Begriff und Grundprinzip der Vorausklage
Die Vorausklage ist ein rechtliches Schutzinstrument, das vor allem im Zusammenhang mit der Bürgschaft eine Rolle spielt. Sie bezeichnet das Recht des Bürgen, vom Gläubiger zu verlangen, zuerst gegen den Hauptschuldner vorzugehen und eine Zwangsvollstreckung in dessen Vermögen zu versuchen, bevor der Bürge selbst in Anspruch genommen wird. Diese Einrede verschiebt die unmittelbare Haftung des Bürgen zeitlich nach hinten, ohne die Verpflichtung aus der Bürgschaft als solche aufzuheben.
Historisch knüpft die Vorausklage an das sogenannte Beneficium Excussionis an: Erst wenn die Durchsetzung gegen den Hauptschuldner scheitert oder von vornherein aussichtslos ist, darf der Gläubiger den Bürgen in Anspruch nehmen.
Rechtsnatur und Einordnung
Sicherungsrechtliche Einordnung
Die Vorausklage ist eine Einrede mit aufschiebender Wirkung. Sie begründet keine eigene Forderung, sondern ein Leistungsverweigerungsrecht des Bürgen, solange der Gläubiger den vorrangigen Zugriff auf den Hauptschuldner nicht unternimmt oder die Voraussetzungen für eine Ausnahme nicht vorliegen. Sie ist akzessorisch, das heißt, sie setzt eine wirksam begründete Hauptschuld und eine daran anknüpfende Bürgschaft voraus.
Abgrenzung zu verwandten Sicherungsformen
Gewöhnliche Bürgschaft
Bei der gewöhnlichen Bürgschaft kann der Bürge die Vorausklage erheben. Der Gläubiger muss dann vorrangig gegen den Hauptschuldner vorgehen.
Selbstschuldnerische Bürgschaft
Bei einer selbstschuldnerischen Bürgschaft ist die Vorausklage ausgeschlossen. Der Gläubiger kann den Bürgen unmittelbar in Anspruch nehmen, sobald die Hauptschuld fällig ist und die weiteren vertraglichen Voraussetzungen erfüllt sind.
Ausfallbürgschaft
Die Ausfallbürgschaft geht über die Vorausklage hinaus: Der Bürge haftet erst für den Ausfall, das heißt, nachdem die Befriedigung aus dem Vermögen des Hauptschuldners und gegebenenfalls aus weiteren Sicherheiten gescheitert ist.
Garantie
Eine Garantie ist nicht akzessorisch zur Hauptschuld. Die Vorausklage ist hier begrifflich nicht einschlägig, da der Garant eine eigene, von der Hauptschuld unabhängige Verpflichtung übernimmt.
Voraussetzungen und Ablauf
Voraussetzungen für die Geltendmachung
- Es besteht eine wirksame Bürgschaft, in der die Vorausklage nicht ausgeschlossen ist.
- Die Hauptschuld ist fällig und vom Gläubiger geltend gemacht.
- Der Bürge erhebt die Einrede der Vorausklage ausdrücklich; sie wirkt nicht automatisch.
Typischer Verfahrensablauf
- Der Gläubiger macht die Forderung gegenüber dem Hauptschuldner geltend.
- Erhebt der Bürge die Vorausklage, muss der Gläubiger einen vollstreckbaren Titel gegen den Hauptschuldner erwirken.
- Der Gläubiger unternimmt Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Hauptschuldner.
- Erweist sich die Vollstreckung als erfolglos oder unzumutbar, kann der Gläubiger den Bürgen in Anspruch nehmen.
Darlegungs- und Beweislast
Der Bürge muss das Recht zur Vorausklage geltend machen. Sodann obliegt es regelmäßig dem Gläubiger, darzulegen, dass er die Vollstreckung gegen den Hauptschuldner betrieben hat oder dass diese aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht erfolgversprechend oder nicht zumutbar war.
