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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist ein bedeutendes Rechtsinstitut im deutschen Verfahrensrecht, das der Wiederherstellung eines früheren prozessualen Zustands dient, wenn eine Partei ohne eigenes Verschulden eine gesetzliche Frist versäumt hat. Dieses Instrument gewährleistet dem Beteiligten umfassenden Rechtsschutz und erlaubt es, die materiellen und prozessualen Rechte trotz Ablauf einer Frist weiter zu verfolgen. Die Wiedereinsetzung ist insbesondere in der Zivilprozessordnung (ZPO), der Strafprozessordnung (StPO), dem Verwaltungsverfahrensrecht sowie in verschiedenen Fachgesetzen detailliert geregelt.


Rechtsgrundlagen

Zivilprozessordnung (ZPO)

In der Zivilprozessordnung ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor allem in den §§ 233 ff. ZPO geregelt. Danach kann eine Partei, die ohne eigenes Verschulden verhindert war, eine Notfrist oder eine gesetzlich bestimmte Frist einzuhalten, nachträglich innerhalb einer bestimmten Frist beantragen, so gestellt zu werden, als hätte sie die Frist gewahrt.

Strafprozessordnung (StPO)

Auch im Strafverfahren findet die Wiedereinsetzung Anwendung, geregelt in den §§ 44 ff. StPO. Hierbei werden sowohl Angeklagte als auch sonstige Verfahrensbeteiligte geschützt.

Weitere Rechtsgebiete

Vergleichbare Vorschriften finden sich etwa im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), in der Finanzgerichtsordnung (FGO) und in der Arbeitsgerichtsbarkeit (§ 64 Abs. 6 ArbGG).


Voraussetzungen der Wiedereinsetzung

Fristversäumung

Grundvoraussetzung ist die Versäumung einer gesetzlichen Frist. Es muss sich um eine Notfrist oder um eine gesetzlich vorgeschriebene Frist handeln, deren Versäumnis prozessuale Nachteile (etwa Rechtskraft oder Unanfechtbarkeit) nach sich zieht.

Kein Verschulden

Die Partei darf an der Versäumung der Frist kein Verschulden treffen. Ein fehlendes Verschulden liegt vor, wenn entweder unvorhersehbare Ereignisse, Krankheit, plötzliche Notfälle oder andere nicht beeinflussbare Gründe die rechtzeitige Wahrnehmung der Frist verhinderten.

Antragserfordernis und Frist

Die Wiedereinsetzung ist regelmäßig nur auf Antrag und innerhalb einer bestimmten Frist möglich. Diese Frist beginnt in dem Moment, in dem das Hindernis beseitigt ist (§ 234 Abs. 1 ZPO), üblicherweise zwei Wochen. Innerhalb dieser Zeit muss ein begründeter Antrag gestellt und die versäumte Rechtshandlung nachgeholt werden.


Ablauf des Wiedereinsetzungsverfahrens

Antragstellung

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand muss bei dem zuständigen Gericht eingereicht werden. Darin sind die Umstände darzulegen und glaubhaft zu machen, die zur Fristversäumung geführt haben. Auch Beweismittel (z. B. ärztliche Atteste) sind beizufügen.

Nachholung der Handlung

Gleichzeitig mit dem Antrag oder spätestens innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist ist die entsprechende versäumte Prozesshandlung – etwa die Einlegung eines Rechtsmittels – vollständig und formgerecht nachzuholen.

Entscheidung des Gerichts

Das Gericht prüft, ob die gesetzlichen Voraussetzungen und die Glaubhaftmachung der Entschuldigungsgründe erfüllt wurden. Die Entscheidung des Gerichts erfolgt durch Beschluss. Wird die Wiedereinsetzung gewährt, wird die Partei rechtlich so gestellt, als ob die Frist nicht versäumt worden wäre. Ein Ablehnungsbeschluss ist anfechtbar.


