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Vorzeitiger Zugewinnausgleich


Vorzeitiger Zugewinnausgleich – Begriff und Bedeutung

Der vorzeitige Zugewinnausgleich stellt im deutschen Familienrecht eine Besonderheit im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft dar. Das Instrument des vorzeitigen Zugewinnausgleichs erlaubt es Ehegatten unter bestimmten rechtlichen Voraussetzungen, bereits während des laufenden Güterstandes einen Ausgleich des während der Ehe erworbenen Zugewinns zu verlangen. Dies dient insbesondere dem Schutz des Ausgleichsberechtigten vor Vermögensverschiebungen und Nachteilen im Falle einer tiefgreifenden Störung der ehelichen Gemeinschaft oder einer Vermögensverschlechterung auf Seiten des anderen Ehegatten.

Rechtliche Grundlagen des vorzeitigen Zugewinnausgleichs

Gesetzliche Regelung

Der vorzeitige Zugewinnausgleich ist in den §§ 1385 bis 1390 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geregelt. Die Vorschriften bestimmen, bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen, einen Anspruch auf vorzeitigen Ausgleich des während der bestehenden Ehe erworbenen Zugewinns, auch ohne Auflösung der Ehe durch Scheidung oder Tod.

Voraussetzungen für den Anspruch

Gemäß § 1385 BGB kann der vorzeitige Zugewinnausgleich in mehreren Konstellationen geltend gemacht werden. Zu den wichtigsten Voraussetzungen zählen:

  • Antrag durch einen Ehegatten: Der Antrag auf vorzeitigen Zugewinnausgleich kann grundsätzlich von jedem Ehegatten gestellt werden, sofern dieser im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebt.
  • Störung des Güterstands: Der Antragsteller muss eine der im Gesetz benannten Störungstatbestände nachweisen:

– Der andere Ehegatte hat rechtskräftig verpflichtet, Auskunft über sein Vermögen nach § 1379 BGB zu erteilen und leistet diese nicht (§ 1385 Nr. 1 BGB).
– Der Antragsteller hat Klage auf Scheidung oder auf Aufhebung der Ehe erhoben (§ 1385 Nr. 2 BGB).
– Der andere Ehegatte hat das Vermögen in einer das Recht des Antragstellers beeinträchtigenden Weise vermindert oder hierzu Vorsorge getroffen (§ 1385 Nr. 3 BGB).
– Der andere Ehegatte ist wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden (§ 1385 Nr. 4 BGB).
– Die Auflösung des Güterstands ist zu erwarten, weil die Trennung der Ehegatten endgültig ist (§ 1385 Nr. 5 BGB).

Zweck und Schutzfunktion

Das primäre Ziel des vorzeitigen Zugewinnausgleichs ist es, Manipulationen und Nachteilen für den ausgleichsberechtigten Ehegatten noch vor Beendigung des Güterstandes entgegenzuwirken. Dadurch soll verhindert werden, dass Vermögenswerte dem Ausgleich entzogen oder das Vermögen bewusst gemindert werden.

Ablauf und Durchführung des vorzeitigen Zugewinnausgleichs

Verfahren

  • Antragstellung: Die Durchsetzung des Anspruchs erfolgt im Wege eines gerichtlichen Verfahrens. Voraussetzung ist ein entsprechender Antrag eines Ehegatten beim zuständigen Familiengericht.
  • Ermittlung des Zugewinns: Die Ermittlung des Zugewinns erfolgt nach den gleichen Grundsätzen wie bei Auflösung der Zugewinngemeinschaft durch Scheidung. Maßgeblicher Zeitpunkt ist jedoch die Zustellung des Antrags auf vorzeitigen Zugewinnausgleich.
  • Stichtage: Bei der Berechnung werden das Anfangsvermögen zu Beginn der Ehe und das Vermögen zum Zeitpunkt der Antragstellung (Zustellung des Antrags) gegenübergestellt.
  • Bewertung und Ausgleich: Der Ausgleich erfolgt durch Zahlungen desjenigen, dessen Zugewinn höher ist, an den Ehegatten mit geringerem Zugewinn. Auf Antrag kann der Ausgleichsanspruch vom Gericht tituliert werden.

Rechtliche Folgen des vorzeitigen Zugewinnausgleichs

  • Keine Beendigung des Güterstands: Der vorzeitige Zugewinnausgleich führt nicht zur Aufhebung der Zugewinngemeinschaft. Das Rechtsverhältnis bleibt bestehen und dem neuen Zugewinn laufen weiterhin die gesetzlichen Vorschriften des Güterstandes zu.
  • Mehrmalige Geltendmachung: In bestimmten Fällen ist ein vorzeitiger Zugewinnausgleich mehrfach während einer Ehe möglich, sofern jeweils ein neuer Störungstatbestand entsteht.
  • Ausgleichspflicht: Der ausgleichsverpflichtete Ehegatte muss den sich aus der Berechnung ergebenden Zugewinnausgleich zahlen. Unter Umständen ist auch eine dingliche Sicherung des Anspruchs möglich.

