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Weiterbeschäftigungsanspruch


Begriff und Rechtsgrundlagen des Weiterbeschäftigungsanspruchs

Definition des Weiterbeschäftigungsanspruchs

Der Weiterbeschäftigungsanspruch beschreibt das Recht eines Arbeitnehmers, nach einer Kündigung durch den Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung weiterhin zu beschäftigt zu werden. Er dient dem Ziel, einen Arbeitnehmer vor den wirtschaftlichen und sozialen Folgen einer möglicherweise unwirksamen Kündigung zu schützen und das Arbeitsverhältnis bis zum Abschluss eines Kündigungsschutzverfahrens aufrechtzuerhalten.

Gesetzliche Grundlagen

Der Weiterbeschäftigungsanspruch ist im deutschen Arbeitsrecht nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt, sondern wurde durch die Rechtsprechung entwickelt. Zentrale Bedeutung hat dabei das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 27. Februar 1985 (Az.: GS 1/84), das einen eigenständigen Weiterbeschäftigungsanspruch für Arbeitnehmer normiert hat, die erfolgreich Kündigungsschutzklage erhoben haben.

Kollektivrechtliche Grundlagen

Neben der höchstrichterlichen Rechtsprechung können tarifvertragliche oder betriebliche Regelungen zusätzliche Ansprüche auf eine Weiterbeschäftigung vorsehen. Im Einzelfall können arbeitsvertragliche Vereinbarungen einschlägig sein, soweit sie Mindestbedingungen nicht unterschreiten.

Voraussetzungen des Weiterbeschäftigungsanspruchs

Erhebung der Kündigungsschutzklage

Eine grundlegende Voraussetzung für den Weiterbeschäftigungsanspruch ist die fristgerechte Erhebung einer Kündigungsschutzklage gemäß § 4 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung.

Erfolgsaussichten der Klage

Des Weiteren muss das Arbeitsgericht im Rahmen eines vorläufigen Rechtsschutzes (z. B. durch einstweilige Verfügung) feststellen, dass die Kündigung mit hoher Wahrscheinlichkeit unwirksam ist oder erhebliche Zweifel an deren Wirksamkeit bestehen. Die bloße Erhebung einer Kündigungsschutzklage begründet noch keinen Anspruch; vielmehr muss im Regelfall mindestens eine positive erstinstanzliche Entscheidung des Arbeitsgerichts vorliegen.

Ausnahmen und gewichtige Gründe

Der Anspruch besteht nicht uneingeschränkt. Arbeitgeber können den Weiterbeschäftigungsanspruch abwenden, wenn sie gewichtige Gründe vortragen, die gegen eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zur rechtskräftigen Entscheidung sprechen. Solche Gründe können beispielsweise das zerrüttete Vertrauensverhältnis, Betriebsstilllegung, schwere arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen oder wirtschaftliche Unzumutbarkeit sein.

Inhalt und Umfang des Weiterbeschäftigungsanspruchs

Pflicht zur tatsächlichen Beschäftigung

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Arbeitnehmer zu den bisherigen Bedingungen weiterzubeschäftigen. Art und Umfang der Weiterbeschäftigung richten sich in aller Regel nach den Bedingungen, die vor Ausspruch der Kündigung galten. Änderungen sind nur zulässig, wenn sie zuvor bereits rechtmäßig vereinbart wurden oder dem Schutz des Betriebsfriedens dienen.

Vergütungsanspruch und Sozialleistungen

Während der Weiterbeschäftigung erhält der Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung einschließlich aller Nebenleistungen. Fehlt die tatsächliche Beschäftigung aus Gründen, die der Arbeitgeber zu vertreten hat, kann ein Annahmeverzugslohnanspruch nach § 615 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bestehen.

Durchsetzung und prozessuale Aspekte

Verfahren vor den Arbeitsgerichten

Der Weiterbeschäftigungsanspruch kann im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durch eine einstweilige Verfügung gemäß §§ 935, 940 Zivilprozessordnung (ZPO) durchgesetzt werden. Daneben besteht die Möglichkeit, im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses einen sogenannten „Antrag auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens“ zu stellen.

Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen

Nach einer erstinstanzlichen Entscheidung zugunsten des Arbeitnehmers ist der Arbeitgeber in der Regel zur vorläufigen Weiterbeschäftigung verpflichtet, unabhängig von einer möglichen Berufung oder Revision. Erst nach einer rechtskräftigen Entscheidung entfällt der Anspruch, sofern die Kündigung als wirksam bestätigt wird.

