Legal Lexikon

Zweitstimme


Begriff und Bedeutung der Zweitstimme

Die Zweitstimme ist im deutschen Wahlrecht ein zentrales Element bei Bundestags-, Landtags- und teilweise Kommunalwahlen. Sie ist Gegenstand vielfältiger rechtlicher Regelungen und bildet den Kern der Verhältniswahl bei der Sitzverteilung in den jeweiligen Parlamenten. Während die Erststimme dem Wählen einer oder eines Direktkandidierenden in einem Wahlkreis dient, entscheidet die Zweitstimme maßgeblich über die parteipolitische Zusammensetzung des Parlaments.

Rechtliche Grundlagen der Zweitstimme

Gesetzliche Verankerung

Die rechtlichen Grundlagen der Zweitstimme finden sich hauptsächlich im Bundeswahlgesetz (BWahlG) für Bundestagswahlen sowie in den entsprechenden Landeswahlgesetzen für Landtagswahlen. § 6 BWahlG regelt explizit die Zuteilung der Sitze auf Parteien nach Maßgabe des Zweitstimmenergebnisses. Verfahrensregelungen sind zudem in der Bundeswahlordnung (BWO) festgelegt.

Funktionsweise im Wahlsystem

Deutschland nutzt bei Bundestagswahlen ein sogenanntes personalisiertes Verhältniswahlsystem. Dieses kombiniert Element der Mehrheitswahl (durch die Erststimme) mit denen der Verhältniswahl (durch die Zweitstimme), wobei die Zweitstimme größere Gewichtung im Ergebnis besitzt.

  • Erststimme: Wahl einer oder eines Direktkandidierenden im Wahlkreis (Mehrheitswahl)
  • Zweitstimme: Wahl einer Partei bzw. ihrer Landesliste (Verhältniswahl)

Die Sitzverteilung im Bundestag richtet sich zunächst ausschließlich nach dem prozentualen Anteil der Zweitstimmen. Die einem Landesverband einer Partei aufgrund der Zweitstimmen zugeteilten Sitze werden dann mit den Gewählten aus den Wahlkreisen und Listen aufgefüllt.

Sperrklausel

Eine zentrale rechtliche Hürde stellt die Fünf-Prozent-Hürde gemäß § 6 Abs. 3 BWahlG dar. Nur jene Parteien, die mindestens fünf Prozent der abgegebenen gültigen Zweitstimmen erzielen oder in mindestens drei Wahlkreisen ein Direktmandat erringen, ziehen proportional ins Parlament ein. Diese Regelung dient der Verhinderung einer übermäßigen Parteienzersplitterung.

Überhang- und Ausgleichsmandate

Kommt es vor, dass eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate durch die Erststimme erhält, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen, entstehen sogenannte Überhangmandate. Zur Wahrung des Proporzes werden nach dem Grundsatz der Verhältniswahl gemäß § 6 BWahlG sogenannte Ausgleichsmandate vergeben.

Verfassungsrechtliche Aspekte der Zweitstimme

Demokratie- und Wahlrechtsgrundsätze

Das System der Zweitstimme steht im engen Zusammenhang mit den im Grundgesetz normierten Grundsätzen der Wahl, insbesondere mit dem Prinzip der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl (Art. 38 GG). Das Zweistimmen-System wurde mehrfach vom Bundesverfassungsgericht überprüft; geändert wurde es insbesondere im Kontext der Sicherung des gleichen Erfolgswerts jeder Stimme (vgl. BVerfGE 121, 266).

Verhältniswahl und Listenwahlrecht

Mit der Abgabe der Zweitstimme wählt der Wahlberechtigte nicht direkt einzelne Personen, sondern eine Partei (§ 27 BWahlG). Die Reihenfolge der auf der jeweiligen Landesliste vorgeschlagenen Kandidierenden wird somit zu einem bedeutenden Element der Mandatszuweisung. Die Gestaltung der Listen durch Parteien unterliegt dem demokratischen Gebot innerparteilicher Ordnung und Transparenz.

