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Zerrüttung der Ehe


Begriff und rechtliche Bedeutung der Zerrüttung der Ehe

Die Zerrüttung der Ehe ist ein zentrales Rechtskonzept im deutschen Familienrecht. Sie stellt das grundlegende Kriterium für die Ehescheidung nach § 1565 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dar. Das sogenannte Zerrüttungsprinzip hat das Verschuldensprinzip im Jahr 1977 im Rahmen der Eherechtsreform abgelöst. Seither kommt es für die Auflösung einer Ehe nicht mehr vorrangig auf das Verschulden eines Ehepartners, sondern auf das Scheitern des ehelichen Zusammenlebens an, das als Zerrüttung bezeichnet wird.

Historische Entwicklung

Bis zum 30. Juni 1977 maß das Ehescheidungsrecht dem Verschulden eines Ehegatten entscheidende Bedeutung zu. Erst mit der Großen Eherechtsreform wurde das Verschuldensprinzip abgelöst und das Zerrüttungsprinzip als Maßstab für die Auflösung der Ehe eingeführt. Hintergrund dafür war die Anerkennung, dass eine nicht mehr funktionierende Ehe auch dann nicht fortbestehen sollte, wenn kein nachweisbares erhebliches Fehlverhalten eines Ehepartners vorlag.

Das Zerrüttungsprinzip im deutschen Scheidungsrecht

Gesetzliche Grundlagen

§ 1565 BGB – Scheitern der Ehe

Gemäß § 1565 Abs. 1 BGB kann eine Ehe geschieden werden, wenn sie gescheitert ist. Als gescheitert gilt eine Ehe, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten sie wiederherstellen. Diese Definition umschreibt die Zerrüttung der Ehe und löst damit das frühere Verschuldensprinzip ab.

Beweis der Zerrüttung

In der Praxis wird die Zerrüttung in der Regel dadurch nachgewiesen, dass die Ehepartner seit mindestens einem Jahr getrennt leben und beide die Scheidung beantragen oder der Antragsgegner der Scheidung zustimmt (§ 1566 BGB). Bei einer dreijährigen Trennungszeit wird unwiderlegbar vermutet, dass die Ehe zerrüttet ist.

Zerrüttung als Scheidungsgrund

Die Zerrüttung der Ehe ist der einzige vom Gesetz anerkannte Scheidungsgrund. Sie bewirkt, dass individuelle Ursachen – wie etwa Ehebruch, Gewalt oder sonstige Beeinträchtigungen – keine hinreichende rechtliche Voraussetzung zur Scheidung mehr darstellen müssen. Entscheidend ist allein das faktische Scheitern der ehelichen Lebensgemeinschaft.

Definition und Kriterien der Zerrüttung

Begriffliche Abgrenzung

Unter Zerrüttung versteht man den Zustand, in dem die Ehegatten ihre Lebensgemeinschaft nicht mehr in einer die Ehe prägenden Weise führen und nicht mehr damit zu rechnen ist, dass sie dies wieder tun werden. Zentrale Aspekte sind das Ende der häuslichen Gemeinschaft, mangelnde Kommunikation, tiefe Entfremdung und das Fehlen jeder gemeinsamen Zukunftsperspektive.

Maßgebliche Faktoren

Es gibt keine abschließende Liste von Umständen, die eine Zerrüttung begründen. Typische Beispiele sind:

  • Langjährige Trennung
  • Tiefe gegenseitige Entfremdung
  • Dauerhafte Kontaktverweigerung
  • Nachhaltige Störungen durch Vertrauensbruch
  • Erhebliche, nicht mehr lösbare Konflikte
  • Fehlende Bereitschaft zur Wiederherstellung der Lebensgemeinschaft

Das Gericht prüft im Scheidungsverfahren, ob ausreichend gewichtige Anhaltspunkte für das Scheitern der Ehe vorliegen.

Nachweis und Prüfung von Zerrüttung im Scheidungsverfahren

Trennungsjahr und unwiderlegbare Vermutung

Regelmäßig wird das Scheitern der Ehe durch das sogenannte Trennungsjahr nach § 1566 BGB nachgewiesen. Die Ehegatten müssen hierfür mindestens ein Jahr lang getrennt voneinander gelebt haben. Leben die Ehepartner bereits seit drei Jahren getrennt, wird unwiderlegbar vermutet, dass die Ehe zerrüttet ist, unabhängig davon, ob einer der Ehepartner diese Zerrüttung bestreitet.

