Zinsabschlagsteuer: Begriff, rechtliche Grundlagen und Entwicklung
Die Zinsabschlagsteuer stellte eine besondere Form der Quellensteuer in Deutschland dar, welche bis zum 31. Dezember 2008 auf bestimmte Kapitalerträge, insbesondere Zinserträge, erhoben wurde. Sie diente der Ertragsteuererfassung von Zinseinkünften natürlicher Personen und war wesentlicher Bestandteil der Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß dem Einkommensteuerrecht.
Definition und Rechtsnatur der Zinsabschlagsteuer
Die Zinsabschlagsteuer war eine Steuer, die unmittelbar an der Quelle, also vom Schuldner oder der auszahlenden Stelle der Zinsen, einbehalten wurde. Gesetzliche Grundlage bildete zunächst § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Einkommensteuergesetz (EStG) in Verbindung mit §§ 44 ff. EStG in der bis 2008 geltenden Fassung. Sie war keine eigenständige Steuer, sondern eine besondere Erhebungsform der Einkommensteuer, diente jedoch der Sicherstellung des Steueraufkommens aus Kapitalerträgen und der Vermeidung von Steuerhinterziehung.
Gesetzliche Grundlagen und Funktion
Rechtsnormen
Die Erhebung der Zinsabschlagsteuer beruhte auf den nachfolgenden Rechtsgrundlagen:
- § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG: Regelung der Erhebung der Steuer auf Zinserträge.
- §§ 44 ff. EStG: Regelten insbesondere die steuerliche Pflichten der auszahlenden Stelle, die Haftung sowie das Verfahren zur Abführung der Steuer an das Finanzamt.
- Abgabenordnung (AO): Enthielt allgemeine Vorschriften zum Steuerabzug an der Quelle und zur Mitwirkungspflicht der Beteiligten.
Abzugsverfahren
Die Zinsabschlagsteuer wurde direkt von der auszahlenden Stelle, wie z. B. Kreditinstitute, Versicherungen oder Schuldner von Kapitalforderungen (z. B. Anleihen), einbehalten. Die einbehaltene Steuer wurde im Folgenden an das zuständige Finanzamt abgeführt. Die Höhe des Steuerabzugs betrug bis zur Einführung der Abgeltungsteuer grundsätzlich 30 % zuzüglich Solidaritätszuschlag und gegebenenfalls Kirchensteuer der anfallenden Zinserträge.
Umfang der Steuerpflicht
Steuerpflichtige Zinserträge
Der Zinsabschlag wurde insbesondere auf nachfolgende Erträge angewendet:
- Zinsen aus Bankguthaben und Sparanlagen
- Erträge aus festverzinslichen Wertpapieren wie Anleihen
- Zinserträge aus Forderungen gegenüber inländischen Schuldnern
Nicht erfasst wurden typischerweise Ausschüttungen von Dividenden; diese unterlagen dem Kapitalertragsteuerabzug.
Steuerpflichtige Personen
Steuerpflichtig waren grundsätzlich natürliche Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland (§ 1 Abs. 1 EStG) sowie in bestimmten Fällen auch beschränkt Steuerpflichtige mit Einkünften aus Kapitalvermögen in Deutschland. Körperschaften unterlagen je nach Ausgestaltung der Steuerpflicht entweder dem Körperschaftsteuerabzug oder waren von der Zinsabschlagsteuer ausgenommen.
Ausnahmen und Befreiungen
Freistellungsauftrag und Nichtveranlagungsbescheinigung
Um den Einbehalt der Zinsabschlagsteuer zu vermeiden, konnten Anleger einen Freistellungsauftrag erteilen. Damit wurde die auszahlende Stelle angewiesen, Zinserträge innerhalb des Sparer-Pauschbetrages steuerfrei auszuzahlen. Alternativ konnte bei geringem zu versteuerndem Einkommen eine sogenannte Nichtveranlagungsbescheinigung (NV-Bescheinigung) beantragt werden, welche den vollständigen Verzicht auf den Steuerabzug bewirkte.