Rechtsfolgen der Wiedereinsetzung

Nach erfolgreicher Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird die Partei so behandelt, als hätte sie die Frist gewahrt. Somit lebt der vorangegangene prozessuale Zustand wieder auf. Dies hat besondere Bedeutung, da hiermit nachteilige Wirkungen wie Rechtskraft, Versäumnisurteile oder der Verlust von Rechtsmitteln beseitigt werden können.


Ausschlussgründe

Die Wiedereinsetzung findet keine Anwendung bei:

  • verfahrensrechtlichen Fristen, die keinen Notfristcharakter haben,
  • Fällen, in denen ein Eigenverschulden, einschließlich Verschulden seines Vertreters oder Erfüllungsgehilfen, vorliegt (§ 85 Abs. 2 ZPO),
  • bewusstem Fristversäumnis,
  • versäumten materiellrechtlichen Ausschlussfristen.

Bedeutung in der Praxis

Das Instrument der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dient der materiellen Gerechtigkeit, indem es vermeidet, dass rein formalistische Fristversäumnisse dauerhaft gravierende Rechtsverluste herbeiführen. Es ist ein wesentliches Element des fairen Verfahrens und trägt zur Effektivität des Rechtsschutzes bei.


Internationale Bezüge und vergleichbare Rechtsinstitute

Auch im europäischen Verfahrensrecht sowie in vielen anderen nationalen Rechtsordnungen existieren vergleichbare Regelungen. Diese dienen ebenso dazu, unverschuldete Fristversäumnisse zu kompensieren und Betroffenen den Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz zu erhalten.


Fazit

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist ein zentrales Rechtsinstitut im deutschen Verfahrensrecht, das in verschiedenen Verfahrensordnungen als entscheidendes Korrektiv wirkt, um einen gerechten Ausgleich bei unverschuldeter Fristversäumnis zu schaffen. Ihre Anwendbarkeit, die strengen Voraussetzungen, spezifische Antragsfristen sowie der sorgsam geregelte Ablauf unterstreichen ihre herausragende Bedeutung für den Rechtsschutz und den Zugang zum Gericht.

Häufig gestellte Fragen

Wie muss der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt werden?

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist grundsätzlich schriftlich bei dem Gericht oder der Behörde zu stellen, bei dem oder der die versäumte Handlung vorzunehmen war. Der Antrag muss gemäß § 236 Abs. 1 ZPO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses eingereicht werden. In dem Antrag sind die Tatsachen, die die Wiedereinsetzung rechtfertigen, vollständig und glaubhaft darzulegen. Dies geschieht üblicherweise durch eine eidesstattliche Versicherung oder durch Vorlage entsprechender Beweismittel (z.B. ärztliches Attest im Falle einer plötzlichen Erkrankung). Der Antragsteller ist außerdem verpflichtet, die versäumte Rechtshandlung – etwa die Einlegung eines Rechtsmittels – spätestens innerhalb der Antragsfrist nachzuholen. Das Verfahren ist streng formalisiert, sodass bei Fehlern im Vortrag oder in der Nachholung der eigentlichen Handlung der Antrag als unzulässig verworfen werden kann.

Welche Fristen gelten für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand?

Die Frist zur Stellung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis, welches die Vornahme der versäumten Handlung verhindert hat, behoben ist (§ 234 Abs. 2 ZPO). In der Regel beträgt diese Frist zwei Wochen, in Verwaltungsverfahren und bestimmten öffentlich-rechtlichen Bereichen kann sie abweichen. Wird jedoch beispielsweise die Versäumung einer Frist zur Einlegung einer Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil geltend gemacht, läuft die Zweiwochenfrist ab Kenntnis von dem Umstand, der zur Versäumung geführt hat, spätestens jedoch nach einem Jahr Ende (§ 234 Abs. 3 ZPO). Es empfiehlt sich, die Frist genau zu berechnen und im Antrag zu dokumentieren, wann das Hindernis weggefallen ist.

Wer trägt die Beweislast bei einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand?

