Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Verwaltungsrecht»Wirtschaftssicherstellungsgesetz

Wirtschaftssicherstellungsgesetz


Begriff und Zielsetzung des Wirtschaftssicherstellungsgesetzes

Das Wirtschaftssicherstellungsgesetz (WiSiG) ist ein zentrales deutsches Gesetz im Bereich der zivilen Notfallvorsorge und dient dazu, die Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft im Falle von Spannungen und Verteidigungsfällen sicherzustellen. Es bildet den rechtlichen Rahmen für staatliche Eingriffe in die wirtschaftliche Ordnung in außergewöhnlichen Krisensituationen. Das WiSiG erlaubt es der Bundesregierung, befristet und zielgerichtet Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Wirtschaft und Versorgung einzuleiten.

Rechtsgrundlagen und Anwendungsbereich

Gesetzliche Verankerung

Das Wirtschaftssicherstellungsgesetz wurde erstmals 1968 im Zuge der Notstandsgesetze geschaffen und ist heute wesentlicher Bestandteil der deutschen Gesetzgebung zur Notfallvorsorge. Es findet primär Anwendung in Phasen drohender oder eingetretener außergewöhnlicher Gefährdungslagen, insbesondere während eines Verteidigungsfalls nach Art. 115a ff. GG (Grundgesetz).

Persönlicher und sachlicher Geltungsbereich

Das Gesetz richtet sich an natürliche und juristische Personen, Unternehmen und Einrichtungen, die für die Versorgung mit lebens- und verteidigungsnotwendigen Gütern, Dienstleistungen oder Infrastrukturen relevant sind. Es betrifft sämtliche Wirtschaftszweige, darunter Energie, Ernährung, Gesundheit, Verkehr und Kommunikation.

Verhältnis zu anderen Rechtsvorschriften

Das WiSiG steht in engem Zusammenhang mit weiteren Gesetzen zur Krisenvorsorge, darunter das Bundesleistungsgesetz (BLG), das Bevölkerungs- und Katastrophenschutzrecht sowie zahlreiche Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften auf Bundes- und Landesebene. Es ergänzt das Grundgesetz um spezielle Handlungsbefugnisse der Bundesregierung.

Inhalt und Regelungsbereiche des Wirtschaftssicherstellungsgesetzes

Sicherstellung der Versorgung

Das Gesetz ermächtigt die Bundesregierung, zur Sicherstellung der Ernährung, Energieversorgung, Gesundheitsfürsorge und Versorgung der Bevölkerung umfassende Maßnahmen anzuordnen. Dies umfasst unter anderem das Recht zur Vorratshaltung, zur Beschlagnahme von Unternehmen oder Einrichtungen sowie zur Kontrolle der Produktion und Verteilung existentieller Güter.

Regelungen zur Vorratshaltung

Durch das WiSiG kann die Bundesregierung Vorschriften zur Bildung und zum Einsatz von Wirtschaftsvorräten erlassen. Hierbei werden Unternehmen und Einzelpersonen verpflichtet, bestimmte Güter in festgelegtem Umfang vorzuhalten.

Eingriffe in Lieferketten und Vertrieb

Um Versorgungsengpässe zu vermeiden oder zu beheben, sieht das Gesetz weitgehende Möglichkeiten vor, Lieferketten zu steuern, den Vertrieb von Gütern zu reglementieren und gegebenenfalls in Preise oder Konditionen einzugreifen.

Unternehmensbezogene Maßnahmen

Anordnungen und Beschlagnahme

Das WiSiG ermöglicht im Verteidigungsfall und bei entsprechenden Notlagen die Anordnung von Produktionsumstellungen, Zuteilungen von Rohstoffen sowie die vorübergehende Beschlagnahmung von Unternehmen, Betriebsanlagen und Fahrzeugen, um kriegswichtige Bedürfnisse zu decken.

Pflicht zur Mitwirkung

Unternehmen und Einrichtungen können zur Mitwirkung an Sicherstellungsmaßnahmen verpflichtet werden. Dies schließt die Bereitstellung von Informationen, die Zusammenarbeit mit Behörden und die Ausführung spezifischer Anordnungen ein.

Preisregelungen und Maßnahmen zur Marktstabilisierung

Im Rahmen des Gesetzes ist es der Bundesregierung gestattet, Preiskontrollen für lebenswichtige Güter und Dienstleistungen festzulegen, um Wucher, spekulativen Preisanstieg und Versorgungslücken abzuwehren.

Rechtsverfahren und Rechtsschutz

Verwaltungsverfahren

Die im Rahmen des Wirtschaftssicherstellungsgesetzes erlassenen Maßnahmen erfolgen in der Regel durch Verwaltungsakte der zuständigen staatlichen Behörden. Es gelten die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG), soweit das WiSiG keine abweichenden Regelungen trifft.

Rechtsschutzmöglichkeiten

Gegen Maßnahmen nach dem WiSiG steht der betroffenen Person der Verwaltungsrechtsweg offen. Klagen und Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz können vor den Verwaltungsgerichten erhoben werden. Einschränkungen der Grundrechte sind im Rahmen des Gesetzes ausdrücklich vorgesehen, jedoch in Umfang und Dauer durch das Bundesverfassungsgericht überprüfbar.

Bedeutung im Verfassungsrecht und Grundrechtseingriffe

Grundrechtseingriffe

Das Gesetz ermöglicht erhebliche Eingriffe in Grundrechte, insbesondere in die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG), die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Diese Eingriffe sind jedoch zeitlich und sachlich durch den Anwendungsfall „außergewöhnliche Notlage“ begrenzt und müssen verhältnismäßig sein.

Kontrolle durch Bundesverfassungsgericht und Bundestag

Die Maßnahmen nach dem WiSiG unterliegen der parlamentarischen Kontrolle sowie, im Fall von Grundrechtseingriffen, der richterlichen Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht.

Praktische Anwendung und Bedeutung

Historische Anwendung

Das Wirtschaftssicherstellungsgesetz wurde in der Bundesrepublik Deutschland bislang nicht im Rahmen eines Verteidigungsfalls umfassend angewendet, kam jedoch in modifizierter Form während besonderer Versorgungsengpässe (z. B. Ölkrise 1973) zum Einsatz.

Bedeutung in der Gegenwart

Mit Blick auf neue Bedrohungsszenarien, wie hybride Kriegsführung, Cyberangriffe sowie Pandemien und Naturkatastrophen, wächst die praktische Bedeutung des WiSiG als Teil der nationalen Sicherheitsarchitektur. Es bildet einen wichtigen Baustein der gesamtstaatlichen Krisenprävention und Reaktionsfähigkeit.

Zusammenfassung

Das Wirtschaftssicherstellungsgesetz ist ein Instrument zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit und Stabilität der deutschen Wirtschaft im Krisenfall. Es gewährt der Bundesregierung umfangreiche Befugnisse zur Steuerung und Sicherstellung wirtschaftlicher Abläufe, sieht dabei jedoch strikte rechtliche und zeitliche Vorgaben zum Schutz der grundlegenden Rechte und zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen vor. Das Gesetz stellt damit einen zentralen Pfeiler der gesetzlichen Notfall- und Krisenvorsorge in Deutschland dar.

Häufig gestellte Fragen

Welche Zuständigkeiten haben die Behörden nach dem Wirtschaftssicherstellungsgesetz?

