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Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt

Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt: Begriff und Bedeutung

Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt bezeichnet ein Verhalten, bei dem als Arbeitgeber geschuldete Abführungen, die mit dem Arbeitsentgelt zusammenhängen, nicht oder nicht rechtzeitig gezahlt werden. Gemeint sind vor allem Beiträge zur sozialen Absicherung von Beschäftigten sowie einbehaltene Teile des Lohns, die an Dritte weiterzuleiten sind. Der Kern der Regelung liegt im Schutz der Beschäftigten und der Solidargemeinschaft vor finanziellen Ausfällen.

Schutzrichtung und Ziel

Geschützt werden die Rechte der Beschäftigten auf soziale Absicherung und das Finanzierungsinteresse der Systeme, die diese Absicherung tragen. Zusätzlich werden Dritte geschützt, wenn einbehaltene Beträge aus dem Arbeitsentgelt an sie weiterzuleiten sind, etwa bei vereinbarten Abführungen oder Pfändungen. Die Norm wirkt damit sowohl individualschützend als auch kollektivschützend.

Praktische Relevanz

Besonders bedeutsam ist der Tatbestand in Bereichen mit hoher Personalfluktuation, in Branchen mit hohem Anteil an barer Entlohnung sowie bei Einsatzformen wie Scheinselbstständigkeit, unangemeldeter Beschäftigung und Subunternehmerketten. In der Praxis stehen regelmäßig die nicht gezahlten Anteile zur sozialen Absicherung im Mittelpunkt.

Tatbestandliche Voraussetzungen

Täterkreis

Tatverantwortlich ist, wer Arbeitgeberfunktionen ausübt. Dazu zählen natürliche Personen, die Arbeitgeber sind, und Personen, die für Unternehmen handeln, etwa Mitglieder der Geschäftsleitung oder faktische Entscheidungsträger, die die Lohnabrechnung und Abführungspflichten tatsächlich steuern.

Arbeitsentgelt und erfasste Bestandteile

Arbeitsentgelt umfasst die vereinbarte Gegenleistung für Arbeit, die grundsätzlich der sozialen Absicherung unterliegt. Erfasst sind insbesondere die Anteile, die mit dem Lohn zusammenhängen und gesetzlich einzubehalten und an die Einzugsstellen weiterzuleiten sind, sowie vereinbarte oder angeordnete Abführungen an Dritte, wenn diese aus dem Lohn einbehalten werden.

Vorenthalten

Vorenthalten liegt vor, wenn fällige Abführungen aus dem Arbeitsentgelt nicht oder nicht rechtzeitig an die zuständigen Stellen gezahlt werden, obwohl Beschäftigung vorliegt und die Abführungspflicht besteht. Maßgeblich ist die Fälligkeit; mit ihrem Ablauf kann der Tatbestand erfüllt sein.

Veruntreuen

Veruntreuen beschreibt das Einbehalten von Lohnbestandteilen, die an Dritte weiterzuleiten sind, sowie die Nichtweiterleitung dieser Beträge. Typisch sind Fälle, in denen Beträge vom Lohn einbehalten werden, jedoch nicht an die vorgesehene Stelle gelangen.

Vorsatz und Irrtum

Erforderlich ist in der Regel ein bewusstes Handeln. Vorsatz kann auch vorliegen, wenn die Pflicht zur Abführung bekannt ist, aber billigend in Kauf genommen wird, dass nicht oder verspätet gezahlt wird. Ein unvermeidbarer Irrtum über die Verpflichtung kann die Verantwortlichkeit ausschließen; einfache Unkenntnis oder Gleichgültigkeit genügt dafür nicht.

Vollendung, Versuch und Dauer

Die Tat ist vollendet, wenn die geschuldeten Abführungen bei Fälligkeit ausbleiben. Der Versuch kann bereits beginnen, wenn zielgerichtet Vorkehrungen getroffen werden, um Abführungen zu umgehen. Bei fortlaufender Beschäftigung entstehen regelmäßig eigenständige Tatzeiträume pro Abrechnungsperiode.

Abgrenzungen

Nichtzahlung von Lohn

Die bloße Nichtzahlung des Nettolohns betrifft primär das Zivilrecht. Das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt knüpft hingegen an die Pflicht an, Beiträge und einbehaltene Beträge aus dem Entgelt abzuführen.

Lohnsteuer und andere Abgaben

Steuern aus dem Arbeitsentgelt unterfallen einem eigenständigen Regelungsbereich. Das hier behandelte Delikt bezieht sich auf die soziale Absicherung und vergleichbare, aus dem Arbeitsentgelt stammende Einbehalte an Dritte.

Scheinselbstständigkeit und verdeckte Beschäftigung

Wird ein Arbeitsverhältnis als selbstständige Tätigkeit getarnt, können die Abführungspflichten gleichwohl bestehen. Entscheidend ist die tatsächliche Ausgestaltung der Tätigkeit. In solchen Konstellationen werden Beiträge häufig nacherhoben, und eine strafrechtliche Bewertung kommt in Betracht, wenn Abführungen bei Fälligkeit unterblieben sind.

Ermittlungs- und Nachweisfragen

Zuständige Stellen

Ermittlungen erfolgen typischerweise in Abstimmung mit Einzugsstellen der sozialen Sicherung und zuständigen Strafverfolgungsbehörden. Prüfungen bei Arbeitgebern und Abgleiche von Lohnunterlagen sind üblich.

Beweismittel und Berechnung

Wesentlich sind Lohn- und Gehaltsabrechnungen, Meldungen zur sozialen Absicherung, Zahlungsnachweise und Kontounterlagen. Fehlen verlässliche Aufzeichnungen, werden Beträge mit anerkannten Methoden geschätzt, etwa anhand branchentypischer Entlohnung und Beschäftigtenzahlen.

Fälligkeit und Rückrechnung

Die Fälligkeit ergibt sich aus den gesetzlichen Zahlungsrhythmen. Wenn nur Nettolöhne dokumentiert sind, wird rückgerechnet, um die korrekten Anteile zu bestimmen. Berechnungsgrundlagen sind die tatsächlich gezahlten oder geschuldeten Entgelte.

Rechtsfolgen

Strafrechtliche Konsequenzen

Es drohen Geldstrafe oder Freiheitsstrafe. Das Ausmaß richtet sich nach Umfang, Dauer und Organisationsgrad der Nichtabführung, nach der Zahl der betroffenen Beschäftigten und nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens.

Nebenfolgen und Vermögensabschöpfung

Neben der Strafe kommen die Einziehung wirtschaftlicher Vorteile, Schadenswiedergutmachung und gewerberechtliche Auswirkungen in Betracht. Offene Beiträge werden regelmäßig nacherhoben.

Nachzahlung und Milderung

Unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen kann eine rechtzeitige Nachzahlung strafmildernd oder ausnahmsweise strafbefreiend wirken. Maßgeblich sind Zeitpunkt, Vollständigkeit und die Umstände der Zahlung.

Besondere Konstellationen

Organverantwortung im Unternehmen

Handeln Leitungspersonen für ein Unternehmen, kann deren Verhalten zugerechnet werden. Auch faktische Entscheidungsträger, die ohne formale Bestellung die Lohn- und Beitragsabführung bestimmen, kommen in Betracht.

Insolvenz des Arbeitgebers

Eine spätere Insolvenz beseitigt die Tat nicht. Entscheidend ist, ob bei Fälligkeit die Abführung unterblieben ist. Die wirtschaftliche Lage kann für die Bewertung der Schuld und für die Rechtsfolgen bedeutsam sein.

Bau- und Subunternehmerketten

In mehrstufigen Auftragsverhältnissen sind die jeweiligen Arbeitgeber für ihre Beschäftigten verantwortlich. Die bloße Weitergabe von Aufträgen entlastet nicht von eigenen Pflichten. Scheinverträge ändern die rechtliche Einordnung nicht.

Grenzüberschreitende Sachverhalte

Bei Entsendungen oder Auslandsbezug ist zu prüfen, welche Sicherungssysteme und Pflichten gelten. Maßgeblich sind der tatsächliche Einsatzort, anwendbare Abkommen und der Status der Beschäftigten.

Verjährung und Konkurrenzfragen

Verjährungsbeginn und -dauer

Die Verjährung richtet sich nach dem angedrohten Strafmaß und beginnt mit Vollendung der jeweiligen Tat. Bei fortlaufenden Abrechnungsperioden entsteht regelmäßig pro Zeitraum ein eigener Beginn der Frist.

Tatmehrheit und Tateinheit

Werden über längere Zeit Abrechnungsperioden nacheinander betroffen, liegt häufig Tatmehrheit vor. Werden in einer Periode mehrere pflichtige Abführungen zugleich unterlassen, kann Tateinheit gegeben sein. Die Abgrenzung richtet sich nach dem konkreten Geschehen.

Verhältnis zu anderen Delikten

Neben dem hier beschriebenen Tatbestand können weitere Regelungen einschlägig sein, etwa bei unrichtigen Meldungen, Urkundengebrauch oder Verstößen gegen arbeits- und aufenthaltsrechtliche Bestimmungen. Eine Gesamtbetrachtung ist üblich.

Beispiele aus der Praxis

Beispiel: Nichtabführung trotz Lohnzahlung

Ein Unternehmen zahlt Nettolöhne aus, führt aber die zugehörigen Abführungen an die Einzugsstellen nicht ab. Mit Ablauf der Fälligkeit ist der Tatbestand erfüllt, unabhängig davon, dass die Beschäftigten ihren Nettolohn erhalten haben.

Beispiel: Einbehaltene, aber nicht weitergeleitete Beträge

Vom Lohn einbehaltene Beträge zur Weiterleitung an eine vereinbarte Stelle werden auf dem Firmenkonto belassen und nicht abgeführt. Das stellt Veruntreuen von Arbeitsentgelt dar.

Häufig gestellte Fragen

Was bedeutet Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt?

Damit ist das Unterlassen fälliger Abführungen aus dem Arbeitsentgelt an die zuständigen Stellen sowie das Einbehalten und Nichtweiterleiten von aus dem Lohn stammenden Beträgen an Dritte gemeint. Es schützt Beschäftigte und Sicherungssysteme vor finanziellen Ausfällen.

Wer kann Täter sein?

Tatverantwortlich sind Arbeitgeber und Personen, die die Arbeitgeberpflichten tatsächlich steuern. Dazu zählen Leitungspersonen, Beauftragte mit Entscheidungsmacht und faktische Verantwortliche, die die Lohnabrechnung und Zahlungen prägen.

Ab wann ist der Tatbestand erfüllt?

Er ist erfüllt, wenn fällige Abführungen ausbleiben. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Fälligkeit. Bei einbehaltenen Drittbeträgen genügt, dass diese nicht weitergeleitet werden.

Welche Zahlungen sind erfasst?

Erfasst sind vor allem Anteile zur sozialen Absicherung, die aus dem Arbeitsentgelt herrühren und abzuführen sind, sowie einbehaltene Lohnbeträge, die an Dritte weiterzuleiten sind. Nicht erfasst ist die reine Nichtzahlung des Nettolohns.

Welche Rolle spielt Vorsatz?

Regelmäßig ist bewusstes Handeln erforderlich. Wer die Pflicht kennt und die Nichtabführung billigend in Kauf nimmt, handelt vorsätzlich. Ein unvermeidbarer Irrtum über die Pflicht kann die Strafbarkeit ausschließen.

Wie wirkt sich eine Insolvenz des Arbeitgebers aus?

Die spätere Insolvenz ändert nichts daran, dass die Tat mit Ausbleiben der fälligen Abführungen vollendet ist. Die wirtschaftliche Lage kann für Schuld und Rechtsfolgen berücksichtigt werden.

Gibt es Möglichkeiten der strafmildernden Nachzahlung?

Das Gesetz sieht Konstellationen vor, in denen eine rechtzeitige und vollständige Nachzahlung strafmildernd oder ausnahmsweise strafbefreiend wirken kann. Maßgeblich sind Zeitpunkt, Umfang und Umstände der Zahlung.