Begriff und Bedeutung der Zurechnung (steuerlich)
Die Zurechnung im steuerlichen Kontext ist ein zentrales Prinzip des deutschen Steuerrechts und beschreibt die rechtliche Zuweisung von Einkünften, Vermögenswerten, Aufwendungen oder Vorgängen einer bestimmten Person zur steuerlichen Erfassung. Sie bestimmt, wem bestimmte steuerlich relevante Sachverhalte, insbesondere Einkünfte oder wirtschaftliche Ergebnisse, zugerechnet werden, unabhängig davon, wer zivilrechtlich Eigentümer ist oder über die wirtschaftlichen Werte verfügt. Ziel ist die richtige und eindeutige Ermittlung der steuerlichen Leistungsfähigkeit sowie die Vermeidung von Mehrfachbesteuerung oder Nichtbesteuerung.
Grundsätze der Zurechnung im Steuerrecht
Abgrenzung zur Zivilrechtlichen Zuordnung
Im Steuerrecht wird zwischen der zivilrechtlichen Zuordnung und der steuerlichen Zurechnung unterschieden. Während das Zivilrecht primär auf das Eigentum und die Verfügungsgewalt abstellt, orientiert sich die steuerliche Zurechnung vielfach an dem wirtschaftlichen Gehalt eines Vorgangs. Dies kann zu einer abweichenden Beurteilung gegenüber dem Zivilrecht führen.
Wirtschaftliche Betrachtungsweise (§ 39 AO)
Nach § 39 Abgabenordnung (AO) ist für die steuerliche Zurechnung in erster Linie entscheidend, wem ein Wirtschaftsgut oder ein Vorgang wirtschaftlich zuzurechnen ist. Demnach wird das Wirtschaftsgut demjenigen zugerechnet, der die wirtschaftliche Verfügungsmacht innehat – auch wenn das zivilrechtliche Eigentum bei einer anderen Person liegt.
Zurechnungstatbestände im Steuerrecht
Rechtliche Grundlagen
Die maßgebliche gesetzliche Grundlage für die Zurechnung bildet § 39 AO. Daneben enthalten zahlreiche Einzelsteuergesetze, wie das Einkommensteuergesetz (EStG), das Körperschaftsteuergesetz (KStG) oder das Umsatzsteuergesetz (UStG), spezielle Regelungen zur Zurechnung in unterschiedlichen Sachverhaltskonstellationen.
Zurechnung nach § 39 Abs. 1 AO
Nach § 39 Abs. 1 AO sind Wirtschaftsgüter grundsätzlich der Person zuzurechnen, die zivilrechtlich Eigentümer ist.
Zurechnung nach § 39 Abs. 2 AO
Nach § 39 Abs. 2 AO tritt die wirtschaftliche Zurechnung in den Vordergrund. Danach wird ein Wirtschaftsgut der Person zugerechnet, die die tatsächliche Herrschaft über das Gut ausübt und es wirtschaftlich nutzen kann, auch wenn eine andere Person als Eigentümer eingetragen ist.
Besondere Zurechnungskonstellationen
Zurechnung bei Personengesellschaften
Bei Personengesellschaften, insbesondere der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), der offenen Handelsgesellschaft (OHG) und der Kommanditgesellschaft (KG), erfolgt nach steuerlichen Grundsätzen die Zurechnung der Wirtschaftsgüter und Einkünfte anteilig auf die Gesellschafter (transparentes Besteuerungsprinzip).
Zurechnung bei Kapitalgesellschaften
Im Gegensatz dazu handelt es sich bei Kapitalgesellschaften wie der GmbH oder AG um eigenständige Steuersubjekte. Die Zurechnung von Einkünften erfolgt ausschließlich bei der Gesellschaft selbst, während die Anteilseigner erst bei Ausschüttungen Einkünfte erzielen.
Zurechnung bei Treuhandverhältnissen
Bei Treuhandkonstruktionen erfolgt die steuerliche Zurechnung grundsätzlich beim Treugeber, sofern dieser das wirtschaftliche Risiko und die Chancen trägt. Der Treuhänder gilt in der Regel lediglich als vermittelnde Person.
Zurechnung bei Nießbrauch
Ist an einem Wirtschaftsgut ein Nießbrauch bestellt, so werden die daraus erzielten Einkünfte dem Nießbraucher zugerechnet (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO, § 1047 BGB), da ihm die Nutzung sowie die wirtschaftliche Verfügung zusteht.
Bedeutung der Zurechnung bei einzelnen Steuerarten
Einkommensteuer
Im Bereich der Einkommensteuer ist die Zurechnung insbesondere für die Berechnung der steuerlichen Bemessungsgrundlage relevant. Sie entscheidet darüber, welcher natürlichen oder juristischen Person bestimmte Einkünfte, wie aus Vermietung und Verpachtung oder aus Kapitalvermögen, zugerechnet werden.
