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Zusätzliche Betreuungsleistungen


Begriff und rechtliche Grundlagen der Zusätzlichen Betreuungsleistungen

Zusätzliche Betreuungsleistungen sind Leistungen der sozialen Pflegeversicherung sowie weiterer Sozialgesetze, die pflegebedürftigen Personen zur Unterstützung im Alltag gewährt werden. Ihr Ziel ist, pflegebedürftigen Menschen mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf, insbesondere bei Demenz, psychischer Erkrankung oder geistiger Behinderung, zusätzliche Hilfen zur Aktivierung, sozialen Teilhabe und Begleitung im Alltag zu ermöglichen. Die rechtlichen Grundlagen und der Leistungsumfang wurden im Lauf der Zeit fortentwickelt und sind im Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) geregelt.

Historische Entwicklung

Die zusätzlichen Betreuungsleistungen wurden erstmals durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz (2008) als sogenannte „zusätzliche Betreuungsleistungen nach § 45b SGB XI“ eingeführt. Sie dienten zunächst vor allem der Entlastung von pflegenden Angehörigen und der Förderung der Lebensqualität von Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz, etwa bei Demenzerkrankungen. Seit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz (PSG II, Inkrafttreten 2017) wurden sie unter dem Begriff „Angebote zur Unterstützung im Alltag“ weiterentwickelt und für alle Pflegebedürftigen zugänglich gemacht.

Rechtliche Definition und Anspruchsvoraussetzungen

Gesetzliche Grundlagen

Die maßgeblichen Rechtsvorschriften zur Gewährung von zusätzlichen Betreuungsleistungen befinden sich im SGB XI, insbesondere in den §§ 45b und 45a. Ergänzende Regelungen finden sich in den landesrechtlichen Vorschriften der einzelnen Bundesländer bezüglich der Anerkennung und Förderung entsprechender Angebote.

§ 45b SGB XI – Entlastungsbetrag

§ 45b SGB XI regelt den sogenannten Entlastungsbetrag. Pflegebedürftige in häuslicher Pflege, die mindestens Pflegegrad 1 aufweisen, erhalten monatlich bis zu 125 Euro für qualitätsgesicherte Leistungen, welche die Pflegeperson entlasten oder die Selbstständigkeit und das Wohlbefinden der Pflegebedürftigen fördern.

§ 45a SGB XI – Anerkannte Angebote

Laut § 45a SGB XI zählen zu den anerkannten Angeboten insbesondere Betreuungsangebote, Angebote zur Entlastung der Pflegeperson sowie Angebote zur Alltagsbegleitung. Über die Anerkennung entscheiden die Bundesländer im Rahmen ihrer jeweiligen Verordnungen und Richtlinien.

Voraussetzungen für den Leistungsbezug

Der Anspruch auf zusätzliche Betreuungsleistungen setzt folgende Bedingungen voraus:

  • Die betroffene Person ist einem Pflegegrad (1-5) zugeordnet.
  • Die Pflege erfolgt in häuslicher Umgebung.
  • Die in Anspruch genommenen Leistungen sind von der zuständigen Pflegekasse als förderfähig anerkannt.
  • Die Leistungserbringung erfolgt durch zugelassene Anbieter oder anerkannte Ehrenamtliche.

Leistungsumfang und Verwendungszweck

Höhe und Umfang der Leistungen

Der Entlastungsbetrag beträgt seit 2017 einheitlich maximal 125 Euro pro Monat. Nicht ausgeschöpfte Beträge eines Kalenderjahres können in das folgende Kalenderhalbjahr übertragen werden.

Anrechnungsfähige Leistungsarten

Zu den über den Entlastungsbetrag finanzierten zusätzlichen Betreuungsleistungen gehören insbesondere:

  • Betreuungsangebote zur Aktivierung und Beschäftigung (z. B. Freizeitaktivitäten, Spaziergänge, Vorlesen)
  • Angebote zur Unterstützung im Alltag (z. B. Erledigung von Einkäufen, Begleitung zu Terminen)
  • Entlastungsangebote für pflegende Angehörige (z. B. Tagespflege, Nachtpflege, Kurzzeitpflege im begrenztem Umfang)
  • Unterstützungsangebote durch ehrenamtliche Helfer und nach Landesrecht anerkannte Dienste

Eine Auszahlung an die pflegebedürftige Person ist nicht möglich; die Pflegekasse erstattet ausschließlich nach Vorlage geeigneter Nachweise über in Anspruch genommene und bezahlte Leistungen. Der Betrag kann nicht für pflegerische Grundpflege oder medizinische Behandlungspflege genutzt werden.

