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Wiederholungsgefahr


Begriff und Bedeutung der Wiederholungsgefahr

Die Wiederholungsgefahr ist ein zentraler Begriff im deutschen Recht, insbesondere im Bereich des Zivilrechts, aber auch im Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht. Sie bezeichnet die begründete Annahme, dass eine bestimmte rechtswidrige Handlung von einer Person erneut begangen werden könnte. Die Feststellung der Wiederholungsgefahr ist insbesondere Voraussetzung für verschiedene gerichtliche Maßnahmen wie Unterlassungsansprüche, einstweilige Verfügungen oder Sicherungsmaßnahmen.

Rechtliche Grundlagen

Wiederholungsgefahr im Zivilrecht

Im Zivilrecht kommt der Wiederholungsgefahr vor allem im Unterlassungsanspruch gemäß §§ 1004, 823 BGB sowie im Wettbewerbsrecht (§ 8 UWG) eine besondere Bedeutung zu. Sie ist Tatbestandsvoraussetzung für den sogenannten materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruch.

Erforderlichkeit der Wiederholungsgefahr

Ein Unterlassungsanspruch setzt bestehende oder drohende Beeinträchtigungen voraus. Der Bundesgerichtshof verlangt, dass eine ernstliche Besorgnis besteht, dass der Störer die beanstandete Handlung erneut vornimmt. Diese Besorgnis wird nach einer erstmaligen Rechtsverletzung regelmäßig vermutet. Die Wiederholungsgefahr entfällt jedoch, wenn der Störer eine ausreichende strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat.

Wesentliche Elemente der Wiederholungsgefahr

  • Objektive Tatsachengrundlage: Es muss zumindest eine bereits erfolgte Rechtsverletzung oder eine gleichartige Gefährdungshandlung vorliegen.
  • Ernsthafte Besorgnis: Nur eine theoretische Möglichkeit genügt nicht – die Wiederholungsgefahr muss konkret nachvollziehbar sein.
  • Gleichartigkeit: Die befürchtete Handlung muss mit der bereits erfolgten vergleichbar sein.

Unterlassungsanspruch und Wiederholungsgefahr

Bei wiederholt oder fortgesetzt begangenen rechtswidrigen Handlungen steht dem Verletzten ein Unterlassungsanspruch zu. Grundlage sind insbesondere die Vorschriften zum Eigentumsschutz (§ 1004 BGB), zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder die Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Eine bereits begangene Rechtsverletzung begründet grundsätzlich die Vermutung einer Wiederholungsgefahr (sogenannte Vermutungstheorie).

Beseitigung der Wiederholungsgefahr

Die Wiederholungsgefahr entfällt erst, wenn der Verletzer durch eine sogenannte strafbewehrte Unterlassungserklärung unzweideutig und verbindlich klarstellt, dass er das beanstandete Verhalten künftig nicht wiederholen wird. Der Verzicht auf weitere Rechtsverstöße muss dabei ernsthaft und für den Verletzten zumutbar sein.

Wiederholungsgefahr im Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht

Auch im Strafrecht und im Ordnungswidrigkeitenrecht spielt die Wiederholungsgefahr eine bedeutende Rolle. Sie ist einer der maßgeblichen Gründe für die Anordnung einer Untersuchungshaft (§ 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO) oder für Sicherungsmaßnahmen (§ 66 StGB – Sicherungsverwahrung), wenn von einer Person vergleichbare schwerwiegende Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten erneut zu erwarten sind.

Untersuchungshaft bei Wiederholungsgefahr

Die Anordnung der Untersuchungshaft ist bei Vorliegen einer Wiederholungsgefahr möglich, wenn bestimmte Voraussetzungen, etwa einschlägige Vorstrafen oder vorherige Tatbegehungen, vorliegen. Die Wiederholungsgefahr muss sich hierbei auf Straftaten von erheblichem Gewicht beziehen.

Sicherungsverwahrung

Im Rahmen der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) ist die Annahme einer hohen Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten, also die Widerholungsgefahr, maßgebliches Kriterium. Diese Maßnahme dient dem präventiven Schutz der Allgemeinheit und basiert auf einer Bewertung des bisherigen Verhaltens des Betroffenen und seiner persönlichen Verhältnisse.

Wiederholungsgefahr im Wettbewerbsrecht

Besonders im Lauterkeitsrecht (UWG) ist die Wiederholungsgefahr Voraussetzung dafür, dass zivilrechtliche Ansprüche auf Unterlassung unlauterer geschäftlicher Handlungen durchgesetzt werden können. Hier gilt, dass eine vermutete Wiederholungsgefahr durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung beseitigt werden kann (§ 8 Abs. 1 S. 1 UWG).