Körperschaftsteuer
Bei der Körperschaftsteuer wird die Zurechnung bei verschiedenen rechtlichen Strukturen und Beteiligungen bedeutend, etwa bei verdeckten Gewinnausschüttungen oder bei der Organschaft.
Umsatzsteuer
Im Umsatzsteuerrecht erfolgt die Zurechnung umsatzsteuerpflichtiger Leistungen grundsätzlich auf den Unternehmer, der die Leistungen im eigenen Namen und für eigene Rechnung ausführt. Im Rahmen des § 2 UStG kommen zudem Fälle der umsatzsteuerlichen Organschaft zum Tragen.
Auswirkungen und Folgen fehlerhafter Zurechnung
Eine unzutreffende Zurechnung kann gravierende steuerliche Konsequenzen haben, von der Doppelbesteuerung bis zur Steuerverkürzung, und gegebenenfalls Korrekturen durch Steuerbescheide oder steuerstrafrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Zurechnung und Steuerstrafrecht
Im Steuerstrafrecht ist die korrekte Zurechnung wesentlich, da strafrechtliche Verantwortlichkeit nur dann entsteht, wenn eine Person steuerlich als „Berechtigter“ angesehen wird. Die Klärung, wem Erlöse oder Einkünfte steuerlich zuzurechnen sind, ist daher für die Einordnung möglicherweise strafbarer Handlungen unabdingbar.
Bedeutung in der internationalen Besteuerung
Im internationalen Steuerrecht gewinnt die Zurechnung an Bedeutung, beispielsweise bei Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) und der Einkünftezuordnung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, etwa bei Betriebsstätten oder der Vermeidung von hybriden Gestaltungen.
Zusammenfassung
Die steuerliche Zurechnung ist ein wesentliches Prinzip im deutschen Steuerrecht, das die Frage beantwortet, wem bestimmte Steuergegenstände, Einkünfte oder Vorgänge steuerlich zugerechnet werden. Es dient der Sicherstellung einer gleichmäßigen und zutreffenden Besteuerung, orientiert sich am wirtschaftlichen Gehalt eines Vorgangs und stellt damit eine zentrale Regelung für eine sachgerechte Steuererhebung dar.
Quellenhinweis:
Die dargestellten Informationen basieren auf den Vorschriften der Abgabenordnung, Einzelsteuergesetzen sowie einschlägigen Kommentierungen und Rechtsprechung.
Häufig gestellte Fragen
Welche Grundsätze gelten für die steuerliche Zurechnung von Einkünften bei überschneidenden wirtschaftlichen und rechtlichen Eigentumsverhältnissen?
Bei der steuerlichen Zurechnung von Einkünften ist maßgeblich, wer die Einkünfte „wirtschaftlich“ trägt und nicht zwingend, wer formal-rechtlich als Eigentümer gilt. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs stellt das wirtschaftliche Eigentum (vgl. § 39 Abs. 2 AO) in den Mittelpunkt. Wirtschaftliches Eigentum liegt dann vor, wenn der Erwerber die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut hat und der bisherige Eigentümer sie nicht mehr ausüben kann. In Fällen, in denen z.B. ein wirtschaftlicher Übergang eines Vermögensgegenstandes stattfindet, der rechtliche Eigentümer jedoch weiterhin im Grundbuch steht oder im Register geführt ist, sind Erträge wie Mieten, Zinsen oder Dividenden dem wirtschaftlichen Eigentümer zuzurechnen. Ausschlaggebend sind dabei die Risikotragung, Verfügungsmacht sowie der tatsächliche Nutzen aus dem Vermögensgegenstand. Diese Bewertung wird besonders bei Treuhandverhältnissen, Sicherungsübereignungen und Leasinggeschäften relevant.
Wie wird die Zurechnung bei Ehegatten geregelt, die gemeinsames Vermögen halten?
Bei Ehegatten wird die steuerliche Zurechnung von Einkünften aus gemeinsamem Vermögen grundsätzlich nach Bruchteilsgrundsätzen vorgenommen. Das heißt, jedem Ehegatten wird der ihm zustehende Anteil an Einkünften aus dem gemeinsamen Vermögensgegenstand zugerechnet (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 AO i.V.m. § 26b EStG). In der Praxis ist besonders auf die rechtliche Ausgestaltung des Miteigentums oder gesamthänderischen Eigentums zu achten. Liegt kein ausdrücklicher Nachweis eines abweichenden Verhältnisses vor, wird von einer hälftigen Beteiligung ausgegangen. Abweichende Absprachen oder tatsächliche Finanzierungsleistungen können jedoch zu einer abweichenden Zurechnung führen, sofern sie klar dokumentiert und nach außen erkennbar sind.
Welche Bedeutung hat die Zurechnung von Wirtschaftsgütern in Personengesellschaften?
