Begriff und Bedeutung der Vollstreckungsgegenklage
Die Vollstreckungsgegenklage ist ein zentrales Rechtsinstitut des deutschen Zivilprozessrechts. Sie bietet dem Schuldner die Möglichkeit, sich nach Ergehen eines Titels – etwa eines Urteils, Vollstreckungsbescheids oder Anerkenntnisurteils – und während bzw. nach Einleitung der Zwangsvollstreckung gegen diese zu verteidigen. Im Rahmen dieser Klage kann der Schuldner Einwendungen gegen den titulierten Anspruch erheben, die erst nach dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung im Erkenntnisverfahren entstanden sind oder im Ursprung erst danach geltend gemacht werden konnten. Die Vollstreckungsgegenklage ist in § 767 Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt.
Gesetzliche Grundlage
Die gesetzliche Grundlage der Vollstreckungsgegenklage findet sich in § 767 ZPO. Demnach kann der Schuldner unter bestimmten Voraussetzungen mit der Klage gegen den materiell-rechtlichen Bestand des titulierten Anspruchs vorgehen, um dessen Vollstreckung abzuwehren.
Wortlaut von § 767 Abs. 1 ZPO:
„Der Schuldner kann mit der Klage Einwendungen geltend machen, die den Anspruch selbst betreffen, soweit sie erst nach dem Schluß der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, entstanden sind.“
Damit wird klargestellt, dass ausschließlich nachträglich entstandene Einwendungen Gegenstand der Vollstreckungsgegenklage sind.
Zulässigkeit der Vollstreckungsgegenklage
Passiv- und Aktivlegitimation
Aktivlegitimiert ist grundsätzlich der Schuldner, gegen den die Zwangsvollstreckung aus einem vollstreckbaren Titel betrieben wird. Passivlegitimiert ist der Vollstreckungsgläubiger, der den Titel innehat und Maßnahmen der Zwangsvollstreckung betreibt.
Voraussetzungen
Folgende Voraussetzungen müssen vorliegen, damit eine Vollstreckungsgegenklage zulässig ist:
- Es muss ein vollstreckbarer Titel existieren.
- Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wurden eingeleitet oder stehen unmittelbar bevor.
- Die geltend gemachten Einwendungen gegen den titulierten Anspruch sind erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung im Erkenntnisverfahren entstanden oder später erstmals durchsetzbar.
- Es dürfen keine prozessualen Einwendungen vorgetragen werden, sondern ausschließlich materiell-rechtliche Einwendungen.
Unterscheidung zu anderen Rechtsbehelfen
Die Vollstreckungsgegenklage ist abzugrenzen
von der Erinnerung (§ 766 ZPO), welche prozessuale Fehler im Vollstreckungsverfahren betrifft;
von der Klauselerinnerung (§ 732 ZPO) betreffend die Klauselerteilung;
* und von der Klage auf Erteilung einer Vollstreckungsgegenklausel.
Die Vollstreckungsgegenklage bezieht sich ausschließlich auf Gründe, die den Anspruch aus dem Titel selbst treffen, nicht auf Verfahrensfragen.
Gegenstand und Umfang der Vollstreckungsgegenklage
Typische Einwendungen
Zulässig sind im Rahmen der Vollstreckungsgegenklage ausschließlich Einwendungen, die materiell-rechtlicher Art sind und nachträglich entstanden, also nach dem Abschluss des Erkenntnisverfahrens, vorliegen. Zu diesen Einwendungen zählen insbesondere:
- Erfüllung: Die titulierte Forderung wurde nachträglich beglichen.
- Aufrechnung: Mit einer Gegenforderung wurde nach Eintritt der Rechtskraft des Titels aufgerechnet.
- Erlass der Schuld: Es erfolgte ein nachträglicher Erlass der titulierten Forderung.
- Stundung: Die Vollstreckung ist durch eine nachträglich vereinbarte Stundung nicht zulässig.
- Vereinbarung eines Leistungsverzichts
- Nachträgliche Bedingungseintritte oder -ausfälle
- Verwirkung und andere Einreden
Nicht vorgetragen werden können im Rahmen der Vollstreckungsgegenklage solche Einwendungen, die bereits im Erkenntnisverfahren hätten geltend gemacht werden können.
