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Zusatzpflichtteil

Zusatzpflichtteil: Begriff, Einordnung und Zweck

Der Zusatzpflichtteil ist ein Geldanspruch, der bestimmten nahen Angehörigen des Erblassers zusteht, wenn sie durch ein Testament oder einen Erbvertrag eine Zuwendung erhalten, die geringer ist als ihr gesetzlicher Pflichtteil. Er dient dazu, die Differenz zwischen dem wertmäßigen Pflichtteil und der tatsächlich zugewandten Erbquote oder dem Vermächtnis auszugleichen. Ziel ist, zu sichern, dass pflichtteilsberechtigte Personen einen Mindestanteil am Wert des Nachlasses erreichen, selbst wenn letztwillige Verfügungen sie geringer bedacht haben.

Der Zusatzpflichtteil ist vom „Pflichtteil“ und von der „Pflichtteilsergänzung“ abzugrenzen: Der Pflichtteil ist der grundlegende Mindestanspruch in Geld, wenn jemand enterbt wurde oder keine Zuwendung erhält. Die Pflichtteilsergänzung betrifft demgegenüber die Erhöhung des Pflichtteils, wenn der Erblasser zu Lebzeiten Schenkungen gemacht hat, die den Nachlasswert mindern. Der Zusatzpflichtteil gleicht hingegen die Lücke zwischen einer bereits erhaltenen Zuwendung von Todes wegen (als Erbe oder Vermächtnisnehmer) und dem Pflichtteil aus.

Voraussetzungen für den Zusatzpflichtteil

Pflichtteilsberechtigte Personengruppe

Anspruchsberechtigt sind die Personen, die dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten angehören. Dazu zählen in der Regel die Abkömmlinge, der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner sowie – sofern keine Abkömmlinge vorhanden sind – die Eltern des Erblassers. Der Kreis kann je nach familiärer Konstellation variieren.

Begünstigung unterhalb des Pflichtteils

Der Zusatzpflichtteil setzt voraus, dass eine wirksame letztwillige Verfügung existiert und der Pflichtteilsberechtigte daraus eine Zuwendung erhält, die wertmäßig unter seinem Pflichtteil bleibt. Typische Konstellationen sind:

• Erbeinsetzung mit einer Quote, die niedriger ist als der Pflichtteil.
• Zuwendung eines Vermächtnisses anstelle einer Erbeinsetzung, dessen Wert den Pflichtteil nicht erreicht.
• Zuwendungen, die mit Belastungen (z. B. Auflagen) verbunden sind und dadurch im Wert unter den Pflichtteil absinken.

Abgrenzung zur Enterbung

Wer vollständig enterbt wurde, hat keinen Zusatzpflichtteil, sondern den regulären Pflichtteilsanspruch. Der Zusatzpflichtteil betrifft nur Fälle, in denen bereits eine – zu niedrige – Zuwendung aus dem Nachlass vorliegt.

Ausschlussgründe

Ein wirksamer Pflichtteilsverzicht oder eine wirksame Pflichtteilsentziehung schließt den Zusatzpflichtteil aus. Entsprechende Vereinbarungen oder Verfügungen müssen die gesetzlichen Anforderungen erfüllen.

Rechtsnatur, Anspruchsgegner und Inhalt des Anspruchs

Geldanspruch statt Sachrecht

Der Zusatzpflichtteil ist stets auf Zahlung eines Geldbetrags gerichtet. Er vermittelt kein Recht auf Herausgabe bestimmter Nachlassgegenstände und begründet keine Miteigentumspositionen am Nachlass.

Gegen wen richtet sich der Anspruch?

Schuldner sind in der Regel die Erben. Sind mehrere Erben vorhanden, haften sie gesamtschuldnerisch; intern erfolgt ein Ausgleich entsprechend den Erbquoten. Bei Zuwendungen durch Vermächtnis bleibt es ebenfalls beim Zahlungsanspruch gegen die Erben.

Berechnung des Zusatzpflichtteils

Ausgangspunkt: Höhe des Pflichtteils

Der Pflichtteil bemisst sich als Bruchteil der gesetzlichen Erbquote. Maßgeblich sind die familienrechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt des Erbfalls, insbesondere die Zahl der Abkömmlinge sowie die Stellung des Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners. Auch eheliche Güterstände können Einfluss auf die Bemessungsgrundlagen haben.

