Begriff und rechtliche Einordnung der Wahrnehmung berechtigter Interessen
Die Wahrnehmung berechtigter Interessen ist ein rechtlich relevanter Begriff, der insbesondere im Zivilrecht, Datenschutzrecht sowie auch im Bereich des Strafrechts und Arbeitsrechts von Bedeutung ist. Er bezeichnet die Ausübung oder Geltendmachung von Rechten und rechtlich anerkannten Positionen, sofern dabei schützenswerte Interessen verfolgt werden, die im Rahmen der jeweiligen gesetzlichen Vorschriften anerkannt sind.
Definition und Abgrenzung
Die Wahrnehmung berechtigter Interessen findet sich in vielen Rechtsnormen als ein Rechtfertigungsgrund. Sie stellt sicher, dass Handlungen, die grundsätzlich einen Verstoß gegen bestehende Vorschriften darstellen könnten, in besonderen Konstellationen dennoch erlaubt oder gerechtfertigt sein können. Dabei ist stets eine Abwägung zwischen den kollidierenden Interessen der Beteiligten erforderlich.
Ein berechtigtes Interesse liegt vor, wenn ein Interesse
- rechtlich schutzwürdig ist,
- auf nachvollziehbaren wirtschaftlichen, ideellen oder rechtlichen Gründen beruht,
- nicht gegen geltendes Recht oder die guten Sitten verstößt.
Rechtliche Grundlagen der Wahrnehmung berechtigter Interessen
Datenschutzrecht (DSGVO und BDSG)
Im Datenschutzrecht spielt die Wahrnehmung berechtigter Interessen insbesondere nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO eine zentrale Rolle. Demnach ist die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person überwiegen.
Voraussetzungen
Die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung aus berechtigtem Interesse stützt sich auf:
- Vorliegen eines berechtigten Interesses des Verantwortlichen oder Dritten,
- Erforderlichkeit der Verarbeitung zur Verfolgung dieses Interesses,
- Interessenabwägung zwischen dem Interesse des Verantwortlichen oder Dritten einerseits sowie den Grundrechten und Grundfreiheiten der betroffenen Person andererseits.
Beispiele aus der Praxis
Typische Anwendungsfälle sind:
- Direktwerbung,
- Geltendmachung oder Abwehr rechtlicher Ansprüche,
- Betrugsprävention.
Zivilrecht (insbesondere § 193 StGB und § 227 BGB)
Auch im Zivilrecht und Strafrecht ist die Wahrnehmung berechtigter Interessen relevant. Besonders bekannt ist sie aus § 193 StGB (Wahrnehmung berechtigter Interessen), der im Rahmen wahrheitsgemäßer Berichterstattung und Meinungsäußerung einen Rechtfertigungsgrund darstellt.
Meinungsäußerungsrecht
Handlungen, wie etwa die Veröffentlichung von Informationen, können gerechtfertigt sein, sofern sie in Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgen und keine Schmähkritik oder falsche Tatsachenbehauptungen darstellen.
Notwehr und Selbsthilfe
Nach § 227 BGB (Notwehr) und § 229 BGB (Selbsthilfe) können auch Handlungen erlaubt sein, die sonst einen Eingriff in fremde Rechte darstellen würden, wenn sie der Wahrnehmung eines eigenen oder eines rechtlich geschützten Interesses dienen.
Arbeitsrecht
Im Arbeitsrecht manifestiert sich die Wahrnehmung berechtigter Interessen beispielsweise bei der Wahrnehmung kollektiver Interessen durch Arbeitnehmervertretungen oder beim Zeugnisrecht. Hier finden Interessenabwägungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer statt.
Voraussetzungen und Grenzen der Wahrnehmung berechtigter Interessen
Interessenabwägung
Zentrales Element ist stets die sorgfältige Abwägung der betroffenen Interessen. Diese erfolgt regelmäßig nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit – es wird geprüft, ob die Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen ist, um das berechtigte Interesse zu wahren, und ob schutzwürdige Interessen entgegenstehen.
Schranken und Ausschlüsse
Wird die Wahrnehmung berechtigter Interessen missbraucht, etwa zur Vertretung unlauteren Wettbewerbs oder zur vorsätzlichen Schädigung Dritter, entfällt der Rechtfertigungsgrund. Ein berechtigtes Interesse liegt zudem nicht vor, wenn die mit der Handlung verbundenen Nachteile für Dritte die Vorteile für den Handelnden überwiegen.
Bedeutung in der Rechtsprechung
Die Auslegung und Anwendung des Begriffs erfolgt durch die Gerichte einzelfallbezogen. Wesentliche Entwicklungen finden sich vor allem in Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (insbesondere zur DSGVO) sowie der deutschen Gerichte im Bereich des Persönlichkeitsrechts und Datenschutzes. Die Rechtsprechung stellt dabei hohe Anforderungen an die Darlegung des berechtigten Interesses und verlangt eine strikte und transparente Abwägung der Interessenlagen.