Bindung an den Titel
Die Rechtskraft des Titels bleibt durch die Vollstreckungsgegenklage unangetastet. Mit dieser Klage wird lediglich der zur Zwangsvollstreckung berechtigende Inhalt des Titels vorübergehend in Frage gestellt.
Verfahren bei der Vollstreckungsgegenklage
Zuständigkeit und Prozessführung
Örtlich und sachlich zuständig für die Entscheidung über eine Vollstreckungsgegenklage ist grundsätzlich das Gericht, das für den Streitwert der Sache zuständig wäre. Regelmäßig handelt es sich hierbei um das Gericht der allgemeinen Zivilgerichtsbarkeit am Sitz des Titelschuldners.
Das Verfahren ist als Klageverfahren ausgestaltet und richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften der ZPO. Die Parteien werden als Kläger (Schuldner) und Beklagter (Gläubiger) geführt.
Inhalt des Klageantrags
Mit der Vollstreckungsgegenklage wird beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem konkreten Titel für unzulässig zu erklären, soweit einer oder mehrere der nachträglich entstandenen Einwendungen vorliegen.
Wirkung der Klage
Die Erhebung der Vollstreckungsgegenklage hemmt die Zwangsvollstreckung grundsätzlich nicht automatisch. Es bedarf eines gesonderten Antrags auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung gemäß § 769 ZPO oder einer Entscheidung des Gerichts, die Zwangsvollstreckung auszusetzen (§ 775 Nr. 1 ZPO).
Entscheidung des Gerichts
Das angerufene Gericht prüft, ob die geltend gemachten Einwendungen inhaltlich zutreffen und nachträglich zum Titel entstanden sind. Wird der Klage stattgegeben, erklärt das Gericht die Zwangsvollstreckung aus dem Titel, ggf. auch nur teilweise, für unzulässig.
Gegen die Entscheidung ist die Berufung gegeben, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
Abgrenzung zu weiteren Rechtsbehelfen der Zwangsvollstreckung
Die Vollstreckungsgegenklage ist in den Kanon der Rechtsbehelfe im Zwangsvollstreckungsrecht eingebettet und zu folgenden Klagearten und Verfahren abzugrenzen:
- Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO): Schutz eines Dritten, der geltend macht, dass das zwangsweise in Anspruch genommene Vermögen ihm gehört.
- Erinnerung gegen die Art der Zwangsvollstreckung (§ 766 ZPO): Beseitigung formeller Fehler oder Unzulässigkeiten im Zwangsvollstreckungsverfahren.
- Klauselerinnerung (§ 732 ZPO): Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Vollstreckungsklausel.
- Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung (§ 769 ZPO): Vorläufiger Rechtsschutz bis zur Entscheidung über die Hauptsache.
Kostenfolgen der Vollstreckungsgegenklage
Die Kosten für eine Vollstreckungsgegenklage richten sich nach den allgemeinen Regeln der ZPO und bemessen sich nach dem Wert des streitigen Anspruchs. Im Falle des Obsiegens trägt der unterlegene Gläubiger die Kosten des Verfahrens; andernfalls verbleiben die Kosten grundsätzlich beim Schuldner.
Bedeutung in der Praxis
Die Vollstreckungsgegenklage ist ein wesentliches Instrument des Schuldnerschutzes im Rahmen der Zwangsvollstreckung. Sie erlaubt die Verteidigung gegen nicht mehr bestehende oder modifizierte Ansprüche, die in bereits entstandenen Titeln festgestellt wurden und zu vollstreckbaren Forderungen führten. Über ihre Anwendung wird besonders in Fällen der Erfüllung, Verjährung, Aufrechnung oder Stundung intensiv Gebrauch gemacht.
Literaturhinweise
- Musielak/Voit, Zivilprozessordnung, Kommentar, § 767 ZPO
- Zöller, Zivilprozessordnung, Kommentar, § 767 ZPO
- Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, Kommentar, § 767 ZPO
Zusammenfassung:
Die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO ist ein bedeutender prozessualer Weg für den Schuldner, materiell-rechtliche Einwendungen gegen einen bereits titulierten Anspruch vorbringen zu können, sofern diese erst nach Abschluss des Urteilsverfahrens entstanden sind. Sie bildet neben den übrigen Rechtsbehelfen der Zwangsvollstreckung einen essentiellen Bestandteil des Schuldnerschutzes und sorgt für die nachträgliche Gerechtigkeit im Zwangsvollstreckungsverfahren.
