Vorsteuerabzug – Begriff, Rechtsgrundlagen und Systematik
Der Begriff „Vorsteuerabzug“ bezeichnet im Umsatzsteuerrecht das Recht eines Unternehmers, die ihm von anderen Unternehmen in Rechnung gestellte und auf steuerpflichtige Lieferungen und sonstige Leistungen gezahlte Umsatzsteuer (Vorsteuer) von der vom Unternehmer selbst geschuldeten Umsatzsteuer (Umsatzsteuerschuld) abzuziehen. Der Vorsteuerabzug ist ein zentrales Element des Mehrwertsteuer-Systems und stellt die Neutralität der Umsatzsteuer sicher.
Rechtsgrundlagen des Vorsteuerabzugs
Gesetzliche Regelungen in Deutschland
Die rechtlichen Grundlagen für den Vorsteuerabzug finden sich im deutschen Umsatzsteuergesetz (UStG), vor allem in den §§ 15 ff. UStG. Weiterhin sind die Vorgaben der Mehrwertsteuersystemrichtlinie der Europäischen Union (MwStSystRL, RL 2006/112/EG) maßgebend, die eine Harmonisierung innerhalb der Union sicherstellen.
Europäische Vorgaben
Die Mehrwertsteuersystemrichtlinie normiert in den Artikeln 167 ff. die grundlegenden Voraussetzungen und Rahmenbedingungen des Vorsteuerabzugs, die in nationales Recht überführt wurden. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) präzisiert die Auslegung der einschlägigen Normen und sorgt für eine unionsweite Vereinheitlichung.
Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug
Unternehmerstatus als Grundvoraussetzung
Vorsteuerabzugsberechtigt sind nur Unternehmer im Sinne des § 2 UStG. Dies sind natürliche oder juristische Personen, die eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausüben.
Bezug für das Unternehmen
Die Eingangsleistungen, für die ein Vorsteuerabzug geltend gemacht werden soll, müssen für das Unternehmen bezogen worden sein. Privat veranlasste Aufwendungen sind vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen.
Ordnungsgemäße Rechnung
Gemäß § 15 Abs. 1 UStG ist für den Vorsteuerabzug der Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung nach § 14 UStG erforderlich. Die Rechnung muss insbesondere folgende Angaben enthalten:
- Name und Anschrift des leistenden Unternehmers,
- Steuernummer oder Umsatzsteuer-Identifikationsnummer,
- Rechnungsdatum,
- Leistungsbeschreibung,
- Netto-Betrag und Umsatzsteuerbetrag.
Ausgeübtes Wahlrecht bei der Besteuerungsart
Bei der Kleinunternehmerregelung (§ 19 UStG) ist der Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Entscheidet sich ein Unternehmer für die Anwendung der Regelbesteuerung, steht ihm der Vorsteuerabzug offen.
Umfang und Grenzen des Vorsteuerabzugs
Abzugsfähige Vorsteuer
Der Vorsteuerabzug erstreckt sich auf alle von anderen Unternehmen in Rechnung gestellten Umsatzsteuern, soweit die Leistungen für unternehmerische Zwecke bezogen wurden. Zu beachten sind folgende Punkte:
- Auch bei innergemeinschaftlichen Erwerbungen sowie bei dem Bezug von Leistungen, die dem Reverse-Charge-Verfahren unterliegen, kann der Vorsteuerabzug auf Grund der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers beansprucht werden.
- Ausnahmen und Einschränkungen bestehen bei bestimmten Umsätzen, wie beispielsweise steuerfreien Umsätzen nach § 4 UStG (z.B. bei medizinischen oder pädagogischen Leistungen), sofern kein Verzicht auf die Steuerbefreiung vorliegt.
Nicht abzugsfähige Vorsteuer
Nicht abziehbar ist die auf Leistungen entfallende Umsatzsteuer, die eindeutig zum privaten Bereich gehört oder unter das Ausschlussprinzip des § 15 Abs. 2 UStG fällt, beispielsweise bei:
- Aufwendungen für den Erwerb und die Unterhaltung von Pkw, die zu mehr als 50 % privat genutzt werden (§ 15 Abs. 1b UStG),
- Repräsentationsaufwendungen,
- Bewirtungskosten, soweit sie nicht der unternehmerischen Tätigkeit zuzurechnen sind.
