Begriff und Bedeutung des Zwei-plus-Vier-Vertrags
Der Zwei-plus-Vier-Vertrag, offiziell als „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ bezeichnet, ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der am 12. September 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik sowie den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs – Frankreich, der Sowjetunion, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten von Amerika – unterzeichnet wurde. Der Vertrag stellt die maßgebliche rechtliche Grundlage für die staatliche Souveränität des vereinten Deutschlands nach der Teilung durch den Zweiten Weltkrieg dar und regelt sämtliche äußeren Aspekte, die mit der deutschen Einheit verbunden waren.
Historische Einordnung und Entstehungsgeschichte
Ausgangslage nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands im Mai 1945 wurde das Land von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Die staatliche Souveränität wurde damit faktisch aufgehoben. Die deutsche Frage blieb bis zur Wiedervereinigung Gegenstand internationaler Aushandlungen und Vereinbarungen.
Weg zur Wiedervereinigung
Mit der politischen Wende in der DDR 1989 und der darauffolgenden Wiedervereinigung wurde die Regelung der äußeren Aspekte der Einheit Deutschlands unabdingbar. In den sogenannten Zwei-plus-Vier-Gesprächen verhandelten die Bundesrepublik und die DDR („Zwei“) gemeinsam mit den vier alliierten Siegermächten („Vier“) die Rahmenbedingungen für einen souveränen deutschen Nationalstaat.
Rechtliche Struktur und wesentliche Inhalte
Vertragsparteien und völkerrechtlicher Charakter
Der Zwei-plus-Vier-Vertrag ist ein völkerrechtlicher Vertrag im Sinne des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge. Die Vertragspartner – Bundesrepublik Deutschland, DDR, Frankreich, Sowjetunion, Vereinigtes Königreich und USA – schufen durch diese Vereinbarung verbindliches internationales Recht.
Inkrafttreten
Der Vertrag trat nach seiner Ratifikation durch alle Unterzeichnerstaaten am 15. März 1991 in Kraft. Er wurde in Deutschland durch das Gesetz zu dem Vertrag vom 13. Oktober 1990 (BGBl. II S. 1317) innerstaatlich umgesetzt.
Souveränitäts- und Staatsrechtliche Aspekte
Wiedererlangung der vollen Souveränität
Mit Inkrafttreten des Zwei-plus-Vier-Vertrags erlangte das vereinigte Deutschland vollständige Souveränität in den Bereichen Außenpolitik, Verteidigung und innere Angelegenheiten. Die bisherigen Kontroll- und Vorbehaltsrechte der Alliierten wurden aufgehoben.
Geltungsbereich des Staatsgebiets
Der Vertrag legte das Staatsgebiet des vereinigten Deutschlands durch Bezugnahme auf die bestehenden Grenzen fest. Das gesamte Territorium der DDR, das Gebiet der Bundesrepublik sowie Berlin bilden fortan das Staatsgebiet Deutschlands. Weitere territoriale Ansprüche wurden ausdrücklich ausgeschlossen.
Verzichtserklärungen
Deutschland verpflichtete sich, keine Gebietsansprüche gegen andere Staaten zu erheben und die bestehenden Grenzen anzuerkennen. Zu den Nachbarstaaten Polen und Russland wurden diesbezüglich bilaterale Verträge als Ergänzung abgeschlossen (insbesondere der deutsch-polnische Grenzvertrag).
Militärische Bestimmungen
NATO-Mitgliedschaft und Truppenstärke
Im Vertrag wurde geregelt, dass das wiedervereinigte Deutschland weiterhin Mitglied der NATO bleibt. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR dürfen keine ausländischen Truppen stationiert oder Atomwaffen gelagert werden. Die Gesamtstärke der Bundeswehr wurde auf 370.000 Soldaten begrenzt.
Abzug alliierter Streitkräfte
Die Stationierung sowjetischer Truppen in Ostdeutschland wurde bis spätestens 1994 vereinbart. Nach diesem Zeitpunkt wurde das gesamte vereinigte Deutschland frei von fremden Streitkräften.
Menschenrechte und Grundrechte
Das vereinte Deutschland verpflichtet sich zur Achtung und Förderung der Menschenrechte und Grundfreiheiten gemäß den Grundsätzen von Helsinki. Insbesondere Unteilbarkeit der Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehören zu den tragenden Grundprinzipien des Vertrages.