Ausnahmen und Ausschlüsse
Die Vorausklage ist ausgeschlossen oder entbehrlich in Konstellationen, in denen der Zugriff auf den Hauptschuldner objektiv nicht erfolgversprechend ist oder vertraglich abbedungen wurde. Typische Fallgruppen:
- Vertraglicher Ausschluss, etwa durch Vereinbarung einer selbstschuldnerischen Bürgschaft oder einer Zahlung auf erstes Anfordern.
- Offenkundige Aussichtslosigkeit der Vollstreckung gegen den Hauptschuldner, etwa wegen eines eröffnenden oder mangels Masse nicht eröffneten Insolvenzverfahrens.
- Schwerwiegende Vollstreckungshindernisse, beispielsweise unbekannter Aufenthalt des Hauptschuldners oder fehlender inländischer Vollstreckungszugriff, sofern eine Durchsetzung absehbar keinen Erfolg verspricht.
- Besondere gesetzliche oder vertragliche Gestaltungen, die eine unmittelbare Inanspruchnahme des Bürgen vorsehen.
Rechtsfolgen und Wirkung
Materielle Wirkung
Die Vorausklage hemmt die sofortige Haftung des Bürgen. Die Forderung bleibt bestehen, kann aber erst nach erfolglosem Vorgehen gegen den Hauptschuldner oder Vorliegen eines Ausnahmetatbestands gegenüber dem Bürgen durchgesetzt werden.
Prozessuale Wirkung
Erhebt der Bürge im Prozess die Einrede der Vorausklage, muss der Gläubiger einen vorrangigen Zugriff gegen den Hauptschuldner nachweisen oder die Entbehrlichkeit darlegen. Andernfalls bleibt die Klage gegen den Bürgen unbegründet, solange die Voraussetzungen nicht erfüllt sind.
Kosten- und Vollstreckungsaspekte
Vorrangiges Vorgehen gegen den Hauptschuldner kann zusätzlichen Aufwand und Kosten verursachen. Die spätere Inanspruchnahme des Bürgen kann auch neben dem Hauptanspruch Kostenpositionen umfassen, die durch den erforderlichen Vorwegzugriff entstanden sind, soweit sie ersatzfähig sind.
Verjährung
Die Vorausklage ändert nichts an der grundsätzlichen Verjährungsordnung. Sie betrifft den Zeitpunkt der Durchsetzung gegenüber dem Bürgen, nicht den Bestand der gesicherten Forderung. Zeitliche Hemmungs- oder Neubeginnstatbestände können sich aus allgemeinen prozessualen Schritten ergeben, nicht aus der Einrede als solcher.
Besondere Konstellationen
Mehrere Bürgen (Mitbürgschaft) und Regress
Bei mehreren Bürgen kann jeder gegenüber dem Gläubiger die ihm zustehenden Einreden geltend machen. Leistet ein Bürge, hat er regelmäßig einen Ausgleichsanspruch gegenüber Mitbürgen nach den internen Verteilungsregeln. Die Vorausklage betrifft das Außenverhältnis zum Gläubiger; interne Ausgleichsfragen bleiben davon unberührt.
Verhältnis zu weiteren Sicherheiten
Die Vorausklage verpflichtet den Gläubiger grundsätzlich nicht dazu, zunächst andere Sicherheiten zu verwerten, sofern nichts Abweichendes vereinbart ist. Etwas anderes kann sich bei der Ausfallbürgschaft ergeben, bei der der Zugriff auf Sicherheiten vorgehen kann.
Insolvenz des Hauptschuldners
Führt ein Insolvenzverfahren oder dessen Scheitern wegen fehlender Masse dazu, dass eine Vollstreckung offensichtlich ohne Erfolg wäre, wird die Vorausklage regelmäßig entbehrlich. Der Gläubiger kann dann den Bürgen unmittelbar in Anspruch nehmen, sofern die übrigen Voraussetzungen vorliegen.
