Begriff und Grundzüge der Zweistufentheorie
Die Zweistufentheorie ist ein bedeutsamer Begriff im deutschen Verwaltungsrecht. Sie beschreibt die rechtliche Strukturierung staatlicher Maßnahmen in Bezug auf subjektive Rechte, indem sie das Verwaltungsverfahren systematisch in zwei Stufen unterteilt. Die Theorie wird insbesondere im Zusammenhang mit der Vergabe öffentlicher Leistungen und bei der Gewährung von Rechten mit Kapazitätsbeschränkung (z. B. Genehmigungen, Konzessionen, Zulassungen, Förderungen) angewendet. Ziel der Zweistufentheorie ist es, die jeweiligen Entscheidungsprozesse der Verwaltung voneinander zu trennen, die Rechtsgrundlagen der einzelnen Stufen zu verdeutlichen und das gerichtliche Überprüfungsverfahren dogmatisch zu ordnen.
Anwendungsbereich und Bedeutungsfelder
Die Zweistufentheorie kommt vor allem in solchen Situationen zur Anwendung, in denen staatliches Handeln in einem formalisierten Zuweisungsverfahren begründet ist. Sie findet insbesondere Bedeutung im öffentlichen Recht in folgenden Bereichen:
- Vergabe von Konzessionen und Genehmigungen
- Zuteilung staatlicher oder kommunaler Ressourcen (z. B. Marktzulassungen, Standplätze)
- öffentlich-rechtliche Leistungsgewährung unter Kapazitätsbeschränkungen (z. B. Ausbildungsplätze, Kindergartenplätze, Stipendien)
Beispiele für praktische Relevanz
Vergabe öffentlicher Plätze oder Lizenzen
Die Kommune vergibt Standplätze beispielsweise für Wochenmärkte oder Weihnachtsmärkte. Da es oft mehr Interessenten als Kapazitäten gibt, regelt die Zweistufentheorie hier, wie der Rechtsweg und die rechtliche Prüfung erfolgen.
Zugang zu öffentlichen Fördermitteln
Auch bei der Gewährung öffentlicher Zuschüsse in begrenztem Rahmen findet die Theorie Anwendung, um die rechtliche Überprüfbarkeit behördlichen Handelns sicherzustellen.
Aufbau der Zweistufentheorie
Die Theorie untergliedert das Verwaltungshandeln in zwei rechtliche Ebenen (Stufen):
1. Stufe: Entscheidung über den Zugang zum Rechtsverhältnis
Die erste Stufe betrifft den hoheitlichen Zugang zu einer öffentlich-rechtlichen Rechtsposition. Hier entscheidet die Behörde, ob der Antragsteller im Sinne des öffentlichen Rechts eine Berechtigung erlangen kann.
Beispiel: Erteilung einer Marktzulassung, Genehmigung oder Konzession.
Rechtsgrundlage und Kontrolle
Die Entscheidung der ersten Stufe ist als Verwaltungsakt oder Realakt rechtlich ausgestaltet. Sie unterliegt vorrangig öffentlich-rechtlichen Vorschriften (z. B. Gewerbeordnung, Straßenrecht, Verwaltungsverfahrensgesetz). Die gerichtliche Kontrolle erfolgt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, § 40 VwGO.
2. Stufe: Ausgestaltung des privatrechtlichen (bzw. öffentlich-rechtlichen) Nutzungsverhältnisses
Ist der Zugang gewährt, folgt auf der zweiten Stufe die Ausgestaltung und Abwicklung des konkreten Benutzungsverhältnisses. Hier stehen die tatsächlichen oder rechtlichen Vertragsregelungen oder Leistungsbeziehungen – oft privatrechtlicher, teils auch öffentlich-rechtlicher Natur – im Vordergrund.
Beispiel: Abschluss eines Miet- oder Pachtvertrags über den zugewiesenen Marktstand.
Rechtsgrundlage und Kontrolle
Die zweite Stufe unterliegt häufig den Vorschriften des bürgerlichen Rechts (z. B. BGB) oder speziellen öffentlich-rechtlichen Regelungen zum Nutzungsverhältnis. Rechtsmittel und Klagemöglichkeiten richten sich nach dem jeweils anwendbaren Rechtsweg (ordentliche Gerichte oder Verwaltungsgerichte).
Systematische Abgrenzung
Die Kernfunktion der Zweistufentheorie besteht darin, zwischen den verschiedenen Rechtswegen (öffentliche und Zivilgerichtsbarkeit) zu unterscheiden. Während Streitigkeiten über die Auswahl und Zuteilung (erste Stufe) regelmäßig vor den Verwaltungsgerichten ausgetragen werden, ist für nachgelagerte zivilrechtliche Beziehungen (zweite Stufe) häufig der ordentliche Rechtsweg eröffnet.