Ausnahmen für bestimmte Personen
Einige Personengruppen, wie Kapitalgesellschaften oder vergleichbare Körperschaften, waren im Rahmen gesetzlicher Ausnahmen nicht verpflichtet, Zinsabschlagsteuer zu entrichten. Hierzu zählen insbesondere Institute, die ihrerseits keine Einkommensteuer entrichten oder wegen ihrer Rechtsform befreit waren.
Anrechnung und Veranlagung
Die einbehaltene Zinsabschlagsteuer minderte im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung die Steuerschuld auf Kapitalerträge. Wurde mehr Zinsabschlagsteuer einbehalten als nach dem persönlichen Steuersatz geschuldet, konnte im Rahmen der Einkommensteuererklärung eine Steuererstattung erwirkt werden. Umgekehrt wurde durch die Zinsabschlagsteuer die Einkommensteuerpflicht auf die jeweiligen Zinseinkünfte grundsätzlich als abgegolten angesehen, sofern kein höherer Steuersatz zu entrichten war.
Einführung, Entwicklung und Abschaffung
Einführung der Zinsabschlagsteuer
Die Einführung der Zinsabschlagsteuer erfolgte zum 1. Januar 1993 im Zuge steuerlicher Anpassungsmaßnahmen und als Reaktion auf die gestiegene Bedeutung von Zins- und Kapitalerträgen im privaten Bereich. Ziel war es, Steueraufkommen aus diesen Einkünften durch den Steuerabzug an der Quelle sicherzustellen.
Entwicklung und Rechtsfolgen
Über die Jahre wurde der gesetzliche Rahmen etwa im Hinblick auf die Höhe des Zinsabschlags, Befreiungsmöglichkeiten sowie auf steuerliche Abzugs- und Informationspflichten mehrfach angepasst und erweitert.
Abschaffung und Übergang zur Abgeltungsteuer
Mit Inkrafttreten der Abgeltungsteuer zum 1. Januar 2009 wurde die Zinsabschlagsteuer abgeschafft. Die Erfassung von Zinseinkünften erfolgt seitdem über die pauschale Besteuerung der Kapitalerträge, für die ebenfalls ein Quellensteuerabzug vorgesehen ist, jedoch zu einem einheitlichen Steuersatz von 25 % zuzüglich Solidaritätszuschlag und gegebenenfalls Kirchensteuer (§ 32d EStG).
Bedeutung im internationalen Vergleich
Im internationalen Steuerrecht war und ist die Quellenbesteuerung von Zinseinkünften weit verbreitet, wobei sich die einzelnen Systeme, insbesondere hinsichtlich der Steuersätze, der Anrechnung im Veranlagungsverfahren sowie der Möglichkeiten von Steuerbefreiungen, teilweise deutlich unterscheiden. Die Zinsabschlagsteuer war ein Vorläufer der heute verbreiteten Abgeltungs- oder Quellensteuersysteme zur Sicherung des Steueraufkommens aus Kapitalerträgen.
Zusammenfassung
Die Zinsabschlagsteuer stellte eine bedeutende Erhebungsform der Besteuerung von Zinserträgen in Deutschland dar und bildete von 1993 bis 2008 einen zentralen Bestandteil des deutschen Einkommensteuerrechts im Bereich der Kapitaleinkünfte. Mit der Einführung der Abgeltungsteuer wurde das System grundlegend geändert, die rechtlichen Prinzipien der Quellenbesteuerung jedoch fortgeführt.