Anerkennung und Zulassung der Leistungserbringer

Landesrechtliche Anerkennung

Die Anerkennung von Dienstleistern und Angeboten, die zusätzliche Betreuungsleistungen erbringen dürfen, obliegt den Bundesländern. Sie erlassen hierzu eigene Landesverordnungen (z. B. Betreuungs- und Entlastungsangebote-Verordnung). Voraussetzungen sind dabei insbesondere:

  • Nachweis qualifizierter Mitarbeitender (z. B. Betreuungskräfte)
  • Einhaltung bestimmter Qualitäts- und Dokumentationsstandards
  • Fortlaufende Schulung und Supervision

Privatpersonen oder Nachbarschaftshilfen können unter bestimmten Bedingungen von der Anerkennung profitieren, sofern sie nicht mit der pflegebedürftigen Person ersten oder zweiten Grades verwandt bzw. verschwägert sind oder mit dieser in häuslicher Gemeinschaft leben.

Verhältnis zu weiteren Pflegeleistungen

Unterscheidung zu anderen Leistungen der Pflegeversicherung

Der Entlastungsbetrag für zusätzliche Betreuungsleistungen ist klar von anderen Leistungen der Pflegeversicherung abzugrenzen, insbesondere von:

  • Pflegegeld (§ 37 SGB XI)
  • Pflegesachleistungen (§ 36 SGB XI)
  • Kombinationsleistungen
  • Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI)
  • Kurzzeitpflege (§ 42 SGB XI)

Er dient ausschließlich zur Finanzierung von Angeboten der Betreuung und Entlastung, nicht jedoch zur Sicherstellung der rein pflegerischen Versorgung oder medizinischen Behandlung.

Wechselwirkungen und Kombinationsmöglichkeiten

In bestimmten Fällen können nicht verbrauchte Mittel anderer Pflegeleistungen, insbesondere der Kurzzeitpflege und Verhinderungspflege, anteilig für zusätzliche Betreuungsleistungen eingesetzt werden (Umwidmung bis zu 40 % nach § 45a Abs. 4 SGB XI).

Anspruchsdurchsetzung und Erstattungsverfahren

Antragstellung und Nachweis

Die Inanspruchnahme zusätzlicher Betreuungsleistungen ist in der Regel formlos bei der zuständigen Pflegekasse zu beantragen. Zur Erstattung sind durch den Leistungserbringer ausgestellte Quittungen oder Rechnungen einzureichen, aus denen die Art, der Zeitraum und die Höhe der geleisteten Betreuung hervorgehen.

Übertragbarkeit nicht genutzter Beträge

Nicht genutzte monatliche Beträge können bis zum 30. Juni des Folgejahres angespart und dann beispielsweise für umfangreichere Betreuungseinsätze eingesetzt werden.

Rolle der Pflegekassen und Zuständigkeiten

Die Pflegekassen prüfen die formalen Voraussetzungen für den Leistungsanspruch, erkennen Angebote an und wickeln die Kostenerstattung ab. Sie informieren Anspruchsberechtigte regelmäßig über bestehende Möglichkeiten und beraten hinsichtlich der Nutzung und Verfügbarkeit anerkannter Angebote im regionalen Raum.

Rechtsquellen und weiterführende Hinweise

Zentrale Rechtsvorschriften

  • Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI), insbesondere §§ 45a, 45b
  • Landesgesetze und -verordnungen zu Betreuungs- und Entlastungsangeboten

Aktuelle Rechtsprechung

Gerichte beschäftigen sich regelmäßig mit Fragen der Anerkennung von Angeboten, Abrechnungsmodalitäten und der Reichweite des Entlastungsbetrags. Entscheidungen hierzu sind veröffentlicht u. a. durch das Bundessozialgericht (BSG) sowie landessozialgerichtliche Urteile.


Die zusätzlichen Betreuungsleistungen stellen im Gesamtsystem der sozialen Pflegeversicherung ein zentrales Instrument dar, um pflegebedürftigen Menschen und ihren Angehörigen maßgeschneiderte Unterstützung im Alltag zu ermöglichen. Die präzise Kenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen und Anspruchsvoraussetzungen ist für die umfassende Wahrnehmung des Leistungsanspruchs von entscheidender Bedeutung.

Häufig gestellte Fragen

Wer hat einen gesetzlichen Anspruch auf zusätzliche Betreuungsleistungen?

Grundsätzlich haben Pflegebedürftige aller Pflegegrade nach § 45b SGB XI einen gesetzlichen Anspruch auf zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen. Dieser Anspruch gilt unabhängig davon, ob die Pflege zuhause oder in einer stationären Einrichtung erbracht wird. Auch Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz – beispielsweise aufgrund einer Demenzerkrankung – sind gemäß den gesetzlichen Vorgaben besonders berücksichtigt worden. Für die Inanspruchnahme der Leistungen ist jedoch eine Feststellung der Pflegebedürftigkeit durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) bzw. Medicproof Voraussetzung. Die Leistungen werden nicht als Geldleistung ausgezahlt, sondern sind zweckgebunden und ausschließlich zur Deckung qualifizierter Betreuungs-, Entlastungs- oder Unterstützungsangebote einsetzbar.

Wie hoch ist der Betrag für zusätzliche Betreuungsleistungen und wie kann dieser verwendet werden?