Getrenntleben im rechtlichen Sinne

Für das Vorliegen des Getrenntlebens genügt es nicht, dass die Ehegatten lediglich physisch getrennt sind. Vielmehr müssen alle wesentlichen Aspekte des ehelichen Zusammenlebens – sowohl im wirtschaftlichen als auch im persönlichen Bereich – eingestellt sein. Ein Zusammenleben „unter einem Dach“ ist nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen als Getrenntleben im Rechtssinne möglich.

Härtefallregelung

In besonderen Ausnahmefällen kann eine Scheidung trotz Zerrüttung ausgeschlossen sein, wenn die Auflösung der Ehe für den Antragsgegner aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine schwere Härte bedeuten würde (§ 1568 BGB). Dies kommt nur in seltenen Ausnahmefällen, etwa bei schwerer Krankheit oder besonderer Schutzbedürftigkeit eines Ehegatten, zur Anwendung.

Zerrüttung und ihre Folgen

Bedeutung für Folgesachen

Die Feststellung der Zerrüttung durch das Gericht hat maßgebliche Auswirkungen auf sogenannte Folgesachen wie Unterhalt, Sorgerecht und Zugewinnausgleich. Zwar werden diese Rechtsfolgen im eigentlichen Verfahren gesondert behandelt, sie knüpfen jedoch häufig mittelbar am Vorliegen der Zerrüttung an.

Kein Verschuldensausgleich im Gesetz

Mit dem Zerrüttungsprinzip wurde der Verschuldensausgleich weitgehend aufgegeben. Fehlverhalten eines Ehegatten kann sich nur noch in Ausnahmefällen indirekt etwa beim Unterhalt oder Sorgerecht auswirken, wenn schwerwiegende Gründe wie z. B. Gewalt vorliegen.

Rechtsvergleich und Ausblick

Zerrüttungsprinzip im internationalen Kontext

Auch in anderen Rechtsordnungen wird die Zerrüttung der Ehe zunehmend als Scheidungsgrund anerkannt. Beispielsweise orientieren sich Österreich und die Schweiz seit längerem am Zerrüttungsprinzip. In einigen Ländern bestehen jedoch weiterhin Elemente des Verschuldensprinzips fort.

Bedeutung für das Familienrecht

Die Ersetzung des Verschuldensprinzips durch das Zerrüttungsprinzip hat das deutsche Familienrecht grundlegend modernisiert. Der Fokus auf das tatsächliche Scheitern der Ehe erleichtert das Scheidungsverfahren und trägt der Realität heutiger Partnerschaften Rechnung. Das Familiengericht ist gehalten, individuelle Umstände zu würdigen und auf eine einvernehmliche Lösung hinzuarbeiten.

Literatur und weiterführende Hinweise

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) §§ 1565 ff.
  • Ludwig, Die Entwicklung des Scheidungsrechts nach der Großen Eherechtsreform, FamRZ 1978
  • Schwab/Prütting, Familienrecht, § 7

Zusammenfassung:
Die Zerrüttung der Ehe ist im deutschen Recht das entscheidende Kriterium für die Scheidung. Sie liegt vor, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft nachhaltig beendet ist und keine Wiederherstellung zu erwarten ist. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind im BGB eindeutig geregelt. Das Zerrüttungsprinzip bildet heute die zentrale Grundlage jeder Scheidung im deutschen Familienrecht.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rolle spielt die Zerrüttung der Ehe im deutschen Scheidungsrecht?

Im deutschen Scheidungsrecht ist die Zerrüttung der Ehe der zentrale Anknüpfungspunkt für die Scheidung. Nach § 1565 BGB kann eine Ehe nur geschieden werden, wenn sie gescheitert ist, was regelmäßig angenommen wird, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mehr besteht und eine Wiederherstellung nicht zu erwarten ist (sog. Zerrüttungsprinzip). Anders als das frühere Schuldprinzip kommt es nicht darauf an, wer die Verantwortung für das Scheitern trägt, sondern maßgeblich darauf, ob objektiv keine Aussicht mehr auf eine Versöhnung und Fortsetzung der Ehe besteht. Die Zerrüttung wird vermutet, wenn die Eheleute mindestens ein Jahr voneinander getrennt leben und beide die Scheidung beantragen oder der andere Ehegatte zustimmt (einvernehmliche Scheidung). Besteht keine Einigkeit, ist grundsätzlich eine Trennungszeit von drei Jahren erforderlich, bevor das Gericht die unwiderlegbare Vermutung der Zerrüttung annimmt. Das Gericht prüft im Scheidungsverfahren die Zerrüttung, gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung kindeswohlbezogener oder außergewöhnlicher Härtefallregelungen.

Welche Nachweise verlangt das Familiengericht zur Feststellung der Zerrüttung der Ehe?

