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Vulture


Begriff und rechtlicher Kontext von „Vulture“

Der Begriff „Vulture“ (englisch für „Geier“) wird insbesondere im wirtschaftsrechtlichen Kontext als Kurzform für „Vulture Fund“ (deutsch: „Geierfonds“) verwendet. Er bezeichnet umgangssprachlich Investoren oder Investmentfonds, die notleidende Schuldtitel – oftmals Anleihen oder Kredite von Staaten, Unternehmen oder Privatpersonen – zu stark verminderten Preisen erwerben, um anschließend auf vollständige Forderungsdurchsetzung zu dringen. Diese Praxis ist sowohl im internationalen Finanzrecht als auch im Insolvenzrecht von Relevanz und birgt zahlreiche rechtliche Implikationen.


Vulture Funds: Rechtlicher Hintergrund und Funktionsweise

Erwerb notleidender Forderungen

Vulture Funds kaufen Forderungen – wie Anleihen, Schuldscheindarlehen oder sonstige Schuldtitel -, die sich in Zahlungsverzug oder im Stadium der Restrukturierung befinden. Der Erwerb erfolgt in der Regel weit unter dem Nominalwert des Anspruchs. Rechtlich handelt es sich um eine Form des Forderungserwerbs durch Abtretung (Zession), geregelt beispielsweise in Deutschland nach §§ 398 ff. BGB oder im angloamerikanischen Recht als „Assignment of Claims“.

Rechte des Zessionars

Durch die Übertragung der Forderung erlangt der Fonds zivilrechtlich die volle Rechtsposition des ursprünglichen Gläubigers. Daraus ergeben sich insbesondere Rechte auf Zahlung des vollen Nominalbetrags zuzüglich etwaiger Zinsen und Vertragsstrafen. Die tatsächlichen Möglichkeiten, diese Ansprüche geltend zu machen, hängen jedoch von verschiedenen rechtlichen Rahmenbedingungen ab.


Durchsetzung von Ansprüchen: Zivil- und Prozessrecht

Prozessführungsbefugnis und Gerichtsstand

Vulture Funds nutzen die ihnen durch Forderungskauf übertragenen Rechte, um gerichtlich gegen Schuldner – häufig Staaten mit Zahlungsschwierigkeiten – vorzugehen. Im internationalen Kontext bestimmt sich der Gerichtsstand oftmals durch die Anleihebedingungen oder die Art der Forderung.

Internationale Anleihen unterliegen häufig dem Recht und den Gerichten von Staaten mit entwickelten Finanzplätzen, wie etwa New York oder London. So können Vulture Funds gerichtliche Klagen außerhalb des Sitzstaates des Schuldners einreichen.

Zwangsvollstreckung im internationalen Rechtsverkehr

Die tatsächliche Durchsetzung rechtskräftiger Titel gestaltet sich besonders im grenzüberschreitenden Kontext schwierig. Dabei sind Aspekte des internationalen Vollstreckungsrechts zu beachten, wie die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile oder das Vorhandensein von Immunitätsregelungen (staatliche Immunität).


Staatliche Immunität und Vulture Litigation

Grundsatz der Immunität

Staaten genießen grundsätzlich Immunität von der Gerichtsbarkeit anderer Staaten und der Zwangsvollstreckung (vgl. Art. 25 GG; Völkergewohnheitsrecht; State Immunity Act 1978 (UK)). Von diesem Grundsatz gibt es Ausnahmen, etwa bei kommerziellen Geschäften.

Durchbrechung der Immunität

Vulture Funds versuchen, durch gezielte Anfechtung der Immunität und durch Identifizierung nicht immunitätsgeschützter Staatseinrichtungen oder Vermögenswerte (z. B. kommerziell genutzte Botschaftsgebäude oder staatliche Unternehmen) Zugriff auf Vermögenswerte im Ausland zu erlangen. Die Gefahr der Zwangsvollstreckung erhöht den Druck auf Schuldner zu außergerichtlichen Einigungen.