Verfahren und Nachweis des Vorsteuerabzugs
Geltendmachung im Besteuerungsverfahren
Der Abzug der Vorsteuer erfolgt im Rahmen der Umsatzsteuervoranmeldung und der jährlichen Umsatzsteuererklärung. Hierbei werden die abziehbaren Vorsteuerbeträge von der jeweils für den Erhebungszeitraum berechneten Umsatzsteuerschuld abgezogen und somit in eine Zahllast oder einen Erstattungsanspruch umgewandelt.
Aufzeichnungspflichten
Die Aufzeichnungspflichten bezüglich der abziehbaren Vorsteuer ergeben sich aus den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung sowie aus den einzelnen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes. Aufzeichnungen müssen so beschaffen sein, dass sie eine eindeutige und nachvollziehbare Zuordnung der abziehbaren Vorsteuer zu den jeweiligen Eingangsrechnungen erlauben.
Vorsteuerberichtigungsverfahren
Gemäß § 15a UStG ist eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs notwendig, wenn sich die für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse nachträglich ändern, beispielsweise durch eine nachträgliche Änderung des Verwendungszwecks eines Wirtschaftsguts (z.B. Wechsel zwischen unternehmerischer und privater Nutzung). Die Berichtigungspflicht besteht für einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren, abhängig von der Art des Wirtschaftsguts.
Vorsteuerabzug im internationalen Kontext
Innergemeinschaftliche Erwerbe
Beim innergemeinschaftlichen Erwerb entsteht die Steuerschuld im Bestimmungsland. Der Erwerber kann – soweit eine unternehmerische Verwendung vorliegt – die auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallende Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG).
Reverse-Charge-Verfahren
Beim Reverse-Charge-Verfahren übernimmt der Leistungsempfänger die Umsatzsteuerschuld, kann diese aber gleichzeitig als Vorsteuer abziehen, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Vorsteuervergütungsverfahren
Unternehmer mit Sitz im Ausland haben unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, sich die gezahlte deutsche Umsatzsteuer im Rahmen des Vorsteuervergütungsverfahrens (§§ 59 ff. UStDV) erstatten zu lassen. Dies setzt voraus, dass keine steuerbaren Umsätze im Inland ausgeführt werden.
Bedeutung und Funktion des Vorsteuerabzugs im Umsatzsteuersystem
Der Vorsteuerabzug ist zentraler Mechanismus zur Verhinderung der Kumulierung der Umsatzsteuer auf jeder Wirtschaftsstufe (Vermeidung von Steuerketten). Letztlich wird die Umsatzsteuer nur vom Endverbraucher getragen, nicht vom Unternehmer, denn dieser kann die an ihn weitergegebenen Steuerbeträge in Abzug bringen und damit seine Belastung neutralisieren. Das System fördert die Wettbewerbsneutralität und Transparenz im Wirtschaftsverkehr.
Rechtsprechung und Auslegung
Die Ausgestaltung und Grenzen des Vorsteuerabzugs sind Gegenstand umfangreicher Rechtsprechung sowohl auf nationaler Ebene (Finanzgerichte, Bundesfinanzhof) als auch europäisch (EuGH). Insbesondere Fragen der ordnungsgemäßen Rechnungsstellung, der Abgrenzung unternehmerischer und privater Zwecke sowie der Berichtigungspflichten wurden in zahlreichen Urteilen präzisiert. Die nationale Verwaltungspraxis richtet sich nach den Vorgaben der Finanzverwaltung, insbesondere nach den Umsatzsteuer-Anwendungserlässen (UStAE).
Literatur und weiterführende Hinweise
- Umsatzsteuergesetz (UStG)
- Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL)
- Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE)
- Bundesfinanzhof (BFH) – Entscheidungssammlung zur Umsatzsteuer
- Europäischer Gerichtshof (EuGH) – Leitsatzentscheidungen zur Mehrwertsteuerrichtlinie
Diese Zusammenfassung gibt einen umfassenden Überblick über den Vorsteuerabzug, beleuchtet die rechtlichen Grundlagen und deren konkrete Anwendungspraxis und bietet Orientierung für das Verständnis dieses zentralen Begriffs im Umsatzsteuerrecht.
