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Vorläufige Steuerfestsetzung


Begriff und Bedeutung der Vorläufigen Steuerfestsetzung

Die vorläufige Steuerfestsetzung ist ein zentrales Element des deutschen Steuerrechts und bezeichnet eine Entscheidung der Finanzbehörde, mit der eine Steuer zunächst nicht abschließend, sondern nur unter einem Vorbehalt festgesetzt wird. Diese Art der Festsetzung wird insbesondere angewendet, wenn für die Klärung bestimmter Tatsachen oder Rechtsfragen relevante Erkenntnisse noch ausstehen. Sie ist im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben des § 165 Abgabenordnung (AO) geregelt.

Vorläufige Steuerfestsetzungen sind insbesondere in Steuerarten von Bedeutung, bei denen regelmäßig Unsicherheiten hinsichtlich der Sachverhaltsklärung oder der Rechtsanwendung bestehen. Dies betrifft zum Beispiel Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer.


Gesetzliche Grundlagen

§ 165 Abgabenordnung (AO)

Zentrales Regelungswerk für die vorläufige Steuerfestsetzung ist § 165 AO. Nach dieser Vorschrift darf eine Steuer vorläufig festgesetzt werden, wenn

  • ungewiss ist, ob und inwieweit steuerrelevante Voraussetzungen vorliegen (z. B. tatsächliche oder rechtliche Unsicherheiten),
  • der Steuerpflichtige dies beantragt und die Finanzbehörde dem Antrag zustimmt oder
  • die Finanzbehörde von Amts wegen eine vorläufige Festsetzung für erforderlich hält.

Eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) ist davon zu unterscheiden.


Voraussetzungen und Anwendungsbereiche

Tatbestandsvoraussetzungen

Für eine vorläufige Steuerfestsetzung müssen folgende Voraussetzungen vorliegen:

  1. Ungewissheit über Tatsachen oder Rechtsfragen: Es muss Unklarheit über bestimmte, die Steuerpflicht betreffende Umstände bestehen, die im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung nicht mit der gebotenen Sicherheit beurteilt werden können.
  2. Erforderlichkeit der Vorläufigkeit: Die endgültige Entscheidung ist auszusetzen, da andernfalls eine spätere Korrektur nur schwer oder gar nicht möglich wäre.
  3. Erkennbarkeit im Steuerbescheid: Die Finanzbehörde muss im Steuerbescheid konkret angeben, hinsichtlich welcher Punkte die Festsetzung vorläufig ist (sog. „Vorläufigkeitsvermerk“).

Typische Fallgestaltungen

  • Schwebende Gerichtsverfahren: Bei ungeklärter Rechtslage, etwa bei anhängigen Verfahren vor dem Bundesfinanzhof oder dem Bundesverfassungsgericht.
  • Unsicherheiten bei Auslandsbeziehungen: Beispielsweise, wenn abzuwarten ist, wie ein ausländischer Staat eine steuerliche Maßnahme behandelt.
  • Offene Tatsachen: Etwa, wenn Beweismittel noch ausstehen oder betriebliche Daten noch nicht abschließend ermittelt werden konnten.

Rechtsfolgen der Vorläufigkeit

Bindungswirkung und Rechtskraft

Eine vorläufige Steuerfestsetzung entfaltet keine materielle Rechtskraft hinsichtlich der vorläufig beurteilten Sachverhalte. Sie ist hinsichtlich dieser Fälle jederzeit änderbar, sobald die Ungewissheit beseitigt ist. Der Steuerbescheid bleibt ansonsten in formeller Hinsicht wirksam.

Änderung und Aufhebung

Sobald die der Vorläufigkeit zugrundeliegende Ungewissheit beseitigt ist (etwa durch höchstrichterliche Entscheidung oder Klärung der Tatsachen), hebt die Finanzbehörde die Vorläufigkeit von Amts wegen auf und erlässt entweder einen endgültigen Steuerbescheid oder ändert den bestehenden Bescheid gemäß den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen.

Hierbei sind die Festsetzungsfristen nach Maßgabe der §§ 169 ff. AO zu beachten. Während die Ungewissheit besteht, verlängert sich die Änderungsmöglichkeit über die reguläre Festsetzungsfrist hinaus.


Abgrenzung zu verwandten Begriffen

Unterschied zur Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO)

Während bei der vorläufigen Steuerfestsetzung Unsicherheiten über einzelne Rechtsfragen oder Tatsachen einer abschließenden Beurteilung entgegenstehen, dient der Vorbehalt der Nachprüfung dazu, den gesamten Steuerbescheid jederzeit innerhalb der Festsetzungsfrist änderbar zu halten, ohne dass konkrete Unsicherheiten vorliegen müssen.

Unterscheidung zum vorläufigen Rechtsschutz (Einstweiliger Rechtsschutz)

Die vorläufige Steuerfestsetzung betrifft die verwaltungsrechtliche Behandlung eines Steuerbescheids und ist von zivil- oder verwaltungsprozessualen Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes abzugrenzen.


Rechtsmittel und Verfahren

Einspruchsverfahren

Gegen einen vorläufigen Steuerbescheid kann der Steuerpflichtige Einspruch einlegen, dabei muss beachtet werden, dass ausschließlich der festgesetzte Steuerbetrag rechtlich angegriffen werden kann, nicht aber die Tatsache der Vorläufigkeit an sich, sofern über die vorläufigen Punkte keine belastende Regelung getroffen wurde.

Berichtigung und Antrag auf Aufhebung der Vorläufigkeit

Besteht die Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine vorläufige Festsetzung entfallen sind, kann beim Finanzamt ein Antrag auf Aufhebung der Vorläufigkeit gestellt werden. Die Behörde prüft dies und erlässt gegebenenfalls einen Änderungsbescheid, der die Vorläufigkeit aufhebt.


Rechtsfolgen für Steuerpflichtige

Für die Betroffenen bedeutet die vorläufige Steuerfestsetzung, dass über bestimmte Fragen (etwa im Hinblick auf anhängige Musterverfahren oder sich ändernde Vorschriften) keine endgültige Rechtsklarheit herrscht. Steuerpflichtige sollten vorläufige Festsetzungen im Blick behalten und sich insbesondere auf mögliche nachträgliche Änderungen einstellen.

Es empfiehlt sich außerdem, Nachweise und Dokumentationen zu den von der Vorläufigkeit betroffenen steuerlichen Sachverhalten sorgfältig zu archivieren, um im Falle einer Änderung kompetent reagieren zu können.


Bedeutung für die Steuerpraxis

Die vorläufige Steuerfestsetzung dient sowohl der Verwaltung als auch dem Steuerpflichtigen als Instrument zur Flexibilisierung der Besteuerung, indem eine vorübergehende Unsicherheit über bestimmte Aspekte nicht zu einer abschließenden, möglicherweise unwiderruflichen Regelung führt. Dies ist vor allem bei Grundsatzfragen von großer Bedeutung, deren Klärung durch Gerichte oft mehrere Jahre in Anspruch nehmen kann.


Weiterführende Literatur und Weblinks