Wert der erhaltenen Zuwendung

Zur Ermittlung des Zusatzpflichtteils wird der Geldwert der testamentarischen Zuwendung ermittelt:
• Bei einer Erbeinsetzung zählt der auf die Erbquote entfallende Anteil am Reinnachlass (Aktiva abzüglich Nachlassverbindlichkeiten).
• Bei einem Vermächtnis ist der Wert des vermachten Gegenstands oder der vermachten Forderung maßgeblich; Belastungen und Auflagen mindern den Wert.
• Nutzungsrechte oder Beschränkungen (z. B. Nießbrauch) sind bei der Bewertung zu berücksichtigen.

Stichtag und Bewertungsgrundsätze

Grundsätzlich wird auf den Zeitpunkt des Erbfalls abgestellt. Es ist der Reinnachlass maßgeblich, also der Wert der Nachlassgegenstände nach Abzug der Schulden des Erblassers einschließlich etwaiger Beerdigungs- und Nachlassabwicklungskosten. Wertschwankungen nach dem Erbfall sind regelmäßig nur insoweit relevant, wie sie bei der Ermittlung der Zuwendung vertraglich oder durch Anordnung berücksichtigt werden.

Rechenschritt

Der Zusatzpflichtteil entspricht der Differenz zwischen dem wertmäßig ermittelten Pflichtteil und dem Wert der tatsächlich erhaltenen Zuwendung. Ist die Zuwendung mindestens so hoch wie der Pflichtteil, entfällt der Zusatzpflichtteil.

Zusammenspiel mit anderen Pflichtteilsrechten

Pflichtteilsergänzung

Neben dem Zusatzpflichtteil kann eine Pflichtteilsergänzung in Betracht kommen, wenn der Erblasser zu Lebzeiten unentgeltliche Zuwendungen gemacht hat, die den Nachlass verkleinern. In diesem Fall erhöht sich der der Berechnung zugrunde zu legende Nachlasswert fiktiv um anrechenbare Schenkungen. Der Zusatzpflichtteil kann somit durch eine ergänzte Berechnungsbasis höher ausfallen.

Anrechnung und Ausgleichung

Zu Lebzeiten erhaltene Zuwendungen des Erblassers an Pflichtteilsberechtigte können anrechenbar sein oder zwischen Abkömmlingen ausgleichspflichtig. Solche Vorerwerbe vermindern je nach Einordnung den Pflichtteil oder werden bei der internen Verteilung berücksichtigt und beeinflussen damit auch den Zusatzpflichtteil.

Wahlrechte bei Vermächtnissen

Erhält ein Pflichtteilsberechtigter ein Vermächtnis statt einer Erbeinsetzung, kann die Annahme oder Ausschlagung des Vermächtnisses für die Höhe oder Art der Geltendmachung relevant sein. Nimmt er das Vermächtnis an, kommt ein Zusatzpflichtteil als Differenzanspruch in Betracht; bei Ausschlagung kann der reguläre Pflichtteil verfolgt werden. Die Wahlmöglichkeiten sind gesetzlich vorgegeben.

Durchsetzung, Auskunft und Verjährung

Auskunfts- und Wertermittlungsrechte

Zur Berechnung des Zusatzpflichtteils bestehen Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche gegen die Erben. Dazu gehören regelmäßig die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses, die Offenlegung von Nachlassverbindlichkeiten und – falls erforderlich – die Einholung von Bewertungen. Die Informationen dienen der nachvollziehbaren Ermittlung des Reinnachlasses und der zu berücksichtigenden Zuwendungen.

Fälligkeit und Zinsen

Der Anspruch entsteht mit dem Erbfall. Er wird grundsätzlich fällig, sobald die zur Berechnung notwendigen Informationen vorliegen und der Anspruch geltend gemacht wurde. Verzinsung kann nach allgemeinen Regeln in Betracht kommen, etwa bei Verzug. Der konkrete Beginn und die Höhe der Verzinsung richten sich nach den allgemeinen Vorgaben für Geldschulden.

Verjährung

Der Anspruch auf Zusatzpflichtteil unterliegt der regelmäßigen Verjährung. Der Fristbeginn ist an die Kenntnis vom Erbfall und der eigenen Stellung als pflichtteilsberechtigte Person geknüpft; zudem bestehen langfristige Höchstfristen. Die genauen Fristen folgen den allgemeinen Regeln des Verjährungsrechts.