Häufig gestellte Fragen
Wann ist der Vorsteuerabzug ausgeschlossen?
Der Vorsteuerabzug ist insbesondere dann ausgeschlossen, wenn es sich bei den bezogenen Leistungen um solche handelt, die für steuerfreie Umsätze verwendet werden, für die das Umsatzsteuergesetz keinen Vorsteuerabzug erlaubt (§ 15 Abs. 2 und 3 UStG). Ebenso dürfen Unternehmer für die ihnen in Rechnung gestellte Umsatzsteuer dann keinen Vorsteuerabzug geltend machen, wenn kein ordnungsgemäßes Belegdokument (Rechnung gem. §§ 14, 14a UStG) vorliegt, auf dem alle erforderlichen Pflichtangaben enthalten sind. Ein weiterer Ausschluss ergibt sich, wenn die bezogenen Leistungen dem privaten Bereich zuzuordnen sind oder für nichtunternehmerische Zwecke verwendet werden. Auch bei Anschaffung oder Herstellung von Gegenständen, die sowohl privat als auch unternehmerisch genutzt werden, ist eine Aufteilung und Prüfung der Abzugsberechtigung notwendig. Besondere Regelungen gelten zudem für bestimmte Branchen, wie z. B. pauschalierende Land- und Forstwirte, Kleinunternehmer oder Ärzte im Bereich der Heilbehandlungen.
Welche formellen Voraussetzungen müssen für den Vorsteuerabzug erfüllt sein?
Für den rechtmäßigen Vorsteuerabzug ist zwingend erforderlich, dass der Leistungsempfänger eine den umsatzsteuerlichen Vorschriften entsprechende Rechnung erhält. Diese muss mindestens folgende Pflichtangaben enthalten: Name und Anschrift des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers, Steuernummer oder Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Ausstellers, Ausstellungsdatum, fortlaufende Rechnungsnummer, Menge und Art der gelieferten Gegenstände oder Art und Umfang der Dienstleistungen, Zeitpunkt der Lieferung oder Leistung, das Entgelt sowie den darauf entfallenden Steuerbetrag. Bei Rechnungen über 250 EUR (Bruttobetrag) gelten diese detaillierten Anforderungen uneingeschränkt (§ 14 Abs. 4 UStG, § 33 UStDV). Weiterhin muss der Unternehmer die jeweilige Eingangsrechnung tatsächlich vereinnahmt haben und den Leistungsempfang für unternehmerische Zwecke nachweisen können. Die Buchführungspflichten sind auch von Bedeutung: Der Vorsteuerabzug wird in dem Zeitraum wirksam, in dem sowohl die Leistung bezogen als auch die Rechnung erhalten wurde.
Wie ist beim gemischten (privaten und unternehmerischen) Gebrauch von Leistungen vorzugehen?
Wird ein Gegenstand oder eine sonstige Leistung sowohl unternehmerisch als auch privat genutzt, ist im ersten Schritt zu prüfen, ob eine Zuordnung zum Unternehmensvermögen erfolgen kann. Nur der unternehmerische Nutzungsanteil berechtigt grundsätzlich zum Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 1 UStG). Die Zuordnung kann vollumfänglich zum Unternehmensvermögen erfolgen, sofern der unternehmerische Nutzungsanteil mindestens 10 % beträgt. Im Fall einer gemischten Nutzung erfolgt eine anteilige Aufteilung des Vorsteuerbetrags. Die Ermittlung des unternehmerischen Anteils erfolgt nach objektiven Kriterien, wie z. B. Flächenberechnung (bei Immobilien) oder Zeitanteilen (bei Fahrzeugen). Es kann eine vollständige Zuordnung zum Unternehmensvermögen erfolgen, wenn dies dokumentiert und glaubhaft gemacht wird, sodass der Vorsteuerabzug insgesamt beansprucht werden kann, mit der Folge, dass die private Nutzung später als „unentgeltliche Wertabgabe“ der Umsatzbesteuerung unterliegt.
