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Zurücknahme von Rechtsmitteln


Begriff und rechtliche Einordnung der Zurücknahme von Rechtsmitteln

Die Zurücknahme von Rechtsmitteln stellt ein zentrales Institut des Verfahrensrechts dar und bezeichnet den formellen Akt, mit dem eine Person die von ihr zuvor eingelegte Anfechtung (z. B. Berufung, Revision, Beschwerde) ausdrücklich oder konkludent zurücknimmt. Die Zurücknahme beendet das betreffende Rechtsmittelverfahren ohne inhaltliche Prüfung der angefochtenen Entscheidung. Die rechtlichen Regelungen und Folgen der Rechtsmittelrücknahme sind in den unterschiedlichsten Rechtsgebieten, insbesondere im Zivilrecht, Strafrecht, Verwaltungsrecht, Sozialrecht und Finanzprozessrecht, geregelt.


Allgemeine Voraussetzungen der Rechtsmittelrücknahme

Form und Fristen der Rechtsmittelrücknahme

Die Zurücknahme eines Rechtsmittels bedarf regelmäßig der ausdrücklichen Erklärung gegenüber dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist. Die Formvorschriften richten sich nach dem jeweils einschlägigen Verfahrensrecht. In den meisten Fällen ist die Schriftform (§ 87 ZPO, § 302 StPO, § 125 VwGO) erforderlich; in mündlichen Verhandlungen kann auch eine zu Protokoll erklärte Zurücknahme erfolgen. Eine Rücknahme ist grundsätzlich bis zur Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung möglich und in aller Regel unwiderruflich.

Antragsberechtigte und Verfahrensbeteiligte

Zurücknahmeberechtigt ist ausschließlich diejenige Person oder Partei, die das Rechtsmittel eingelegt hat (Rechtsmittelführer). Im Falle einer notwendigen Streitgenossenschaft oder im Strafverfahren bei mehreren Angeklagten können Sonderregelungen gelten.


Rechtsfolgen der Rechtsmittelrücknahme

Wirkung auf das Verfahren

Durch die Zurücknahme wird das angefochtene Urteil oder die Entscheidung rechtskräftig (§ 516 Abs. 1 ZPO, § 302 Abs. 1 StPO, § 125 Abs. 1 VwGO). Das Rechtsmittelverfahren wird ohne inhaltliche Entscheidung eingestellt (sog. „Erledigung durch Prozesshandlung“).

Kostenfolgen

Die Rechtsmittelrücknahme zieht regelmäßig die Kostentragungspflicht des Zurücknehmenden nach sich (§ 516 Abs. 3 ZPO, § 472 StPO, § 155 VwGO). Dies betrifft zumeist die Gerichtskosten und die notwendigen Auslagen der anderen Verfahrensbeteiligten. In bestimmten Fällen kann das Gericht hiervon abweichen.

Keine sachliche Überprüfung mehr

Mit Wirksamwerden der Rücknahme entfällt jede Möglichkeit, das angefochtene Urteil oder den angefochtenen Beschluss im betreffenden Verfahren erneut anzugreifen; die Entscheidung erlangt Rechtskraft. Ein erneutes Einlegen desselben Rechtsmittels ist unzulässig.


Rechtsmittelrücknahme in den verschiedenen Verfahrensordnungen

Zivilprozessordnung (ZPO)

Die Regelungen zur Rechtsmittelrücknahme im Zivilprozess sind in den §§ 516 (Berufung), 565 (Revision) und vergleichbaren Vorschriften enthalten. Die Zurücknahme muss vor Abschluss der mündlichen Verhandlung erklärt werden und wird mit Zugang der Erklärung beim Gericht wirksam.

Strafprozessordnung (StPO)

Im Strafverfahren regelt § 302 StPO die Rücknahme von Rechtsmitteln. Hier kann das Rechtsmittel bis zur Urteilsverkündung zurückgenommen werden. Besonderheiten gelten beim Rücktritt des Angeklagten von der Revision.

Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)

Die Verwaltungsgerichtsordnung sieht in § 125 VwGO die Möglichkeit der Rechtsmittelrücknahme vor. Die Wirksamkeit tritt mit Eingang der Rücknahmeerklärung beim Gericht ein.

Sozialgerichtsgesetz (SGG) und Finanzgerichtsordnung (FGO)

Auch im Sozial- (§ 156 SGG) und Finanzgerichtsverfahren (§ 132 FGO) ist die Rücknahme von Rechtsmitteln ausdrücklich gesetzlich normiert.


Besonderheiten und Ausnahmen

Teilzurücknahme

Die teilweise Zurücknahme eines Rechtsmittels ist regelmäßig möglich, sofern die angefochtene Entscheidung teilbar ist und die Rücknahme nicht zur Unzulässigkeit des gesamten Rechtsmittels führt.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Eine einmal wirksam erklärte Rechtsmittelrücknahme ist grundsätzlich endgültig. Eine Wiedereinsetzung ist nur unter sehr engen Voraussetzungen denkbar, etwa bei nicht wirksam erklärter Rücknahme oder Vorliegen besonderer Fehlvorstellungen, etwa im Vertretungsfall.

Konkludente Rechtsmittelrücknahme

Im Einzelfall kann auch eine schlüssige Handlung als Rücknahme ausgelegt werden, wenn der objektive Erklärungswert der Handlung eine ausdrückliche Zurücknahme ersetzt. Dies wird jedoch in der Rechtspraxis restriktiv gehandhabt.


Zurücknahme von außerordentlichen und sonstigen Rechtsbehelfen

Nicht nur ordentliche Rechtsmittel, sondern auch außerordentliche Rechtsbehelfe (z. B. Wiederaufnahme des Verfahrens, Gegenvorstellung) können unter bestimmten Voraussetzungen zurückgenommen werden. Die jeweiligen Regelungen richten sich nach den einschlägigen Vorschriften, folgen aber meist dem Grundmodell der ordentlichen Rechtsmittelrücknahme.


Rechtsmittelrücknahme im internationalen Kontext

Auch im europäischen und internationalen Verfahrensrecht besteht die Möglichkeit der Rechtsmittelrücknahme; die jeweiligen Regelungen unterscheiden sich jedoch im Detail und richten sich nach der Prozessordnung des betroffenen Gerichts (z. B. Europäischer Gerichtshof, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte).


Fazit

Die Zurücknahme von Rechtsmitteln ist ein bedeutsames Institut im Prozessrecht. Sie dient der Verfahrensvereinfachung und der Entlastung der Gerichte, indem sie eine Beendigung des Rechtsmittelverfahrens ohne Sachentscheidung ermöglicht. Die Rücknahme ist grundsätzlich unwiderruflich, verursacht regelmäßig Kostennachteile für den Rücknehmenden und bewirkt den sofortigen Eintritt der Rechtskraft der angegriffenen Entscheidung. Die gesetzlichen Ausgestaltungen unterscheiden sich je nach Rechtsgebiet und Verfahrensart in Einzelheiten, beruhen jedoch auf einem einheitlichen rechtsstaatlichen Grundgedanken.


Siehe auch

  • Rechtsmittel
  • Berufung
  • Revision
  • Beschwerde
  • Rechtskraft

Häufig gestellte Fragen

In welchem Verfahrensstadium ist eine Zurücknahme von Rechtsmitteln zulässig?