Zusammenfassung
Die Wahrnehmung berechtigter Interessen ist ein zentraler Rechtfertigungsgrund in zahlreichen Rechtsgebieten. Sie ermöglicht eine flexible und einzelfallorientierte Abwägung von Interessen und schützt vor einer starren Anwendung gesetzlicher Verbote, sofern schützenswerte Interessen sachlich dargelegt werden können. Ausschlaggebend ist dabei stets eine nachvollziehbare und transparente Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände.
Häufig gestellte Fragen
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein berechtigtes Interesse im Sinne der DSGVO vorliegt?
Ein berechtigtes Interesse im Sinne des Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO liegt vor, wenn eine verantwortliche Stelle oder ein Dritter ein nachvollziehbares, aktuelles und rechtlich schützenswertes Interesse an der Verarbeitung personenbezogener Daten geltend machen kann. Dieses Interesse darf nicht rein hypothetisch oder ideell sein, sondern muss auf einer tatsächlichen Situation beruhen. Voraussetzung ist weiter, dass die Verarbeitung zur Wahrung dieses Interesses erforderlich ist. Die Erforderlichkeit ist gegeben, wenn das angestrebte Ziel mit einem milderen, weniger eingriffsintensiven Mittel nicht erreicht werden kann. Schließlich darf das Interesse des Verantwortlichen nicht gegenüber den Interessen oder Grundrechten und Grundfreiheiten der betroffenen Person überwiegen. Im Rahmen einer sogenannten Interessenabwägung sind sowohl die Art, der Umfang, die Umstände der Datenverarbeitung, als auch die spezifischen Schutzinteressen der Betroffenen zu berücksichtigen, zum Beispiel durch technische und organisatorische Maßnahmen, Transparenz oder Widerspruchsrechte. Zu den berechtigten Interessen zählen etwa die Verhinderung von Betrug, Direktwerbung, die Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen sowie interne Verwaltungszwecke.
Welche Dokumentations- und Nachweispflichten bestehen bei der Berufung auf berechtigte Interessen?
Verantwortliche, die sich auf das berechtigte Interesse als Rechtsgrundlage stützen, unterliegen gemäß Art. 5 Abs. 2 DSGVO der Rechenschaftspflicht. Konkret bedeutet dies, dass sie die Entscheidung für die Datenverarbeitung und die zugrundeliegende Interessenabwägung ausführlich dokumentieren und deren Ergebnisse nachvollziehbar festhalten müssen. Diese Dokumentation sollte beinhalten: eine klare Beschreibung des berechtigten Interesses, die genaue Identifikation der betroffenen Daten und Zwecke, eine Begründung der Erforderlichkeit, sowie eine systematische Risiko- und Interessensabwägung. Insbesondere müssen die Gründe für das Überwiegen des eigenen Interesses gegenüber den Schutzinteressen der Betroffenen dargelegt werden. Darüber hinaus empfiehlt sich die Darstellung getroffener Abhilfemaßnahmen wie Pseudonymisierung, Einschränkung des Datenzugriffs oder Kommunikationskanäle zur Wahrnehmung von Widerspruchsrechten. Im Falle einer Anfrage der Aufsichtsbehörde sollte diese Dokumentation unmittelbar vorgelegt werden können.
Welche Informationspflichten sind gegenüber den betroffenen Personen zu beachten?
Wer personenbezogene Daten unter Berufung auf berechtigte Interessen verarbeitet, ist verpflichtet, die betroffene Person transparent und umfassend über die Verarbeitungsvorgänge zu informieren. Nach Art. 13, 14 DSGVO müssen Verantwortliche u.a. die Identität und Kontaktdaten des Verantwortlichen, die Zwecke der Datenverarbeitung, die betroffenen Datenkategorien, die Empfänger oder Kategorien von Empfängern sowie die geplante Dauer der Speicherung mitteilen. Wesentlich ist hier insbesondere der Hinweis auf das berechtigte Interesse als Rechtsgrundlage sowie eine Erläuterung, worin dieses konkret besteht. Zudem sind Betroffene über ihr Widerspruchsrecht nach Art. 21 DSGVO explizit zu informieren, einschließlich des Hinweises, in welchen Fällen dieses Widerspruchsrecht nicht gilt oder eingeschränkt ist. Die Informationen müssen präzise, transparent, verständlich und leicht zugänglich bereitgestellt werden, beispielsweise in einer Datenschutzerklärung.
Wie erfolgt die Abwägung zwischen den berechtigten Interessen des Verantwortlichen und den Interessen der betroffenen Person?