Die Zuständigkeiten nach dem Wirtschaftssicherstellungsgesetz (WiSiG) sind auf verschiedene Behörden des Bundes und der Länder verteilt. Grundsätzlich ist der Bund federführend für Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen im Verteidigungsfall oder Krisensituationen. Die Ausführung obliegt aber nach Art. 83 GG grundsätzlich den Ländern, sofern das Gesetz keine abweichenden Regelungen trifft. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) übt dabei die oberste Bundesaufsicht aus und kann über Rechtsverordnungen und Einzelanordnungen tätig werden. Die Länder sind wiederum für die Durchführung und Überwachung zuständig und können hierzu nachgeordneten Behörden Aufgaben übertragen. Bei konkreten Maßnahmen können die örtlichen Behörden beispielsweise zur Umsetzung konkreter Lagerhaltungs- oder Bewirtschaftungsbefehle herangezogen werden. Zudem koordiniert der Bund in Zusammenarbeit mit den Ländern auch die Durchführung von Übungen, um eine effiziente Wirtschaftslenkung sicherzustellen.

Wie verläuft das Verfahren zur Anordnung wirtschaftslenkender Maßnahmen nach dem Wirtschaftssicherstellungsgesetz?

Die Anordnung wirtschaftslenkender Maßnahmen erfolgt nach Ablauf eines im Gesetz definierten Verwaltungsverfahrens. Zunächst prüft die zuständige Behörde die Notwendigkeit einer Maßnahme, wobei die Voraussetzungen streng rechtlich geprüft werden müssen, insbesondere im Hinblick auf die Gefahr einer erheblichen Versorgungskrise oder einen Verteidigungsfall. Liegen die Voraussetzungen vor, kann das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, gegebenenfalls im Benehmen mit anderen Ressorts oder mit Zustimmung des Bundeskabinetts, Rechtsverordnungen oder Einzelmaßnahmen erlassen. Diese müssen die gesetzlichen Mindestanforderungen an Verhältnismäßigkeit, Bestimmtheit und Rechtssicherheit erfüllen. Betroffenen Unternehmen und Bürgern steht grundsätzlich ein Recht auf Anhörung und Widerspruch zu, es sei denn, das Gesetz erlaubt in Notfällen eine sofortige Vollziehung. Maßnahmen können auch über die Länderbehörden im Auftrag des Bundes erfolgen. Gegen die Anordnungen ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

Inwieweit beschränkt das Wirtschaftssicherstellungsgesetz Grundrechte?

Das Wirtschaftssicherstellungsgesetz sieht erhebliche Eingriffe in Grundrechte vor, insbesondere in die Eigentumsfreiheit (Art. 14 GG), die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und gegebenenfalls in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 GG). Dies geschieht unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Maßnahmen wie Bewirtschaftung, Vorratshaltung oder Produktionslenkung greifen unmittelbar in die unternehmerische Freiheit privater Betriebe ein. Entsprechende Eingriffe sind durch Gesetz oder auf Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung möglich, wobei jede Einschränkung rechtlich klar definiert, notwendig und geeignet sein muss, um das gewünschte Ziel – die Sicherstellung der Wirtschaft – zu erreichen. Das Gesetz sieht zudem Regelungen für Entschädigungen bei Enteignungen oder unzumutbaren Belastungen vor. Die Rechtmäßigkeit der Eingriffe unterliegt, wie alle exekutiven Maßnahmen, der gerichtlichen Kontrolle.

Welche Rechtsmittel stehen Betroffenen gegen Maßnahmen nach dem Wirtschaftssicherstellungsgesetz zur Verfügung?

Betroffene können gegen Verwaltungsakte und wirtschaftslenkende Maßnahmen, die nach dem Wirtschaftssicherstellungsgesetz erlassen wurden, die allgemeinen Rechtsschutzmöglichkeiten des Verwaltungsrechtswegs in Anspruch nehmen. Dazu gehören zunächst Widerspruch und, im Falle seiner Ablehnung oder Nichtabhilfe, die Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht. In besonders eilbedürftigen Fällen können Eilanträge gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt werden. Einzelne gesetzliche Regelungen können im Verteidigungsfall aber Vorbehaltsregelungen enthalten, durch die die Anfechtung oder aufschiebende Wirkung ausgesetzt oder eingeschränkt ist. Auch Schadensersatzansprüche bei rechtswidrig erlittenen Nachteilen können vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden. Grundsätzlich bleibt der Zugang zur gerichtlichen Kontrolle gewährleistet.

