Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Gesellschaftsrecht»Wirtschaftliche Mitbestimmung

Wirtschaftliche Mitbestimmung


Begriff und Bedeutung der Wirtschaftlichen Mitbestimmung

Die wirtschaftliche Mitbestimmung bezeichnet das Recht von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, über Organe und Gremien an Unternehmensentscheidungen mitzuwirken und Einfluss auf die wirtschaftlichen Angelegenheiten von Unternehmen zu nehmen. Sie ist ein zentrales Element des deutschen Arbeitsrechts und hat wesentliche Bedeutung bei der Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Arbeitgeberseite und Arbeitnehmervertretungen.

Wirtschaftliche Mitbestimmung umfasst insbesondere die Beteiligung an unternehmerischen Entscheidungsprozessen, die für die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens maßgeblich sind. Sie findet ihren Ausdruck insbesondere in der Entsendung von Arbeitnehmervertreterinnen und -vertretern in die Aufsichtsräte großer Unternehmen sowie in der Information, Anhörung und Mitwirkung bei betrieblichen Veränderungsprozessen.

Historische Entwicklung

Die Entstehung der wirtschaftlichen Mitbestimmung ist eng mit der Geschichte der industriellen Beziehungen in Deutschland verknüpft. Erste Formen der Mitbestimmung wurden bereits mit der Gewerbeordnung von 1869 geschaffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gewann das Konzept durch das Montanmitbestimmungsgesetz 1951 und später das Mitbestimmungsgesetz 1976 erhebliche Bedeutung und erhielt eine gesetzliche Grundlage.

Rechtsgrundlagen der Wirtschaftlichen Mitbestimmung in Deutschland

Mitbestimmung auf Unternehmensebene

Montanmitbestimmungsgesetz (MontanMitbestG)

Das Montanmitbestimmungsgesetz vom 21. Mai 1951 gilt für Unternehmen des Bergbaus und der eisen- und stahlerzeugenden Industrie mit mehr als 1.000 Beschäftigten. Es sieht eine paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat vor, wobei Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter sowie Aktionärsvertreter in gleicher Zahl im Aufsichtsrat vertreten sind. Zusätzlich ist im Montanbereich eine neutrale Person als Vorsitzende/r vorgesehen.

Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) 1976

Das Mitbestimmungsgesetz vom 4. Mai 1976 betrifft Kapitalgesellschaften ab einer Größe von 2.000 Beschäftigten außerhalb des Montansektors. Hier erfolgt ebenfalls eine Besetzung des Aufsichtsrats durch Arbeitnehmer- und Anteilseignervertreter. Allerdings besteht die Besonderheit, dass im Falle eines Patts im Aufsichtsrat der Vorsitzende, der in aller Regel ein Vertreter der Anteilseigner ist, das Entscheidungsrecht innehat.

Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG)

Das Drittelbeteiligungsgesetz von 2004 verpflichtet Unternehmen mit mehr als 500 und weniger als 2.000 inländischen Beschäftigten, ein Drittel der Aufsichtsratssitze mit Arbeitnehmervertreterinnen und -vertretern zu besetzen.

Mitbestimmung auf Betriebsebene

Wirtschaftliche Mitbestimmung ist von der betrieblichen Mitbestimmung durch den Betriebsrat zu unterscheiden, die hauptsächlich durch das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) geregelt ist. Während der Betriebsrat umfassende Beteiligungsrechte im sozialen, personellen und teils wirtschaftlichen Bereich hat, konzentriert sich die wirtschaftliche Mitbestimmung insbesondere auf die Angelegenheiten, die die unternehmerische Gesamtsteuerung betreffen.

Wirtschaftsausschuss (§§ 106 ff. BetrVG)

Gemäß §§ 106 ff. BetrVG hat der Betriebsrat in Unternehmen mit mehr als 100 Arbeitnehmern das Recht, einen Wirtschaftsausschuss zu bilden. Der Wirtschaftsausschuss ist darauf ausgerichtet, über wirtschaftliche Angelegenheiten des Unternehmens zu beraten und Informationen gegenüber dem Betriebsrat bereitzustellen. Er wirkt allerdings nicht unmittelbar an Entscheidungen mit, sondern hat ein beratendes und informierendes Mandat.

