Überblick über die aktuelle Rechtsprechung zum Alleinentscheidungsrecht bei Kindesunterhalt im echten Wechselmodell
Das Familienrecht hat in den vergangenen Jahren eine stetige Entwicklung erfahren, insbesondere im Hinblick auf die Ausgestaltung des Betreuungsmodells minderjähriger Kinder nach der Trennung der Eltern. Ein bedeutsames Spannungsfeld ergibt sich hierbei im Zusammenhang mit dem sogenannten echten Wechselmodell, bei welchem beide Elternteile die Betreuung des Kindes zu annähernd gleichen Anteilen wahrnehmen. Die gerichtliche Klärung, wem in dieser Konstellation die Befugnis zur Geltendmachung von Kindesunterhalt obliegt, ist von zentraler Bedeutung – nicht selten stehen dabei weitreichende wirtschaftliche Interessen beider Elternteile wie auch des Kindes selbst im Fokus.
Vor diesem Hintergrund kommt einer Entscheidung des Amtsgerichts Hersbruck vom 8. April 2021 (Az.: 8 F 783/20) besondere Relevanz zu. Das Gericht hatte zu klären, ob in Fällen des vollständigen Wechselmodells einem Elternteil – entgegen dem gesetzlichen Regelfall – die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen übertragen werden kann.
Rechtliche Einordnung des Alleinentscheidungsrechts im Kontext des Wechselmodells
Gesetzliche Grundlage und übliche Praxis
Nach dem deutschen Familienrecht sind wesentliche Angelegenheiten für das Kind grundsätzlich gemeinsam von beiden sorgeberechtigten Elternteilen zu regeln. Im Bereich der Unterhaltsgeltendmachung bedeutet dies, dass auch Ansprüche des Kindes auf Barunterhalt grundsätzlich entweder gemeinschaftlich oder im Namen und mit Zustimmung beider Eltern geltend gemacht werden. Eine Übertragung des Entscheidungsrechts auf nur einen Elternteil kommt gemäß § 1628 BGB ausnahmsweise in Betracht, wenn zwischen den Eltern eine Uneinigkeit besteht und das Kindeswohl eine solche Regelung erfordert.
Wechselmodell – Besonderheiten bei der elterlichen Sorge
Das Wechselmodell zeichnet sich dadurch aus, dass das Kind in ähnlichem Umfang von beiden Elternteilen betreut wird. Anders als im Residenzmodell, bei dem ein Elternteil überwiegend die Sorge trägt, sind beide Eltern im täglichen Leben gleichermaßen eingebunden. Im Hinblick auf unterhaltsrechtliche Fragestellungen stellt sich daher für die Praxis die Frage, ob einer der beiden Elternteile ohne Beteiligung des anderen für das Kind im Rahmen der alleinigen Entscheidungsbefugnis Unterhaltsansprüche einfordern kann.
Die Entscheidungsgründe des AG Hersbruck und deren Reichweite
Das Amtsgericht Hersbruck stellte in seiner Entscheidung klar, dass eine Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis zur Geltendmachung von Kindesunterhalt auf einen Elternteil im echten Wechselmodell nicht mit den Vorgaben des Gesetzes vereinbar ist. Diese gerichtliche Einschätzung beruht auf einer differenzierten Auslegung des § 1628 BGB unter Berücksichtigung des spezifischen Charakters des Wechselmodells.
Begründung der ablehnenden Haltung
Das Gericht führte aus, dass der Kindesunterhalt im echten Wechselmodell als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung einzuordnen ist. Die gerichtliche Entscheidung hebt hervor, dass der Gesetzgeber – angesichts der gleichwertigen Verantwortung beider Eltern im Wechselmodell – keine Grundlage dafür eröffnet, die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen einem Elternteil allein zu übertragen. Dies würde dem Prinzip der gemeinsamen elterlichen Sorge zuwiderlaufen und hätte zur Folge, dass ein Elternteil ohne die Mitwirkung des anderen über existenzielle finanzielle Belange entscheiden könnte.
Zudem verwies das Gericht auf die Gefahr einer strukturellen Benachteiligung – insbesondere, wenn es im Kontext des Wechselmodells zu Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des Unterhaltsanspruchs kommt. Eine einseitige Entscheidungsbefugnis könnte in diesen Fällen dazu führen, dass legitime Interessen des anderen Elternteils keine Berücksichtigung finden.
Einschätzung zu Ausnahmen und weiteren Konstellationen
Das Amtsgericht sah auch für Ausnahmefälle keine Grundlage für eine abweichende Beurteilung, sofern keine Kindeswohlgefährdung im Raum steht und sich beide Eltern konstruktiv an der elterlichen Verantwortung beteiligen. Lediglich in Situationen, in denen das Kindeswohl durch das Verhalten eines Elternteils konkret gefährdet wäre – zum Beispiel durch nachhaltige Weigerung, berechtigte Unterhaltsansprüche durchzusetzen -, könnte ein abweichender Prüfungsmaßstab Anwendung finden. Dies war im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Bedeutende Auswirkungen für die Praxis und weiterführende Betrachtungen
Die vorliegende Entscheidung verdeutlicht, dass im echten Wechselmodell die Gleichberechtigung beider Elternteile auch im unterhaltsrechtlichen Kontext oberste Priorität genießt. Für die gerichtliche und außergerichtliche Praxis bedeutet dies, dass unabgestimmte Alleingänge bei der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen nicht möglich sind. Streitigkeiten über die Durchsetzung des Kindesunterhalts müssen demnach im Rahmen der gemeinsamen elterlichen Sorge gelöst oder ggf. gerichtlich geklärt werden.
Die Tragweite dieser Entscheidung ist vor allem für vermögende Privatpersonen und Unternehmer von Relevanz, deren familienrechtliche Auseinandersetzungen zunehmend komplexe finanzielle und steuerrechtliche Berührungspunkte aufweisen. Gerade im Hinblick auf grenzüberschreitende Fälle und bei Beteiligung unterschiedlich strukturierter Vermögensverhältnisse können sich zusätzliche Fragestellungen ergeben, etwa im Kontext des internationalen Privatrechts oder bei der Vollstreckung von Unterhaltstiteln.
Schlussbemerkung
Die Rechtsprechung zur Ausgestaltung des Wechselmodells und zu den sich daraus ergebenden unterhaltsrechtlichen Fragestellungen befindet sich fortlaufend in der Entwicklung. Für Betroffene, die vor vergleichbaren Entscheidungen stehen oder ihre Rechte und Pflichten besser verstehen wollen, bietet es sich an, die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung sowie die individuellen Aspekte sorgfältig zu prüfen.
Für vertiefende erbrechtliche, gesellschaftsrechtliche oder steuerliche Fragestellungen im Zusammenhang mit unterhaltsrechtlichen Ansprüchen und der Ausgestaltung des Wechselmodells stehen Ihnen die Rechtsanwälte von MTR Legal gerne beratend zur Seite.