Legal Lexikon

Zweitstimme

Begriff und Funktion der Zweitstimme

Die Zweitstimme ist die Stimme für eine Partei bei allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen auf Bundes- und vielfach auch auf Landesebene. In Wahlen zum Deutschen Bundestag bestimmt sie maßgeblich, in welchem Umfang die Parteien Sitze erhalten. Sie ist damit das zentrale Element des personalisierten Verhältniswahlrechts: Personen werden in Wahlkreisen gewählt, die proportionale Zusammensetzung des Parlaments richtet sich jedoch primär nach den Zweitstimmen.

Rechtsrahmen und Wirkung im Wahlsystem

Verhältniswahlprinzip und Sitzverteilung

Die Zweitstimme entscheidet über die Stärke der Parteien im Parlament. Aus den bundesweit (bzw. landesweit bei Landtagswahlen) abgegebenen gültigen Zweitstimmen wird das Sitzkontingent jeder Partei nach einem mathematischen Zuteilungsverfahren ermittelt. Dieses Vorgehen soll eine möglichst genaue Abbildung der Parteienstärken gewährleisten. Die so ermittelten Parteisitze werden anschließend auf die Landeslisten der Parteien verteilt und innerhalb der Listen nach der dort festgelegten Reihenfolge besetzt. Auf Bundesebene sind dies die Landeslisten der Parteien; sie bestimmen, welche Bewerberinnen und Bewerber ein Mandat erhalten, sofern die Partei die entsprechenden Sitze aus der Zweitstimmenverteilung zugewiesen bekommt.

Sperrklausel und Ausnahmen

Für die Berücksichtigung einer Partei bei der Sitzverteilung gilt eine Sperrklausel. Sie soll eine Zersplitterung des Parlaments verhindern und setzt voraus, dass eine Partei einen bestimmten Mindestanteil der gültigen Zweitstimmen erreicht. Anerkannte Parteien nationaler Minderheiten sind von dieser Hürde ausgenommen. Die konkrete Ausgestaltung der Sperrklausel sowie eventueller Sonderregelungen (z. B. frühere Grundmandatsklauseln) ergibt sich aus dem jeweils geltenden Wahlrecht und kann durch Reformen verändert werden.

Überhang, Ausgleich und feste Parlamentsgröße

Das Verhältnis von Zweitstimme und Direktmandaten (Wahlkreissiegen) kann systembedingt Spannungen erzeugen. In früheren Rechtslagen führten zusätzliche Direktmandate zu sogenannten Überhangmandaten, die wiederum Ausgleichsmandate für andere Parteien erforderlich machten und die Parlamentsgröße anwachsen ließen. Neuere Reformen zielen auf eine feste Regelgröße des Parlaments und sehen vor, dass Wahlkreissiege grundsätzlich durch das Zweitstimmenergebnis der jeweiligen Partei „gedeckt“ sein müssen. Ist dies nicht der Fall, werden nur so viele Wahlkreissieger berücksichtigt, wie dem Zweitstimmenergebnis entspricht; weitere Wahlkreissiege bleiben unberücksichtigt. Dadurch werden Überhänge im Ergebnis vermieden, und die angestrebte Parlamentsgröße bleibt gewahrt.

Stimmabgabe und Gültigkeit

Unabhängigkeit von Erst- und Zweitstimme

Erst- und Zweitstimme sind rechtlich unabhängig. Es ist zulässig, die Erststimme einer Bewerberin oder einem Bewerber einer Partei zu geben und die Zweitstimme einer anderen Partei. Dieses sogenannte Stimmensplitting ist ein regulärer Bestandteil des Wahlsystems und hat keine Auswirkungen auf die Gültigkeit der Zweitstimme.

Gültigkeit und Ungültigkeit der Zweitstimme

Die Zweitstimme ist eine Listenstimme zugunsten einer Partei. Sie ist gültig, wenn eindeutig erkennbar ist, welcher Partei sie gelten soll. Mehrfachkennzeichnungen im Bereich der Zweitstimme oder nicht eindeutige Kennzeichnungen führen zur Ungültigkeit der Zweitstimme. Erst- und Zweitstimme werden getrennt bewertet; eine ungültige Zweitstimme berührt die Gültigkeit der Erststimme nicht und umgekehrt. Leere Stimmabgaben zählen nicht als gültige Zweitstimmen.

Landeslisten und Reihenfolge der Mandatszuteilung

Parteien stellen vor der Wahl Landeslisten auf. Die Reihenfolge der Kandidatinnen und Kandidaten auf den Listen entscheidet darüber, wer ein Mandat erhält, wenn der Partei nach der Zweitstimmenverteilung Sitze zustehen. Scheidet eine gewählte Person später aus, rückt in der Regel die nächste Person der entsprechenden Landesliste nach, sofern die Liste nicht erschöpft ist.

