Gerichtliche Eilentscheidungen zu Hauptversammlungen im Zeichen der Corona-Pandemie – Analyse des Beschlusses des VG Frankfurt a. M. vom 02.04.2020, Az.: 5 L 744/20.F
Die COVID-19-Pandemie hat das wirtschaftliche und gesellschaftsrechtliche Umfeld vor beispiellose Herausforderungen gestellt. Im Frühjahr 2020 sahen sich zahlreiche kapitalmarktorientierte Unternehmen gezwungen, neue Wege bei der Durchführung ihrer Hauptversammlungen zu beschreiten. Dabei entstand erhebliche Rechtsunsicherheit, insbesondere bezüglich der Möglichkeiten zur Anfechtung oder Untersagung von Hauptversammlungen unter den Bedingungen pandemiebedingter Einschränkungen. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main (Beschluss vom 02.04.2020, Az.: 5 L 744/20.F) markiert einen bedeutenden Orientierungspunkt zu den rechtlichen Grenzen des Eilrechtsschutzes für Aktionäre in diesem Kontext.
Rechtlicher Hintergrund: Hauptversammlungen unter Pandemiebedingungen
Gesetzliche Grundlagen und staatliche Verordnungen
Im Zuge der Ausbreitung des Corona-Virus erweiterten gesetzgeberische Maßnahmen die Möglichkeiten für Aktiengesellschaften zur Durchführung von Hauptversammlungen. Das am 28.03.2020 in Kraft getretene Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht eröffnete unter anderem den Weg für virtuelle Hauptversammlungen, reduziert hierbei aber gleichwohl nicht den grundsätzlichen Schutz von Aktionärsrechten. Unberührt hiervon blieben landesrechtliche Verordnungen, die Veranstaltungen im Interesse der Infektionsprävention beschränkten.
Konfliktpotenzial: Rechte der Aktionäre vs. Infektionsschutz
Im Zentrum stand die Frage, ob ein Aktionär im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegebenenfalls eine vollständige Untersagung einer Hauptversammlung verlangen kann – insbesondere dann, wenn geltend gemacht wird, das Infektionsrisiko sei bei einer Präsenzveranstaltung nicht zu vertretbaren Bedingungen beherrschbar.
Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt: Sachverhalt und prozessuale Erwägungen
Antrag auf Eilrechtsschutz
Im konkreten Fall begehrte ein Aktionär per Antrag gemäß § 123 VwGO eine gerichtliche Verfügung, mit der die Stadt Frankfurt am Main zur Untersagung einer für April 2020 geplanten Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft verpflichtet werden sollte. Das Vorbringen: Die Durchführung der Hauptversammlung stelle angesichts der Corona-Pandemie sowie der geltenden Eindämmungsverordnungen eine unverhältnismäßige Gefährdungslage dar.
Prüfungsmaßstab des Verwaltungsgerichts
Das Verwaltungsgericht hatte insbesondere zu prüfen, ob ein Anspruch aus dem Infektionsschutzgesetz oder auf dem Wege der Amtsermittlung auf ein behördliches Einschreiten bestand. Maßgebend war, ob die Zusammenkunft nach § 28 Abs. 1 IfSG i.V.m. der damaligen Landesverordnung zwingend untersagt werden musste und ob dies im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Kommune durchgesetzt werden konnte. Der Antragsteller verwies zudem auf seine Rechte aus dem Aktiengesetz, insbesondere auf die Teilnahme- und Mitwirkungsrechte als Minderheitsaktionär.
Entscheidung des Gerichts
Das VG Frankfurt versagte den Eilantrag. Es stellte zunächst klar, dass das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie gerade darauf abzielte, Gesellschaften die Durchführung der Hauptversammlung zu erleichtern, etwa durch virtuelle Formate. Weiter führte das Gericht aus, dass im Einzelfall schon das ordnungsgemäß umgesetzte Hygienekonzept sowie die Möglichkeit zur Reduzierung der Teilnehmerzahl auf das gesetzliche Mindestmaß einer Versammlung im Regelfall entgegenstehe.
Zudem belegte das Gericht, dass dem Antragsteller kein Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit zustand, weil sich bereits aus den zugrunde liegenden Verordnungen keine absolut zwingende Untersagung der Veranstaltung ergab, sondern vielmehr Ermessen der Behörden bestand.
Wesentliche Erwägungen und Implikationen der Entscheidung
Abwägung zwischen Minderheitenschutz und Gesellschaftsinteresse
Die Entscheidung verdeutlicht das Spannungsfeld zwischen dem Minderheitenschutz für Aktionäre und der Fortführung essentieller Willensbildungsprozesse innerhalb von Aktiengesellschaften. Ein kompletter Hauptversammlungsstopp ist laut VG Frankfurt nicht schon aus Gründen allgemeinen Infektionsschutzes geboten, zumal regelmäßig individuelle Hygienekonzepte und technische Alternativlösungen bereitstehen.
Kein uneingeschränktes Untersagungsrecht im Eilrechtsschutz
Der Beschluss macht deutlich, dass der einstweilige Rechtsschutz für Aktionäre grundsätzlich nicht darauf abzielt, exekutive Allgemeinverfügungen oder behördliche Entscheidungen im Sinne eines generellen, vorbehaltlosen Veranstaltungsverbots zu erzwingen. Vielmehr ist eine differenzierte Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen, in der auch die gesellschaftsrechtlichen Notwendigkeiten Berücksichtigung finden.
Maßgebliche Rolle der gesetzlichen Pandemieregelungen
Sowohl das Aktiengesetz als auch die auf Bundes- und Landesebene getroffenen pandemiebedingten Ausnahmeregelungen nehmen Einfluss auf die gerichtliche Prüfung und setzen klare Grenzen für behördliche Untersagungsverfügungen. Daraus folgt eine erhebliche Hürde für Eilrechtsschutzanträge, sofern von den Gesellschaften pandemierelevante Schutzmaßnahmen ergriffen und die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden.
Ausblick und Bedeutung für die Unternehmenspraxis
Während das Urteil aus der Frühphase der Pandemie datiert, behalten die darin entwickelten Grundsätze auch in künftig vergleichbaren Krisenlagen Gültigkeit. Unternehmensorgane sind gut beraten, bestehende Pandemiekonzepte regelmäßig zu überprüfen und rechtskonform umzusetzen. Aktionäre hingegen sollten beachten, dass gerichtlicher Eilrechtsschutz gegen die Durchführung einer Hauptversammlung einer sorgfältigen Begründung samt Nachweis tatsächlicher und rechtlicher Unzumutbarkeiten bedarf.
Kontakt und individuelle Beratungsmöglichkeiten
Gerade im sensiblen Spannungsfeld von Aktionärsrechten während außergewöhnlicher Lagen wie einer Pandemie empfiehlt sich eine qualifizierte Bewertung einzelner Sachverhalte und mögliche Handlungsoptionen. Bei weiterführenden Fragestellungen zu Teilnahme-, Anfechtungs- oder Auskunftsrechten sowie zur Organisation von Hauptversammlungen steht Ihnen MTR Legal mit umfassender Erfahrung im Aktien-, Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht – auch an unserem Standort in Berlin – beratend zur Verfügung. Für weitere Informationen besuchen Sie uns gerne unter Rechtsberatung im Aktienrecht.