Häufig gestellte Fragen
Wann ist der richtige Zeitpunkt für die Erhebung einer Vollstreckungsgegenklage?
Die Vollstreckungsgegenklage wird gemäß § 767 ZPO erhoben, wenn sich der Schuldner gegen die Zwangsvollstreckung aus einem rechtskräftigen Urteil oder Vollstreckungstitel wenden möchte, weil nachträgliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch entstanden sind, die erst nach Abschluss des Erkenntnisverfahrens entstanden oder durch das Gericht nicht berücksichtigt wurden. Der richtige Zeitpunkt für die Erhebung der Klage ist grundsätzlich immer dann gegeben, wenn die Zwangsvollstreckung unmittelbar droht oder bereits begonnen hat und der Schuldner Einwendungen geltend machen möchte, die sich auf Umstände stützen, die nach Ergehen des Titels eingetreten sind (z. B. vollständige oder teilweise Erfüllung, Erlass, Aufrechnung, Verjährung nach Titelerlass). Voraussetzung ist, dass diese Einwendungen nicht bereits im Erkenntnisverfahren hätten vorgebracht werden können. Praktisch empfiehlt sich die zeitnahe Erhebung der Klage, um unnötige Kosten der Zwangsvollstreckung zu verhindern, da mit Einleitung der Zwangsvollstreckung weitere Kosten entstehen können, die im Erfolgsfall auch abzuwenden sind.
Welche formalen Anforderungen muss die Vollstreckungsgegenklage erfüllen?
Die Vollstreckungsgegenklage ist eine allgemeine Leistungsklage und unterliegt daher den Formvorschriften der Zivilprozessordnung (§§ 253 ff. ZPO). Die Klage ist beim Prozessgericht des ersten Rechtszuges einzureichen, das heißt regelmäßig beim Gericht, welches im Urteil erster Instanz entschieden hat. Die Klage muss die üblichen Angaben enthalten: Bezeichnung der Parteien, des zuständigen Gerichts, den Lebenssachverhalt, auf den sich die Klage stützt, sowie einen eindeutigen Klageantrag, der auf die Feststellung der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem konkreten Titel gerichtet ist. Weiterhin ist eine hinreichende Begründung, warum die Einwendung erst nach Urteilserlass entstanden ist oder warum sie im Erkenntnisverfahren nicht geltend gemacht werden konnte, vorzulegen. Der Klage sind entsprechende Beweismittel beizufügen. Darüber hinaus sind die Vorschriften zur Kostenvorschusspflicht und zum gerichtlichen Schriftverkehr einzuhalten.
Gegen welche Titel kann die Vollstreckungsgegenklage eingelegt werden?
Die Vollstreckungsgegenklage richtet sich grundsätzlich gegen alle vollstreckbaren Endurteile (§ 704 ZPO) und gleichgestellte Vollstreckungstitel, wie Beschlüsse, gerichtliche Vergleiche oder Kostenfestsetzungsbeschlüsse. Voraussetzung ist, dass es sich um einen zivilrechtlichen Vollstreckungstitel handelt. Darüber hinaus ist die Vollstreckungsgegenklage auch gegen Entscheidungen möglich, die aufgrund von Schiedssprüchen, europäischen Vollstreckungstiteln oder notariellen Urkunden erlassen wurden, sofern diese vollstreckbar sind und die Zivilprozessordnung ihre Anwendung gestattet. Nicht statthaft ist die Klage gegen vorläufig vollstreckbare Titel ohne Sicherheitsleistung, da diese nur mit Rechtsmitteln im Erkenntnisverfahren oder durch Vollstreckungsschutzanträge (§§ 707, 719 ZPO) angegriffen werden können.
Welche typischen Einwendungen können im Rahmen der Vollstreckungsgegenklage geltend gemacht werden?