Abgrenzung zu anderen familienrechtlichen Ansprüchen

Unterschied zum Zugewinnausgleich bei Beendigung des Güterstands

Während der klassische Zugewinnausgleich regelmäßig bei Beendigung des Güterstands – etwa durch Scheidung oder Tod – durchgeführt wird, greift der vorzeitige Zugewinnausgleich bereits während bestehender Ehe bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen. Beide Ausgleichsansprüche folgen dabei denselben grundsätzlichen Berechnungsmethoden, unterscheiden sich jedoch im zeitlichen Ansatzpunkt und im Zweck.

Wechselwirkungen mit anderen Güterständen

Ein Anspruch auf vorzeitigen Zugewinnausgleich setzt zwingend das Bestehen des gesetzlichen Güterstands der Zugewinngemeinschaft voraus. Im Falle eines anderen Güterstandes (z. B. Gütertrennung oder Gütergemeinschaft) ist der Anspruch ausgeschlossen.

Praktische Bedeutung und rechtspolitische Erwägungen

Schutz vor Benachteiligung

Der vorzeitige Zugewinnausgleich dient vorwiegend als Schutzmechanismus für den wirtschaftlich schwächeren Ehegatten, wenn eine ernsthafte Vermögensgefährdung durch das Verhalten des anderen Ehegatten zu besorgen ist. Die Regelung ist daher von erheblicher praktischer Bedeutung insbesondere bei Zerwürfnissen oder bereits anhängiger Scheidung.

Bedeutung für die Vermögensauseinandersetzung

Die Möglichkeit des vorzeitigen Zugewinnausgleichs stellt einen Eingriff in das Prinzip der Finalität des Zugewinnausgleichs bei Beendigung des Güterstands dar und erlaubt es, Vermögensverschiebungen vor dem Scheidungsbeschluss juristisch abzufangen und abzusichern.

Überblick über die Rechtsprechung

Die Familiengerichte haben in den vergangenen Jahrzehnten eine Vielzahl an Entscheidungen zur Auslegung und Anwendung des vorzeitigen Zugewinnausgleichs getroffen. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die konkreten Anforderungen an den Nachweis einer Güterstandsgefährdung sowie die Berechnung des auszugleichenden Betrags zum jeweils maßgeblichen Stichtag.

Zusammenfassung

Der vorzeitige Zugewinnausgleich ist ein zentrales Institut des deutschen Familienrechts, das Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft unter engen Voraussetzungen bereits vor Beendigung der Ehe einen Ausgleich des Zugewinns ermöglicht. Die gesetzlichen Normen sehen vor, dass dieser Ausgleich besonders geschützten Situationen vorbehalten ist, um Missbrauch zu verhindern und den Anspruch des berechtigten Ehegatten auf faire Teilhabe am während der Ehe geschaffenen Vermögenszuwachs abzusichern.


Siehe auch

  • Zugewinnausgleich
  • Zugewinngemeinschaft
  • Güterstände der Ehe
  • Familiengericht

Literatur:

  • Palandt, BGB (aktuelle Ausgabe), Kommentar zu §§ 1385-1390
  • Münchener Kommentar zum BGB, Band zum Familienrecht
  • Staudinger, Kommentar zum BGB, Familienrecht

Häufig gestellte Fragen

Unter welchen Voraussetzungen kann ein vorzeitiger Zugewinnausgleich beantragt werden?

Der vorzeitige Zugewinnausgleich gemäß § 1385 BGB kann unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen beantragt werden. Eine zentrale Voraussetzung ist, dass sich die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft befinden. Ein Antrag ist möglich, wenn beispielsweise die eheliche Lebensgemeinschaft aufgehoben ist, einer der Ehegatten schuldhaft seine Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten über das Vermögen verletzt oder die Befriedigung von Unterhaltsansprüchen durch die wirtschaftlichen Verhältnisse des anderen Ehegatten erheblich gefährdet ist. Auch Insolvenzverfahren oder Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen das Vermögen eines Ehegatten können einen vorzeitigen Zugewinnausgleich rechtfertigen. Zudem muss das Familiengericht die Zulässigkeit des Antrags prüfen. Es ist erforderlich, die entsprechenden Umstände im Antrag glaubhaft darzulegen.

Welche rechtlichen Folgen hat die Durchführung eines vorzeitigen Zugewinnausgleichs?

