Definition und rechtlicher Rahmen des Wilden Streiks
Ein wilder Streik bezeichnet in Deutschland und in anderen Rechtssystemen einen Streik, der ohne die erforderliche Beteiligung und Zustimmung einer zuständigen Gewerkschaft durchgeführt wird. Im Unterschied zu einem sogenannten tariflich organisierten Streik erfolgt ein wilder Streik spontan, oftmals aus dem unmittelbaren Kreis der Arbeitnehmer eines Betriebs heraus und ohne Schlichtungsverfahren oder eine offizielle Arbeitskampfankündigung. Wilder Streik ist daher im deutschen Arbeitsrecht ein zentraler Begriff für Arbeitsniederlegungen außerhalb der regulären tarifrechtlichen und gewerkschaftlichen Verfahren.
Historische Entwicklung und Einordnung
Ursprung und Verbreitung
Wilde Streiks entstanden seit dem 19. Jahrhundert, überwiegend in Phasen sozialer und wirtschaftlicher Unruhe. Besonders während des Übergangs von der industriellen zur modernen Dienstleistungsgesellschaft kam es immer wieder zu spontanen Arbeitskämpfen, bei denen sich Arbeitnehmer außerhalb gewerkschaftlicher Strukturen gegen Arbeitsbedingungen, Löhne oder Personalentscheidungen wehrten.
Abgrenzung zu regulären Streiks
Reguläre, tariflich organisierte Streiks erfolgen im Rahmen eines rechtskonformen Verfahrens. Sie setzen eine Urabstimmung, die Beteiligung einer tariffähigen Gewerkschaft sowie die Beachtung von Friedenspflichten und Schlichtungsverfahren voraus. Wilde Streiks hingegen finden in Eigeninitiative und ohne Verfahrensbindung statt, was ihnen den Charakter der Rechtswidrigkeit im arbeitsrechtlichen Sinne verleiht.
Arbeitsrechtliche Einordnung des Wilden Streiks
Rechtliche Grundsätze
Im deutschen Arbeitskampfrecht ist der Streik grundsätzlich als kollektive Maßnahme zur Durchsetzung von Arbeitsbedingungen anerkannt, wenn er tariflich organisiert und die gesetzlichen Voraussetzungen eingehalten werden. Maßgeblich hierfür sind unter anderem Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes (Koalitionsfreiheit), das Tarifvertragsgesetz (TVG) sowie die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG).
Rechtmäßigkeit und Unterscheidung
Ein wilder Streik ist nach der herrschenden Rechtsauffassung rechtswidrig, weil er:
- Ohne Zustimmung oder Initiierung einer tariffähigen Gewerkschaft erfolgt,
- Keine Einhaltung der notwendigen Schlichtungs- und Friedenspflicht vorsieht,
- Oft keine rechtzeitige Streikankündigung und keine Urabstimmung beinhaltet.
Entsprechend fehlt es dem wilden Streik an der tarifrechtlichen Legitimation.
Folgen eines Wilden Streiks für Arbeitnehmer und Arbeitgeber
Konsequenzen für Arbeitnehmer
Die Teilnahme an einem wilden Streik kann erhebliche arbeitsrechtliche Folgen nach sich ziehen:
Pflichtverletzung und Sanktionen
- Verletzung der arbeitsvertraglichen Hauptpflicht: Arbeitnehmer, die unrechtmäßig die Arbeit niederlegen, verletzen ihre vertragliche Hauptleistungspflicht (Arbeitspflicht).
- Fehlender Kündigungsschutz: Da die Teilnahme rechtswidrig ist, entfällt der spezifische Kündigungsschutz, der bei tarifkonformen Streiks greift.
- Abmahnung und verhaltensbedingte Kündigung: Arbeitgeber sind berechtigt, Abmahnungen oder sogar außerordentliche sowie ordentliche Kündigungen gegen die Teilnehmer auszusprechen, sofern die Arbeitsniederlegung nicht kurzfristig beendet oder durch besondere Umstände gerechtfertigt ist.
- Kein Anspruch auf Lohnfortzahlung: Während des wilden Streiks ruht nicht nur der Arbeitsvertrag, sondern es besteht auch kein Anspruch auf Arbeitsentgelt für die ausgefallene Arbeitszeit.
Schadensersatzpflicht
Sollte dem Arbeitgeber durch den Streik ein nachweisbarer Schaden entstehen, können die Arbeitnehmer unter Umständen zum Schadensersatz verpflichtet werden.
Konsequenzen für Arbeitgeber
Auch Arbeitgeber trifft im Falle eines wilden Streiks eine besondere Verantwortung. Sie dürfen die Arbeitsniederlegung grundsätzlich nicht fördern und müssen prüfen, ob und wie sie darauf arbeitsrechtlich angemessen reagieren.
- Maßregelungsverbot: Soweit der Streik einer Meinungsäußerung dient oder auf Missstände hinweist, ist das allgemeine Maßregelungsverbot (§ 612a BGB) zu beachten. Es darf keine Diskriminierung aufgrund der Teilnahme stattfinden, jedoch sind alle arbeitsrechtlichen Sanktionen grundsätzlich zulässig.