Bedeutung für Grundrechte und tatsächlichen Rechtsschutz
Die Zweistufentheorie gewährleistet den effektiven Rechtsschutz gegen staatliche Eingriffe und sichert Grundrechte wie die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG). Sie verdeutlicht, dass etwaige Diskriminierungen oder Auswahlentscheidungen auf der ersten Stufe öffentlich-rechtlich überprüfbar sein müssen. Auf der zweiten Stufe erlangt insbesondere die Vertragsfreiheit und Gleichheitsbindung staatlicher Stellen im Privatrechtsverkehr Bedeutung.
Kritische Würdigung und Abgrenzung zu verwandten Theorien
Die Zweistufentheorie ist eine Vereinfachung komplexer verwaltungsrechtlicher Vorgänge. In der Literatur und Rechtsprechung ist anerkannt, dass die strikte Zweiteilung nicht in allen Fällen anwendbar ist, da Mischformen und öffentlich-rechtliche Nutzungsverhältnisse häufig vorliegen. Alternativ zur Zweistufentheorie wird daher mitunter die Ein-Stufen-Theorie vertreten, welche die gesamte Maßnahme als einheitlichen Vorgang mit einem einzigen Rechtsweg behandelt. Im Ergebnis bleibt die Zweistufentheorie jedoch Leitbild für die typischen Fälle der Konzentration staatlicher Auswahlentscheidungen.
Zusätzliche rechtliche Aspekte und Weiterentwicklung
Verhältnis zur subjektiven Rechtsstellung des Betroffenen
Die Zweistufentheorie hat Bedeutung für die Klärung, ob und inwieweit ein spezifischer Anspruch auf Zugang zu einer öffentlichen Leistung rechtlich durchsetzbar ist. Dies beeinflusst auch das Bestehen eines subjektiven Rechts im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO.
Einbettung in das System der Rechtsschutzgarantie
Durch die klare Trennung der zwei Stufen trägt die Theorie zur Rechtssicherheit und Transparenz verwaltungsgerichtlicher Verfahren bei und vermeidet Kompetenzkonflikte zwischen verschiedenen Gerichten.
Europarechtliche Querverbindungen
Im Rahmen der unionsrechtlich garantierten Vergaberechtsgrundsätze sowie der Gleichbehandlung und Transparenz Anforderungen kann die Zweistufentheorie ergänzend zur Auslegung nationalen Rechts herangezogen werden.
Literatur, Rechtsprechung und Quellen
- BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1989 – 1 C 27/87
- Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
- Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)
- Sachs, Grundgesetz-Kommentar, Art. 12
- Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehrrecht, 11. Auflage
- Pieroth/Schlink/Kniesel, Grundrechte – Staatsrecht II
Die Zweistufentheorie bleibt damit ein zentrales Ordnungskriterium zur Differenzierung unterschiedlicher Verwaltungshandlungen, sorgt für Klarheit im Rechtsschutzsystem und trägt entscheidend zur Effektivität gerichtlicher Kontrolle im öffentlichen Recht bei.
Häufig gestellte Fragen
Wie wird die Zweistufentheorie im öffentlichen Recht angewendet?
Die Zweistufentheorie wird vor allem im Bereich des besonderen Verwaltungsrechts angewendet, insbesondere dann, wenn es um die Vergabe staatlicher Leistungen, die Nutzung öffentlicher Sachen oder die sog. Verwaltungskonzessionen geht. Sie differenziert zwischen der ersten Stufe – der Zulassung zur Nutzung einer öffentlichen Einrichtung oder Leistung (Recht auf Zugang) – und der zweiten Stufe – den Bedingungen und Modalitäten der Nutzung. Rechtlich bedeutet dies, dass der Zugang zu einer öffentlichen Leistung regelmäßig eine hoheitliche Maßnahme (Verwaltungsakt) darstellt, die Modalitäten der Nutzung hingegen privatrechtlich ausgestaltet sein können. Die Zweistufentheorie hilft damit, die Anwendbarkeit von Verwaltungsrecht und Privatrecht systematisch zu trennen, was vor allem für die gerichtliche Zuständigkeit und das anwendbare Recht von fundamentaler Bedeutung ist.
Welche Bedeutung hat die Zweistufentheorie für den Rechtsschutz?
