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Vorausklage


Begriff und Definition der Vorausklage

Die Vorausklage ist ein zentraler Begriff im deutschen Zivilrecht und bezeichnet das Recht eines Schuldners, von seinem Gläubiger zunächst gegen eine andere Person vorzugehen, bevor der Schuldner selbst in Anspruch genommen werden kann. Diese Rechtsposition schützt hauptsächlich akzessorische Schuldner (z. B. Bürgen oder Mitschuldner), indem sie eine subsidiäre Haftung gegenüber dem Gläubiger gewährt. Die gesetzliche Grundlage für die Vorausklage findet sich in verschiedenen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).

Rechtliche Einordnung der Vorausklage

Akzessorität und subsidiäre Haftung

Die Vorausklage ist insbesondere bei Sicherungsinstrumenten relevant, in denen der Schuldner für eine fremde Verbindlichkeit eintritt. Die Vorschrift versteht sich als Ausprägung des Prinzips der Akzessorietät, die besagt, dass die Haftung eines Sicherungsgebers, wie etwa eines Bürgen, von der Hauptschuld abhängt und grundsätzlich nachgeordnet, also subsidiär, erfolgt.

Gesetzliche Regelungen

Die gesetzliche Regelung der Vorausklage findet sich beispielsweise in folgenden Vorschriften:

  • § 771 BGB (Einrede der Vorausklage bei der Bürgschaft)
  • § 497 BGB (Einrede der Vorausklage bei der Schuldmitübernahme)
  • § 239 HGB (Haftung des Komplementärs in der Kommanditgesellschaft)

In diesen Fällen ist vorgesehen, dass ein Sicherungsgeber oder Mitschuldner verlangen kann, dass der Gläubiger zuerst beim Hauptschuldner Befriedigung sucht oder zumindest nachweist, dass eine Klage gegen den Hauptschuldner erfolglos geblieben ist.

Voraussetzungen der Vorausklage

Damit das Recht der Vorausklage besteht, müssen bestimmte rechtliche Voraussetzungen erfüllt sein:

  1. Akzessorisches Schuldverhältnis:

Es muss ein akzessorisches Schuldverhältnis wie Bürgschaft, Mitschuld, Gesamtschuld oder vergleichbare Sicherungskonstellation vorliegen.

  1. Erhebung der Einrede:

Die Einrede der Vorausklage ist keine automatische Kürzung der Haftung, sondern muss aktiv vom Sicherungsgeber gegenüber dem Gläubiger geltend gemacht werden.

  1. Keine vertraglichen oder gesetzlichen Ausschlussgründe:

Die Einrede der Vorausklage darf nicht durch vertragliche Gestaltung oder kraft Gesetzes ausgeschlossen worden sein.

Die Einrede der Vorausklage

Bürgschaft (§ 771 BGB)

Bei der Bürgschaft gilt die Einrede der Vorausklage als konstitutives Merkmal. Der Bürge kann sich auf § 771 BGB berufen und vom Gläubiger verlangen, dass dieser zuerst gegen den Hauptschuldner die Zwangsvollstreckung betreibt, bevor er den Bürgen belangt. Allerdings kann das Vorausklagerecht in bestimmten Fällen vertraglich abbedungen werden, etwa beim sogenannten „selbstschuldnerischen Bürgen“ (§ 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB). In einem solchen Fall entsteht eine primäre Haftung des Bürgen.

Beginn und Ende der Vorausklageeinrede

Der Gläubiger muss zunächst gegen den Hauptschuldner einen Vollstreckungstitel erwirken und den Vollstreckungsversuch nachweisen. Ist dieser erfolglos oder aussichtslos, entfällt die Einrede und der Bürge kann in Anspruch genommen werden. Die Vorausklage entfällt auch in den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen, etwa:

  • Zahlungseinstellung oder Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Hauptschuldner,
  • Aufenthalt des Hauptschuldners unbekannt,
  • Erfolglose Zwangsvollstreckung gegen Hauptschuldner (§ 773 Abs. 1 Nr. 2 u. 3 BGB).

Schuldmitübernahme und Gesamtschuld

Auch bei der Schuldmitübernahme (§ 497 BGB) und bei bestimmten Formen der Gesamtschuld kann die Einrede der Vorausklage eine Rolle spielen und schützt den Schuldmitübernehmer vor einer unmittelbaren Inanspruchnahme durch den Gläubiger.

Gesellschaftsrechtliche Aspekte

Im Handelsrecht und bei verschiedenen Gesellschaftsformen, wie der Kommanditgesellschaft (KG), gilt für die persönlich haftenden Gesellschafter häufig keine Vorausklage. Dem Kommanditisten als Teilhafter allerdings steht, soweit nichts anderes vereinbart wurde, grundsätzlich das Vorausklagerecht zu (§ 171 Abs. 1 HGB).