Welche Entschädigungsregelungen gibt es nach dem Wirtschaftssicherstellungsgesetz?

Das Wirtschaftssicherstellungsgesetz enthält explizite Entschädigungsregelungen für Fälle, in denen durch staatliche Maßnahmen Vermögensnachteile oder Enteignungen entstehen. Entschädigungen werden sowohl bei unmittelbaren Eingriffen, wie der Inanspruchnahme von Sachgütern oder Betriebsanlagen, als auch bei mittelbaren wirtschaftlichen Lasten, wie Produktionsdrosselungen oder Umsatzausfällen, gewährt, sofern diese tatsächlich und kausal auf Maßnahmen des WiSiG zurückzuführen sind. Die Höhe der Entschädigung bemisst sich grundsätzlich nach dem Zeitwert der beeinträchtigten Güter oder dem nachweisbaren wirtschaftlichen Schaden. Das Gesetz regelt das Verwaltungsverfahren zur Geltendmachung, wobei zunächst ein Verwaltungsverfahren bei der zuständigen Behörde zu durchlaufen ist. Kommt es zu keiner Einigung, besteht ein Klagerecht vor ordentlichen Gerichten. Für die Berechnung und Gewährung von Entschädigungen gelten die Vorgaben der einschlägigen Vorschriften des WiSiG sowie subsidiär die allgemeinen Regelungen des Staatshaftungsrechts.

Wie verhält sich das Wirtschaftssicherstellungsgesetz zu europäischen Rechtsvorgaben?

Das Wirtschaftssicherstellungsgesetz ist grundsätzlich nationales Recht. Seine Anwendung darf jedoch nicht im Widerspruch zum Europarecht, insbesondere zu den Grundfreiheiten des Binnenmarktes und zum Wettbewerbsrecht der EU stehen. Die Bundesregierung muss bei der Erlass von Rechtsverordnungen und Maßnahmen nach dem WiSiG die Vorgaben des AEUV, etwa Beschränkungen des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs, das Beihilferecht und das Kartellrecht, berücksichtigen. In besonderen Ausnahmefällen, wie der Gefährdung grundlegender Sicherheitsinteressen gemäß Art. 36 oder Art. 52 AEUV, sind Einschränkungen zulässig, diese müssen jedoch verhältnismäßig und erforderlich sein. Zudem bedürfen Maßnahmen mit grenzüberschreitender Wirkung gegebenenfalls einer Notifizierung oder Abstimmung mit der Europäischen Kommission.

Gibt es spezielle Regelungen zum Datenschutz nach dem Wirtschaftssicherstellungsgesetz?

Im Rahmen wirtschaftslenkender Maßnahmen nach dem WiSiG werden in der Regel auch personenbezogene und unternehmensbezogene Daten verarbeitet. Das Gesetz sieht daher spezifische Verfahrensregeln zum Datenschutz vor, die sich an der DSGVO und an nationalen Datenschutzvorschriften orientieren. Eine Verarbeitung ist nur zulässig, soweit sie zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben erforderlich und angemessen ist. Die Behörden sind verpflichtet, die Vertraulichkeit und Integrität der Daten zu wahren, insbesondere bei der Übermittlung an andere Behörden oder im Rahmen von Kontrollen und Anordnungen. Betroffenen stehen die üblichen Rechte auf Auskunft, Berichtigung, Löschung und Widerspruch zu, soweit die Sicherstellungsaufgaben dem nicht entgegenstehen. Complianz-Prüfungen und Datenschutz-Folgeabschätzungen können je nach Sensibilität der Maßnahmen zusätzlich vorgeschrieben sein.