Europarechtliche Einflüsse

Mit der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments („Übernahme-Richtlinie“) sowie der Richtlinie 2009/38/EG („Europäischer Betriebsrat“) gewinnen europäische Regelungen zunehmend Einfluss auf die wirtschaftliche Mitbestimmung. Die Mitwirkung bei grenzüberschreitenden Um- und Restrukturierungen sowie bei der Bildung von Europäischen Gesellschaften (SE) erfolgt auf Basis des SE-Beteiligungsgesetzes (SEBG).

Formen und Organe der Wirtschaftlichen Mitbestimmung

Aufsichtsrat als Organ der Mitbestimmung

Im Bereich der Mitbestimmung auf Unternehmensebene ist der Aufsichtsrat das zentrale Organ. Er hat insbesondere Überwachungs- und Kontrollfunktionen gegenüber dem Vorstand bzw. der Geschäftsführung und ist in bestimmten Angelegenheiten mit Zustimmungsrechten ausgestattet. Die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat kann durch Direktwahl oder Delegationen erfolgen, die Anzahl und Auswahl der Vertreterinnen und Vertreter richtet sich nach der Unternehmensgröße und der jeweiligen gesetzlichen Grundlage.

Wirtschaftsausschuss und Betriebsrat

Der Wirtschaftsausschuss dient als fachliches Gremium zur Beratung wirtschaftlicher Angelegenheiten und ist ein Bindeglied zwischen der Unternehmensleitung und dem Betriebsrat. Der Betriebsrat wiederum hat Rechte auf Information und Beratung sowie Mitbestimmungsrechte in den durch das BetrVG festgelegten Bereichen, darunter bei Betriebsänderungen (z. B. Stilllegung, Verlegung von Betrieben oder Betriebsteilen).

Weitere Mitbestimmungsformen

Insbesondere in Unternehmen im öffentlichen oder gemeinnützigen Bereich existieren darüber hinaus spezielle Regelungen zur wirtschaftlichen Mitbestimmung, etwa durch Mitarbeitervertretungen.

Umfang und Grenzen der Wirtschaftlichen Mitbestimmung

Inhaltliche Reichweite

Die Mitbestimmung auf wirtschaftlicher Ebene erstreckt sich auf wesentliche unternehmerische Entscheidungen, wie beispielsweise:

  • Betriebsschließungen und -verlagerungen
  • Zusammenschlüsse, Spaltungen oder Umwandlungen von Unternehmen
  • Investitionsentscheidungen, Rationalisierungen und Restrukturierungen
  • Grundsatzentscheidungen in Finanz- und Personalfragen
  • Erstellung und Überwachung des Jahresabschlusses sowie der Unternehmensplanung

Ausschluss- und Beschränkungstatbestände

Nicht alle Entscheidungen sind mitbestimmungspflichtig. So ist der unternehmerische Kernbereich, etwa die unternehmerische Initiative und Leitung, geschützt und unterliegt keinem Mitbestimmungsrecht im engeren Sinne. In einigen Fällen können Mitbestimmungsrechte durch Ausgliederung oder Umstrukturierung ausgehebelt werden (sog. Mitbestimmungsflucht).

Verfahren und Durchsetzung der Mitbestimmungsrechte

Die Wahrnehmung wirtschaftlicher Mitbestimmungsrechte erfolgt regelmäßig in formalisierten Verfahrenswegen. So werden Sitzungen des Aufsichtsrats oder Wirtschaftsausschusses protokolliert, Rechte auf Auskunft und Einsichtnahme durchgesetzt. Bei Streitigkeiten über Art und Umfang der Mitbestimmungsrechte sind die Arbeitsgerichte für die Entscheidung zuständig.

Bedeutung und Ziele der Wirtschaftlichen Mitbestimmung

Die wirtschaftliche Mitbestimmung verfolgt das Ziel, die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Wirtschaftsunternehmen zu sichern, die demokratische Willensbildung im Unternehmen zu fördern und die Sozialverträglichkeit betrieblicher Entscheidungen sicherzustellen. Sie trägt zur sozialen Marktwirtschaft und zur Akzeptanz und Stabilität im betrieblichen wie gesellschaftlichen Raum bei.