Rechtsfolgen und Wirkung der Vorausklage

Einschränkung der Haftung

Die Inanspruchnahme des akzessorischen Schuldners ist bis zur erfolglosen Durchsetzung gegen den Hauptschuldner eingeschränkt. Zahlungen, Zwangsvollstreckungsmaßnahmen oder sonstige Ansprüche des Gläubigers gegen den Bürgen beziehungsweise Mitschuldner sind insoweit unzulässig.

Rechtsverlust bei Verzicht

Sofern die Einrede der Vorausklage nicht erhoben wird, ist der Schuldner nicht davor geschützt, unmittelbar in Anspruch genommen zu werden. Das Recht kann durch gesonderte vertragliche Abrede ausgeschlossen werden.

Bedeutung im Insolvenzrecht

Besondere Bedeutung entfaltet die Einrede der Vorausklage im Falle der Insolvenz des Hauptschuldners. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfällt in der Regel das Recht auf Vorausklage, der Gläubiger kann den Bürgen dann unmittelbar heranziehen (§ 773 Abs. 1 Nr. 2 BGB).

Vertraglicher Ausschluss und Modifizierung

Bereits bei der Begründung der Sicherungsabrede kann die Einrede durch Vereinbarung zwischen Bürge und Gläubiger ausgeschlossen werden. Die häufigste Form ist die Übernahme einer selbstschuldnerischen Bürgschaft. Ein derartiger Ausschluss ist gesetzlich zulässig, allerdings bedarf es hierzu einer ausdrücklichen Erklärung und eindeutigen Regelung im Vertragstext.

Praktische und rechtspolitische Bedeutung

Die Vorausklage stellt ein wichtiges Schutzinstrument für Sicherungsgeber dar und beeinflusst maßgeblich die Risikoverteilung im Kredit- und Sicherungswesen. Sie soll verhindern, dass akzessorische Schuldner ohne vorherigen Ausfall des Hauptschuldners belastet werden. In der Rechtspraxis hat ihre Bedeutung jedoch erheblich abgenommen, insbesondere durch die häufige Verwendung der selbstschuldnerischen Bürgschaft, in der das Vorausklagerecht regelmäßig abbedungen wird.

Übersicht der wichtigsten Vorschriften zur Vorausklage

  • § 771 BGB: Einrede der Vorausklage bei der Bürgschaft
  • § 497 BGB: Schuldmitübernahme, Einrede der Vorausklage
  • § 239 HGB: Haftung des Komplementärs, Einschränkung der Vorausklage
  • § 171 HGB: Einrede der Vorausklage beim Kommanditisten

Zusammenfassung

Die Vorausklage ist ein wesentlicher Bestandteil des deutschen Schuld- und Sicherheitenrechts. Sie dient dem Schutz akzessorischer Schuldner und stellt sicher, dass eine Inanspruchnahme durch den Gläubiger erst erfolgt, wenn die Durchsetzung der Forderung gegen den Hauptschuldner erfolglos bleibt oder ausgeschlossen erscheint. Die Einrede der Vorausklage muss ausdrücklich geltend gemacht werden und kann in bestimmten Konstellationen, insbesondere bei der selbstschuldnerischen Bürgschaft, ausgeschlossen sein. Ihre Bedeutung in der rechtspraktischen Handhabung ist durch die Möglichkeit des vertraglichen Ausschlusses beschränkt, bleibt aber für die dogmatische Einordnung akzessorischer Sicherheiten von zentraler Bedeutung.

Häufig gestellte Fragen

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein Anspruch auf die Erhebung der Vorausklage besteht?

Zunächst setzt der Anspruch auf die Erhebung der Vorausklage, insbesondere gemäß § 771 BGB (im Bürgschaftsrecht) oder vergleichbaren Regelungen im deutschen Zivilrecht, voraus, dass ein Bürge oder Gesamtschuldner die Inanspruchnahme durch den Gläubiger ablehnen darf, solange dieser nicht zuvor gegen den Hauptschuldner zwangsweise vollstreckt hat. Dies bedeutet, dass der Gläubiger grundsätzlich zunächst versuchen muss, seine Ansprüche beim Hauptschuldner durchzusetzen und zum Beispiel eine Zwangsvollstreckung einleiten muss, und erst dann auf den Bürgen oder Mitschuldner zurückgreifen kann. Die Einrede der Vorausklage kann jedoch ausgeschlossen werden, etwa durch ausdrückliche Vereinbarungen im Bürgschaftsvertrag (sogenannte „selbstschuldnerische Bürgschaft“) oder wenn der Hauptschuldner offensichtlich zahlungsunfähig ist, sich im Insolvenzverfahren befindet oder der Gläubiger nachweist, dass eine Zwangsvollstreckung beim Hauptschuldner keine Aussicht auf Erfolg bietet. Im Einzelfall sind die vertraglichen Regelungen sowie die aktuelle Vermögenssituation des Hauptschuldners zu prüfen, um beurteilen zu können, ob das Recht auf Einrede der Vorausklage besteht.

Welche Rechtsfolgen hat die Erhebung der Einrede der Vorausklage konkret für den Bürgschaftsprozess?

