Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen bei fehlerhaften Auskünften – Anforderungen an die Relevanz
Die Frage nach der Anfechtbarkeit von Entlastungsbeschlüssen der Geschäftsführung einer Gesellschaft gewinnt immer wieder an praktischer Bedeutung, insbesondere vor dem Hintergrund von fehlerhaften oder unvollständigen Informationen, die den Gesellschaftern im Vorfeld einer Beschlussfassung zur Verfügung gestellt werden. Die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (vgl. Urteil vom 29.12.2020, Az.: 5 U 231/19) hat die Kriterien und Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anfechtung näher konkretisiert und dadurch für zusätzliche Klarheit in der gesellschaftsrechtlichen Praxis gesorgt. Im Folgenden erfolgt eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen und deren Relevanz für die gesellschaftsrechtliche Praxis.
Grundsätzliche Anforderungen an die Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen
Die Entlastung der Organmitglieder stellt im deutschen Gesellschaftsrecht einen wichtigen Entscheidungsakt der Gesellschafter dar. Wird einem Geschäftsführer oder Vorstandsmitglied Entlastung erteilt, ist dies regelmäßig mit einer Billigung seiner Amtsführung verbunden und schafft Rechtsfrieden in Bezug auf die offengelegten Vorgänge.
Das Gesetz sieht sowohl für die GmbH (§ 46 Nr. 5 GmbHG) als auch für die Aktiengesellschaft (§ 120 AktG) explizite Regelungen zur Entlastung vor. Dabei kann ein Entlastungsbeschluss grundsätzlich gerichtlich angefochten werden, wenn bei seiner Fassung gesellschaftsrechtliche Mitwirkungs- oder Informationsrechte verletzt wurden. Die Anfechtung ist insbesondere dann möglich, wenn die Gesellschafterversammlung über entscheidungserhebliche Tatsachen nicht ausreichend oder unzutreffend informiert wurde.
Das OLG Frankfurt – Keine Anfechtbarkeit bei fehlender Relevanz der Falschauskunft
Entscheidungsinhalt und Fakten
Im Kern hatte das OLG Frankfurt darüber zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen eine Anfechtung eines Entlastungsbeschlusses wegen angeblich fehlerhafter Auskunftserteilung möglich ist. Auslöser war die Behauptung, die Geschäftsführung habe im Zusammenhang mit einer Gesellschafterversammlung unrichtige Angaben gemacht, weshalb der daraufhin beschlossene Entlastungsbeschluss zu beanstanden sei.
Das Gericht stellte dabei zunächst klar, dass eine fehlerhafte oder unvollständige Information allein noch nicht automatisch zur Unwirksamkeit oder Anfechtbarkeit des Beschlusses führt. Entscheidend ist, ob die Information eine wesentliche Entscheidungsgrundlage bildet und somit die Willensbildung der Gesellschafter beeinflusst haben kann.
Maßstab der Relevanz
Das OLG Frankfurt konkretisierte, dass allein formale Verletzungen der Auskunftspflicht nicht für eine erfolgreiche Anfechtung ausreichen. Es müsse vielmehr eine materielle Relevanz gegeben sein, das heißt: Die unrichtige Information oder das vorenthaltene Wissen muss geeignet gewesen sein, das Abstimmungsverhalten der Gesellschafter zu beeinflussen. Nur wenn eine Entscheidungsrelevanz bejaht werden kann, ist eine Fehlerhaftigkeit der Willensbildung gegeben, die eine Anfechtung rechtfertigen könnte.
Das Gericht orientiert sich dabei an etablierten Grundsätzen zum Anfechtungsrecht: Nur diejenigen Mängel, die ein potentiell abweichendes Abstimmungsergebnis zur Folge gehabt hätten, sind geeignet, den gefassten Beschluss infrage zu stellen. Damit findet eine Differenzierung zwischen bloßen formalen Auskunftsverstößen und solchen mit substanziellem Einfluss auf den Beschlussinhalt statt.
Bewertung und Folgen für die gesellschaftsrechtliche Praxis
Bedeutung für Organmitglieder und Gesellschafter
Für Organmitglieder bedeutet das Urteil, dass abgesehen von schweren, eine andere Entscheidung herbeiführenden Informationsdefiziten, keine weitergehende Anfechtungsgefahr besteht. Die Verantwortung, im Vorfeld der Entlastung umfassende und richtige Auskünfte zu erteilen, bleibt allerdings bestehen.
Gesellschafter, die eine Entlastung der Organmitglieder anfechten möchten, müssen detailliert darlegen, welche Information unrichtig oder unvollständig war und weshalb diese Information bei vollständiger oder richtiger Mitteilung möglicherweise zu einer anderen Beschlussfassung geführt hätte. Pauschale Beanstandungen genügen im Anfechtungsverfahren nicht.
Konsequenzen für Streitigkeiten im Gesellschaftsrecht
Die Entscheidung des OLG Frankfurt hat – auch über den entschiedenen Einzelfall hinaus – eine Signalwirkung für die Auslegung der gesellschaftsrechtlichen Anfechtungsregeln. Sie stellt klar, dass Prozessrisiken für Organe und die Gesellschaft insgesamt minimiert werden, wenn lediglich formale, aber nicht entscheidungserhebliche Informationsverstöße geltend gemacht werden. Diese Klarstellung trägt dazu bei, die Praxis vor missbräuchlichen oder voreiligen Anfechtungen zu bewahren.
Zusammenfassende Einordnung
Die Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen wegen behaupteter Auskunftsverstöße setzt voraus, dass diese Verstöße für die Willensbildung der Gesellschafter maßgeblich waren. Nur sofern die relevante Information den Entscheidungsprozess beeinträchtigt hat, kommt eine Anfechtung des Beschlusses in Betracht. Die bloße Möglichkeit, dass eine Information unrichtig war, reicht aus Sicht des OLG Frankfurt hierfür nicht.
Offene Rechtsfragen und Ansprechpartner
Die genaue Abgrenzung zwischen formalen und relevanten Informationsmängeln bleibt in Einzelfällen anspruchsvoll und hängt von den Umständen des jeweiligen Falles ab. Die gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung entwickelt sich in diesem Feld fortlaufend weiter.
Für Unternehmen, Investoren und vermögende Privatpersonen stellen sich daher regelmäßig komplexe Fragestellungen im Zusammenhang mit der Vorbereitung, Durchführung und Anfechtung gesellschaftsrechtlicher Beschlüsse. Eine fundierte Beratung kann zur Beurteilung der individuellen Sachlage sowie der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten beitragen. Die Rechtsanwälte von MTR Legal stehen für den fachübergreifenden Austausch sowie zur Klärung konkreter Fragestellungen im Zusammenhang mit Entlastungsbeschlüssen und relevanter Informationspflichten gern zur Verfügung.