Fortgeltung des früheren Eigenkapitalersatzrechts nach Inkrafttreten des MoMiG in sogenannten „Altfällen“
Die Bedeutung der eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen im Zusammenhang mit Unternehmenskrisen ist seit Jahrzehnten Gegenstand lebhafter akademischer und praktischer Diskussionen. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) im Jahr 2008 hat der Gesetzgeber das zuvor geltende Eigenkapitalersatzrecht umfassend reformiert und in wesentlichen Teilen aufgehoben. Gleichwohl wirft die Behandlung von Sachverhalten, die vor dem Inkrafttreten des MoMiG ihren Ursprung nahmen – sogenannte „Altfälle“ – weiterhin Fragen zur Anwendbarkeit der bisherigen Regelungen auf.
Das Eigenkapitalersatzrecht bis zum MoMiG
Rechtliche Einordnung und Zwecksetzung
Das vormalige Eigenkapitalersatzrecht, überwiegend durch das Eigenkapitalersatzgesetz (EKEG) sowie die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelte Rechtsfigur der sogenannten eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen ausgeformt, zielte darauf ab, die Gleichbehandlung von externen und internen Fremdkapitalgebern – insbesondere im Fall der Insolvenz – sicherzustellen. Ein Gesellschafter, der seiner Gesellschaft in der Krise ein Darlehen gewährte, wurde im Ergebnis im Rang den Eigenkapitalgebern gleichgestellt; Rückzahlungsansprüche waren – insbesondere im Insolvenzfall – subordiniert und konnten primär im Rang nach den sonstigen Gläubigern geltend gemacht werden.
Systematik der Haftungsverschärfung
Das Gesetz verfolgte damit insbesondere eine Verhinderung von Umgehungen der Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften. Gesellschafterdarlehen, die in der Unternehmenskrise gewährt oder stehen gelassen wurden, galten grundsätzlich als eigenkapitalersetzend. Konsequenz war unter anderem, dass Tilgungen an die Gesellschafter in bestimmten Fällen rückabgewickelt werden konnten.
Gesetzgeberischer Paradigmenwechsel durch das MoMiG
Deregulierung und Neuordnung der Gläubigerposition
Durch das MoMiG vom 23. Oktober 2008 wurde das Eigenkapitalersatzrecht aufgehoben. Der Gesetzgeber verfolgte das Ziel, den Zugang zu Fremdkapital für GmbHs zu erleichtern und die Investitionsbedingungen für Gesellschafter zu verbessern. Eigenkapitalersetzende Darlehen unterlagen seitdem nicht mehr den vormaligen Beschränkungen. Rückforderungsansprüche aus Gesellschafterdarlehen sind nunmehr im Insolvenzverfahren nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nur noch nachrangig zu berücksichtigen. Die vormals restriktiven Rückzahlungsverbote sowie die Möglichkeit zur Anfechtung von Rückzahlungen an Gesellschafter wurden damit auf neue, insolvenzrechtlich geprägte Grundlagen gestellt.
Übergangsproblematik und Auslegungsspielraum
Die Neuregelungen warfen sogleich Fragen hinsichtlich der Behandlung bereits bestehender, vor dem Stichtag geschlossener Darlehensverhältnisse und Rückzahlungen („Altfälle“) auf. Während für nach Inkrafttreten des MoMiG entstandene Sachverhalte eindeutig die neuen Vorschriften gelten, ist die Abwicklung alter Strukturen komplexer, insbesondere im Licht von Übergangsvorschriften und den Auswirkungen auf bereits vollzogene Rückzahlungen.
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu „Altfällen“: Entscheidung vom 29. Januar 2009
Sachverhalt und Streitgegenstand
In der beim Bundesgerichtshof (BGH) entschiedenen Rechtssache (Aktenzeichen II ZR 260/07) stand die Frage im Mittelpunkt, ob für Rückzahlungsansprüche aus Gesellschafterdarlehen, die vor Inkrafttreten des MoMiG am 1. November 2008 gewährt und deren Rückführung vollzogen worden war, weiterhin die bis dahin geltenden eigenkapitalersetzenden Regelungen oder bereits das neue Recht anzuwenden sind. Konkret wurde die Rückforderung von Darlehensrückzahlungen und hieran anknüpfende Gesellschafterhaftungsfragen behandelt.
Entscheidungsgründe des BGH
Der BGH stellte klar, dass für Sachverhalte, die sich vollständig vor Inkrafttreten des MoMiG zugetragen haben, das frühere Eigenkapitalersatzrecht Anwendung findet. Maßgeblich ist insoweit der Zeitpunkt der Darlehensgewährung und der entscheidungserheblichen Rechtslage vor dem 1. November 2008. Die Rückabwicklung eigenkapitalersetzender Darlehen, die vor diesem Zeitpunkt erfolgt sind, unterliegt daher weiterhin den vor Inkrafttreten des MoMiG geltenden Vorschriften.
Die Entscheidung schafft damit Rechtssicherheit für Gläubiger und Gesellschafter hinsichtlich der Anwendbarkeit des alten Rechts bei vor MoMiG entstandenen, jedoch danach fortwirkenden Sachverhalten. Gleichzeitig verdeutlicht der BGH, dass Rückabwicklungen nach alter Rechtslage nicht durch die Neuregelungen des MoMiG unterlaufen werden sollen. Die vom Gesetzgeber geschaffenen Insolvenzvorschriften finden somit erst auf Darlehensvorgänge Anwendung, die nach dem 1. November 2008 begründet wurden.
Praktische Auswirkungen und Kritik
Durch die dogmatisch konsequente Anwendung der Übergangsregeln werden insbesondere Rückforderungen von bereits vollzogenen Rückzahlungen, Anfechtungen nach §§ 30, 31 GmbHG a.F. und Haftungsprozesse nach altem Recht weiterhin durch die bisherigen Regelungen geprägt. Für die betroffenen Parteien bleibt es damit bei den teils strengeren Restriktionen des früheren Eigenkapitalersatzrechts, was auf Seiten der Gesellschafter zu einer fortgesetzten Haftung führen kann. In Schrifttum und Praxis wird teils kritisch angemerkt, dass diese Rechtslage zu einer langanhaltenden Parallelität zweier Rechtsregime führen und sich in der Abwicklung von Altfällen noch über Jahre fortsetzen könnte.
Ausblick und Bedeutung für die Zukunft
Im Ergebnis bleibt die Behandlung von Gesellschafterdarlehen im Zusammenhang mit Unternehmenskrisen ein Feld hoher Komplexität. Auch nach der grundlegenden Reform durch das MoMiG wird der Rechtsraum von den Übergangsvorschriften und dem Nebeneinander von altem und neuem Recht geprägt. Unternehmen und Investorengruppen sind daher gut beraten, die rechtlichen Rahmenbedingungen akribisch zu analysieren, insbesondere bei Fortwirken älterer Darlehensstrukturen.
Die Dynamik des Gesellschaftsrechts verlangt dabei eine fortlaufende Beobachtung sowohl der legislativen Entwicklungen als auch der höchstrichterlichen Rechtsprechung, um potenzielle Risiken und Haftungsfolgen sachgerecht einordnen zu können. Mit Blick auf die spezifischen Herausforderungen von Gesellschafterdarlehen bleibt der präzisen rechtlichen Prüfung weiterhin zentrale Bedeutung beizumessen.
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