Zur Feststellung der Zerrüttung der Ehe verlangt das Familiengericht in der Regel keine expliziten Nachweise über das Innenleben der Ehe, sondern bezieht sich auf die Angaben der Ehegatten. Wichtig ist der Nachweis des Getrenntlebens, der häufig durch übereinstimmende Erklärungen beider Eheleute erfolgt. In der Praxis bedeutet dies, dass die Partner typischerweise darlegen, seit wann sie getrennt leben, getrennte Haushalte führen oder zumindest im gemeinsamen Haushalt keinen gemeinsamen Wirtschafts- und Versorgungsgemeinschaft mehr bilden. Im umstrittenen Fall oder bei Bestreiten der Trennungsdauer können Zeugen benannt werden oder anderweitige Belege wie z.B. Ummeldebestätigungen, Schriftwechsel oder Haushaltsabrechnungen vorgelegt werden. In Einzelfällen kann das Gericht Ermittlungen anordnen, insbesondere wenn ein Ehegatte die Trennung leugnet oder einen Härtefall geltend macht.

Können auch vorübergehende Versöhnungsversuche während der Trennungszeit die Zerrüttung beeinflussen?

Vorübergehende Versöhnungsversuche während der Trennungszeit beeinflussen die Annahme der Zerrüttung der Ehe grundsätzlich nicht. Gesetzlich ist geregelt, dass kurzzeitige Versuche, ein Zusammenleben wiederherzustellen („Versöhnungsversuch“), die Trennungsdauer nicht unterbrechen, sofern diese nicht länger als drei Monate andauern. Ziel ist es, den Ehegatten die Möglichkeit zur Überprüfung einer Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft zu geben, ohne dass dadurch die Voraussetzungen für die Scheidung erschwert oder verzögert werden. Dauert der Versöhnungsversuch jedoch länger als drei Monate, beginnt die Trennungszeit erneut, sofern die Lebensgemeinschaft tatsächlich (wenn auch nur vorübergehend) wieder aufgenommen wurde.

Welche Bedeutung hat das Verschulden am Scheitern der Ehe für die Scheidung?

Im aktuellen deutschen Eherecht spielt das Verschulden am Scheitern der Ehe keine Rolle mehr für die Frage der Scheidbarkeit. Seit der Reform des Ehescheidungsrechts im Jahr 1977 gilt das Zerrüttungsprinzip, sodass das Gericht keinen Ehegatten als „Schuldigen“ bestimmen muss. Das frühere Schuldprinzip wurde abgeschafft, weil es zu langwierigen, belastenden Verfahren führte. Gleichwohl kann ein Verschulden am Scheitern der Ehe im Rahmen anderer Scheidungsfolgen – etwa bei Unterhaltsansprüchen oder beim Versorgungsausgleich – noch eine Rolle spielen, beispielsweise dann, wenn einem Ehegatten grober Undank, Gewalt oder Verletzung der Unterhaltspflichten nachgewiesen wird.

Gibt es Ausnahmen vom Zerrüttungsprinzip bei der Scheidung?

Ausnahmen vom Zerrüttungsprinzip existieren nur in sehr engen Grenzen im Zusammenhang mit sogenannten „Härtefallscheidungen“. Gemäß § 1565 Abs. 2 BGB kann eine Ehe auch vor Ablauf des eigentlich vorgesehenen Trennungsjahres geschieden werden, wenn dem Antragsteller das Festhalten an der Ehe aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, nicht zugemutet werden kann. Dies kann beispielsweise bei schweren Gewalt- oder Misshandlungsfällen, schweren Suchterkrankungen oder schwerwiegenden Straftaten gegen den Ehepartner in Betracht kommen. In diesen Fällen prüft das Gericht besonders sorgfältig, ob der Härtefall tatsächlich vorliegt und die sofortige Scheidung unausweichlich erscheint.

Welche Folgen hat die Feststellung der Zerrüttung für andere familienrechtliche Verfahren?

Die Feststellung der Zerrüttung der Ehe hat unmittelbare Auswirkungen auf das Scheidungsurteil und legt damit den Grundstein für die Entscheidung über etwaige Scheidungsfolgen. Im Zusammenhang mit dem Versorgungsausgleich, dem nachehelichen Unterhalt, Sorgerechts- und Umgangsverfahren sowie bei der Regelung des Zugewinnausgleichs bildet die Scheidung wegen Zerrüttung die Grundlage für Folgeentscheidungen. Das Verschulden am Scheitern der Ehe spielt in diesen Verfahren – mit wenigen Ausnahmen (z.B. Verwirkung des Unterhalts) – keine Rolle. Die Feststellung der Zerrüttung ist somit der maßgebliche Auftakt für das gesamte gerichtliche und außergerichtliche Trennungs- und Scheidungsfolgenregime.