Literatur und weiterführende Quellen
- Einkommensteuergesetz (EStG)
- Gesetz zur Einführung der Abgeltungsteuer vom 14. August 2007 (BGBl. I S. 1912)
- Bundesministerium der Finanzen: Informationsschreiben zur Zinsabschlagsteuer und Abgeltungsteuer
- Fachliteratur: Tipke/Lang, Steuerrecht, Loseblatt-Kommentar zum EStG
Weblinks
- Bundeszentralamt für Steuern – Informationen zur Besteuerung von Kapitalerträgen
- Gesetze im Internet – Einkommensteuergesetz (EStG)
Dieser Artikel dient der umfassenden Information über Begriff, Bedeutung und Entwicklung der Zinsabschlagsteuer im deutschen Steuerrecht.
Häufig gestellte Fragen
Wann entsteht die Verpflichtung zur Abführung der Zinsabschlagsteuer?
Die Verpflichtung zur Abführung der Zinsabschlagsteuer entsteht im rechtlichen Kontext grundsätzlich in dem Zeitpunkt, zu dem die zinstragende Leistung dem Gläubiger zufließt, also sobald Zinsen tatsächlich gezahlt oder gutgeschrieben werden. Maßgeblich ist hierbei der Zuflusszeitpunkt gemäß den §§ 44 Abs. 1, 45a Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG). Banken und andere inländische Kapitalgesellschaften, die als Schuldner der Kapitalerträge oder als Zahlstellen fungieren, sind gesetzlich verpflichtet, den Zinsabschlag unmittelbar bei der Auszahlung oder Gutschrift einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen. Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG gilt der Steuerabzug als zum Zeitpunkt der Auszahlung vorgenommen, sodass keine Möglichkeit besteht, die Zahlung und die Steuerabführung zu trennen. Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung kann steuerliche und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, etwa die Inanspruchnahme als Haftungsschuldner gemäß § 44 Abs. 5 EStG.
Welche Zinserträge unterliegen der Zinsabschlagsteuer?
Aus rechtlicher Sicht unterliegen insbesondere Zinserträge aus inländischen Quellen der Zinsabschlagsteuer. Dazu zählen regelmäßig Zinsen aus Geldeinlagen und anderen Forderungen gegen Kreditinstitute sowie Zinsen aus Anleihen und Schuldverschreibungen, die von inländischen Emittenten begeben wurden. Vorrangig betroffen sind demnach Sparkonten, Tagesgelder, Festgelder, verzinsliche Wertpapiere und sonstige vergleichbare Forderungswerte. Von der Steuerpflicht ausgenommen sind Zinserträge, bei denen eine Steuerbefreiung nach §§ 44a ff. EStG nachgewiesen wird, etwa durch einen erteilten Freistellungsauftrag oder eine Nichtveranlagungsbescheinigung. Ebenfalls unterliegen Zinserträge aus ausländischen Quellen nicht der deutschen Zinsabschlagsteuer, sondern können im Rahmen der persönlichen Einkommensteuerveranlagung erfasst werden.
Wie erfolgt die Anrechnung der Zinsabschlagsteuer auf die Einkommensteuer?
Im rechtlichen Kontext ist vorgesehen, dass die einbehaltene Zinsabschlagsteuer im Rahmen der jährlichen Einkommensteuererklärung auf die festzusetzende Einkommensteuer des Steuerpflichtigen angerechnet wird, wenn die betreffenden Einkünfte dort angegeben werden. Nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG wird der Steuerabzug bei der Festsetzung der Einkommensteuer wie eine Vorauszahlung berücksichtigt. Voraussetzung für die Anrechnung ist, dass der Steuerpflichtige die erhaltenen Zinseinnahmen ordnungsgemäß in seiner Steuererklärung deklariert und den Steuerabzug durch entsprechende Bescheinigungen der Bank nachweist (sog. Steuerbescheinigung nach § 45a Abs. 2 EStG). Übersteigt die einbehaltene Zinsabschlagsteuer die entstandene Einkommensteuerbelastung, so wird der Überschuss im Rahmen der Veranlagung erstattet.
