Begriff und Stellung der Zivilgerichtsbarkeit
Die Zivilgerichtsbarkeit ist der Teil der staatlichen Rechtspflege, der Streitigkeiten und Angelegenheiten des privaten Rechts entscheidet. Sie befasst sich mit Konflikten zwischen Privatpersonen, Unternehmen, Vereinen oder anderen privaten Rechtsträgern sowie mit bestimmten Angelegenheiten, in denen staatliche Stellen wie Privatpersonen handeln. Im Unterschied dazu entscheidet die Strafgerichtsbarkeit über staatliche Sanktionen wegen Straftaten; weitere eigenständige Gerichtszweige sind die Verwaltungs-, Arbeits-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit.
Die Zivilgerichte gehören zur sogenannten ordentlichen Gerichtsbarkeit. Sie sprechen Recht in vermögensrechtlichen und nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten, führen bestimmte Register, beurkunden in Nachlass- und Betreuungssachen und sichern die Durchsetzung rechtskräftiger Entscheidungen durch Zwangsvollstreckung.
Aufgaben und typische Rechtsstreitigkeiten
Vertragliche Ansprüche
Hierunter fallen Auseinandersetzungen aus Kauf-, Werk-, Miet-, Reise-, Darlehens- oder Dienstleistungsverträgen. Typische Fragen betreffen Leistung, Mängel, Rücktritt, Schadensersatz oder Zahlungspflichten.
Ansprüche außerhalb von Verträgen
Dazu zählen unter anderem Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung (zum Beispiel nach einem Verkehrsunfall), Ansprüche aus Eigentum und Besitz, Nachbarrecht, Persönlichkeitsrecht oder ungerechtfertigter Bereicherung.
Familien- und Betreuungssachen
Familiengerichte entscheiden über Ehen, Scheidung, Unterhalt, Sorgerecht, Umgang, Adoption und Versorgungsausgleich. Betreuungssachen betreffen die Bestellung und Überwachung von Betreuungen sowie Genehmigungen für bestimmte Maßnahmen.
Handels- und Unternehmenssachen
Dazu gehören Streitigkeiten unter Kaufleuten, aus Gesellschaftsverhältnissen, Wettbewerbs- und Markensachen, Organhaftung, sowie insolvenzrechtliche Verfahren, die von Zivilgerichten geführt und überwacht werden.
Freiwillige Gerichtsbarkeit
Hierzu zählen unter anderem Registerangelegenheiten (Handels-, Partnerschafts-, Vereinsregister), Grundbuchsachen, Nachlasssachen (Erbscheine, Testamentsauslegung) und weitere zustimmungs- und genehmigungsbedürftige Verfahren. Sie dienen häufig der vorsorgenden Rechtspflege und verlaufen nicht streitig zwischen zwei Parteien.
Aufbau der Gerichte und Zuständigkeit
Instanzenzug
Amtsgericht
Das Amtsgericht ist die Eingangsinstanz für zahlreiche Zivilsachen, insbesondere bei geringeren Streitwerten und in bestimmten Sachgebieten (zum Beispiel Wohnraummiete, Familiensachen, Nachlass und Grundbuch). Häufig entscheidet eine Einzelrichterin oder ein Einzelrichter.
Landgericht
Das Landgericht verhandelt erstinstanzlich Zivilsachen mit höherem Streitwert oder besonderer Bedeutung sowie Berufungen gegen Urteile der Amtsgerichte. In Handelssachen kann eine Kammer für Handelssachen zuständig sein.
Oberlandesgericht
Das Oberlandesgericht entscheidet über Berufungen und Beschwerden gegen Entscheidungen der Landgerichte und ist in bestimmten Fällen erstinstanzlich zuständig, etwa in einzelnen grenzüberschreitenden oder besonders gelagerten Angelegenheiten.
Bundesgerichtshof
Der Bundesgerichtshof ist die Revisionsinstanz. Er prüft, ob die Vorinstanzen das Recht richtig angewendet haben. Die Tatsachenfeststellung wird nur begrenzt überprüft.
Sachliche, örtliche und funktionelle Zuständigkeit
Sachliche Zuständigkeit
Sie bestimmt, welches Gericht nach Art und Umfang der Sache angerufen wird. Kriterien sind unter anderem der Streitwert, das betroffene Sachgebiet und gesetzlich vorgegebene Spezialzuständigkeiten.
Örtliche Zuständigkeit
Sie regelt, an welchem Ort Klage erhoben wird. Anknüpfungspunkte sind meist Wohn- oder Geschäftssitz der Gegenseite, der Erfüllungsort eines Vertrages oder der Ort eines Schadensereignisses.
Funktionelle Zuständigkeit
Sie betrifft die Verteilung innerhalb des Gerichts, etwa zwischen Einzelrichter, Kammer oder Senat, und die Zuständigkeit für bestimmte Verfahrensabschnitte.