Restrukturierung von Staatsschulden

Collective Action Clauses (CAC)

Um die Machtposition einzelner Investoren zu begrenzen, sind viele neuere Anleihebedingungen mit Collective Action Clauses (kollektive Handlungsklauseln) versehen. Diese erlauben einer qualifizierten Mehrheit von Gläubigern, einer Schuldenrestrukturierung zuzustimmen, die dann auch für „Vultures“ bindend ist. Fehlen solche Klauseln, kann ein einzelner Fonds die flexible Mehrheitsentscheidung blockieren und auf vollständiger Erfüllung bestehen.

Pari Passu-Klauseln

Ein weiteres rechtliches Instrument sind Pari Passu-Klauseln, die eine Gleichbehandlung aller Gläubiger gewährleisten sollen. Ihre Auslegung kann dazu führen, dass auch restrukturierungsresistente Gläubiger gleichrangig bedient werden müssen, was Vulture Funds zusätzliches Verhandlungspotenzial verschafft.


Moralische, rechtspolitische und internationale Kritik

Rechte versus Gemeinwohl

Die Aktivitäten von Vulture Funds stoßen oft auf rechtspolitische Kritik und werfen Fragen des Interessenausgleichs zwischen Privatautonomie (Recht auf vollständigen Forderungserwerb und -durchsetzung) und dem öffentlichen Interesse an effektiven Umschuldungen auf.

Internationale Gesetzgebungsinitiativen

Einzelne Rechtsordnungen, etwa Belgien durch das „Anti-Vulture-Law“ (Gesetz vom 12. Juli 2015), versuchen, die exorbitante Gewinnerzielung durch Geierfonds zu begrenzen und die Durchsetzung von Forderungen auf den tatsächlich gezahlten Kaufpreis zu beschränken. Auch internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen beschäftigen sich mit Regelungsvorschlägen zugunsten künftiger Schuldnerländer.


Zusammenfassung und rechtliche Einordnung

Vulture Funds und der Begriff „Vulture“ bezeichnen Akteure, die notleidende Forderungen systematisch aufkaufen und auf vollständiger Einforderung – häufig gegen wirtschaftlich angeschlagene Schuldner – beharren. Die Praxis basiert auf zivilrechtlicher Forderungsübertragung, ist jedoch mit vielschichtigen Fragestellungen des internationalen Schuld-, Prozess- und Vollstreckungsrechts sowie des öffentlichen Rechts verknüpft. Die rechtliche Bewertung hängt maßgeblich vom Einzelfall, vom anwendbaren Recht und von der jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Perspektive ab.


Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten für Vulture-Fonds in Deutschland?

Vulture-Fonds, auch als „Heuschreckenfonds“ bezeichnet, agieren im rechtlichen Rahmen des deutschen Zivil- und Handelsrechts. Grundsätzlich ist der Erwerb von notleidenden Forderungen (NPLs – Non Performing Loans) nach deutschem Recht zulässig; die Übertragung richtet sich vor allem nach den Vorschriften der §§ 398 ff. BGB (Abtretung von Forderungen). Einschränkungen können sich etwa durch vertragliche Abtretungsverbote („cessio pro solvendo“), datenschutzrechtliche Vorgaben oder das Kreditwesengesetz (KWG) ergeben, sofern das Geschäftsmodell bankenaufsichtsrechtliche Schwellen überschreitet. Zudem unterliegen Vulture-Fonds, sofern sie als Finanzdienstleistungsinstitute auftreten, der BaFin-Aufsicht und müssten gegebenenfalls entsprechende Lizenzen gemäß KWG § 32 vorhalten. Die Durchsetzung der erworbenen Ansprüche muss im Kontext des deutschen Zwangsvollstreckungs-, Insolvenz- und Verbraucherschutzrechts erfolgen. Weiter besteht Meldepflicht gegenüber der Schufa und vergleichbaren Auskunfteien sowie Einhaltung der DSGVO beim Umgang mit personenbezogenen Schuldnerdaten.

Inwieweit unterliegen Vulture-Fonds der Bankenaufsicht oder anderen behördlichen Kontrollen?

Vulture-Fonds, die lediglich Forderungen erwerben und nicht im engeren Sinne Bankgeschäfte betreiben oder Depotgeschäfte tätigen, gelten nach aktueller Rechtsprechung und Verwaltungspraxis nicht als Kreditinstitute im Sinne des KWG und bedürfen keiner bankaufsichtlichen Erlaubnis. Überschreiten sie jedoch gewisse Schwellen – etwa wenn sie im großen Stil Forderungen erwerben und selbst Kredite gewähren oder mit Darlehen handeln -, kann eine KWG-Erlaubnispflicht entstehen. Auch sind Fondsstrukturen nach dem Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) zu bewerten; falls es sich um Investmentvermögen handelt, bestehen zusätzliche Anforderungen. Die BaFin kann Prüfungen anordnen und verlangt teils Compliance-Nachweise, insbesondere zur Geldwäscheprävention nach dem Geldwäschegesetz (GwG). Bei internationalen Aktivitäten sind zudem etwaige Melde- und Erlaubnispflichten im Herkunfts- bzw. Zielland zu beachten.

Welche Verbraucherschutzvorschriften greifen beim Forderungserwerb durch Vulture-Fonds?

Beim Forderungserwerb sind umfangreiche Verbraucherschutzvorschriften einzuhalten. Nach § 404 BGB können Schuldner sämtliche Einwendungen, die sie gegen den ursprünglichen Gläubiger gehabt hätten, auch dem neuen Gläubiger – also dem Vulture-Fonds – entgegenhalten. Darüber hinaus greifen §§ 355, 491a BGB bei Verbraucherkreditverträgen, unter Umständen Widerrufsrechte und diverse Informationspflichten. Besonders bei notleidenden Hypothekendarlehen ist das Wohnraumkündigungsschutzrecht (z. B. § 573 BGB) zu beachten. Ferner gelten besondere Vorschriften beim Verkauf von Immobiliar- oder Verbraucherdarlehen (§§ 491 bis 505e BGB). Auch die Datenschutzvorschriften der DSGVO und das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) sind zwingend zu berücksichtigen, insbesondere im Hinblick auf die Informationspflicht nach Art. 14 DSGVO bei der Datenübernahme.

Wie gestaltet sich die rechtliche Position des Schuldners nach Übertragung seiner Forderung an einen Vulture-Fonds?

Der Schuldner wird durch die Forderungsübertragung in seiner Rechtsposition grundsätzlich nicht verschlechtert. Ihm bleiben sämtliche Einreden und Einwendungen nach §§ 404 ff. BGB erhalten, etwa Verjährung oder Anfechtungsrechte. Allerdings treten Vulture-Fonds häufig mit gesteigerten Realisierungsinteressen auf und nutzen das gesamte rechtliche Instrumentarium von Mahnwesen, Klage, Zwangsvollstreckung und Insolvenzverfahren. Die Rechtsmittel des Schuldners bleiben davon unberührt. Kommt es zur Abwehr ungerechtfertigter Forderungen, sind sämtliche Rechtsbehelfe zu nutzen: Widerspruch im Mahnbescheidverfahren, Verteidigung im streitigen Prozess, Einreden im Insolvenzverfahren etc. Das Verbot der „Rechtsmissbräuchlichkeit“ (§ 242 BGB) setzt Vulture-Fonds Grenzen, wenn sie etwa sittenwidrig oder schikanös vorgehen sollten.

Welche Pflichten bestehen für Vulture-Fonds bei der Kommunikation mit Schuldnern?