Pflegebedürftigen steht ein monatlicher Betrag in Höhe von 125 Euro zu; dieser ist fest im Gesetz (§ 45b SGB XI) geregelt. Der Betrag wird von der zuständigen Pflegekasse bereitgestellt und ist ausschließlich für qualifizierte Angebote zu nutzen, die der Betreuungs- oder Entlastungsfunktion dienen. Hierzu zählen beispielsweise die Inanspruchnahme von Alltagshelfern, die Unterstützung im Haushalt, Betreuungsangebote durch anerkannte Anbieter, Aufwendungen für die Betreuung in Gruppen oder die Unterstützung bei der Bewältigung des Pflegealltags. Nicht verwendet werden kann der Entlastungsbetrag für medizinische Behandlungen, Pflegesachleistungen oder als Auszahlung in bar zur freien Verfügung.

Was geschieht mit nicht genutzten Beträgen aus den zusätzlichen Betreuungsleistungen?

Nicht in Anspruch genommene Monatsbeträge der zusätzlichen Betreuungs- und Entlastungsleistungen verfallen nicht automatisch am Monatsende. Sie können in das folgende Kalenderhalbjahr übertragen werden. Nach Ablauf des Halbjahres, spätestens jedoch am 30. Juni des Folgejahres, verfällt der nicht verausgabte Betrag. Das bedeutet, dass Pflegebedürftige die Möglichkeit haben, nicht genutzte Leistungen aus dem Vorjahr noch bis Mitte des darauffolgenden Jahres rückwirkend zu beanspruchen, sofern eine zweckgebundene Verwendung nachgewiesen werden kann (zum Beispiel durch Rechnungen anerkannter Anbieter).

Welche gesetzlichen Voraussetzungen müssen die Anbieter solcher Leistungen erfüllen?

Laut Gesetz dürfen zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen nur durch nach Landesrecht anerkannte Angebote bzw. Anbieter erbracht werden. Die Anerkennung und Zulassung regeln die Landesgesetze, wobei primär sichergestellt werden muss, dass eine ausreichende Qualifikation, Zuverlässigkeit und Qualität der Dienste gewährleistet ist. Für die Abrechnung mit der Pflegekasse ist zwingend eine entsprechende Anerkennung nachzuweisen. Zudem müssen die Anbieter beim Angebot von Haushaltshilfen und Alltagsbegleitern bestimmte Kriterien wie Schulungen, Dokumentationspflichten und Regelungen zur Unfallversicherung und Haftpflicht nachweisen.

Gibt es eine Verpflichtung zur Inanspruchnahme der zusätzlichen Betreuungsleistungen?

Es besteht keine Verpflichtung zur Inanspruchnahme der zusätzlichen Betreuungsleistungen – es handelt sich um einen Erstattungsanspruch. Wird das Angebot nicht genutzt, verfällt die Leistung nach Ablauf der gesetzlichen Übertragungsfrist ersatzlos. Es ist auch möglich, die Pflegeleistungen ausschließlich auf andere Leistungsarten (Pflegegeld, Pflegesachleistung, Kombinationsleistung) zu beschränken und den Entlastungsbetrag nicht zu beantragen. Eine spätere Beantragung ist jedoch rückwirkend nur im Rahmen der Übertragungsfrist möglich und bedarf der Vorlage entsprechender Nachweise.

Wie erfolgt die Abrechnung der erbrachten Betreuungs- oder Entlastungsleistungen mit der Pflegekasse?

Die Abrechnung erfolgt durch das so genannte Erstattungsprinzip oder – bei manchen anerkannten Leistungserbringern – im Wege der Direktabrechnung. Im Normalfall reicht der Pflegebedürftige oder seine betreuende Person die Rechnung eines anerkannten Dienstleisters bei der Pflegekasse ein. Nach Prüfung auf Rechts- und Zweckmäßigkeit wird die Erstattung im Rahmen des monatlichen Budgets vorgenommen. Besteht eine Vereinbarung zur Direktabrechnung, rechnet der Anbieter direkt mit der Pflegekasse ab, während der Anspruchsberechtigte lediglich eine entsprechende Quittung erhält. Voraussetzungen sind jeweils die Anerkennung des Anbieters sowie der Nachweis, dass die Leistung tatsächlich erbracht wurde.

Können die zusätzlichen Betreuungsleistungen kumuliert mit anderen Pflegeleistungen in Anspruch genommen werden?

Der Anspruch auf den Entlastungsbetrag kann zusätzlich zu anderen Leistungen der Pflegeversicherung wie Pflegegeld, Pflegesachleistungen und Kombinationsleistungen in Anspruch genommen werden. Es handelt sich um einen eigenständigen, zweckgebundenen Zusatzanspruch (§ 45b SGB XI), dessen Nutzung unabhängig von anderen Leistungsarten möglich ist. Eine Anrechnung oder Reduzierung im Verhältnis zu anderen Leistungsarten findet nicht statt. Wichtig ist jedoch, dass Leistungen aus dem Entlastungsbetrag nur für die gesetzlich definierten Zwecke verwendet werden dürfen – eine freie Umwidmung, beispielsweise zur Aufstockung des Pflegegeldes, ist rechtlich nicht zulässig.