Besondere Spruchkörper
Familiengerichte, Betreuungsgerichte, Kammern für Handelssachen und spezielle Zivilkammern oder Senate bearbeiten jeweils abgegrenzte Materien mit besonderer Sachnähe.
Verfahrensablauf in Zivilsachen
Einleitung und Klageerhebung
Ein Verfahren beginnt mit der Klage, die den Streitgegenstand und die verlangte gerichtliche Entscheidung bezeichnet. Das Gericht prüft die Zuständigkeit und leitet die Klage an die Gegenseite zur Stellungnahme weiter. Der Zugang kann schriftlich oder über den elektronischen Rechtsverkehr erfolgen.
Schriftsätze und mündliche Verhandlung
Die Parteien legen ihren Sachverhalt und ihre Beweismittel dar. In der mündlichen Verhandlung erörtert das Gericht den Streitstoff, strebt eine gütliche Einigung an und trifft prozessleitende Anordnungen.
Beweisaufnahme
Mögliche Beweismittel sind Zeugenaussagen, Urkunden, Sachverständigengutachten, Augenschein und Parteivernehmung. Wer die für sich günstigen Tatsachen behauptet, muss sie in der Regel beweisen. Das Gericht würdigt die Beweise frei und entscheidet nach seiner Überzeugung.
Entscheidung und Vergleich
Das Verfahren endet regelmäßig durch Urteil. Alternativ kann ein gerichtlicher Vergleich geschlossen werden, der wie ein Vollstreckungstitel wirkt. In bestimmten Fällen ergeht ein Beschluss, etwa in Familiensachen oder im Beschwerdeverfahren.
Rechtsmittel
Gegen erstinstanzliche Urteile sind je nach Voraussetzungen Berufung oder Beschwerde möglich. In weiteren Fällen ist die Revision vorgesehen, die die rechtliche Überprüfung durch das höchste Zivilgericht eröffnet.
Grundprinzipien des Zivilprozesses
Parteiherrschaft und Disposition
Die Parteien bestimmen den Streitgegenstand, bringen Tatsachen und Beweismittel bei und können den Rechtsstreit beenden, etwa durch Anerkenntnis, Verzicht oder Vergleich.
Anspruch auf rechtliches Gehör und Öffentlichkeit
Beide Seiten erhalten Gelegenheit, sich zu äußern. Verhandlungen sind grundsätzlich öffentlich; Ausnahmen bestehen aus Gründen des Persönlichkeits- oder Jugendschutzes und in bestimmten Familiensachen.
Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und Beibringungsgrundsatz
Entscheidungen beruhen auf dem in der mündlichen Verhandlung Vermittelten. Das Gericht bildet sich sein Urteil auf Grundlage der unmittelbar erhobenen Beweise; die Parteien sind verantwortlich, den Streitstoff vorzutragen.
Neutralität und Unabhängigkeit
Das Gericht ist unparteiisch und nur dem Gesetz verpflichtet. Besorgnis der Befangenheit kann in gesetzlich vorgesehenen Grenzen geltend gemacht werden.
Kosten, Kostenerstattung und Verfahrensförderung
Gerichts- und Vertretungskosten
Die Gebühren des Gerichts und die eigenen Vertretungskosten richten sich in Zivilsachen häufig nach dem Streitwert. Hinzu kommen Auslagen, etwa für Zustellungen oder Sachverständige.
Kostentragung
Grundsätzlich trägt die unterliegende Partei die Kosten des Verfahrens und erstattet der obsiegenden Partei die notwendigen Aufwendungen. Bei teilweisem Obsiegen erfolgt eine Quotelung.
Staatliche Unterstützung bei Verfahrenskosten
Wer die Kosten eines Verfahrens nicht aufbringen kann, kann unter bestimmten Voraussetzungen Unterstützung erhalten. Diese umfasst je nach Fall die vorläufige Übernahme von Gerichts- und Vertretungskosten und kann zurückzuzahlen sein.
Streitwert
Der Streitwert bildet häufig die Bemessungsgrundlage für Gebühren und richtet sich nach dem wirtschaftlichen Interesse. In nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten wird er durch das Gericht festgesetzt.
Zwangsvollstreckung und einstweiliger Rechtsschutz
Vollstreckbare Titel und Arten der Vollstreckung
Urteile, Vergleiche und bestimmte Beschlüsse können vollstreckt werden. Vollstreckungsmaßnahmen sind etwa die Pfändung von Konten, Lohn oder beweglichen Sachen, die Zwangsversteigerung von Immobilien sowie Maßnahmen zur Herausgabe von Sachen.
Sicherungsmaßnahmen
Der einstweilige Rechtsschutz ermöglicht vorläufige Sicherung oder Regelung, wenn ohne sofortiges Eingreifen die Durchsetzung von Rechten vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Beispiele sind einstweilige Verfügungen oder Arrest.
