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Wiedereingliederung


Wiedereingliederung – Rechtliche Grundlagen und Bedeutung

Die Wiedereingliederung ist ein zentraler Begriff im deutschen Arbeits- und Sozialrecht und beschreibt den Prozess der stufenweisen Rückkehr von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in das Erwerbsleben nach längerer krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Im rechtlichen Kontext umfasst die Wiedereingliederung verschiedene gesetzliche Regelungen und Instrumente, welche eine nachhaltige und sozialverträgliche Integration der Betroffenen in das berufliche Umfeld ermöglichen sollen.


1. Begriff und Zielsetzung der Wiedereingliederung

Aufgabe der Wiedereingliederung ist es, die Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten, die nach längerer Krankheit oder Rehabilitation ihre Tätigkeit nicht unmittelbar wieder vollumfänglich aufnehmen können, schrittweise wiederherzustellen. Hierbei steht insbesondere der präventive Gesundheitsschutz sowie der Erhalt des Arbeitsplatzes im Vordergrund. Ziel ist es, den Übergang zurück ins Berufsleben planvoll und unter Berücksichtigung der individuellen Leistungsfähigkeit zu gestalten.


2. Rechtliche Grundlagen der Wiedereingliederung

2.1 Sozialgesetzbuch (§ 74 SGB V)

Die rechtlichen Eckpfeiler der stufenweisen Wiedereingliederung finden sich insbesondere in § 74 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Dort ist geregelt, dass Versicherte nach längerer Arbeitsunfähigkeit Leistungen zur stufenweisen Wiedereingliederung beanspruchen können. Voraussetzung ist, dass die Maßnahme zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit geeignet ist und ein ärztliches Konzept zugrunde liegt. Ziel ist die Erprobung und schrittweise Steigerung der Arbeitsbelastung unter realen Arbeitsbedingungen.

2.2 Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM, § 167 Abs. 2 SGB IX)

Eine weitere wichtige gesetzliche Grundlage bildet § 167 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX), das sogenannte Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM). Arbeitgeber sind verpflichtet, allen Beschäftigten, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, ein BEM anzubieten. Das BEM dient der Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Maßnahmen einer erneuten Erkrankung vorgebeugt werden kann.

2.3 Weitere relevante Vorschriften

Ergänzend kommen Vorschriften aus dem SGB VI (gesetzliche Rentenversicherung) sowie aus dem SGB VII (gesetzliche Unfallversicherung) zur Anwendung, falls Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlich sind. Auch tarifvertragliche und betriebliche Regelungen können unterstützende Vorgaben zur Wiedereingliederung enthalten.


3. Ablauf und Voraussetzungen der Wiedereingliederung

3.1 Initiierung und Antragstellung

Die stufenweise Wiedereingliederung wird in der Regel auf Initiative behandelnder Ärztinnen und Ärzte eingeleitet und bedarf der Zustimmung sowohl des Arbeitgebers als auch des betroffenen Arbeitnehmers. Ein formeller Antrag an die Krankenkasse oder den jeweiligen Kostenträger ist erforderlich, sofern Leistungen der Sozialversicherung beansprucht werden.

3.2 Erstellung des Wiedereingliederungsplans

Ein wesentlicher Bestandteil ist der Wiedereingliederungsplan, der in Abstimmung zwischen behandelndem Arzt, dem Arbeitnehmer, dem Arbeitgeber und gegebenenfalls dem Rehabilitationsträger erstellt wird. Der Plan enthält Angaben über den zeitlichen Ablauf, die Art und den Umfang der Arbeit sowie mögliche begleitende Hilfsmaßnahmen.

3.3 Durchführung und Überwachung

Die eigentliche Wiedereingliederung vollzieht sich stufenweise im (reduzierten) Arbeitsalltag. Die Belastung wird gemäß Plan kontrolliert gesteigert. Medizinische Rückmeldungen sowie regelmäßige Abstimmungen zwischen allen Beteiligten sind obligatorisch, um etwaige Anpassungen vorzunehmen.


4. Arbeitsrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Aspekte

4.1 Arbeitsrechtliche Stellung während der Wiedereingliederung

Während der Wiedereingliederung besteht das Arbeitsverhältnis unverändert fort. Die Beschäftigten gelten im Rahmen der stufenweisen Wiedereingliederung weiterhin als arbeitsunfähig, solange sie ihre vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht vollumfänglich erbringen können. Kündigungsschutz und bestehende arbeitsvertragliche Rechte und Pflichten bleiben dabei grundsätzlich erhalten.

4.2 Lohnfortzahlung und Leistungsansprüche

Während der Maßnahme erhalten Arbeitnehmer in der Regel weiterhin Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder Krankengeld von der gesetzlichen Krankenkasse. Ein Anspruch auf eine anteilige Vergütung besteht grundsätzlich nicht, da die Behandlung als Maßnahmen zur Rehabilitation und nicht als reguläre Arbeitsleistung gilt.