Rechtsfolgen bei Verletzung des Weiterbeschäftigungsanspruchs

Arbeitsrechtliche Folgen

Kommt der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Weiterbeschäftigung nicht nach, kann er sich schadensersatzpflichtig machen. Der Arbeitnehmer kann insbesondere Ansprüche auf Vergütung im Sinne des Annahmeverzugs geltend machen.

Beendigende oder hemmende Ereignisse

Der Weiterbeschäftigungsanspruch endet mit dem rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens. Wird die Unwirksamkeit der Kündigung bestätigt, läuft das Arbeitsverhältnis grundsätzlich normal weiter und der Arbeitnehmer behält seinen Arbeitsplatz. Wird die Kündigung für wirksam erklärt, endet das Arbeitsverhältnis endgültig, und der Anspruch auf Weiterbeschäftigung entfällt.

Abgrenzung zu ähnlichen Ansprüchen

Unterschied zum Wiedereinstellungsanspruch

Der Weiterbeschäftigungsanspruch ist vom sogenannten Wiedereinstellungsanspruch zu unterscheiden. Letzterer kommt unter besonderen Voraussetzungen zum Tragen, etwa bei nachträglichen Änderungen der Kündigungsgrundlage, während der Weiterbeschäftigungsanspruch auf der Unsicherheit über die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung basiert.

Bedeutung in der Praxis

Der Weiterbeschäftigungsanspruch ist ein bedeutendes Instrument im deutschen Arbeitsrecht. Er stärkt die Position von Arbeitnehmern im Kündigungsschutzprozess und trägt zur sozialen Absicherung betroffener Personen bei. Arbeitgeber müssen seine Reichweite im Rahmen von Kündigungen stets berücksichtigen und können mitunter gezwungen sein, Arbeitsverhältnisse zumindest vorläufig fortzuführen, selbst wenn sie von der Wirksamkeit ihrer Kündigung überzeugt sind.


Quellenhinweis: Die Darstellung folgt der Entwicklung in Rechtsprechung und Literatur zum deutschen Arbeitsrecht. Maßgeblich ist insbesondere die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 27.02.1985, GS 1/84, sowie das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) und ergänzende gesetzliche Bestimmungen.

Häufig gestellte Fragen

Welche Voraussetzungen müssen für einen Weiterbeschäftigungsanspruch vorliegen?

Ein Weiterbeschäftigungsanspruch setzt rechtlich voraus, dass ein Arbeitsverhältnis zunächst durch eine Kündigung oder einen Aufhebungsvertrag beendet werden soll, der oder die jedoch rechtlich angegriffen wird. Zentrale Voraussetzung ist in der Regel, dass eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht eingereicht und diese rechtzeitig – also innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung gemäß § 4 KSchG – erhoben wurde. Gleichzeitig muss der Arbeitnehmer im Prozess ausdrücklich oder konkludent die Weiterbeschäftigung verlangen. Ein Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses während des Kündigungsrechtsstreits ist nach zumeist gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) dann zu gewähren, wenn das Interesse des Arbeitgebers an einer Nichtbeschäftigung das Interesse des Arbeitnehmers an einer Weiterarbeit nicht überwiegt. Der Anspruch erfordert daher stets eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall.

Wie ist das Verhältnis zwischen Kündigungsschutzklage und Weiterbeschäftigungsanspruch?

Die Kündigungsschutzklage ist oftmals die Grundlage für einen Weiterbeschäftigungsanspruch. Sobald die Klage rechtzeitig beim Arbeitsgericht eingereicht wurde, kann der Arbeitnehmer – sei es als einstweilige Anordnung oder als gesonderten Antrag – verlangen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung weiterbeschäftigt zu werden. Der geltend gemachte Anspruch ist ein eigenständiger prozessualer Anspruch, weshalb der Arbeitnehmer aktiv einen Weiterbeschäftigungsantrag stellen muss. Die Fortsetzung der Beschäftigung wird meist gerichtlich bis zur erstinstanzlichen Entscheidung (gelegentlich auch bis zum Abschluss des Rechtsstreits) angeordnet, da in diesem Zeitraum der sogenannte Beschäftigungsanspruch aus § 611a BGB grundsätzlich fortbesteht.

In welchen Fällen kann der Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung verweigern?