Welche gesetzlichen Ausnahmen oder Befreiungen von der Zinsabschlagsteuer gibt es?
Das deutsche Steuerrecht sieht verschiedene Ausnahme- und Befreiungstatbestände vor, um eine Doppelbesteuerung oder eine nicht gewollte steuerliche Belastung zu verhindern. Nach §§ 44a ff. EStG kann der Steuerabzug beispielsweise unterbleiben, wenn dem Kreditinstitut rechtzeitig ein Freistellungsauftrag im Rahmen des Sparerpauschbetrags erteilt wurde oder eine Nichtveranlagungsbescheinigung nach § 44a Abs. 2 EStG vorliegt. Darüber hinaus bestehen besondere Vorschriften für ausländische Gläubiger, bestimmte juristische Personen sowie Kirchen und gemeinnützige Einrichtungen, die unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls eine Freistellung vom Steuerabzug erlangen können. Des Weiteren kommt eine Steuerbefreiung in Betracht, wenn Hintergrundverträge oder Doppelbesteuerungsabkommen dies vorsehen.
Wer ist im rechtlichen Sinne als Schuldner und als Gläubiger der Zinsabschlagsteuer definiert?
Rechtlich betrachtet ist der Schuldner der Zinsabschlagsteuer nach § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG die auszahlende oder gutgeschriebene Stelle, d. h. in der Regel das Kreditinstitut oder vergleichbare Unternehmen inländischer Rechtsträgerschaft. Der Gläubiger hingegen ist die natürliche oder juristische Person, zugunsten derer die Zinserträge gutgeschrieben oder ausgezahlt werden. Dabei trifft die Verpflichtung zum Steuerabzug ausschließlich die auszuzahlende Stelle, unabhängig davon, ob diese selbst Empfänger der Zinsen ist. Kommt die abzugsverpflichtete Stelle ihrer Pflicht nicht nach, kann das Finanzamt gemäß § 44 Abs. 5 EStG sowohl die auszuzahlende Stelle als auch letztlich den Gläubiger als Steuerschuldner in Anspruch nehmen.
Welche Fristen sind bei der Abführung und Anmeldung der Zinsabschlagsteuer zu beachten?
Für die Abführung und Anmeldung der Zinsabschlagsteuer bestehen klare gesetzliche Vorgaben nach § 45a EStG. Die einbehaltene Steuer ist jeweils spätestens bis zum 10. Tag nach Ablauf des Kalendermonats, in dem der Steuerabzug vorgenommen wurde, an das zuständige Finanzamt abzuführen. Die Anmeldung erfolgt elektronisch mittels amtlich vorgeschriebenen Datensatzes. Bei Verletzung dieser Fristen drohen steuerliche Säumniszuschläge sowie gegebenenfalls Bußgelder und strafrechtliche Sanktionen. Die Rechtzeitigkeit der Anmeldung und Abführung ist daher für den rechtssicheren Betrieb unerlässlich.
Wie ist die Zinsabschlagsteuer im internationalen Kontext geregelt?
Im internationalen Kontext ist die deutsche Zinsabschlagsteuer insbesondere dann von Bedeutung, wenn ausländische Zinsempfänger betroffen sind oder Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) einschlägig sind. Nach § 43b EStG kann eine vollständige oder teilweise Entlastung von der deutschen Zinsabschlagsteuer auf Erträge an ausländische Empfänger beansprucht werden, sofern entsprechende DBA dies vorsehen. Für die Geltendmachung dieser Entlastung sind umfangreiche Nachweise (Ansässigkeitsbescheinigung, steuerliche Registrierung etc.) zu erbringen, die meist vor der Auszahlung oder spätestens im Rahmen eines Erstattungsantrags einzureichen sind. Die Einhaltung dieser Vorschriften ist steuerrechtlich zwingend, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden und die Ansprüche des Heimatstaates oder Deutschlands rechtlich korrekt zu bedienen.