5. Sonderfälle: Wiedereingliederung nach Unfall oder Rehabilitation

5.1 Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung

Bei Arbeits- oder Wegeunfällen trägt die gesetzliche Unfallversicherung die Kosten der Wiedereingliederung als Teil der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§§ 26 ff. SGB VII). Hier kommt die Kooperation mit dem Betrieb, den behandelnden Ärztinnen und Ärzten sowie der Berufsgenossenschaft zum Tragen.

5.2 Anbindung an medizinische Rehabilitation

Nach Maßnahmen medizinischer Rehabilitation, etwa nach einem Reha-Aufenthalt, kann die stufenweise Wiedereingliederung als Teil der Nachsorge verordnet werden. Hierbei koordinieren die Rentenversicherungsträger (SGB VI) die entsprechenden Leistungen zur Sicherung der Erwerbsfähigkeit.


6. Nichtannahme und Beendigung der Wiedereingliederung

Arbeitnehmer sind zur Teilnahme an der Wiedereingliederung nicht verpflichtet, ein Rechtsanspruch auf Durchführung besteht nicht. Auch Arbeitgeber sind zur Durchführung nicht gezwungen, sofern innerbetriebliche Gründe entgegenstehen. Die Maßnahme kann bei vorzeitiger Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, Verschlimmerung des Gesundheitszustands oder aus betrieblichen Gründen beendet werden.


7. Datenschutz und Mitbestimmung

Maßnahmen der Wiedereingliederung unterliegen strengen datenschutzrechtlichen Anforderungen. Personenbezogene Gesundheitsdaten dürfen nur mit ausdrücklicher Einwilligung der betroffenen Person an Dritte weitergegeben werden. Der Betriebsrat ist insbesondere beim BEM an der Gestaltung und Umsetzung beteiligt; Mitbestimmungsrechte ergeben sich nach § 87 Abs. 1 BetrVG.


8. Zusammenfassung und Ausblick

Die Wiedereingliederung ist ein mehrstufiges und rechtlich umfassend geregeltes Verfahren, das den Übergang zurück ins Berufsleben nach längerer Krankheit sozialverträglich gestaltet. Sie stellt einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Teilhabe behinderter und chronisch kranker Menschen am Arbeitsleben dar. Rechtsgrundlagen finden sich insbesondere im SGB V, SGB IX und SGB VII, ergänzt durch arbeitsrechtliche Schutzvorschriften. Eine erfolgreiche Wiedereingliederung erfordert die enge Kooperation zwischen Arbeitsnehmenden, Arbeitgebern, behandelnden Ärztinnen und Ärzten sowie den Sozialversicherungsträgern.


Literaturhinweis

  • Sozialgesetzbuch (SGB) V, IX, VI, VII
  • Bundesarbeitsgericht, Urteile zur Wiedereingliederung und zum BEM
  • Deutsche Rentenversicherung: Empfehlungen zur stufenweisen Wiedereingliederung

Siehe auch

  • Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)
  • Teilhabe am Arbeitsleben
  • Arbeitsrechtliche Rehabilitation

Häufig gestellte Fragen

Müssen Beschäftigte während der Wiedereingliederung wieder am kompletten Arbeitsleben teilnehmen?

Während der Wiedereingliederung sind Beschäftigte nicht verpflichtet, die vollständigen Tätigkeiten oder die volle Stundenzahl ihres regulären Arbeitsvertrages zu leisten. Die Wiedereingliederung erfolgt nach dem sogenannten „Hamburger Modell“. Dies bedeutet, dass nach individueller Absprache und ärztlicher Beurteilung die Arbeitsbelastung in Stufen gesteigert werden kann. Die konkrete Gestaltung erfolgt im Rahmen eines Stufenplans, der gemeinsam von behandelnden Ärzt:innen, dem/der Arbeitnehmer:in, Arbeitgeber und – wenn notwendig – dem Betriebsarzt bzw. der Betriebsärztin erstellt wird. Es gilt arbeitsrechtlich, dass der/die Beschäftigte in dieser Phase weiterhin als arbeitsunfähig gilt (§ 74 SGB V), weshalb die originären arbeitsvertraglichen Pflichten für die Dauer der Maßnahme ausgesetzt sind. Der/Die Beschäftigte ist auch nicht verpflichtet, außerhalb der im Stufenplan definierten Zeiten zu arbeiten oder Tätigkeiten zu übernehmen, die nicht angegeben wurden.

Besteht während der Wiedereingliederung ein Anspruch auf Entgelt vom Arbeitgeber?