Vulture-Fonds sind verpflichtet, gegenüber Schuldnern klar über den Forderungserwerb und die Identität des neuen Gläubigers zu informieren (§ 409 BGB). Bei unterlassenen Mitteilungen besteht für den Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht an den bisherigen Gläubiger. Zudem gelten für die Schuldnerkommunikation die Vorschriften des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG), um nicht erlaubnispflichtige Rechtsberatung zu überschreiten. Die Informationspflichten umfassen auch Datenschutzinformationen nach Art. 13/14 DSGVO und gegebenenfalls weitere Verbraucherschutzinformationen nach BGB. Bei irreführender oder aggressiver Kommunikation drohen Abmahnungen, Bußgelder und Unterlassungsansprüche nach UWG und Verbraucherschutzgesetzen.

Dürfen Vulture-Fonds im Rahmen der Zwangsvollstreckung uneingeschränkt gegen Schuldner vorgehen?

Vulture-Fonds können als Gläubiger grundsätzlich das gesamte gesetzliche Zwangsvollstreckungsinstrumentarium nach §§ 704 ff. ZPO nutzen. Sie müssen dazu einen vollstreckbaren Titel (z. B. Urteil, Vollstreckungsbescheid) vorlegen können. Dennoch gelten alle Schutzvorschriften des Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrechts weiter: Unpfändbarkeit, Vollstreckungsschutz nach §§ 850 ff. ZPO, Schonvermögen im Insolvenzverfahren etc. Bei drohender Obdachlosigkeit oder sozialer Härte sind zusätzliche Restriktionen zu beachten und gegebenenfalls Sozialbehörden einzuschalten. Bei Missbrauch der Rechtsdurchsetzung oder Überschreitung rechtlicher Schranken drohen Schadensersatzpflichten, Vollstreckungsabwehrklagen und gegebenenfalls strafrechtliche Konsequenzen (z. B. Nötigung, § 240 StGB).

Welche Einschränkungen bestehen beim Weiterverkauf von Forderungen durch Vulture-Fonds?

Auch für Vulture-Fonds gilt, dass sie Forderungen weiterverkaufen dürfen, sofern keine gesetzlichen oder vertraglichen Abtretungsverbote bestehen. Die Parteien können Abtretungsverbote im Ursprungsvertrag vereinbaren (§ 399 BGB); diese binden sämtliche Erwerber. Bei Forderungen gegen Verbraucher kann das Weiterverkaufsrecht zudem durch verbraucherschützende Klauseln oder Treuhandmodelle beschränkt sein. Auch personenbezogene Daten dürfen nach DSGVO nicht beliebig Dritten offengelegt werden, sondern benötigen eine hinreichende rechtliche Grundlage oder Einwilligung der Betroffenen. Beim Weiterverkauf sind stets neue Informationspflichten und Datenschutzregelungen zu beachten sowie Meldepflichten gegenüber der BaFin bei massenhaftem Forderungshandel.

Unterliegen Vulture-Fonds besonderen steuerlichen Regelungen?

Vulture-Fonds agieren im deutschen Steuerrecht regelmäßig als Kapitalgesellschaften oder Investmentfonds. Steuerlich relevant ist insbesondere die Behandlung von Erträgen aus Forderungsbeitreibung, Wertsteigerungen und etwaigen Veräußerungsgewinnen. Einkünfte werden in der Regel als Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder Kapitalvermögen behandelt (§§ 15, 20 EStG). Im internationalen Kontext können zudem Doppelbesteuerungsabkommen Anwendung finden. Steuerliche Missbrauchsvermeidungsvorschriften (z. B. § 42 AO) sind bei besonders aggressiven Gestaltungen zu beachten. Bei Engagements im Immobilienbereich gelten die Grunderwerbsteuer und ggf. die umsatzsteuerlichen Vorschriften, insbesondere im Rahmen der Geschäftsveräußerung im Ganzen (§ 1 Abs. 1a GrEStG, § 9 UStG).