Einwendungen, die mit der Vollstreckungsgegenklage erhoben werden können, müssen nach Titelerlass entstanden sein oder im Erkenntnisverfahren unberücksichtigt geblieben sein. Typische Beispiele sind die vollständige oder teilweise Erfüllung des Anspruchs durch Zahlung, die Vereinbarung eines Erlasses (Erlassvertrag), die Aufrechnung mit einer Gegenforderung, Verjährung des Anspruchs nach dem Urteil, Stundung, Schuldnerwechsel, Insolvenz des Schuldners oder Nachweise über den Wegfall der titulierten Forderung. Diese Tatsachen müssen darlegbar und nachweisbar sein. Nicht zulässig ist die Geltendmachung von Tatsachen oder Einwendungen, die schon vor oder während des ursprünglichen Erkenntnisverfahrens entstanden und dort hätten vorgebracht werden können.
Welche Rolle spielt die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung bei einer Vollstreckungsgegenklage?
Die Erhebung einer Vollstreckungsgegenklage führt nicht automatisch zur Einstellung der Zwangsvollstreckung. Der Schuldner muss beim zuständigen Vollstreckungsgericht einen separaten Antrag stellen, um eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 769 ZPO zu erreichen. Die einstweilige Einstellung ist ein besonderes Verfahren, das im Ermessen des Gerichts steht. Sie wird in der Regel dann gewährt, wenn das Gericht die Erfolgsaussichten der Klage für ausreichend wahrscheinlich hält oder wenn ansonsten erhebliche Nachteile für den Schuldner drohen, die später schwer auszugleichen wären. Das Gericht kann Sicherheit verlangen (z. B. durch Hinterlegung), um die Interessen des Gläubigers zu wahren.
Wer trägt die Kosten einer Vollstreckungsgegenklage und wie werden diese verteilt?
Wie im Zivilprozess üblich, trägt grundsätzlich die unterliegende Partei die Kosten des Verfahrens, also Gerichts- und Anwaltskosten (§ 91 ZPO). Sollte der Schuldner (Kläger) mit seiner Vollstreckungsgegenklage keinen Erfolg haben, muss er sämtliche Kosten des Verfahrens tragen. Hat die Klage Erfolg und wird die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt, trägt der Gläubiger (Beklagte) die Kosten. Es besteht die Möglichkeit einer Kostenaufhebung oder Quotelung, wenn das Gericht eine teilweise Erfolgsaussicht oder besondere Fallkonstellationen annimmt.
Ist im Rahmen der Vollstreckungsgegenklage eine mündliche Verhandlung erforderlich, oder kann das Gericht im schriftlichen Verfahren entscheiden?
Grundsätzlich ist im deutschen Zivilprozess die mündliche Verhandlung die Regel (§ 128 ZPO). Das Gericht kann aber im Einzelfall auf Antrag oder mit Zustimmung beider Seiten auch im schriftlichen Verfahren entscheiden (§ 128 Abs. 2 ZPO). Insbesondere dann, wenn der Sachverhalt unstreitig ist oder keine weiteren Beweise zu erheben sind, kann das Gericht im schriftlichen Verfahren über die Vollstreckungsgegenklage entscheiden. Wichtig ist jedoch, dass die Parteien hierzu ordnungsgemäß Stellung nehmen können, und sämtliche Schriftsätze und Tatsachen vollständig vorliegen.
Welche Auswirkungen hat eine erfolgreiche Vollstreckungsgegenklage auf bereits erfolgte Vollstreckungshandlungen?
Wird die Vollstreckungsgegenklage vom Gericht als begründet erachtet und die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung festgestellt, verliert der Vollstreckungstitel insoweit seine Wirkung. Vollstreckungshandlungen, die bereits durchgeführt worden sind (z. B. Zahlungen, Pfändungen), müssen rückabgewickelt werden, soweit der Schuldner dazu befugt ist. In der Praxis wird dem Schuldner ein Anspruch auf Rückgabe der durch Zwangsvollstreckung erhaltenen Leistungen eingeräumt. Zudem bestehen ggf. Ansprüche auf Schadensersatz, sollte durch die unrechtmäßige Vollstreckung zusätzliche Schäden entstanden sein. Die genaue Abwicklung richtet sich dabei nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften.