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Zugang einer Willenserklärung


Begriff und Bedeutung des Zugangs einer Willenserklärung

Der Zugang einer Willenserklärung ist ein zentrales Konzept im deutschen Zivilrecht, insbesondere im Bereich des Vertragsrechts. Der Zugang bestimmt, ab welchem Zeitpunkt eine empfangsbedürftige Willenserklärung ihre rechtliche Wirkung entfaltet. Die präzise Definition und die rechtlichen Voraussetzungen sind maßgeblich für die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften wie Verträgen, Kündigungen, Anfechtungen und anderen rechtlich bindenden Erklärungen.

Gesetzliche Grundlage

Die rechtlichen Grundlagen zum Zugang einer Willenserklärung finden sich insbesondere in § 130 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Dort heißt es:
„Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht.“

Demnach ist für die Wirksamkeit empfangsbedürftiger Willenserklärungen nicht allein deren Abgabe, sondern vor allem deren Zugang beim Empfänger von Bedeutung.

Voraussetzungen des Zugangs

Zugang unter Anwesenden

Eine Willenserklärung geht gemäß der herrschenden Meinung dem Empfänger unter Anwesenden zu, wenn dieser sie akustisch vollständig zur Kenntnis nehmen kann. Entscheidend ist nicht, ob der Empfänger die Erklärung tatsächlich versteht oder innerlich verarbeitet, sondern dass er nach den Umständen in der Lage ist, den Inhalt wahrzunehmen.

Mündliche Willenserklärung

Bei einer mündlichen Erklärung unter Anwesenden ist der Zugang in dem Moment erfolgt, sobald der Empfänger der Erklärung folgen kann. Unerheblich ist, ob der Empfänger tatsächlich zuhört oder abgelenkt ist.

Zugang in Telefonaten oder mittels anderer Kommunikationsmittel

Auch in Telefonaten oder Videokonferenzen gilt die Willenserklärung grundsätzlich als zugegangen, sobald sie für den anderen Teil verständlich ausgesprochen wurde.

Zugang unter Abwesenden

Bei Abwesenden ist der Zugang komplexer. Eine schriftliche Willenserklärung geht zu, sobald sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Brief in den Briefkasten gelegt wird oder eine Email in das elektronische Postfach eintrifft.

Voraussetzungen des Zugangs:

  1. Machtbereich des Empfängers: Die Erklärung muss räumlich und organisatorisch dem Empfänger zugeordnet sein (z.B. Briefkasten, Email-Postfach).
  2. Möglichkeit der Kenntnisnahme: Der Empfänger muss objektiv in der Lage sein, von der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Subjektive Unkenntnis, etwa durch Urlaubsabwesenheit, ist unbeachtlich, solange in typischen Umständen mit der Lesenahme gerechnet werden kann.
  3. Veranlassung der Erklärung: Die Erklärung muss dergestalt hinterlassen werden, dass ein Zugang gewöhnlich erwartet werden kann (z. B. Annahme der gewöhnlichen Postzustellung an Werktagen am Folgetag).

Besonderheiten der verschiedenen Kommunikationswege

Zugang per Brief

Die Willenserklärung gilt als zugegangen, sobald der Brief in den Herrschafts- und Verfügungsbereich des Empfängers gelangt und dieser unter üblichen Voraussetzungen mit der Kenntnisnahme rechnen kann. Nach herrschender Auffassung ist mit der Kenntnisnahme zu den üblichen täglichen Entleerungszeiten des Briefkastens zu rechnen.

Zugang mittels Einschreibens

Beim Einwurfeinschreiben ist Zugang mit Einwurf in den Briefkasten regelmäßig gegeben. Beim Übergabeeinschreiben besteht Zugang erst, wenn es dem Empfänger tatsächlich persönlich übergeben wird oder im Fall der Abwesenheit des Empfängers eine schriftliche Benachrichtigung zur Abholung hinterlassen und das Schreiben in der Filiale zur Abholung bereitgestellt wird.

Zugang von Emails und elektronischer Kommunikation

Nach h. M. ist eine Email zugegangen, wenn sie in den elektronischen Empfangsbereich des Empfängers gelangt ist und unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme gerechnet werden kann. Es kommt nicht darauf an, ob der Empfänger tatsächlich die Email öffnet.

Zugang bei Empfangsvollmacht und Empfangsvertreter

Erklärungen, die an Empfangsboten oder Empfangsvertreter gerichtet werden, gelten als dem Empfänger zugegangen, sobald die Willenserklärung in den Einflussbereich der vom Empfänger bevollmächtigten oder beauftragten Person gelangt und mit einer Weiterleitung der Erklärung unter gewöhnlichen Umständen zu rechnen ist.

Sonderfälle und Problemstellungen

Zugang während Abwesenheit (Urlaub, Krankheit)

Befindet sich der Empfänger im Urlaub oder ist er krank, gilt die Erklärung dennoch als zugegangen, sofern der Zugang zu seinem Herrschaftsbereich nach allgemeinen Gepflogenheiten erfolgt ist. Der tatsächliche Zugang wird nur dann nicht angenommen, wenn außergewöhnliche Umstände eine Kenntnisnahme ausschließen – diese sind jedoch eng zu fassen.

Zugangsvereitelung

Vereitelt der Empfänger den Zugang schuldhaft oder mit Vorsatz, gilt die Willenserklärung dennoch als zugegangen, da niemand sich darauf berufen kann, eine Erklärung nicht erhalten zu haben, wenn dies durch eigenes Verhalten verursacht wurde (sogenannte Zugangsvereitelung).

Unmittelbarer Zugang

Bei besonderen Sachverhalten, etwa bei gerichtlichen Zustellungen, gelten zusätzliche Regeln, wie sie beispielsweise in der Zivilprozessordnung (ZPO) niedergelegt sind.

Rechtsfolgen des Zugangs

Mit Zugang einer Willenserklärung wird diese wirksam (§ 130 BGB). Hiermit ist die Bindungswirkung eingetreten, der Empfänger kann darauf reagieren, beispielsweise das Angebot annehmen oder zurückweisen. Bis zum Zugang kann die Erklärung vom Erklärenden widerrufen werden (§ 130 Abs. 1 Satz 2 BGB).

Widerruf der Willenserklärung

Der Widerruf einer empfangsbedürftigen Willenserklärung ist nur wirksam, wenn er dem Empfänger spätestens gleichzeitig mit der Willenserklärung zugeht.

Bedeutung für die Praxis

Der genaue Zeitpunkt des Zugangs einer Willenserklärung ist bedeutsam für Fristenläufe (zum Beispiel Kündigungsfristen, Frist für Annahme eines Angebots) sowie für die Risikoabgrenzung zwischen Erklärendem und Empfänger. Bei Streitigkeiten über den Zugang liegt die Beweislast beim Versender der Willenserklärung.

Zusammenfassung

Zusammenfassend ist der Zugang einer Willenserklärung das zentrale Element für deren Wirksamwerden gegenüber dem Adressaten und markiert einen wichtigen Zeitpunkt für Fristen, Rechtsfolgen und die Ausübung von Rechtspositionen. Die verschiedenen Kommunikationswege und möglichen Konstellationen bieten eine breite Palette an Einzelfällen, in denen jeweils nach den oben dargelegten Grundsätzen differenziert zu beurteilen ist, wann genau der Zugang erfolgt und welche Rechtsfolgen sich hieraus ergeben.

Weblinks

Literatur

  • Brox/Walker: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Aktuelle Auflage
  • Palandt: Bürgerliches Gesetzbuch, Aktuelle Auflage
  • MüKoBGB/Gaier, § 130 BGB

Hinweis: Der Artikel dient der umfassenden Informationsvermittlung für ein Rechtslexikon und ersetzt keine rechtliche Beratung.

Häufig gestellte Fragen

Wann gilt eine Willenserklärung als zugegangen?

Eine Willenserklärung gilt im rechtlichen Sinne als zugegangen, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist. Nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB ist dies der Fall, wenn die Willenserklärung den Empfänger erreicht hat, sodass er sie zur Kenntnis nehmen kann. Der Zugang ist ein objektiver Umstand, es kommt nicht darauf an, ob der Empfänger tatsächlich von der Erklärung Kenntnis genommen hat. Ausreichend ist, wenn die Erklärung in den räumlichen Bereich (z.B. Briefkasten, E-Mail-Postfach) gelangt ist und unter gewöhnlichen Umständen mit einer zeitnahen Kenntnisnahme gerechnet werden kann. Auf subjektive Faktoren wie Urlaub oder Krankheit kommt es grundsätzlich nicht an, es sei denn, der Absender muss unter besonderen Umständen mit einer längeren Abwesenheit rechnen.

Welcher Zeitpunkt ist für den Zugang einer Willenserklärung maßgeblich?

Der maßgebliche Zeitpunkt für den Zugang einer Willenserklärung ist der Moment, in dem die Erklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass eine Kenntnisnahme möglich ist und üblicherweise erwartet werden kann. Für schriftliche Erklärungen gilt etwa der Einwurf in den Briefkasten dann als Zugang, wenn nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Leerung und Kenntnisnahme gerechnet werden kann. Wird eine E-Mail außerhalb üblicher Geschäftszeiten verschickt, gilt sie erst mit Beginn der nächsten üblichen Geschäftszeit als zugegangen. Im Streitfall muss der Absender den Zugang beweisen, wobei Indizien wie Zugangsbestätigungen, Zeugen oder Versandprotokolle helfen können.

Wie erfolgt der Zugang einer Willenserklärung bei Abwesenheit des Empfängers?

Bei Abwesenheit des Empfängers – z.B. bei Urlaub oder Krankenhausaufenthalt – gelangt die Willenserklärung trotzdem zu, sobald sie in den Machtbereich gelangt ist, etwa durch Zustellung an den Briefkasten oder das Postfach. Die Kenntnisnahme wird in diesem Fall dennoch unterstellt, solange keine besonderen Umstände vorliegen, die dem Absender bekannt sein mussten oder hätten bekannt sein müssen. Nur wenn der Absender von der längeren Abwesenheit wusste oder dies grob fahrlässig nicht wusste, könnte ausnahmsweise kein Zugang vorliegen. In diesen Fällen ist eine sorgfältige Interessenabwägung notwendig, wobei das Risiko typischerweise beim Empfänger liegt, es sei denn, der Absender handelt in Kenntnis der Abwesenheit.

Welche besonderen Regelungen gelten für den Zugang gegenüber Geschäftsunfähigen, Minderjährigen oder Vertretern?

Bei Geschäftsunfähigen (§ 131 Abs. 1 BGB) wird eine Willenserklärung erst mit Zugang an den gesetzlichen Vertreter wirksam. Auch bei beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen (§ 131 Abs. 2 Satz 1 BGB) muss die Erklärung an die Eltern oder Vormunde (gesetzliche Vertreter) gerichtet werden, ansonsten entfaltet sie keine rechtliche Wirkung. Im Fall der Vertretung gilt die Willenserklärung als zugegangen, sobald sie beim Vertreter als Empfangsboten eintrifft – hierbei ist jedoch zwischen Empfangsboten, Erklärungsboten und mittelbaren Zustellungen zu differenzieren. Die Bestimmung des richtigen Adressaten ist somit elementar für die Wirksamkeit des Zugangs.

Wie wird der Zugang einer Willenserklärung bei elektronischer Übermittlung (E-Mail, Fax) beurteilt?

Bei elektronischen Übermittlungen – wie E-Mail oder Fax – ist der Zugang ebenfalls an den Zeitpunkt gekoppelt, zu dem die Erklärung in den Machtbereich des Empfängers gelangt. Für E-Mails bedeutet dies konkret, dass der Zugang dann erfolgt, wenn die Nachricht abrufbar im Empfangs- bzw. Mailserver gespeichert ist und unter normalen Umständen mit einer Kenntnisnahme gerechnet werden kann. Für Faxnachrichten gilt Zugang mit vollständigem Ausdruck im Gerät des Empfängers. Nach herrschender Meinung gelten zudem die allgemeinen Bürozeiten; wird eine E-Mail nach Geschäftsschluss empfangen, gilt sie erst zu Beginn des nächsten Geschäftstages als zugegangen.

Was sind die rechtlichen Folgen, wenn eine Willenserklärung nicht zugeht oder der Zugang bestritten wird?

Geht eine Willenserklärung dem Empfänger nicht zu, entfaltet sie grundsätzlich keine Rechtswirkung und es kommt kein Vertrag zustande bzw. das beabsichtigte Rechtsgeschäft bleibt unwirksam. Der Zugang ist Zugangsvoraussetzung für die Wirksamkeit von empfangsbedürftigen Willenserklärungen. Wird der Zugang vom Empfänger bestritten, trägt der Erklärende die Beweislast. Im Streitfall muss dieser den Zugang beweisen können (z.B. durch Einschreiben, Zeugen, Empfangsquittung, Zustellnachweis). Gelingt der Nachweis nicht, gilt die Erklärung als nicht zugegangen und bleibt rechtlich folgenlos.

Gibt es Ausnahmen vom Zugangserfordernis bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen?

Ausnahmen vom Zugangserfordernis gelten insbesondere für nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen, z.B. im Falle von Testamenten (§ 2247 BGB), die erst mit dem Erbfall Wirksamkeit erlangen. Auch einseitige Rechtsgeschäfte mit publizitätsbedürftigem Charakter können im Einzelfall ausnahmsweise ohne Zugang wirksam sein. Darüber hinaus kann bei einer sogenannten Zugangsfiktion (z.B. bei Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung oder bei besonderen vertraglichen Regelungen) ein Zugang auch dann fingiert werden, wenn die tatsächliche Kenntnisnahme nicht nachweislich stattgefunden hat. Solche Ausnahmen sind jedoch gesetzlich geregelt und eng auszulegen.