Besondere Konstellationen

Parteien unterhalb der Sperrklausel

Erreicht eine Partei die Sperrklausel nicht, wird sie bei der Sitzverteilung nicht berücksichtigt. Die für sie abgegebenen Zweitstimmen bleiben ohne Mandatswirkung. Sie fließen nicht in die Berechnung der Sitzkontingente der anderen Parteien ein, sondern werden bei der Verteilung insoweit ausgeklammert, als nur die Zweitstimmen der berücksichtigten Parteien die Sitzanteile bestimmen.

Direktmandate und Deckung durch Zweitstimmen

Wahlkreissiege wirken sich nur in dem Umfang im Parlament nieder, in dem die Partei aufgrund ihres Zweitstimmenergebnisses Anspruch auf Sitze hat. Überschreitet die Zahl der Wahlkreissiege einer Partei dieses Kontingent, werden nur in einem geregelten Verfahren diejenigen Wahlkreissieger berücksichtigt, die die Kriterien erfüllen; weitere Wahlkreissiege bleiben unberücksichtigt. Unabhängige Wahlkreisbewerberinnen und -bewerber sind nicht an Zweitstimmen gebunden.

Unabhängige Bewerber und Minderheitenparteien

Unabhängige Personen treten nur im Wahlkreis an und können keine Zweitstimmen erhalten. Parteien nationaler Minderheiten sind von der Sperrklausel ausgenommen; ihre Zweitstimmen werden unabhängig von der Hürde berücksichtigt.

Auslands- und Briefwahl

Die Zweitstimme kann regulär auch im Rahmen der Briefwahl sowie – unter den jeweils geltenden Voraussetzungen – aus dem Ausland abgegeben werden. Form und Rechtswirkung der Zweitstimme entsprechen dabei der Urnenwahl; Unterschiede bestehen lediglich im Verfahren der Stimmabgabe.

Historischer Kontext und Reformentwicklung

Die Zweitstimme ist seit Jahrzehnten das bestimmende Element für die parteipolitische Zusammensetzung des Bundestages. Gesetzgeberische Reformen zielten wiederholt darauf ab, die Verhältnisgerechtigkeit zu sichern, die Gleichheit des Stimmgewichts zu wahren und die Parlamentsgröße zu steuern. Dazu gehörten Anpassungen der Zuteilungsverfahren, Regelungen zum Umgang mit Überhang- und Ausgleichsmechanismen sowie Änderungen bei Sperrklauseln und der Berücksichtigung von Wahlkreissiegen. Die konkrete Ausgestaltung kann sich durch spätere Reformen ändern; der Grundgedanke, die Sitzverteilung wesentlich an der Zweitstimme auszurichten, bleibt der Kern des Systems.

Häufig gestellte Fragen zur Zweitstimme

Wofür zählt die Zweitstimme rechtlich?

Die Zweitstimme bestimmt den Anteil der Sitze, den eine Partei im Parlament erhält. Aus der Gesamtheit der gültigen Zweitstimmen wird rechnerisch das Sitzkontingent jeder Partei ermittelt.

Ist Stimmensplitting zulässig?

Ja. Erst- und Zweitstimme sind unabhängig. Es ist rechtlich zulässig, die Erststimme einer Person einer Partei und die Zweitstimme einer anderen Partei zu geben.

Was geschieht mit Zweitstimmen für Parteien unterhalb der Sperrklausel?

Sie führen zu keinen Sitzen. Parteien, die die Sperrklausel verfehlen, werden bei der Sitzverteilung nicht berücksichtigt; ihre Zweitstimmen haben keine Mandatswirkung.

Hat die Erststimme Einfluss auf die Wirkung der Zweitstimme?

Nein. Beide Stimmen werden getrennt gewertet. Die Zweitstimme entscheidet über die Parteisitze; die Erststimme richtet sich auf Wahlkreisbewerberinnen und -bewerber.

Wie werden Sitze aus der Zweitstimme konkret verteilt?

Zunächst wird insgesamt ermittelt, wie viele Sitze den Parteien nach ihren Zweitstimmen zustehen. Anschließend werden diese Sitze auf die Landeslisten verteilt und in Listenreihenfolge besetzt.

Wie wirken sich Wahlkreissiege auf die nach Zweitstimmen ermittelten Sitze aus?

Wahlkreissiege werden berücksichtigt, soweit sie durch das Zweitstimmenergebnis der Partei gedeckt sind. Überschießende Wahlkreissiege bleiben unberücksichtigt, um die Proportionalität der Zweitstimmen zu wahren.

Gibt es Ausnahmen von der Sperrklausel?

Ja. Anerkannte Parteien nationaler Minderheiten sind von der Sperrklausel ausgenommen und werden mit ihren Zweitstimmen in die Sitzverteilung einbezogen.

Beeinflusst die Zweitstimme die Größe des Bundestages?

Die Zweitstimme legt die parteipolitische Zusammensetzung fest. Reformen sehen eine feste Regelgröße des Bundestages vor und ordnen die Berücksichtigung von Wahlkreissiegen dem Zweitstimmenergebnis unter, um Größensteigerungen zu vermeiden.