Rechtsvergleich und praktische Bedeutung
Das Prinzip der Vorausklage ist in verschiedenen Rechtsordnungen bekannt. In Deutschland knüpft es an die akzessorische Struktur der Bürgschaft an und wird häufig durch vertragliche Gestaltungen eingeschränkt. Auch in Österreich und der Schweiz existieren Formen des Exkussionsrechts; in der Ausgestaltung bestehen jedoch Unterschiede, insbesondere hinsichtlich der Frage, wann und in welchem Umfang der Vorrang des Zugriffs auf den Hauptschuldner gilt oder vertraglich abbedungen werden kann.
In der Praxis kommt der Vorausklage Bedeutung zu, weil sie das Risiko des Bürgen begrenzt, indem sie den vorrangigen Zugriff des Gläubigers auf den Hauptschuldner sicherstellt oder einen nachvollziehbaren Nachweis der Erfolglosigkeit verlangt.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet die Einrede der Vorausklage?
Sie ist das Recht des Bürgen, vom Gläubiger zu verlangen, zuerst den Hauptschuldner zu belangen und eine Vollstreckung zu versuchen. Erst bei erfolglosem oder unzumutbarem Vorgehen gegen den Hauptschuldner darf der Bürge selbst in Anspruch genommen werden.
In welchen Fällen ist die Vorausklage ausgeschlossen?
Typisch ist der Ausschluss bei einer selbstschuldnerischen Bürgschaft, bei einer Zahlung auf erstes Anfordern oder bei ausdrücklichem vertraglichen Verzicht. Zudem ist sie entbehrlich, wenn die Vollstreckung gegen den Hauptschuldner absehbar aussichtslos ist.
Muss der Gläubiger zunächst andere Sicherheiten verwerten?
Grundsätzlich bezieht sich die Vorausklage auf den vorrangigen Zugriff auf den Hauptschuldner. Eine Pflicht zur vorgängigen Verwertung anderer Sicherheiten besteht ohne besondere Vereinbarung nicht. Bei einer Ausfallbürgschaft kann die Verwertung anderer Sicherheiten jedoch vorrangig sein.
Wie weist der Gläubiger nach, dass die Vorausklage entbehrlich ist?
Er muss Umstände darlegen, die die Erfolglosigkeit oder Unzumutbarkeit einer Vollstreckung gegen den Hauptschuldner belegen, etwa durch Hinweise auf ein Insolvenzverfahren oder andere erhebliche Vollstreckungshindernisse.
Welche Rolle spielt eine Insolvenzeröffnung über den Hauptschuldner?
Sie spricht regelmäßig dafür, dass eine Vollstreckung gegen den Hauptschuldner keinen Erfolg verspricht. In solchen Fällen ist die Vorausklage entbehrlich und der Bürge kann unmittelbar in Anspruch genommen werden, wenn die weiteren Voraussetzungen gegeben sind.
Gilt die Vorausklage bei selbstschuldnerischer Bürgschaft?
Nein. Die selbstschuldnerische Bürgschaft schließt die Einrede der Vorausklage aus. Der Gläubiger kann den Bürgen unmittelbar in Anspruch nehmen, sobald die Hauptforderung fällig ist und die sonstigen Voraussetzungen vorliegen.
Wirkt sich die Vorausklage auf die Verjährung aus?
Die Einrede ändert die Verjährungsfristen grundsätzlich nicht. Sie betrifft den Zeitpunkt der Durchsetzung gegenüber dem Bürgen. Hemmungs- oder Neubeginnstatbestände ergeben sich aus allgemeinen prozessualen Schritten, nicht aus der Einrede selbst.
Gibt es die Vorausklage auch in Österreich und der Schweiz?
Ja. Vergleichbare Institute sind bekannt. Die konkrete Ausgestaltung und die Möglichkeit eines vertraglichen Ausschlusses können sich in Details unterscheiden. Gemeinsamer Kern ist der vorrangige Zugriff auf den Hauptschuldner, sofern dieser nicht wirksam abbedungen oder aus besonderen Gründen entbehrlich ist.