Im Hinblick auf den Rechtsschutz ist die Unterscheidung der Stufen ausschlaggebend, da für die Anfechtung von Maßnahmen der ersten Stufe (Zulassung, Versagung, Entzug) die Verwaltungsgerichte zuständig sind. Geht es hingegen um Streitigkeiten betreffend die Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses auf der zweiten Stufe, so finden regelmäßig zivilrechtliche Normen und entsprechende Zivilgerichte Anwendung. Die Zweistufentheorie hat daher erhebliche Konsequenzen für die Wahl des Rechtswegs gemäß § 40 Abs. 1 VwGO. Nur wenn ein hoheitlicher Akt betroffen ist, kommt Verwaltungsgerichtsbarkeit in Betracht; im privatrechtlichen Benutzungsverhältnis ist die ordentliche Gerichtsbarkeit zuständig.
Gibt es Ausnahmen von der Zweistufentheorie?
Obwohl sich die Zweistufentheorie in der Praxis etabliert hat, existieren hiervon verschiedene Ausnahmen. Insbesondere dort, wo das Gesetz ausdrücklich (auch für das Benutzungsverhältnis) öffentlich-rechtliche Normen setzt oder eine einheitlich hoheitliche Benutzungsregelung vorschreibt, findet sie keine Anwendung. Ein klassisches Beispiel ist das Hochschulrecht einiger Bundesländer, in dem sowohl die Zulassung als auch die Nutzungsmodalitäten öffentlich-rechtlich ausgestaltet sind. Weiterhin gibt es Bereiche, in denen bereits das gesamte Benutzungsverhältnis (beispielsweise bei hoheitlichen Auftragsverwaltungen oder bei der Inanspruchnahme von Grundrechten in öffentlich-rechtlichen Anstalten) einheitlich öffentlich-rechtlich geprägt bleibt.
Wie wirkt sich die Zweistufentheorie auf Vertragsgestaltungen im öffentlichen Sektor aus?
Die Zweistufentheorie beeinflusst maßgeblich die Vertragsgestaltung bei öffentlichen Einrichtungen und Leistungen. Während die Zugangseröffnung in aller Regel durch Verwaltungsakt (einseitig, nicht vertraglich) erfolgt, wird das anschließende Nutzungsverhältnis häufig durch privatrechtliche Verträge ausgestaltet, wie z. B. Miet‑ oder Pachtverträge (bei öffentlichen Gebäuden), Beförderungsverträge (im ÖPNV) oder allgemeinen Geschäftsbedingungen. Dies hat zur Folge, dass sich sogar innerhalb eines einheitlichen Rechtsverhältnisses unterschiedliche Vertragstypen und Anspruchsgrundlagen ergeben können. Zudem werden unterschiedliche Kündigungs- und Beendigungsmöglichkeiten eröffnet, da Verwaltungsakte durch Rücknahme, Widerruf oder Erledigung, privatrechtliche Verträge hingegen nach zivilrechtlichen Vorschriften und Erklärungen beseitigt werden.
Welche Rolle spielt die Zweistufentheorie bei der gerichtlichen Zuständigkeit?
Die Differenzierung gemäß der Zweistufentheorie ist von zentraler Relevanz für die Bestimmung des Rechtswegs und damit für die gerichtliche Zuständigkeit. Entscheidend ist die Rechtsnatur der streitigen Maßnahme: Wird um die erstmalige Zulassung zur Nutzung – beispielsweise die Zulassung zur Schwimmbadbenutzung oder auf einen Straßenmarkt – gestritten, entscheidet das Verwaltungsgericht. Geht es hingegen um Ansprüche auf die Durchführung, Auszahlung oder Abwicklung konkreter Leistungen auf Basis eines bereits bestehenden Benutzungsverhältnisses, kann die Zuständigkeit des Zivilgerichts gegeben sein. Kommt es zu Überschneidungen, kann auch eine einheitliche öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegen, die gesondert zu beurteilen ist.
Gibt es Kritik oder Weiterentwicklungen der Zweistufentheorie in der Rechtsprechung?
Die Zweistufentheorie wurde vielfach kritisiert, insbesondere wegen ihrer formellen Trennung, die den Besonderheiten des Einzelfalles nicht immer Rechnung trägt. Die Rechtsprechung hat in der Folge differenzierte Ansätze entwickelt, häufig anhand der konkreten gesetzlichen Ausgestaltung sowie unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der jeweiligen Norm. Gerade im Bereich der Daseinsvorsorge oder der Nutzung öffentlicher Einrichtungen wird oft auf die Eigenart der Tätigkeit, die Organisationsform sowie auf die Vorgaben der Träger öffentlicher Gewalt abgestellt, um zwischen Öffentlichrecht und Privatrecht abzugrenzen. Daneben gibt es Ansätze, die den Schutz des Wohls der Allgemeinheit und die Bindung an Grundrechte stärker zur Konturierung heranziehen. Trotzdem bleibt die Zweistufentheorie ein zentrales Instrument zur Strukturierung öffentlich-rechtlicher Leistungsbeziehungen.