Zweitstimme bei Landtags- und Kommunalwahlen

Abweichungen in den Bundesländern

Während das Grundprinzip der Zweitstimme bundesweit Anwendung findet, bestehen teils erhebliche Unterschiede in den Landeswahlgesetzen und Wahlordnungen. Einige Bundesländer sehen die Möglichkeit von Panaschieren und Kumulieren vor oder bieten weitere Gestaltungsmöglichkeiten für die Zusammensetzung ihrer Parlamente auf Basis der Zweitstimme.

Anwendung auf kommunaler Ebene

Auf kommunaler Ebene findet eine vergleichbare Systematik Anwendung, allerdings mit erheblichen Variationen in Bezug auf Listenwahl, offene oder geschlossene Listen und verschiedene Formen personalisierter Verhältniswahl.

Bedeutung der Zweitstimme für Wahlergebnisse und Parteien

Bestimmung des Kräfteverhältnisses

Die Zweitstimme ist ausschlaggebend für die Verteilung der Sitze auf die konkurrierenden Parteien und somit für das Kräfteverhältnis im Parlament. Kleinere Parteien können daher, sofern sie die Sperrklausel überschreiten, proportional ihrer Zweitstimmen an der politischen Willensbildung teilhaben.

Stimmensplitting

Das Wahlrecht erlaubt die Abgabe von Erst- und Zweitstimme für unterschiedliche Parteien (Stimmensplitting). Dies eröffnet Wählerinnen und Wählern differenzierte Einflussmöglichkeiten auf die personelle und parteipolitische Zusammensetzung des Parlaments.

Rechtliche Diskussion und Kritikpunkte

Debatte um Überhang- und Ausgleichsmandate

Überhang- und Ausgleichsmandate als Folge des Zweistimmensystems führten in der Vergangenheit zu einer erheblichen Erweiterung der Parlamentssitze und waren wiederholt Gegenstand rechtlicher und politischer Diskussionen bis zu Korrekturvorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

Diskussionen um die Sperrklausel

Die Sperrklausel wurde vielfach kritisch begutachtet, etwa wegen möglicher Auswirkungen auf die Chancengleichheit politischer Gruppierungen und die Repräsentation kleinerer Parteien.

Zusammenfassung

Die Zweitstimme bildet das Herzstück des deutschen Verhältniswahlsystems und steht im Mittelpunkt der gesetzlichen, politischen und verfassungsrechtlichen Betrachtungen rund um das Wahlrecht. Ihre Gestaltung beeinflusst maßgeblich die parteipolitische Zusammensetzung der Volksvertretung, sichert die demokratische Legitimation des Parlaments und unterliegt steter Weiterentwicklung im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des politischen Diskurses.

Häufig gestellte Fragen

Verfällt meine Zweitstimme, wenn ich ungültig wähle oder sie nicht abgebe?

Die Zweitstimme verfällt, wenn sie nicht abgegeben wurde oder den Formvorschriften nicht entspricht, beispielsweise aufgrund einer Mehrfachabwägung, Beschädigung des Stimmzettels oder eindeutigen Kennzeichnungsmängeln. Beim Ausbleiben der Zweitstimme wird lediglich die Erststimme gewertet, sofern diese korrekt abgegeben wurde. Rechtlich sieht das Bundeswahlgesetz (§ 39 BWahlG) vor, dass nur gültig abgegebene Stimmen für die Sitzverteilung Berücksichtigung finden. Eine nicht abgegebene oder ungültige Zweitstimme vermindert nicht die Gültigkeit des gesamten Wahlvorgangs des Wählers, sondern betrifft nur die Zählung der Parteistimmen. Das Recht, die Zweitstimme nicht zu nutzen, ist jedem Wahlberechtigten vorbehalten.

Ist eine separate Stimmabgabe von Erst- und Zweitstimme rechtlich zulässig?

Wählerinnen und Wähler dürfen Erst- und Zweitstimme unabhängig voneinander vergeben. Eine Verpflichtung, beide Stimmen zusammen oder auf dieselbe Partei bzw. einen assoziierten Direktkandidaten zu richten, besteht nicht. Das Bundeswahlgesetz (§ 30 BWahlG) sieht ausdrücklich vor, dass Erst- und Zweitstimme jeweils gesondert abgegeben und gezählt werden. Es ist zulässig, nur eine von beiden Stimmen abzugeben oder diese an verschiedene Parteien beziehungsweise Kandidaten zu vergeben, ohne dass dies die Gültigkeit der Stimmabgabe beeinträchtigt.