Die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen der Wiedereinsetzung trägt grundsätzlich der Antragsteller. Dieser muss substantiiert darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass er ohne eigenes Verschulden – oder das seines Vertreters – gehindert war, die versäumte Handlung rechtzeitig vorzunehmen (§ 236 ZPO). Hierbei ist auch darzulegen, dass alle zumutbaren Sorgfaltspflichten beachtet wurden. Die Glaubhaftmachung erfolgt durch geeignete Beweismittel, wie Schriftstücke, ärztliche Atteste, Affidavits oder sonstige Nachweise. Gelingt die Glaubhaftmachung nicht, ist der Antrag zurückzuweisen.

Welche Sorgfaltspflichten müssen im Rahmen der Wiedereinsetzung beachtet werden?

Im Rahmen eines Wiedereinsetzungsantrags ist Dreh- und Angelpunkt die Beachtung der gemäß § 233 ZPO geforderten Sorgfaltspflichten. Antragsteller müssen sämtliche zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um Fristversäumnisse zu verhindern. Hierzu zählt insbesondere die sorgfältige Fristenkontrolle, gegebenenfalls die Beaufsichtigung von Hilfspersonen (wie Anwaltssekretariate), und das unverzügliche Nachfragen bei ausbleibenden gerichtlichen Informationen. Ebenso gehört die unverzügliche Nachholung der Fristwahrung nach Wegfall des Hindernisses dazu. Eine Wiedereinsetzung ist ausgeschlossen, wenn dem Antragsteller einfache Fahrlässigkeit, Organisationverschulden oder mangelhafte Überwachung auf Seiten eines Rechtsanwalts nachzuweisen ist.

Welche Rechtsmittel stehen gegen die Ablehnung eines Wiedereinsetzungsantrags zur Verfügung?

Wird ein Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt, steht regelmäßig ein Beschwerderecht offen, wenn es sich um eine isolierte Entscheidung handelt, die unabhängig von der Hauptsache ist (§ 238 Abs. 2 ZPO). Die sofortige Beschwerde muss binnen einer Notfrist von zwei Wochen eingelegt werden. Soweit die Entscheidung über die Wiedereinsetzung mit einer Sachentscheidung (z.B. Urteil oder Beschluss über die Hauptsache) verbunden ist, ist die Anfechtung nur im Rahmen des gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsmittels möglich. In manchen Verfahren – insbesondere im Strafrecht oder Verwaltungsrecht – gelten hiervon abweichende Vorschriften und Fristen, die im Einzelfall exakt geprüft werden müssen.

Gibt es besondere Vorschriften zur Wiedereinsetzung in Verfahren mit Anwaltszwang?

In Verfahren mit Anwaltszwang gelten erhöhte Anforderungen an die Organisation und Überwachung der Fristwahrung. Einerseits ist der Mandant auf die ordnungsgemäße Arbeitsweise der Anwaltskanzlei angewiesen, andererseits ist die Kanzlei verpflichtet, geeignete Fristenkontrollsysteme zu unterhalten und ein sorgfältiges Arbeitsumfeld zu gewährleisten. Fehler oder Versäumnisse durch Kanzleipersonal können dem Mandanten grundsätzlich als Organisationsverschulden angelastet werden, wodurch die Wiedereinsetzung ausgeschlossen werden kann. In seltenen Ausnahmefällen, zum Beispiel bei unvorhersehbarem Ausfall technischer Systeme trotz vorsorglicher Maßnahmen, kann dennoch Wiedereinsetzung gewährt werden.

Kann eine Wiedereinsetzung mehrfach wegen desselben Sachverhalts beantragt werden?

Dem Grundsatz nach ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen desselben Versäumnisses nur einmal möglich. Wird eine Frist erneut versäumt, etwa die Wiedereinsetzungsfrist selbst oder nach Nachholung der versäumten Handlung eine weitere Frist, kann im Ausnahmefall wiederum Wiedereinsetzung beantragt werden, jedoch nur, sofern das neue Versäumnis ebenfalls unverschuldet ist und wiederum glaubhaft gemacht werden kann. Es gelten dann identische Anforderungen an Fristen und Begründung. Eine Kumulierung oder gestaffelte Wiedereinsetzung aufgrund gleichartiger Sorgfaltsverstöße wird von der Rechtsprechung jedoch überwiegend abgelehnt.