Nukleare Abrüstung und Abrüstungspflichten
Deutschland verpflichtete sich, keine Atomwaffen herzustellen, zu besitzen oder zu lagern und keine chemischen oder biologischen Waffen zu besitzen. Diese Verpflichtung knüpft an bereits bestehende völkerrechtliche Abkommen an, insbesondere den Atomwaffensperrvertrag.
Innerstaatliche Umsetzung und Gesetzgeberische Folgen
Umsetzung im deutschen Recht
Zur gesetzgeberischen Umsetzung wurde in Deutschland das oben genannte Gesetz zu dem Vertrag verabschiedet. Weitere Verträge (z.B. der Einigungsvertrag) regeln innenpolitische Angelegenheiten, während der Zwei-plus-Vier-Vertrag für die völkerrechtliche Finalisierung der Einheit zuständig ist.
Bedeutung für das Grundgesetz
Das Grundgesetz wurde nicht durch eine neue Verfassung ersetzt, sondern nach Artikel 23 GG das Beitrittsmodell gewählt. Die im Zwei-plus-Vier-Vertrag festgelegten Rahmenbedingungen wurden in fundamentale Staatsprinzipien des Grundgesetzes integriert.
Völkerrechtliche Würdigung und Nachwirkung
Endgültige Friedensregelung
Der Zwei-plus-Vier-Vertrag gilt in der Völkerrechtswissenschaft als „Friedensvertrag“ mit Deutschland, da er alle noch offenen Fragen aus dem Zweiten Weltkrieg abschließend regelte.
Fortbestehen und aktuelle Bedeutung
Der Vertrag hat bis heute fortdauernde Relevanz, etwa hinsichtlich der Demilitarisierung Ostdeutschlands und der gewählten Grenze zu Polen. Er bildet das Fundament der Souveränität und der internationalen Einbindung Deutschlands.
Literatur- und Gesetzesverweise
- Vertragstext: BGBl. 1990 II S. 1317
- Gesetz zu dem Vertrag vom 12. September 1990 (Zwei-plus-Vier-Vertrag): BGBl. 1990 II S. 1331
- Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge
- Verfassungsrechtliche Kommentierung: u.a. Maunz/Dürig (Grundgesetz-Kommentar), Ipsen (Völkerrecht)
- Funktionale Einbindung in das Grundgesetz, insbesondere Art. 23, 24, 26 GG
Zusammenfassung
Der Zwei-plus-Vier-Vertrag ist das zentrale völkerrechtliche Dokument, das die deutsche Wiedervereinigung international und rechtlich abgesichert hat. Er markiert den Übergang Deutschlands zu einem voll souveränen Staat innerhalb fester Grenzen, regelt Fragen der militärischen und politischen Kontrolle und hat weitreichende Folgen für die aktuelle Staatsstruktur und das Völkerrecht. Der Vertrag bildet die Grundlage für Deutschlands Stellung in Europa und der Welt nach 1990 und stellt eine der bedeutendsten Rechtsgrundlagen der deutschen Nachkriegsgeschichte dar.
Häufig gestellte Fragen
Welche völkerrechtliche Bedeutung hat der Zwei-plus-Vier-Vertrag?
Der Zwei-plus-Vier-Vertrag, formell als „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ bezeichnet, stellt aus völkerrechtlicher Sicht den endgültigen Friedensvertrag zwischen den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs (USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich) sowie den beiden deutschen Staaten (Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik) dar. Durch den Vertrag wurde die volle Souveränität des wiedervereinigten Deutschlands hergestellt, da die alliierten Vorbehaltsrechte und Besatzungsrechte erloschen. Mit Inkrafttreten am 15. März 1991 wurden alle bisherigen Beschränkungen durch alliierte Gesetze und Verordnungen aufgehoben. Der Vertrag legte zudem die endgültigen Grenzen Deutschlands in völkerrechtlich verbindlicher Form fest und bildete die Basis für dessen vollständige Eingliederung in das internationale System souveräner Staaten.
Welche Regelungen enthält der Zwei-plus-Vier-Vertrag hinsichtlich der Grenzen Deutschlands?