Alternative Konfliktlösung und Schiedsverfahren
Mediation und gerichtliche Güte
Mediation, Schlichtung und gerichtliche Güteverhandlungen fördern einvernehmliche Lösungen. Ein vor Gericht protokollierter Vergleich ist vollstreckbar.
Schiedsgerichte
Parteien können die Entscheidung ihrer Streitigkeit einem Schiedsgericht übertragen. Schiedssprüche können unter bestimmten Voraussetzungen staatlich für vollstreckbar erklärt und wie Urteile durchgesetzt werden.
Internationale Bezüge
Zuständigkeit bei Auslandsbezug
Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten bestimmen internationale und europäische Regeln, ob deutsche Zivilgerichte zuständig sind. Maßgeblich sind Anknüpfungen wie Wohnsitz, Erfüllungsort, Deliktsort oder Gerichtsstandsvereinbarungen.
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
Ob und wie Entscheidungen ausländischer Gerichte in Deutschland anerkannt und vollstreckt werden, richtet sich nach internationalen Übereinkünften und europäischen Regelungen sowie nationalem Recht.
Europäische Zusammenarbeit
Es bestehen besondere europäische Verfahren zur Vereinfachung grenzüberschreitender Forderungsdurchsetzung, zur Zustellung und Beweisaufnahme sowie zur Zuständigkeits- und Anerkennungskoordination innerhalb der Mitgliedstaaten.
Abgrenzung zu anderen Gerichtsbarkeiten
Verwaltungs-, Arbeits-, Sozial- und Finanzgerichte
Diese Gerichtszweige befassen sich mit öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten (Verwaltungsgerichte), Konflikten aus Arbeitsverhältnissen (Arbeitsgerichte), sozialrechtlichen Ansprüchen (Sozialgerichte) und Steuersachen (Finanzgerichte). Die Zivilgerichtsbarkeit ist zuständig, wenn Privatrecht maßgeblich ist und kein anderer Gerichtszweig exklusiv entscheidet.
Bedeutung für Verbraucher und Unternehmen
Rechtsdurchsetzung und Rechtssicherheit
Zivilgerichte gewährleisten verlässliche Klärung von Ansprüchen und schaffen verbindliche Entscheidungen. Dies fördert Rechtsklarheit, Vertragsdurchführung und wirtschaftlichen Verkehr.
Kollektive Rechtsdurchsetzung
Für gleichgelagerte Ansprüche bestehen besondere Instrumente zur gebündelten Durchsetzung, etwa Verbandsklagen oder kollektive Verfahren, die strukturelle Ungleichgewichte ausgleichen sollen.
Häufig gestellte Fragen
Was umfasst die Zivilgerichtsbarkeit?
Sie entscheidet private Rechtsstreitigkeiten zwischen natürlichen und privaten juristischen Personen sowie bestimmte Angelegenheiten der vorsorgenden Rechtspflege. Dazu zählen Vertrags-, Schadensersatz-, Familien-, Handels-, Nachlass- und Registersachen.
Wie ist der Instanzenzug in Zivilsachen aufgebaut?
Je nach Streitwert und Materie beginnt das Verfahren vor dem Amts- oder Landgericht. Rechtsmittel führen zum Oberlandesgericht. Die höchste Instanz ist der Bundesgerichtshof, der vor allem Rechtsfragen überprüft.
Wann ist welches Gericht örtlich zuständig?
Maßgeblich sind Wohn- oder Geschäftssitz der Gegenseite, der Erfüllungsort vertraglicher Pflichten oder der Ort des schädigenden Ereignisses. In manchen Bereichen bestehen besondere Gerichtsstände.
Welche Kosten entstehen und wer trägt sie?
Es fallen Gerichtsgebühren, Auslagen und eigene Vertretungskosten an, häufig bemessen nach dem Streitwert. In der Regel trägt die unterliegende Seite die Kosten, bei teilweisem Erfolg erfolgt eine Aufteilung.
Wie funktioniert die Beweisaufnahme und wer trägt die Beweislast?
Beweise werden durch Zeugen, Urkunden, Sachverständige, Augenschein oder Parteivernehmung erhoben. Grundsätzlich muss die Partei beweisen, die sich auf eine für sie günstige Tatsache beruft.
Was ist der Unterschied zwischen Urteil, Beschluss und Vergleich?
Ein Urteil entscheidet den Streit über den Klageantrag. Ein Beschluss regelt bestimmte verfahrensrechtliche oder in einigen Materien auch sachliche Fragen. Ein Vergleich ist eine einvernehmliche Beilegung des Streits und wirkt als Vollstreckungstitel.
Was bedeutet einstweiliger Rechtsschutz?
Es handelt sich um vorläufige gerichtliche Maßnahmen zur Sicherung von Ansprüchen oder zur Regelung von Eilsituationen, wenn ohne sofortiges Eingreifen die spätere Durchsetzung gefährdet wäre.