In Personengesellschaften werden die Einkünfte und die Wirtschaftsgüter nicht der Gesellschaft als solcher zugerechnet, sondern den einzelnen Gesellschaftern entsprechend ihrer Beteiligungsquote oder gesellschaftsvertraglichen Regelungen. Dabei unterscheidet man steuerlich zwischen Sonderbetriebsvermögen, Mitunternehmeranteil am Gesamthandsvermögen und Privatvermögen. Gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO ist entscheidend, wem das wirtschaftliche Eigentum an den Wirtschaftsgütern im Sinne der gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse zusteht. Unechte Beteiligungen, Unterbeteiligungen oder atypisch stille Beteiligungen werden je nach vertraglicher Ausgestaltung entweder dem Kapitalgeber oder, bei Durchgriff auf das Unternehmerrisiko, dem Mitunternehmer zugerechnet.
Wie erfolgt die Zurechnung von Einkünften aus stillen Beteiligungen und Treuhandverhältnissen?
Bei einer stillen Gesellschaft wird der stille Gesellschafter nach § 230 HGB grundsätzlich nur an Gewinnen beteiligt und nicht am Vermögen der Gesellschaft. Steuerlich werden die Einkünfte aus der stillen Beteiligung direkt dem stillen Gesellschafter als Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG) zugerechnet. Bei Treuhandverhältnissen werden die zugrundeliegenden Vermögensgegenstände – sowie daraus resultierende Einkünfte – dem Treugeber zugerechnet, sofern dieser die wirtschaftliche Substanz und das volle Risiko trägt. Die Treuhand muss klar und transparent dokumentiert sein (Treuhandvertrag), und der Treugeber muss jederzeit Einfluss auf die Verwaltung und Verfügung über das Wirtschaftsgut haben. Fehlt diese Einflussmöglichkeit, kann eine Zurechnung an den Treuhänder erfolgen.
Wie wirkt sich die Zurechnung bei Schenkung und vorweggenommener Erbfolge aus?
Im Fall der Schenkung oder vorweggenommenen Erbfolge geht die Einkünftezurechnung ab dem Zeitpunkt auf den Erwerber über, zu dem das wirtschaftliche Eigentum an dem Wirtschaftsgut umfassend auf ihn übergeht (vgl. § 39 AO). Die rein formale Übergabe oder Grundbucheintragung ist nicht ausreichend, wenn der Schenker weiterhin Nutzungen zieht oder maßgebliche Verfügungsrechte behält (z. B. durch Nießbrauchsvorbehalt). Erst mit vollständigem Übergang aller Nutzungs- und Verwaltungsrechte wird der Erwerber zum einkommensteuerlichen Rechtsträger.
Welche Bedeutung kommt der Zurechnung bei Durchgriffskonstellationen (z.B. verdeckte Gewinnausschüttung oder Mittelverwendung über Strohmänner) zu?
In Fällen, in denen hinter einer juristischen Person oder einem nominellen Rechtsträger tatsächlich ein anderer wirtschaftlicher Eigentümer steht, kann das Finanzamt eine steuerliche Durchgriffszurechnung vornehmen. Dies ist insbesondere bei Gestaltungen relevant, die auf Steuerumgehung abzielen, wie verdeckte Gewinnausschüttungen an Gesellschafter, Treuhandverhältnisse ohne wirtschaftliche Substanz oder die Einschaltung von Strohmännern. Hier ist eine genaue Substanzeinschätzung und tatsächliche Einflussnahme Voraussetzung für die Zurechnung. Die Finanzbehörden prüfen dabei intensiv die tatsächlichen Verhältnisse, Machtverhältnisse und wirtschaftlichen Risiken, um eine Korrektur der Zurechnung nach dem wirtschaftlichen Gehalt vorzunehmen (§ 42 AO, Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten).
Wie ist vorzugehen, wenn Wirtschaftsgüter Gegenstand mehrerer Steuersubjekte sind (z.B. bei atypischen Leasingverträgen)?
Bei atypischen Leasingverträgen und ähnlichen Vertragsgestaltungen ist das wirtschaftliche Eigentum und die damit verbundene Zurechnung exakt zu prüfen. Maßgeblich sind die Vertragsbedingungen zu Risiko, Nutzen, Instandhaltungspflichten und Verkaufsoptionen am Ende der Laufzeit. Überwiegen die Merkmale des wirtschaftlichen Eigentums beim Leasingnehmer (ähnlich wie bei einem langfristigen Kauf auf Raten), wird diesem das Wirtschaftsgut steuerlich zugeordnet. Liegen die wesentlichen Eigentümerrechte und -pflichten weiterhin beim Leasinggeber, bleibt die Zurechnung bei ihm. Die Einschätzung erfolgt stets einzelfallbezogen unter Heranziehung der Gesamtumstände.