Welche Rechtsfolgen hat eine Falschkennzeichnung bei der Zweitstimme?

Eine Falschkennzeichnung liegt beispielsweise vor, wenn mehr als ein Kreuz bei den Zweitstimmen erfolgt oder nicht klar erkennbar ist, welche Partei gewählt werden sollte. In diesem Fall wird ausschließlich die Zweitstimme als ungültig gewertet (§ 39 BWahlG, § 52 BWO), während die Erststimme weiterhin gültig ist, sofern sie korrekt abgegeben wurde. Eine absichtliche oder versehentliche Falschkennzeichnung hat keine Auswirkungen auf die Stimmberechtigung oder bereits abgegebene gültige Stimmen in anderen Kategorien.

Was passiert mit Zweitstimmen, wenn eine Partei an der Fünfprozenthürde scheitert?

Im rechtlichen Kontext werden gemäß § 6 Abs. 6 BWahlG die Zweitstimmen von Parteien, die weniger als fünf Prozent der gültigen Zweitstimmen erhalten und keine Grundmandatsklausel erfüllen (mindestens drei Direktmandate), bei der Sitzverteilung nicht berücksichtigt. Diese Stimmen gehen faktisch für die Mandatsverteilung verloren, beeinflussen aber weiterhin die Berechnung der prozentualen Anteile und die absolute Verteilung der Reststimmen. Rechtlich wird so sichergestellt, dass lediglich Parteien mit signifikanter Wählerunterstützung Anspruch auf Sitze im Bundestag erhalten.

Hat die Korrektur eines Fehlers auf dem Stimmzettel (z.B. Radieren oder Durchstreichen) Auswirkungen auf die Gültigkeit der Zweitstimme?

Grundsätzlich schreibt § 39 Abs. 1 BWahlG sowie § 52 BWO vor, dass die Stimmabgabe eindeutig erkennbar sein muss. Werden Radierungen, Durchstreichungen oder Korrekturen vorgenommen, wird der Stimmzettel dennoch als gültig gewertet, wenn die Absicht des Wählers zweifelsfrei feststellbar bleibt. Besteht hingegen Unklarheit über die Wahlabsicht, wird die Zweitstimme als ungültig erklärt. Rein formale Korrekturen ohne Zweifel an der getroffenen Auswahl beeinträchtigen die rechtliche Gültigkeit der Zweitstimme nicht.

Ist eine nachträgliche Änderung oder der Widerruf der abgegebenen Zweitstimme rechtlich möglich?

Nach dem Einwurf des Stimmzettels in die Wahlurne oder nach Rückgabe bei der Briefwahl ist eine nachträgliche Änderung oder der Widerruf ausgeschlossen (§ 39 BWahlG). Die Stimmabgabe ist mit der tatsächlichen Ausübung des Wahlaktes rechtlich verbindlich und endgültig. Ein Antrag auf Korrektur, Austausch oder Rücknahme der Zweitstimme ist nicht vorgesehen und im rechtlichen Verfahren unzulässig.

Können Zweitstimmen im Rahmen einer Wahlanfechtung überprüft werden?

Im Rahmen einer Wahlanfechtung kann die Gültigkeit und Auszählung von Zweitstimmen rechtlich überprüft werden (§§ 49 ff. BWahlG). Einwände gegen die Stimmauszählung, Ungültigkeitserklärungen oder fehlerhafte Auszählungen können hierbei näher untersucht werden. Liegen nachweisbare Rechtsfehler vor, können betroffene Stimmzettel neu beurteilt oder Fehlentscheidungen revidiert werden. Ein solcher Vorgang ist jedoch an strenge rechtliche Vorschriften und Fristen gebunden und bedarf einer förmlichen Wahlanfechtung vor dem Wahlprüfungsgericht.