Welche Fristen sind beim Vorsteuerabzug zu beachten?
Der Vorsteuerabzug kann mit Eingang und Besitz der ordnungsgemäßen Rechnung und erfolgter Leistung grundsätzlich in dem Voranmeldungszeitraum vorgenommen werden, in dem beide Voraussetzungen zusammentreffen (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG). Wurde der Vorsteuerabzug zunächst unterlassen, kann der Unternehmer den Abzug auch noch in einem späteren Zeitraum geltend machen, spätestens jedoch im Rahmen der Festsetzungsverjährung (§ 18 Abs. 4 UStG i. V. m. AO). In der Praxis bedeutet dies, dass der Vorsteuerabzug innerhalb der regulären Festsetzungsverjährung von vier Jahren nach Eintritt der Voraussetzungen nachgeholt werden kann. Ein rückwirkender („vorzeitiger“) Abzug ist hingegen nicht gestattet. Wurde der Vorsteuerabzug zu Unrecht vorgenommen, muss er in dem Voranmeldungszeitraum, in dem der Fehler erkannt wird, korrigiert und ggf. zurückgezahlt werden.
Welche Besonderheiten gelten für den Vorsteuerabzug aus Anzahlungen und Vorschüssen?
Wird für eine noch nicht ausgeführte Lieferung oder Leistung eine Anzahlung oder ein Vorschuss gezahlt, entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug erst mit Ausstellung und Erhalt einer ordnungsgemäßen Anzahlungsrechnung, die alle relevanten Pflichtangaben sowie den gesondert ausgewiesenen Steuerbetrag enthält. Darüber hinaus muss die Anzahlung tatsächlich geleistet worden sein. Der Vorsteuerabzug erfolgt dann im Zeitpunkt der Zahlung, vorausgesetzt die sonstigen Voraussetzungen sind erfüllt. Sollte die Leistung später nicht erbracht werden oder sich die Bemessungsgrundlage ändern, muss der ursprüngliche Vorsteuerabzug nach den allgemeinen Korrekturvorschriften berichtigt werden (§ 17 UStG).
Kann der Vorsteuerabzug nachträglich korrigiert bzw. berichtigt werden?
Ja, der Vorsteuerabzug kann berichtigt werden, wenn sich die bemessungsrelevanten Faktoren nachträglich ändern, insbesondere bei nachträglichen Preisnachlässen, Stornierungen, Rückabwicklungen oder Ausbleiben der Leistung. Eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs ist sowohl zugunsten als auch zulasten des Unternehmers möglich (§ 17 UStG). Voraussetzung ist, dass eine entsprechende Korrekturrechnung vorliegt und der ursprüngliche Vorgang nachvollziehbar dokumentiert ist. Die Berichtigung hat in dem Zeitraum zu erfolgen, in dem die Voraussetzungen für die Änderung eingetreten sind, also meist mit dem Zugang der Änderungsrechnung oder bei Kenntnis der Änderung.
Welche Regelungen gelten beim Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit Auslandsgeschäften?
Für Eingangsleistungen aus dem Ausland gelten besondere Vorschriften. Erwirbt ein inländischer Unternehmer Leistungen von einem ausländischen Unternehmen im Rahmen des innergemeinschaftlichen Erwerbs, kann er die hierfür geschuldete Umsatzsteuer (Erwerbsteuer) im gleichen Voranmeldungszeitraum als Vorsteuer abziehen (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG). Für im Ausland bezogene sonstige Leistungen, bei denen der Leistungsempfänger die Steuerschuldnerschaft trägt (Reverse-Charge), gilt ebenfalls das Recht auf Vorsteuerabzug, sofern alle Voraussetzungen wie bei inländischen Leistungen vorliegen. Besteht keine Registrierungspflicht in dem Mitgliedstaat des Leistenden, kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Vorsteuervergütungsverfahren beantragt werden (§§ 18 Abs. 9, 15 UStG, VO (EU) Nr. 904/2010). In diesem Fall ist der Vorsteuerabzug an gesonderte Antragsverfahren und Nachweisvorschriften gebunden, die fristgerecht eingehalten werden müssen.