Die Zulässigkeit der Zurücknahme eines Rechtsmittels hängt maßgeblich vom jeweiligen Verfahrensstadium ab. Grundsätzlich kann ein Rechtsmittel – etwa Berufung, Revision oder Beschwerde – zurückgenommen werden, solange das Verfahren über das Rechtsmittel noch anhängig ist und keine Sachentscheidung durch das Rechtsmittelgericht erfolgt ist. Die Möglichkeit zur Zurücknahme erlischt regelmäßig mit der Verkündung oder Zustellung einer Entscheidung über das Rechtsmittel, da ab diesem Zeitpunkt das Verfahren abgeschlossen ist. In Zivilprozessen bestimmt beispielsweise § 516 ZPO die Voraussetzungen sowie die zeitlichen Grenzen. Im Strafverfahren richtet sich die Zurücknahme insbesondere nach § 303 StPO bzw. § 302 StPO für die Revision. Die Zurücknahme ist auch noch während einer mündlichen Verhandlung möglich, allerdings nicht mehr, nachdem ein Urteil verkündet wurde. In Sonderfällen – etwa im Beschwerdeverfahren – können Spezialnormen greifen, die die Zurässigkeit einschränken können. Wichtig ist zudem, ob bereits eine Erledigung des Rechtsmittels aus anderen Gründen eingetreten ist, etwa durch übereinstimmende Erledigungserklärungen der Parteien.

Welche Formvorschriften sind bei der Zurücknahme eines Rechtsmittels zu beachten?

Die Zurücknahme eines Rechtsmittels muss entweder ausdrücklich oder konkludent erklärt werden; sie ist aber grundsätzlich an gewisse Formvorschriften gebunden. Nach deutschem Prozessrecht ist regelmäßig Schriftform vorgeschrieben, wobei die Erklärung durch den Rechtsmittelführer oder dessen bevollmächtigten Vertreter abzugeben ist. Beispielsweise muss die Zurücknahme der Berufung gemäß § 516 Abs. 1 ZPO schriftlich gegenüber dem Prozessgericht erfolgen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. Im Strafprozess ist die Zurücknahme nach § 302 StPO schriftlich, mündlich zu Protokoll oder auch – im Rahmen einer Hauptverhandlung – zu Protokoll der Geschäftsstelle möglich. Eine bloße mündliche Erklärung im nicht protokollierten Kontext genügt hingegen nicht. Zudem ist zu beachten, dass ein Rechtsanwalt, sofern er mandatiert wurde, zur Rücknahme berechtigt ist, sofern keine ausdrückliche Beschränkung der Vollmacht vorliegt (§ 302 Abs. 2 StPO, § 87 ZPO).

Welche rechtlichen Folgen hat die Zurücknahme eines Rechtsmittels?

Die Zurücknahme eines Rechtsmittels hat die unmittelbare Folge, dass das Verfahren bezüglich des Rechtsmittels beendet ist, ohne dass eine Sachentscheidung durch das Rechtsmittelgericht ergeht. Die ursprüngliche Entscheidung, gegen die das Rechtsmittel eingelegt wurde, wird damit rechtskräftig bzw. endgültig. Nach § 516 Abs. 3 ZPO treten die Wirkungen einer Rücknahme mit ihrer Erklärung ein. Im Strafverfahren hat die Rücknahme gemäß § 303 StPO vergleichbare Wirkung. Darüber hinaus können mit der Zurücknahme Prozesskostenfolgen verbunden sein, etwa eine Kostenlast für den Rechtsmittelführer. Im Zivilprozess ist dies in § 516 Abs. 3 ZPO normiert, während im Strafprozessrecht § 473 Abs. 1 StPO Anwendung findet, wonach der Zurücknehmende regelmäßig die Verfahrenskosten zu tragen hat. Weitere Rechtswirkungen können sich ergeben, wenn an das Rechtsmittel Nebenfolgen, wie zum Beispiel die Aussetzung der Vollstreckung, geknüpft waren – diese enden dann ebenfalls.

Ist die Zurücknahme eines Rechtsmittels widerruflich oder endgültig?

Die Zurücknahme eines Rechtsmittels ist grundsätzlich unwiderruflich und endgültig. Sobald die formwirksam erklärte Rücknahme dem zuständigen Gericht oder der Behörde zugeht, erlischt das Verfahren über das Rechtsmittel unwiderruflich, und die daraus entstehenden Rechtsfolgen – etwa die Rechtskraft der Vorentscheidung – treten ein. Ein Widerruf der Zurücknahme ist regelmäßig ausgeschlossen, auch dann, wenn der Erklärende sich irrtümlich über die Rechtsfolgen der Rücknahme geirrt hat. Nur in absoluten Ausnahmefällen, etwa bei Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Willensmangels (z.B. arglistige Täuschung oder Drohung) und entsprechender Anfechtung, kann eine Rücknahme gegebenenfalls rückgängig gemacht werden, wobei dies von den Gerichten äußerst restriktiv gehandhabt wird.

Wer ist berechtigt, die Zurücknahme eines Rechtsmittels zu erklären?

Zur Zurücknahme eines Rechtsmittels ist ausschließlich die Partei berechtigt, die das jeweilige Rechtsmittel eingelegt hat oder deren Prozessbevollmächtigter mit entsprechender Vollmacht. In manchen Verfahrensarten ist auch eine Beschränkung im Hinblick auf die Wirksamkeit der Vollmacht vorgesehen, etwa im Strafprozess, wo ein Verteidiger nicht gegen den Willen des Angeklagten das Rechtsmittel zurücknehmen darf (§ 302 StPO). Im Zivilverfahren kann der Rechtsanwalt mit allgemeiner Prozessvollmacht die Zurücknahme wirksam erklären (§ 87 ZPO), sofern keine gegenteilige Beschränkung dokumentiert ist. In besonderen Konstellationen, wie beispielsweise bei Minderjährigen oder Betreuten, ist auf vertretungsrechtliche Vorschriften und ggf. erforderliche gerichtliche Genehmigungen zu achten.

Welche Auswirkungen hat die Zurücknahme eines Rechtsmittels auf verbundene Nebenentscheidungen oder selbstständige Anschlussrechtsmittel?

Mit der Zurücknahme eines Hauptrechtsmittels – zum Beispiel der Berufung – verliert dieses seine Wirkung, und das Verfahren wird hinsichtlich des eingelegten Rechtsmittels abgeschlossen. Verbundene Nebenentscheidungen oder selbstständige Anschlussrechtsmittel – wie etwa die Anschlussberufung (im Zivilprozess nach § 524 ZPO) oder die Anschlussrevision – sind unter Umständen von der Hauptrechtsmittelrücknahme abhängig. Grundsätzlich ist die Anschlussberufung beispielsweise nur solange zulässig wie das Hauptrechtsmittel anhängig ist; wird dieses zurückgenommen, so fällt auch das Anschlussrechtsmittel weg, es sei denn, das Gesetz enthält eine Sonderregelung. Ähnlich wird im Strafprozess mit der Anschlussrevision verfahren. Etwaige selbständige Rechtsmittel anderer Beteiligter bleiben von der Rücknahme unberührt, sofern sie nicht akzessorisch sind. Dies muss jeweils im Einzelfall und unter Berücksichtigung der einschlägigen Vorschriften geprüft werden.

Welche besonderen Bestimmungen gelten bei der Zurücknahme von Rechtsmitteln im Verwaltungsrecht?

Im Verwaltungsprozessrecht gelten ebenfalls spezielle Bestimmungen für die Zurücknahme von Rechtsmitteln, die sich hauptsächlich aus der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ergeben. Nach § 92 VwGO ist die Rücknahme eines Rechtsmittels (Berufung, Revision, Beschwerde) bis zur Rechtskraft des Urteils zulässig. Die Erklärung erfolgt grundsätzlich schriftlich oder zu Protokoll des Gerichtes. Auch hier ist die Zurücknahme grundsätzlich unwiderruflich und zieht die Beendigung des jeweiligen Rechtsmittelverfahrens nach sich. Die Kostenfolge ist in § 155 VwGO geregelt, wonach der Zurücknehmende in der Regel die Kosten des Verfahrens trägt. Besonderheiten ergeben sich bei mehreren Beteiligten oder bei dem Vorliegen von isolierter Anfechtung und Verpflichtung. Im Einzelfall können zudem Verfahrensvorschriften greifen, die aus spezialgesetzlichen Regelungen resultieren, etwa aus dem Sozialgerichtsgesetz (SGG) oder der Finanzgerichtsordnung (FGO).