Abmahnung und strafbewehrte Unterlassungserklärung

Dem Verletzter wird häufig zunächst eine Abmahnung mit der Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungserklärung zugeleitet. Nur wenn diese Erklärung abgegeben und mit einem angemessenen Vertragsstrafeversprechen verbunden ist, erlischt die Wiederholungsgefahr für gleichartige Verstöße.

Prozessuale Aspekte der Wiederholungsgefahr

Glaubhaftmachung der Wiederholungsgefahr

Im Verfügungsverfahren oder bei anderen Eilmaßnahmen muss die Wiederholungsgefahr glaubhaft gemacht werden (§ 936 ZPO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Das Gericht kann bereits aus einer einmaligen Rechtsverletzung auf die Wiederholungsgefahr schließen, verlangt aber in der Regel substantiierte Darlegungen.

Gerichtliche Entscheidungskriterien

Gerichte prüfen, ob die Voraussetzungen einer realen Gefahr erneuter Rechtsverletzungen vorliegen, und berücksichtigen dabei sämtliche Umstände des Einzelfalls – insbesondere frühere Verstöße, Verhalten des Störers nach dem Verstoß und das Vorliegen bindender Unterlassungserklärungen.

Abgrenzung: Wiederholungsgefahr versus Erstbegehungsgefahr

Zu unterscheiden ist die Wiederholungsgefahr von der sogenannten Erstbegehungsgefahr, bei der noch keine Rechtsverletzung eingetreten, aber eine unmittelbar bevorstehende Begehung einer rechtswidrigen Tat ernsthaft zu besorgen ist. Während die Wiederholungsgefahr regelmäßig bei bereits geschehenen Rechtsverstößen angenommen wird, kommt die Erstbegehungsgefahr bei drohenden, aber noch nicht verwirklichten Beeinträchtigungen zur Anwendung.

Zusammenfassung

Die Wiederholungsgefahr ist ein entscheidendes rechtliches Kriterium in verschiedenen Rechtsgebieten wie Zivilrecht, Wettbewerbsrecht, Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht. Sie dient dem präventiven Rechtsschutz und soll verhindern, dass sich rechtswidrige Handlungen wiederholen. Sowohl für den Anspruch auf Unterlassung als auch für viele gerichtliche Sicherungsmaßnahmen ist die fundierte Annahme einer Wiederholungsgefahr unerlässlich. Ihre Feststellung erfolgt auf Grundlage objektiv nachvollziehbarer Tatsachen, typischerweise vermutet nach festgestellter Rechtsverletzung, und kann durch verbindliche Unterlassungserklärungen beseitigt werden. Damit stellt die Wiederholungsgefahr ein zentrales Instrument des präventiven Rechtsschutzes und der Gefahrenabwehr im deutschen Rechtssystem dar.

Häufig gestellte Fragen

Wann prüft das Gericht das Vorliegen von Wiederholungsgefahr?

Das Gericht prüft das Vorliegen von Wiederholungsgefahr in der Regel im Rahmen von Haftentscheidungen, insbesondere bei einer Untersuchungshaft nach § 112a StPO (Strafprozessordnung). Die Wiederholungsgefahr ist hier ein besonderer Haftgrund, der über die allgemeinen Voraussetzungen wie Fluchtgefahr oder Verdunkelungsgefahr hinausgeht. Eine Prüfung erfolgt häufig bei Delikten, die wiederholt rechtswidrig begangen wurden oder bei denen aufgrund konkreter Tatsachen zu befürchten ist, dass der Beschuldigte weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen wird. Die Entscheidung darüber trifft das Gericht nach Prüfung des Gesamtsachverhalts und der Persönlichkeit des Beschuldigten, wobei die Prognose einer erneuten Tatbegehung anhand objektiver und subjektiver Gesichtspunkte zu erfolgen hat. Die Einschätzung der Wiederholungsgefahr basiert insbesondere auf dem bisherigen Lebenswandel, der Art und Schwere der Tat, dem Vorliegen einschlägiger Vorstrafen und weiteren verfahrensrelevanten Umständen.

Welche Delikte können eine Wiederholungsgefahr begründen?

Nicht jedes Delikt kann eine Wiederholungsgefahr im Sinne des § 112a StPO begründen. Gesetzlich erfasst sind unter anderem erhebliche Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, das Leben, die körperliche Unversehrtheit sowie bestimmte Eigentums- und Vermögensdelikte wie Raub oder Erpressung. Die Wiederholungsgefahr wird insbesondere dann angenommen, wenn der Beschuldigte unter Nutzung bestimmer Gefährdungspotenziale (z.B. Serien- oder habitualisierte Delinquenz) handelt oder bereits einschlägig auffällig geworden ist. Eine genaue Aufzählung findet sich im Gesetz, wobei der Katalog abschließend verstanden wird. Darüber hinaus sind schwerwiegende, die Gemeinschaft schädigende Straftaten Voraussetzung; Bagatelldelikte reichen nicht aus.

Welche Voraussetzungen müssen für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr erfüllt sein?