Die Durchführung eines vorzeitigen Zugewinnausgleichs führt dazu, dass der Zugewinn, der bis zur Zustellung des Antrags erworben wurde, zwischen den Ehegatten ausgeglichen wird, als wäre der Güterstand der Zugewinngemeinschaft zu diesem Zeitpunkt bereits beendet. Nach der gerichtlichen Entscheidung ist der Anspruch auf Zugewinnausgleich für den abgerechneten Zeitraum grundsätzlich erfüllt, sodass ein späterer Zugewinnausgleich für denselben Zeitraum ausgeschlossen ist. Nur der nach dem vorzeitigen Ausgleich verbleibende Zugewinn bis zur tatsächlichen Beendigung des Güterstandes kann noch ausgeglichen werden. In der Vermögensauseinandersetzung schafft dies klare Verhältnisse und bietet insbesondere dem antragstellenden Ehegatten Rechtssicherheit.

Wie läuft das gerichtliche Verfahren beim vorzeitigen Zugewinnausgleich ab?

Das Verfahren wird mit einem schriftlichen Antrag beim zuständigen Familiengericht eingeleitet. Der antragstellende Ehegatte muss die gesetzlichen Voraussetzungen für den vorzeitigen Zugewinnausgleich nachweisen und entsprechende Belege beifügen. Das Gericht prüft, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, und gibt dem anderen Ehegatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Es besteht eine Auskunftspflicht hinsichtlich des jeweiligen Anfangs- und Endvermögens beider Parteien. Falls erforderlich, ordnet das Gericht Gütertrennung an (§ 1388 BGB). Am Ende des Verfahrens entscheidet das Gericht, ob und in welchem Umfang ein Zugewinnausgleichsanspruch besteht. Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zum Oberlandesgericht möglich.

Was ist bei der Berechnung des Zugewinns im Rahmen des vorzeitigen Zugewinnausgleichs zu beachten?

Bei der Berechnung des Zugewinns sind die jeweiligen Anfangsvermögen und das Vermögen zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Antrags maßgeblich. Das Anfangsvermögen ist das Vermögen, das jeder Ehegatte bei Eheschließung hatte, während das Endvermögen zum Zeitpunkt der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs festgestellt wird. Alle Vermögenswerte und Verbindlichkeiten sind zu berücksichtigen und nach bestimmten gesetzlichen Vorgaben zu bewerten. Besondere Berücksichtigung finden etwaige Schenkungen oder Erbschaften, die während der Ehe zugeflossen sind. Die Mitwirkungs- und Auskunftspflichten beider Ehegatten werden durch das Gericht eingefordert und überprüft.

Wie wirkt sich ein vorzeitiger Zugewinnausgleich auf die endgültige Vermögensauseinandersetzung bei der Scheidung aus?

Der vorzeitige Zugewinnausgleich wirkt sich insoweit aus, als der Ausgleich des Zugewinns für den bis zum Antragszeitpunkt erworbenen Vermögenszuwachs endgültig erfolgt. Im Falle einer späteren Scheidung wird auf diesen bereits getätigten Ausgleich angerechnet; nur der Zugewinn, der nach dem ersten Ausgleich eingetreten ist, wird separat behandelt. Eine doppelte Berücksichtigung desselben Vermögenszuwachses findet nicht statt; der Sinn und Zweck der Regelung ist es, den Schutz des Ausgleichsberechtigten bereits vor der endgültigen Auflösung der Ehe abzusichern.

Können bereits vor Durchführung des vorzeitigen Zugewinnausgleichs Sicherungsmaßnahmen beantragt werden?

Ja, zur Sicherung des künftigen Zugewinnausgleichsanspruchs können bereits im Vorfeld Sicherungsmaßnahmen beantragt werden, insbesondere wenn der Verdacht besteht, dass Vermögenswerte verschoben oder unrechtmäßig entzogen werden. Solche Sicherungsmaßnahmen sind beispielsweise die Anordnung von Arrest oder einstweiligen Verfügungen, um den Vollzug des Ausgleichsanspruchs nicht zu gefährden. Das Familiengericht prüft die Notwendigkeit solcher Maßnahmen im Einzelfall und erlässt sie nur bei Vorliegen besonderer Dringlichkeit und Glaubhaftmachung der Voraussetzungen durch den Antragsteller.

Welche Kosten entstehen für die gerichtliche Durchführung eines vorzeitigen Zugewinnausgleichs?

Die Kosten des Verfahrens richten sich nach dem Verfahrenswert, der sich am Wert des zu übertragenden Zugewinns orientiert. Hinzu kommen Gerichtsgebühren gemäß dem Gerichtskostengesetz sowie gegebenenfalls Anwaltsgebühren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). Es besteht die Möglichkeit, Verfahrenskostenhilfe zu beantragen, sofern die wirtschaftlichen Verhältnisse des antragstellenden Ehegatten dies rechtfertigen. Bei einem Unterliegen im Verfahren trägt der Antragsteller die Kosten, bei teilweisem Obsiegen erfolgt eine Kostenquote entsprechend dem jeweiligen Obsiegen.