Internationale Bezüge und Vergleiche

Die wirtschaftliche Mitbestimmung in Deutschland gilt im internationalen Vergleich als besonders ausgeprägt. Während ähnliche Mitwirkungsrechte in anderen europäischen Ländern existieren, ist das deutsche Modell der paritätischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat ein Alleinstellungsmerkmal.

Literatur und Weiterführende Informationen

  • Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (MitbestG)
  • Montanmitbestimmungsgesetz (MontanMitbestG)
  • Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG)
  • Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
  • SE-Beteiligungsgesetz (SEBG)
  • Richtlinien der Europäischen Union zur Arbeitnehmermitbestimmung

Dieser Artikel bietet eine umfassende und strukturierte Darstellung des Begriffs der wirtschaftlichen Mitbestimmung und beleuchtet dabei alle rechtlichen Dimensionen, die für die Praxis und das Verständnis dieses zentralen Konzepts im deutschen Arbeits- und Unternehmensrecht relevant sind.

Häufig gestellte Fragen

Welche Organe sind nach dem deutschen Recht für die wirtschaftliche Mitbestimmung im Unternehmen verantwortlich?

Im deutschen Recht sind insbesondere der Aufsichtsrat sowie der Wirtschaftsausschuss maßgeblich für die wirtschaftliche Mitbestimmung in Unternehmen mitbestimmter Rechtsform verantwortlich. Nach dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) von 1976 und dem Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) sind Arbeitnehmerinnen in Unternehmen ab einer bestimmten Größe (ab 500 Arbeitnehmerinnen beim DrittelbG und ab 2000 beim MitbestG) durch Vertreterinnen im Aufsichtsrat beteiligt. Der Aufsichtsrat überwacht und berät die Geschäftsführung und hat insbesondere bei wichtigen wirtschaftlichen Entscheidungen, etwa bei der Feststellung des Jahresabschlusses oder großen Investitionen, ein Mitspracherecht. Der Wirtschaftsausschuss, der in Unternehmen mit mehr als 100 Arbeitnehmerinnen zu bilden ist (§ 106 BetrVG), informiert und berät den Betriebsrat über wirtschaftliche Angelegenheiten des Unternehmens. Dieses Gremium hat umfassende Informationsrechte und ermöglicht damit eine frühzeitige Einflussnahme auf wirtschaftliche Entscheidungen der Unternehmensleitung.

In welchen Angelegenheiten besteht ein zwingendes Beteiligungsrecht der Arbeitnehmer im Rahmen der wirtschaftlichen Mitbestimmung?

Zwingende Beteiligungsrechte im Bereich der wirtschaftlichen Mitbestimmung bestehen etwa bei der Beratung und Anhörung zu grundlegenden unternehmerischen Maßnahmen, wie Betriebsänderungen (z.B. Stilllegung, Verlagerung, Zusammenlegung von Betrieben), Restrukturierungen, Massenentlassungen sowie wichtigen Investitionen. Insbesondere ist nach § 111 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) bei geplanten Betriebsänderungen der Betriebsrat frühzeitig und umfassend zu unterrichten. Der Betriebsrat kann dann mit dem Arbeitgeber einen Interessenausgleich sowie einen Sozialplan verhandeln, der die Folgen für die Beschäftigten abmildern soll. Über den Wirtschaftsausschuss werden dem Betriebsrat darüber hinaus regelmäßig Informationen zu Absatzlage, Produktions- und Investitionsplanung, Rationalisierungsvorhaben, Umweltschutzmaßnahmen und ähnlichen wirtschaftlichen Vorgängen zur Verfügung gestellt. Bei Missachtung dieser Rechte können die Arbeitnehmervertretungen entsprechende Beschwerdemechanismen nutzen und unter Umständen Verletzungstatbestände rechtlich verfolgen lassen.

Welche Rolle spielt der Wirtschaftsausschuss im Rahmen der wirtschaftlichen Mitbestimmung?

