaltung der Kündigungsmodalitäten ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu beenden, unterliegen sie dabei bestimmten gesetzlichen Schranken. Im vorliegenden Fall stellte das Gericht klar, dass eine Kündigung, die ausschließlich auf nicht in der EU geltende Sanktionsbestimmungen gestützt ist, zumindest dann als unwirksam zu qualifizieren ist, wenn dem keine unionsrechtliche oder deutsche gesetzliche Grundlage entspricht. Die einseitige Berücksichtigung ausländischer Sanktionsregelungen ohne EU-rechtliche Grundlage widerspricht dem Willen des europäischen Gesetzgebers zur Wahrung eigenständiger Wirtschaftsinteressen und zur Abwehr extraterritorialer Effekte.
Auswirkungen für Banken und ihre Kunden
Risikosteuerung und Sanktions-Compliance im Lichte des Urteils
Die Entscheidung des OLG Frankfurt sollte Banken veranlassen, ihre Compliance-Systeme einer genauen Überprüfung zu unterziehen, wenn es um die Anwendung ausländischer Sanktionen innerhalb der Europäischen Union geht. Verträge und AGB-Klauseln, die eine umfassende Berücksichtigung ausländischer Sanktionssysteme vorsehen, könnten nach dieser Rechtsprechung an Wirksamkeit einbüßen, sofern keine unionsrechtliche Grundlage vorliegt. Banken müssen daher sorgfältig prüfen, ob und inwieweit allein ausländische Sanktionsnormen als Beendigungsgrund für vertragliche Beziehungen dienen können.
Schutz der Geschäftsbeziehungen von in der EU ansässigen Unternehmen und Privatpersonen
Für Unternehmen und vermögende Privatpersonen, die auf eine stabile Bankverbindung innerhalb der Europäischen Union angewiesen sind, bietet dieses Urteil zusätzlichen Schutz gegen die extraterritoriale Durchsetzung ausländischer Rechtsnormen. Das Urteil hebt hervor, dass Geschäftsverbindungen nicht einseitig und ohne unionsrechtliche Legitimation aufgrund ausländischer Regulierungen beendet werden können. Das mindert das Risiko plötzlicher Beendigung wichtiger Geschäftsbeziehungen allein aufgrund von US-Listen, sofern keine entsprechenden EU-Vorgaben bestehen.
Wechselwirkungen mit dem europäischen Blocking Statute
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch das sogenannte „Blocking Statute“ der Verordnung (EG) Nr. 2271/96, das den Schutz gegen die extraterritoriale Anwendung von Sanktionsgesetzen Drittländer bezweckt. Auch dieses Regelwerk unterstreicht, dass in der EU tätige Wirtschaftsteilnehmer nicht durch die Anwendung von Sanktionen aus Drittstaaten ohne adäquate europäische Rechtsgrundlage belastet werden dürfen. Die OLG-Entscheidung ist somit ein weiterer Baustein im Schutz europäischer Wirtschaftsakteure gegen extraterritoriale Sanktionen und deren direkte Auswirkungen.
Einordnung und Perspektiven
Das Urteil des OLG Frankfurt positioniert sich klar zum Vorrang des europäischen Rechts gegenüber überwiegend politisch motivierten, extraterritorialen Regelungsansprüchen Dritter. Es schafft zudem eine größere Rechtssicherheit für Unternehmen, Investoren und Privatpersonen, die in der EU wirtschaftlich tätig sind und sich auf die Stabilität von Vertragsverhältnissen verlassen müssen. Die Entscheidung betont, dass im europäischen Binnenmarkt die Prinzipien des europäischen Rechtssystems auch gegenüber ausländischen Einflüssen konsequent zur Wirkung gebracht werden.
Bei weitergehenden rechtlichen Fragen zu internationalen Sanktionen, deren Umsetzung im Bankgeschäft oder der Gestaltung von Geschäftsbeziehungen im Umfeld komplexer regulatorischer Anforderungen stehen die Rechtsanwälte von MTR Legal gerne zur Seite.