- Betriebsratsrechte: Ist ein Betriebsrat vorhanden, können diesem bestimmte Informations- und Mitwirkungsrechte bei der Bewältigung der Situation zustehen.
Gewerkschaftsrechtlicher Bezug und Auswirkungen
Keine Haftungsübernahme durch die Gewerkschaften
Da wilde Streiks ohne gewerkschaftliche Initiierung stattfinden, übernehmen die Gewerkschaften keine Haftung für das Verhalten oder eventuelle Folgen für die Arbeitnehmer. Insbesondere werden keine Streikgelder gezahlt und keine Rechtsschutzleistungen erbracht.
Nachträgliche Legitimierung
Ein wilder Streik kann in seltenen Fällen nachträglich durch eine Gewerkschaft übernommen und dadurch legalisiert werden. Voraussetzung hierfür ist eine offizielle Annahme durch die Gewerkschaft und die Einhaltung der gesetzlichen Arbeitskampfregeln ab diesem Zeitpunkt.
Arbeitskampf und friedensrechtliche Aspekte
Bedeutung der Friedenspflicht
Während der Laufzeit eines Tarifvertrages besteht für die Tarifparteien die sogenannte Friedenspflicht. Während dieser Zeit sind Arbeitskampfmaßnahmen ausgeschlossen. Wilde Streiks während dieser Phase sind grundsätzlich rechtswidrig und führen besonders zu arbeitsrechtlichen Sanktionen.
Ausnahme und Rechtsprechung
Das Bundesarbeitsgericht erkennt nur in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen ein rechtfertigendes Interesse an, zum Beispiel in Situationen der Notwehr bei Gefahr für Leib und Leben, jedoch nie als kollektiven Arbeitskampf im Sinne eines wilden Streiks.
Internationale Regelungen und europarechtliche Einflüsse
Vergleich zu anderen Rechtssystemen
In vielen EU-Mitgliedstaaten sowie weltweit ist die rechtliche Behandlung wilder Streiks ähnlich restriktiv. Auch hier sind spontane, nicht-gewerkschaftlich organisierte Streiks grundsätzlich unzulässig und können arbeitsrechtliche Folgen nach sich ziehen.
Europarechtliche Aspekte
Die Europäische Sozialcharta und die Europäische Menschenrechtskonvention sichern die Koalitionsfreiheit auf überstaatlicher Ebene. Dennoch bleibt die konkrete rechtliche Bewertung und Sanktionierung wilder Streiks weitestgehend dem nationalen Recht überlassen.
Fazit
Der wilde Streik ist im deutschen Arbeitsrecht eine rechtswidrige Form des Arbeitskampfes, die ohne Beteiligung oder Legitimierung durch eine tariffähige Gewerkschaft erfolgt. Während tariflich organisierte Streiks in einem rechtlichen Rahmen geschützt sind, bergen wilde Streiks erhebliche Risiken für die teilnehmenden Arbeitnehmer, einschließlich Abmahnung, Kündigung und Schadensersatzpflicht. Für Arbeitgeber bietet das Recht ein klares Sanktionsinstrumentarium, allerdings unter Wahrung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Internationale und europäische Bestimmungen bestätigen in der Regel den Vorrang des nationalen Rechts bei der Bewertung der Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen. Ein wilder Streik bleibt damit eine arbeitsrechtliche Ausnahmeerscheinung mit weitreichenden Konsequenzen für alle Beteiligten.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Konsequenzen drohen Arbeitnehmern bei Teilnahme an einem wilden Streik?
Die Teilnahme an einem sogenannten wilden Streik, also einem Arbeitskampf, der ohne die Zustimmung und Organisation einer Gewerkschaft erfolgt, stellt aus arbeitsrechtlicher Sicht eine erhebliche Pflichtverletzung dar. Nach geltendem deutschen Arbeitsrecht entfällt während des wilden Streiks der Anspruch auf Entgeltfortzahlung (§ 615 BGB), da keine rechtmäßige Arbeitsverweigerung vorliegt. Der Arbeitgeber ist berechtigt, für die Dauer des wilden Streiks das Gehalt einzubehalten. Darüber hinaus kann die unrechtmäßige Arbeitsniederlegung eine Abmahnung oder, bei wiederholtem oder besonders gravierendem Verhalten, sogar eine verhaltensbedingte Kündigung nach sich ziehen. Im Extremfall sind auch außerordentliche (fristlose) Kündigungen denkbar, wenn der Arbeitnehmer durch die Arbeitsverweigerung seine vertraglichen Hauptpflichten schwerwiegend verletzt. Zudem sind Arbeitnehmer unter Umständen zum Ersatz eines eventuellen Schadens verpflichtet, der dem Arbeitgeber durch den wilden Streik entstanden ist.
Inwiefern unterscheiden sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für wilde Streiks von denen für rechtmäßige Streiks?