Der Wirtschaftsausschuss dient gem. § 106 BetrVG als verbindendes Informationsgremium zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat für alle wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens. Er muss monatlich zusammentreten und ist von der Unternehmensleitung umfassend und rechtzeitig über die wirtschaftliche Lage, die Entwicklung der Produktion und Absatz, die Investitionen, Rationalisierungsvorhaben, etc. zu informieren. Seine Hauptfunktion besteht darin, diese Informationen zu analysieren, zu bewerten und an den Betriebsrat weiterzugeben, damit dieser seine betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte fundiert ausüben kann. Der Wirtschaftsausschuss ist kein Beschlussorgan, sondern Beratungs- und Informationsorgan, dessen Wirksamkeit wesentlich von der Bereitschaft der Geschäftsleitung zur transparenten Zusammenarbeit abhängt. Rechtsverstöße gegen die Informationspflichten des Arbeitgebers können zu Unterlassungsansprüchen und Beschlussverfahren vor dem Arbeitsgericht führen.

Wie ist die Mitbestimmung im Aufsichtsrat gesetzlich geregelt?

Die Mitbestimmung im Aufsichtsrat ist in Deutschland durch verschiedene Gesetze geregelt, insbesondere das Mitbestimmungsgesetz 1976 (MitbestG), das Montan-Mitbestimmungsgesetz 1951 und das DrittelbG. In Unternehmen mit mehr als 2.000 Beschäftigten werden nach dem MitbestG die Sitze im Aufsichtsrat zu gleichen Teilen zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern aufgeteilt, wobei der oder die Vorsitzende aus dem Kreis der Anteilseigner im Zweifelsfall das Entscheidungsrecht (Stichentscheid) innehat. In Unternehmen mit 500 bis 2.000 Beschäftigten sieht das DrittelbG vor, dass ein Drittel der Aufsichtsratssitze Arbeitnehmervertretern zusteht. Die Wahl der Arbeitnehmervertreter erfolgt entweder direkt durch die Arbeitnehmer oder über Delegierte. Der Aufsichtsrat entscheidet über grundlegende wirtschaftliche und personelle Angelegenheiten der Gesellschaft, z. B. die Bestellung und Abberufung des Vorstandes sowie die Billigung großer rechtsgeschäftlicher Maßnahmen.

Welche Unterschiede bestehen zwischen der Mitbestimmung nach Betriebsverfassungsgesetz und Mitbestimmungsgesetz?

Die Beteiligung nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) bezieht sich überwiegend auf den Betrieb und dessen Organisation sowie auf soziale, personelle und teilweise auch wirtschaftliche Angelegenheiten durch Organe wie den Betriebsrat und den Wirtschaftsausschuss. Diese Mitbestimmung ist also in erster Linie betriebsbezogen und auf die unmittelbaren Belange der Arbeitnehmer im Betrieb gerichtet. Das Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) hingegen regelt die Beteiligung der Arbeitnehmer auf Unternehmensebene, insbesondere durch die gleichgewichtige Besetzung des Aufsichtsrates mit Arbeitnehmer- und Anteilseignervertretern bei Kapitalgesellschaften bestimmter Größe. Hierdurch soll eine Beteiligung an wesentlichen wirtschaftlichen Entscheidungen des Unternehmens sichergestellt werden. Somit liegt der zentrale Unterschied in der Hierarchieebene: Die betriebliche (BetrVG) und die unternehmensbezogene (MitbestG) Mitbestimmung sind eigenständige, einander ergänzende Beteiligungssysteme.

Welche Rechtsfolgen ergeben sich bei Missachtung der Mitbestimmungsrechte im Bereich der wirtschaftlichen Mitbestimmung?

Die Missachtung von Mitbestimmungsrechten kann sowohl zivil- als auch arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Werden insbesondere Auskunfts- und Informationspflichten gegenüber dem Betriebsrat oder Wirtschaftsausschuss verletzt, können diese Gremien Beschlussverfahren beim Arbeitsgericht einleiten. In einigen Fällen drohen dem Arbeitgeber Ordnungsgelder (§ 23 Abs. 3 BetrVG). Bei unterlassener oder rechtswidriger Mitbestimmung im Aufsichtsrat, zum Beispiel durch fehlerhafte Besetzung oder Wahlmanipulation, sind die jeweiligen Aufsichtsratsbeschlüsse oft nichtig oder anfechtbar. Darüber hinaus können Betriebsvereinbarungen oder Sozialpläne, die ohne die erforderliche Mitbestimmung zustande kommen, unwirksam sein. In besonders gravierenden Fällen kann das Amtsgericht auf Antrag sogar Mitglieder des Aufsichtsrats abberufen oder Neuwahlen anordnen.