Der Vertrag bestimmt in Artikel 1 und 2 explizit die bestehenden Grenzen Deutschlands als endgültig und unverletzlich. Dies bezieht sich vorrangig auf die sogenannte Oder-Neiße-Linie als Ostgrenze zu Polen und schließt damit territoriale Ansprüche Deutschlands auf ehemalige deutsche Ostgebiete rechtlich aus. Die Anerkennung der bestehenden Grenzen wurde zusätzlich durch den deutsch-polnischen Grenzvertrag von 1990 konkretisiert und ist durch die Beitrittserklärung der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 in deutsches Recht übergegangen. Jegliche zukünftigen Gebietsansprüche sind durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag ausgeschlossen und völkerrechtlich verbindlich geregelt.
Welche Bestimmungen enthält der Vertrag zum Truppenabzug und zur Stationierung ausländischer Streitkräfte?
Im Vertrag ist festgelegt, dass nach Herstellung der Einheit Deutschlands keine ausländischen Streitkräfte und keine Nuklearwaffen im Gebiet der ehemaligen DDR und Berlins stationiert werden dürfen. Die sowjetischen Truppen mussten bis Ende 1994 das Gebiet der früheren DDR und Ost-Berlins vollständig verlassen. Die Bundesrepublik hat sich zudem verpflichtet, in diesen Gebieten keine eigenen Atomwaffen zu stationieren und keine ausländischen Streitkräfte dorthin zu verlegen. Im westlichen Teil Deutschlands ist die Stationierung ausländischer Truppen – im Einklang mit bestehenden NATO-Verträgen – weiterhin zulässig, jedoch unterliegt sie der Souveränität und Zustimmung der Bundesregierung.
Inwiefern regelt der Zwei-plus-Vier-Vertrag die Souveränität Deutschlands?
Gemäß Artikel 7 des Vertrags bestätigt der Zwei-plus-Vier-Vertrag die volle Souveränität des vereinten Deutschlands über seine inneren und äußeren Angelegenheiten. Dies schließt die uneingeschränkte Kontrolle über Gesetzgebung, Rechtsprechung, Verteidigung und Außenpolitik ein. Weder alliierte Vorbehaltsrechte noch Sonderregelungen aus den Zeiten der Besatzung bleiben bestehen. Damit ist Deutschland ab Inkrafttreten des Vertrags völkerrechtlich ein vollständig souveräner Staat.
Welche völkerrechtlichen Verpflichtungen geht Deutschland mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag ein?
Deutschland verpflichtet sich, keine Angriffswaffen, insbesondere Massenvernichtungswaffen, zu entwickeln, herzustellen oder zu besitzen. Weiterhin bestätigt es die Reduzierung seiner Streitkräfte auf eine Stärke von maximal 370.000 Soldaten. Deutschland verpflichtet sich zudem, seine internationalen Verpflichtungen als Mitglied der Vereinten Nationen (insbesondere die Achtung der Charta der Vereinten Nationen) einzuhalten und keinerlei Gebietsansprüche gegenüber anderen Staaten zu erheben. Der Verzicht auf Atomwaffen und die Beachtung der bestehenden Grenzen sind wesentliche Verpflichtungen auf völkerrechtlicher Ebene.
Wie wirkt sich der Zwei-plus-Vier-Vertrag auf das Recht Berlins aus?
Mit Inkrafttreten des Vertrags wenden die alliierten Schutz- und Kontrollrechte über Berlin und dessen Sonderstatus der Nachkriegszeit. Damit ist Berlin vollumfänglich dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland unterstellt; sämtliche Sonderregelungen und Vorbehalte, etwa im Hinblick auf die alliierte Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit, entfallen. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag sorgte so für die vollständige Eingliederung Berlins in den bundesdeutschen Rechtsraum und machte die Stadt erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg völkerrechtlich und verfassungsrechtlich zu einem gleichberechtigten Teil Deutschlands.
Welche Rolle spielt der Zwei-plus-Vier-Vertrag als Voraussetzung für die Wiedervereinigung aus rechtlicher Sicht?
Der Zwei-plus-Vier-Vertrag war die zwingende völkerrechtliche Voraussetzung für die deutsche Wiedervereinigung, da ohne die Zustimmung der vier ehemaligen Besatzungsmächte keine staatsrechtlich anerkannte Einheit Deutschlands möglich gewesen wäre. Mit dessen Unterzeichnung und Inkrafttreten wurde ein international bindender Rahmen geschaffen, der sowohl die Souveränität als auch die Rechtskontinuität des wiedervereinigten Deutschlands gewährleistet. Die deutsche Einheit erfolgte somit im Einklang mit dem Völkerrecht und auf Basis multilateraler Zustimmung der maßgeblichen internationalen Akteure.