Rechtmäßige Streiks sind in Deutschland nur unter bestimmten Bedingungen zulässig: Sie müssen von einer tariffähigen Gewerkschaft organisiert und dürfen nur zur Durchsetzung tariflich regelbarer Ziele im Rahmen von Tarifverhandlungen durchgeführt werden. Wilden Streiks fehlt diese gewerkschaftliche Organisation, weshalb sie nicht unter den Schutz des Grundrechts auf Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) und die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Arbeitskampfrecht fallen. Das bedeutet, die arbeitsrechtlichen Konsequenzen – wie Gehaltskürzungen, Kündigungen und Schadensersatzforderungen – treffen die teilnehmenden Arbeitnehmer vollumfänglich. Während bei rechtmäßigen Streiks umfassende Privilegierungen (z. B. Schutz vor Kündigung und Entgeltfortzahlungsansprüche) gelten, entfällt dieser Schutz im Fall des wilden Streiks vollständig.
Was ist die Rolle der Gewerkschaft im Kontext des wilden Streiks und wie wirkt sich deren Verhalten rechtlich aus?
Da wilde Streiks ohne Genehmigung und Beteiligung der zuständigen Gewerkschaften stattfinden, sind diese in der Regel nicht haftbar für die Handlungen der Streikenden. Gewerkschaften, die sich explizit von einem wilden Streik distanzieren, laufen keine Gefahr, selbst haftungsrechtlich oder arbeitsrechtlich belangt zu werden. Versucht eine Gewerkschaft jedoch nachträglich, den wilden Streik zu legitimieren (spontane Übernahme), kann dies in Ausnahmefällen zur Umqualifizierung in einen rechtmäßigen Streik führen, wenn die gewerkschaftlichen Voraussetzungen und die tarifrechtlichen Ziele nachgewiesen werden können. Andernfalls bleibt die Handlung weiterhin rechtswidrig, und die Arbeitnehmer bleiben ohne Rechtsschutz.
Können Arbeitnehmer für einen wilden Streik kollektiv belangt werden, oder sind individuelle Konsequenzen zu erwarten?
Das deutsche Arbeitsrecht behandelt die Konsequenzen eines wilden Streiks grundsätzlich individuell. Jeder Arbeitnehmer, der sich an einem wilden Streik beteiligt, haftet für seine eigene Pflichtverletzung. Allerdings ist es rechtlich möglich, das Betriebsverhalten zu berücksichtigen, zum Beispiel bei der Auswahl von Abmahnungen oder Kündigungen („Sündenbock“-Problem), wobei der Grundsatz der Gleichbehandlung zu beachten ist. Arbeitgeber müssen transparent und nachvollziehbar darlegen, nach welchen Kriterien Sanktionen verhängt werden. Im Falle von Schadensersatzforderungen kann sich eine gemeinschaftliche Haftung ergeben, wenn mehrere Arbeitnehmer gemeinsam einen nachweisbaren Schaden verursachen.
Welche Möglichkeiten haben Arbeitgeber, auf einen wilden Streik rechtlich zu reagieren?
Arbeitgeber können im Falle eines wilden Streiks verschiedene rechtliche Maßnahmen ergreifen. Zunächst entfällt die Entgeltzahlungspflicht für die Dauer der unrechtmäßigen Arbeitsniederlegung. Daneben besteht die Möglichkeit, arbeitsrechtliche Abmahnungen auszusprechen und bei fortgesetzter Arbeitsverweigerung verhaltensbedingte oder sogar fristlose Kündigungen auszusprechen. Außerdem können Arbeitgeber auf Unterlassung und ggf. auf Schadensersatz klagen, sollte dem Betrieb durch den wilden Streik ein nachweisbarer Schaden entstehen (§ 823 BGB). Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, auf die Forderungen der Streikenden einzugehen und steht rechtlich in einer deutlich stärkeren Position als bei einem rechtmäßigen Streik.
Gibt es Ausnahmen, in denen ein wilder Streik nachträglich als rechtmäßig angesehen wird?
Nur in sehr seltenen Fällen und unter besonderen rechtlichen Umständen kann ein wilder Streik rückwirkend eine rechtmäßige Grundlage erhalten. Dies ist beispielsweise möglich, wenn die zuständige Gewerkschaft den Arbeitskampf umgehend übernimmt und die tariflichen Voraussetzungen sowie die Streikziele im Einklang mit geltendem Tarifrecht stehen. In der Praxis ist dies jedoch aufgrund der strengen Anforderungen und der notwendigen Nachweise eine absolute Ausnahme.
Können Betriebsräte oder andere Arbeitnehmervertretungen zum wilden Streik aufrufen?
Betriebsräte und sonstige betriebliche Interessenvertretungen sind nach § 74 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz ausdrücklich zur Wahrung des Betriebsfriedens verpflichtet und dürfen unter keinen Umständen zum Streik, insbesondere nicht zu einem wilden Streik, aufrufen oder diesen unterstützen. Ein Verstoß gegen dieses Verbot kann arbeitsrechtliche Konsequenzen, unter Umständen ein Amtsenthebungsverfahren oder Schadensersatzforderungen nach sich ziehen. Ihre Aufgabe beschränkt sich auf die Vertretung der Arbeitnehmerinteressen im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und des kollektiven Arbeitsrechts.