Besondere Konstellationen

Mehrere Erben

Bei mehreren Erben haftet jeder für den gesamten Zusatzpflichtteil, intern gleichen die Erben den Betrag entsprechend ihren Erbquoten aus. Teilungsanordnungen im Testament ändern an der Außenhaftung gegenüber dem Berechtigten nichts, können aber die interne Verteilung beeinflussen.

Beschränkungen und Belastungen einer Zuwendung

Belastungen wie Auflagen, Vor- und Nacherbschaft oder Nutzungsrechte können den Wert der Zuwendung mindern und damit die Höhe des Zusatzpflichtteils erhöhen. Maßgeblich ist die wirtschaftliche Betrachtung der konkreten Anordnung.

Verzichtsverträge und Abfindungen

Verzichtsverträge zu Lebzeiten des Erblassers können Rechte auf den Pflichtteil und damit auch auf den Zusatzpflichtteil ausschließen. Abfindungen, die in diesem Zusammenhang vereinbart werden, sind bei der Beurteilung und Berechnung zu berücksichtigen.

Internationale Bezüge

Bei Auslandsbezug des Erbfalls kann das anwendbare Erbrecht von Kollisionsnormen abhängen. Ob ein Zusatzpflichtteil besteht und wie er berechnet wird, richtet sich dann nach dem jeweils maßgeblichen Recht.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Zusatzpflichtteil

Wer kann einen Zusatzpflichtteil verlangen?

Anspruchsberechtigt sind pflichtteilsberechtigte Angehörige, die durch eine letztwillige Verfügung eine zu niedrige Zuwendung erhalten haben. Dazu gehören in der Regel Abkömmlinge, der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner sowie – bei fehlenden Abkömmlingen – die Eltern des Erblassers.

Entsteht der Zusatzpflichtteil auch bei einem Vermächtnis?

Ja. Erhält ein Pflichtteilsberechtigter ein Vermächtnis, dessen Wert den Pflichtteil nicht erreicht, kann ein Zusatzpflichtteil in Höhe der Differenz bestehen. Die Annahme oder Ausschlagung des Vermächtnisses beeinflusst die Art der Geltendmachung.

Wie wird der Zusatzpflichtteil berechnet?

Zunächst wird der Pflichtteil als Bruchteil der gesetzlichen Erbquote vom Reinnachlass ermittelt. Anschließend wird der Wert der tatsächlich erhaltenen Zuwendung (Erbquote, Vermächtnis, ggf. unter Berücksichtigung von Belastungen) abgezogen. Die Differenz ergibt den Zusatzpflichtteil.

Gegen wen richtet sich der Anspruch auf Zusatzpflichtteil?

Der Anspruch richtet sich gegen die Erben. Bei mehreren Erben haften diese gesamtschuldnerisch; intern erfolgt ein Ausgleich nach den Erbquoten.

Kann der Zusatzpflichtteil mit einer Pflichtteilsergänzung kombiniert werden?

Ja. Wurden zu Lebzeiten Schenkungen vorgenommen, kann neben dem Zusatzpflichtteil eine Pflichtteilsergänzung in Betracht kommen. Diese erhöht die Berechnungsgrundlage, auf deren Basis der Zusatzpflichtteil ermittelt wird.

Welche Rolle spielen zu Lebzeiten erhaltene Zuwendungen?

Zu Lebzeiten gewährte Vorteile können anrechenbar oder ausgleichspflichtig sein. Je nach rechtlicher Einordnung verringern sie den Pflichtteil und damit auch den Zusatzpflichtteil oder werden zwischen Abkömmlingen intern ausgeglichen.

Ab wann verjährt der Anspruch auf Zusatzpflichtteil?

Es gelten die regelmäßigen Verjährungsfristen des Zivilrechts. Der Lauf beginnt typischerweise mit dem Ende des Jahres, in dem die pflichtteilsberechtigte Person vom Erbfall und ihrer Stellung Kenntnis erlangt hat. Zusätzlich bestehen langfristige Höchstfristen.

Was passiert, wenn die testamentarische Zuwendung den Pflichtteil übersteigt?

Liegt der Wert der erhaltenen Zuwendung mindestens auf Höhe des Pflichtteils, besteht kein Zusatzpflichtteil. Ein darüber hinausgehender Ausgleichsanspruch entsteht nicht.