Der Arbeitgeber kann den Weiterbeschäftigungsanspruch nicht ohne triftigen Grund ablehnen. Er muss nachweisen, dass überwiegende betriebliche Interessen, möglicherweise auch durch die konkrete Art der Kündigung (z.B. bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers wie Diebstahl, Gewalt oder erheblichem Vertrauensverlust), eine Weiterbeschäftigung unzumutbar machen. Ist zwischen den Parteien erhebliches Zerwürfnis dokumentiert oder droht dem Betrieb durch die Weiterbeschäftigung ein nicht hinzunehmender Schaden, kann dies ein abwägungsfähiges Argument sein. Allerdings wird nach der ständigen Rechtsprechung des BAG ein pauschales Arbeitgeberinteresse nicht anerkannt; es bedarf eines konkreten und substantiierten Nachweises besonderer Gründe.

Welche Bedeutung kommt der Unwirksamkeit einer Kündigung im Zusammenhang mit dem Weiterbeschäftigungsanspruch zu?

Wird die Unwirksamkeit der Kündigung durch ein erstinstanzliches Urteil festgestellt, so verfestigt sich der Weiterbeschäftigungsanspruch. Das heißt, der Arbeitnehmer hat nach § 102 Abs. 5 BetrVG (sofern ein Betriebsrat besteht) und nach der Rechtsprechung des BAG einen Anspruch darauf, weiterbeschäftigt zu werden, bis das Urteil rechtskräftig ist oder eine höhere Instanz anders entscheidet. Diese Rechtsposition soll ein faktisches Beschäftigungsvakuum verhindern und die wirtschaftliche Existenz des Arbeitnehmers sichern. Gewinnt der Arbeitgeber jedoch in höheren Instanzen, kann eine nachträgliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgen, eventuell mit Rückabwicklungspflichten.

Besteht während eines gerichtlichen Streits um die Kündigung weiterhin Anspruch auf Vergütung?

Während des Weiterbeschäftigungsverhältnisses hat der Arbeitnehmer einen Vergütungsanspruch. Wird der Anspruch auf Weiterbeschäftigung vor Gericht durchgesetzt, schuldet der Arbeitgeber grundsätzlich Annahmeverzugslohn aus § 615 BGB, sofern der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung ordnungsgemäß anbietet oder dies wegen der Arbeitgeberhaltung entbehrlich ist. Wird die Kündigung rechtskräftig für unwirksam erklärt, besteht der Zahlungsanspruch für die gesamte Dauer. Wird die Kündigung hinterher bestätigt, kann unter Umständen eine Rückabwicklung dieses Anspruchs erfolgen, insbesondere im Falle einer arbeitsgerichtlichen einstweiligen Verfügung.

Wie unterscheiden sich betriebsverfassungsrechtliche und allgemeine Weiterbeschäftigungsansprüche?

Betroffene Arbeitnehmer können den Weiterbeschäftigungsanspruch aus verschiedenen rechtlichen Grundlagen herleiten: Zum einen aus dem allgemeinen arbeitsvertraglichen Beschäftigungsanspruch (BAG-Rechtsprechung zu § 611a BGB), zum anderen für Mitglieder des Betriebsrats unmittelbar aus § 102 Abs. 5 BetrVG. Mitglieder des Betriebsrats haben gemäß dieser Vorschrift einen besonders starken Anspruch, während bei „normalen“ Arbeitnehmern die Weiterbeschäftigung auf den Schutzgedanken aus dem Arbeitsvertrag und der ständigen Rechtsprechung des BAG fußt, gestützt durch die gesellschaftliche und wirtschaftliche Schutzfunktion des Arbeitsrechts.

Welche relevanten Unterschiede gibt es beim Weiterbeschäftigungsanspruch in Kleinbetrieben?

In Kleinbetrieben, die weniger als zehn Arbeitnehmer beschäftigen (§ 23 KSchG), ist das Kündigungsschutzgesetz grundsätzlich nicht, oder nur eingeschränkt, anwendbar. Infolgedessen besteht hier kein gesetzlicher Weiterbeschäftigungsanspruch auf Basis des klassischen Kündigungsschutzrechts. Allerdings kann im Ausnahmefall ein Weiterbeschäftigungsanspruch aus arbeitsvertraglichen oder tariflichen Regelungen, insbesondere im Zusammenhang mit Treu und Glauben (§ 242 BGB) oder speziellen Vereinbarungen, ableitbar sein. Die Hürden hierfür sind jedoch deutlich höher als in Betrieben, in denen das Kündigungsschutzgesetz vollumfänglich gilt.