Zentral für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr ist das Vorhandensein bestimmter tatsächlicher Umstände, die die Besorgnis begründen, der Beschuldigte werde erneut schwerwiegende Straftaten gleicher Art begehen. Hierzu muss das Gericht eine individuelle Gefährlichkeitsprognose anstellen. Vorausgesetzt wird in der Regel entweder eine einschlägige Vorverurteilung oder das aktuell verfahrensgegenständliche Tatgeschehen, das auf eine Wiederholungsneigung schließen lässt. Weiterhin müssen die zu erwartenden Straftaten erheblich sein, also den Katalogdelikten des § 112a Abs. 1 StPO entsprechen oder sie müssen erhebliche Folgen für die Allgemeinheit nach sich ziehen. Pauschale Annahmen oder bloße Vermutungen reichen nicht aus; vielmehr bedarf es einer sorgfältigen und einzelfallbezogenen Prüfung durch die Justizbehörden.

Welche rechtlichen Mittel gibt es gegen eine Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr?

Gegen eine Anordnung der Untersuchungshaft aufgrund von Wiederholungsgefahr stehen dem Beschuldigten verschiedene Rechtsmittel zur Verfügung. Zum einen kann die Haftentscheidung zunächst durch einen Antrag auf Haftprüfung (§ 117 StPO) angegriffen werden, bei dem eine erneute Überprüfung der Haftvoraussetzungen durch ein Gericht erfolgt. Zudem kann – insbesondere gegen Entscheidungen der ersten Instanz – die Beschwerde (§ 304 StPO) eingelegt werden, durch die eine gerichtliche Überprüfung und ggf. Aufhebung oder Abänderung des Haftbefehls erreicht werden kann. Außerdem besteht die Möglichkeit, sich im Zuge der Hauptverhandlung mit Anträgen auf Haftaufhebung oder Haftverschonung zu verteidigen und darzulegen, dass die Wiederholungsgefahr nicht mehr aktuell oder ausreichend begründet ist.

Gibt es zeitliche Begrenzungen für die Untersuchungshaft aufgrund von Wiederholungsgefahr?

Die Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr ist grundsätzlich nicht zeitlich unbegrenzt möglich. Sie unterliegt den allgemeinen Regeln zur Dauer der Untersuchungshaft gemäß § 121 StPO, wonach die Haft in der Regel nicht länger als sechs Monate ohne Hauptverhandlung andauern darf. Eine darüber hinaus gehende Verlängerung ist nur bei besonders schwierigen oder umfangreichen Ermittlungen und nach Entscheidung durch ein Oberlandesgericht zulässig. Das Fortbestehen der Voraussetzungen, insbesondere der Wiederholungsgefahr, muss regelmäßig vom Gericht überprüft werden. Sobald die Wiederholungsgefahr entfällt oder die Voraussetzungen für die Fortdauer nicht mehr bestehen, ist der Haftbefehl aufzuheben.

Wie begründet das Gericht eine Prognose bezüglich Wiederholungsgefahr?

Das Gericht stützt seine Prognose bezüglich der Wiederholungsgefahr auf eine umfassende Würdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten, der Tat und des gesamten Sachverhalts. Hierbei werden insbesondere einschlägige Vorstrafen, laufende Ermittlungsverfahren, das bisherige Sozialverhalten, die Lebensumstände sowie etwaige therapeutische oder soziale Bemühungen des Beschuldigten berücksichtigt. Maßgeblich sind außerdem konkrete Indizien für eine bestehende Delinquenzbereitschaft oder Hinweise darauf, dass eine Rückfallgefahr in kurzer Zeit realistisch besteht. Das Gericht muss seine Erwägungen und die daraus resultierende Gefährlichkeitsprognose im Beschluss nachvollziehbar und unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände darlegen. Eine schematische oder unzureichend begründete Haftanordnung wäre rechtswidrig.

Wie wirkt sich eine erfolgreiche Haftverschonung auf die Annahme der Wiederholungsgefahr aus?

Eine Haftverschonung nach § 116 StPO bewirkt, dass der Beschuldigte unter Auflagen (z.B. Meldeauflagen, Aufenthaltsbeschränkungen, Kontaktverbote) auf freien Fuß gesetzt wird. Sie kann auch in Fällen von Wiederholungsgefahr angewendet werden, wenn die Auflagen geeignet erscheinen, der Wiederholung von Straftaten entgegenzuwirken. Das heißt, das Gericht prüft, ob durch geeignete Maßnahmen das Risiko weiterer erheblicher Straftaten eingedämmt werden kann. Die Annahme der Wiederholungsgefahr bleibt dennoch rechtlich bestehen, wird jedoch durch die ergriffenen Maßnahmen für ausreichend beherrschbar gehalten, sodass die Freiheitsentziehung nicht mehr verhältnismäßig ist. Werden die Auflagen verletzt, kann eine erneute Inhaftierung erfolgen.