Erhebt ein Bürge im Prozess die Einrede der Vorausklage, so ist das Gericht gehalten, zunächst die Voraussetzungen zu prüfen, ob der Gläubiger bereits gegen den Hauptschuldner vollstreckt oder ob diese Vollstreckung erfolglos geblieben ist. Das Verfahren kann sich dadurch erheblich verzögern, da der Bürge eine wirksame Verteidigung gegen die sofortige Inanspruchnahme besitzt. Erst wenn der Gläubiger nachweist, dass er alle zumutbaren Vollstreckungsmöglichkeiten gegen den Hauptschuldner ausgeschöpft hat oder diese von vornherein aussichtslos sind, fällt die Einrede weg und der Bürge kann direkt in Anspruch genommen werden. Ist die Einrede jedoch zulässig, wird die Klage gegen den Bürgen zunächst abgewiesen. Dies schafft für den Bürgen eine zusätzliche Schutzfunktion und entlastet diesen zumindest vorläufig von der Zahlungspflicht.

Wann ist die Einrede der Vorausklage ausgeschlossen?

Die Einrede der Vorausklage ist ausgeschlossen, wenn der Bürge eine selbstschuldnerische Bürgschaft übernommen hat, in der er ausdrücklich auf die Möglichkeit der Vorausklage verzichtet (§ 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Ferner entfällt sie, wenn der Hauptschuldner insolvent ist, die Zwangsvollstreckung beim Hauptschuldner keine Aussicht auf Erfolg hat, sich der Hauptschuldner im Ausland aufhält, unbekannten Aufenthalts ist, oder der Bürge einer solidarischen Haftung zugestimmt hat, wie etwa bei bestimmten Arten von Gesamtschuldverhältnissen. Auch gesetzliche Vorschriften oder Individualvereinbarungen können die Einrede explizit ausschließen, wenn dies zwischen den Parteien so vereinbart wurde.

Welche Darlegungs- und Beweislast trifft den Bürgen bei Berufung auf die Einrede der Vorausklage?

Im Falle der Berufung auf die Einrede der Vorausklage liegt die Darlegungs- und Beweislast zunächst beim Bürgen. Er muss konkret und substantiiert behaupten, dass die Voraussetzungen für die Vorausklage erfüllt sind – insbesondere, dass der Hauptschuldner noch leistungsfähig ist und eine Vollstreckung gegen ihn möglich und erfolgsversprechend erscheint. Der Gläubiger hat dann darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass entweder bereits ausreichend versucht wurde, gegen den Hauptschuldner Vollstreckungsmaßnahmen durchzuführen oder dass ein solcher Vollstreckungsversuch von vornherein aussichtslos ist, beispielsweise wegen Insolvenz oder Unauffindbarkeit des Hauptschuldners. Die Beurteilung erfolgt anhand der vorliegenden Tatsachen im gerichtlichen Verfahren.

Gilt die Einrede der Vorausklage auch in Fällen der Gesamtschuldnerschaft (außerhalb des Bürgschaftsrechts)?

Im klassischen deutschen Bürgschaftsrecht ist die Einrede der Vorausklage hauptsächlich im Zusammenhang mit dem Verhältnis Bürge – Hauptschuldner – Gläubiger geregelt. Außerhalb der Bürgschaft, etwa in Fällen der reinen gesamtschuldnerischen Haftung gemäß §§ 421 ff. BGB, existiert eine solche Einrede grundsätzlich nicht. Ein Gesamtschuldner kann nicht verlangen, dass der Gläubiger zunächst ausschließlich gegen einen anderen Schuldner vorgeht, sondern der Gläubiger kann sich beliebig an einen oder mehrere Gesamtschuldner halten. Nur in Ausnahmefällen, zum Beispiel wenn dies ausdrücklich vertraglich vereinbart wurde, könnte etwas anderes gelten.

Welche Rechte und Pflichten ergeben sich für den Gläubiger nach erfolgreicher Erhebung der Einrede der Vorausklage?

Wurde die Einrede der Vorausklage erhoben und ist sie wirksam, trifft den Gläubiger die Pflicht, zunächst sämtliche zur Verfügung stehenden, zumutbaren Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Hauptschuldner auszuführen. Er muss dabei nachweislich versuchen, die Forderung durch Zwangsvollstreckung beim Hauptschuldner zu realisieren. Erst wenn diese Maßnahmen fruchtlos geblieben sind oder eindeutig keinen Erfolg versprechen, darf der Gläubiger auf den Bürgen zurückgreifen. Der Gläubiger ist insoweit gehalten, gegebenenfalls gegenüber Dritten, insbesondere auch im Prozess, die Aussichtslosigkeit weiterer Maßnahmen nachzuweisen. Beim Nichterfolg gehen die Pflichten des Bürgen wieder in Kraft, und der Gläubiger kann dann gerichtlich gegen ihn vorgehen. Der Bürgen haftet dann in vollem Umfang, sofern keine weiteren Einreden bestehen.