Die Abwägungseinschätzung ist eine Kerndisziplin im Rahmen der Zulässigkeit nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO. Den Ausgangspunkt bildet das zu verfolgende berechtigte Interesse des Verantwortlichen, das konkret beschrieben und festgehalten werden muss. Im nächsten Schritt wird geprüft, ob die konkrete Datenverarbeitung erforderlich und verhältnismäßig ist; das bedeutet, ob das Ziel nicht durch weniger eingreifende Maßnahmen erreichbar ist. Im dritten Schritt sind die Interessen, Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person zu beurteilen, wobei Art, Umfang, Zweck und Sensibilität der verarbeiteten Daten, die betroffene Personengruppe (z. B. Kinder, Mitarbeiter, Kunden), der Kontext der Verarbeitung und die zu erwartenden Konsequenzen für die Betroffenen einzubeziehen sind. Ferner sind gesetzliche Schutzstandards, etwa spezielle Regelungen im Arbeitsrecht oder besondere Schutzbedürftigkeit der Daten (wie Gesundheitsdaten), zu berücksichtigen. Letztlich darf keine übermäßige Beeinträchtigung eintreten und es sollten technische und organisatorische Sicherungsmaßnahmen für das Schutzinteresse der Betroffenen vorgesehen werden.
Welche Rolle spielt das Widerspruchsrecht der betroffenen Personen bei der Verarbeitung aufgrund berechtigter Interessen?
Das Widerspruchsrecht nach Art. 21 Abs. 1 DSGVO ist ein zentrales Instrument des Schutzes betroffener Personen, wenn die Verarbeitung auf einem berechtigten Interesse fußt. Betroffene können aus Gründen, die sich aus ihrer besonderen Situation ergeben, jederzeit gegen die Verarbeitung sie betreffender Daten Widerspruch einlegen. Nach Eingang eines Widerspruchs darf der Verantwortliche die betreffenden Daten nur dann weiterverarbeiten, wenn zwingende schutzwürdige Gründe vorliegen, die die Interessen, Rechte und Freiheiten der betroffenen Person überwiegen, oder die Verarbeitung der Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen dient. Insbesondere im Fall der Direktwerbung ist das Widerspruchsrecht besonders weitgehend: Hier genügt jeder Widerspruch zur Beendigung der Verarbeitung zu Werbezwecken; das Interesse des Verantwortlichen tritt in diesen Fällen grundsätzlich zurück.
Welche Bedeutung hat das berechtigte Interesse bei der Datenerhebung zu internen Verwaltungszwecken?
Die Datenerhebung aufgrund berechtigter Interessen kann insbesondere für interne Verwaltungszwecke und zur effizienten Geschäftsabwicklung relevant sein, etwa für IT-Sicherheitsmaßnahmen, interne Berichts- und Steuerungsprozesse, die Verwaltung von Kunden- und Lieferantenbeziehungen oder die Gewährleistung der Netzwerksicherheit. Hierbei ist zu beachten, dass das Interesse des Unternehmens am reibungslosen Ablauf organisatorischer Abläufe grundsätzlich anerkannt ist, jedoch stets die Verhältnismäßigkeit und der Schutz der Interessen der betroffenen Personen zu wahren sind. Datenverarbeitung zu diesen Zwecken muss transparent, zweckgebunden und auf das notwendige Maß beschränkt sein, wobei ergänzende Schutzmaßnahmen, wie Pseudonymisierung oder Verschlüsselung, empfohlen werden.
Welche Haftungs- und Sanktionierungsrisiken bestehen bei fehlerhafter Wahrnehmung berechtigter Interessen?
Bei rechtswidriger Berufung auf berechtigte Interessen oder Verstößen gegen Transparenz-, Informations- und Dokumentationspflichten drohen Unternehmen empfindliche Sanktionen nach Art. 83 DSGVO, wobei abhängig vom Verstoß Bußgelder bis zu 20 Mio. Euro oder 4% des weltweiten Jahresumsatzes verhängt werden können. Zudem besteht ein zivilrechtliches Haftungsrisiko für sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, die Betroffenen durch unzulässige Datenverarbeitung entstehen (Art. 82 DSGVO). Besonders risikobehaftet sind Fälle, in denen die Interessenabwägung unzureichend oder nicht nachvollziehbar dokumentiert wurde, die Rechte der Betroffenen (wie das Widerspruchsrecht) nicht ausreichend gewährt oder Informationspflichten verletzt wurden. Neben den finanziellen Folgen droht ein erheblicher Reputationsverlust. Unternehmen sind deshalb gut beraten, Prozesse rund um die Wahrnehmung berechtigter Interessen engmaschig zu überprüfen und anzupassen.