Rechtlich besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber während der Wiedereingliederung, da der/die Beschäftigte weiterhin als arbeitsunfähig gilt. Anspruch auf Gehalt oder Lohn durch den Arbeitgeber entsteht erst wieder, sobald die volle Arbeitsfähigkeit durch eine ärztliche Bescheinigung bestätigt wird. Stattdessen besteht – sofern die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind – ein Anspruch auf Krankengeld gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse (§ 44 SGB V). Für den Fall, dass keine Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers besteht, muss sich der/die Versicherte bei der Krankenkasse melden. Privat Versicherte oder Beihilfeberechtigte erhalten ggf. entsprechende Leistungen aus einer privaten Krankenversicherung oder von der Beihilfestelle. Eine Fortzahlung von Urlaubs- oder Weihnachtsgeld ist während der Wiedereingliederung gesetzlich nicht vorgesehen.

Ist die Zustimmung des Arbeitgebers für die Wiedereingliederung erforderlich?

Für die Durchführung der stufenweisen Wiedereingliederung ist die Zustimmung des Arbeitgebers zwingend erforderlich. Der Rechtsrahmen sieht vor, dass das Wiedereingliederungskonzept auf Freiwilligkeit beruht (§ 74 SGB V). Weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer:in können dazu verpflichtet werden, diesem zuzustimmen oder daran teilzunehmen. Arbeitgeber sind jedoch im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht (§ 618 BGB) und des betrieblichen Eingliederungsmanagements (§ 167 Abs. 2 SGB IX) dazu angehalten, die Wiedereingliederung zu unterstützen. In Einzelfällen kann die Möglichkeit einer Ablehnung bestehen, z.B. wenn dringende betriebliche Gründe entgegenstehen. Eine Ablehnung muss jedoch sachlich begründet werden.

Was passiert, wenn die Wiedereingliederung scheitert?

Scheitert die Wiedereingliederung, beispielsweise weil der/die Beschäftigte die stufenweise gesteigerte Arbeitsbelastung aus gesundheitlichen Gründen nicht bewältigen kann, bleibt der rechtliche Status der Arbeitsunfähigkeit bestehen. Damit verlängert sich gegebenenfalls der Bezug von Krankengeld (§ 44 SGB V). Ein neuer Versuch der Wiedereingliederung ist jederzeit möglich, sofern die behandelnden Ärzt:innen dies befürworten. Ein rechtlicher Nachteil, etwa beim Anspruch auf Entgeltfortzahlung, entsteht durch ein Scheitern grundsätzlich nicht. Bei wiederholtem Scheitern kann eine dauerhafte Erwerbsminderung festgestellt werden, was zu weiteren sozialrechtlichen Ansprüchen führen könnte.

Wie wird der Urlaubsanspruch während der Wiedereingliederung behandelt?

Da Beschäftigte während der Wiedereingliederung weiterhin arbeitsunfähig sind, erwerben sie auch während dieser Phase keine neuen Urlaubsansprüche. Bereits bestehende Urlaubsansprüche verfallen jedoch nicht automatisch. Gemäß § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden; eine Übertragung ins nächste Jahr ist rechtlich vorgesehen, wenn arbeitsunfähige Beschäftigte ihren Urlaub wegen Krankheit nicht nehmen konnten. Der Urlaubsanspruch bleibt bis zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit erhalten und kann nach Genesung genommen werden, vorausgesetzt, dass die gesetzlichen Fristen eingehalten wurden.

Besteht während der Wiedereingliederung Versicherungsschutz durch die gesetzliche Unfallversicherung?

Während der Wiedereingliederung sind Beschäftigte, sofern sie im Rahmen ihrer bisherigen Tätigkeit am Arbeitsplatz tätig werden, grundsätzlich gesetzlich unfallversichert (§ 2 SGB VII). Schutz besteht sowohl auf dem Weg zur Arbeitsstätte als auch während der tatsächlichen Arbeitszeiten, die im Stufenplan festgehalten sind. Vorsicht ist jedoch geboten, wenn während der Wiedereingliederungsphase Tätigkeiten übernommen werden, die nicht im Wiedereingliederungsplan vereinbart wurden, da hier der Versicherungsschutz eingeschränkt sein kann. Arbeitgeber sollten daher alle Änderungen mit der Unfallversicherungsträger abklären, um Haftungsfragen zu vermeiden.

Können Arbeitnehmer:innen zur Wiedereingliederung verpflichtet werden?

Aus arbeitsrechtlicher Sicht ist eine Verpflichtung zur Teilnahme an einer stufenweisen Wiedereingliederung unzulässig. Sowohl Arbeitnehmer:in als auch Arbeitgeber müssen der Durchführung freiwillig zustimmen. Es gibt keine gesetzliche Grundlage, auf deren Basis eine Verpflichtung zur Teilnahme bestehen würde. Auch eine verpflichtende Rückkehr in Form einer schrittweisen Wiedereingliederung kann nicht durch den Arbeitgeber angeordnet werden. Lehnt ein:e Arbeitnehmer:in die Wiedereingliederung ab, darf dies keine negativen arbeitsrechtlichen Konsequenzen, wie eine Abmahnung oder eine Kündigung, haben. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und die Rechte der Beschäftigten auf Schutz von Gesundheit und Persönlichkeitsrechten sind einzuhalten.