Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Steuerrecht»Vollstreckung von Steueransprüchen

Vollstreckung von Steueransprüchen


Begriff und rechtliche Grundlagen der Vollstreckung von Steueransprüchen

Die Vollstreckung von Steueransprüchen erfasst sämtliche rechtlichen Maßnahmen, mit denen öffentliche Abgaben, insbesondere Steuern, Zinsen und steuerliche Nebenleistungen, zwangsweise beigetrieben werden. Sie ist im deutschen Recht ein Unterfall der Verwaltungsvollstreckung und dient der Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen durch die zuständigen Finanzbehörden. Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen für die Vollstreckung von Steueransprüchen finden sich in der Abgabenordnung (AO) sowie im Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) des Bundes und der Länder.

Steueranspruch: Definition und Rechtsnatur

Steueransprüche entstehen mit der Verwirklichung des Steuertatbestands und der daraus resultierenden Verpflichtung zur Zahlung von Steuern und steuerlichen Nebenleistungen (§ 37 AO). Der Steueranspruch ist ein öffentlich-rechtlicher Anspruch und unterscheidet sich grundlegend vom Privatrecht. Die Durchsetzung des Anspruchs erfolgt nicht auf dem Wege des Zivilprozesses, sondern durch Verwaltungsakte und eigenständige zwangsweise Maßnahmen der Finanzbehörden.

Gesetzliche Grundlagen

Die zentralen Rechtsquellen zur Vollstreckung von Steueransprüchen lauten:

  • §§ 249 bis 346 Abgabenordnung (AO): regeln die Vollstreckung im Bundesgebiet.
  • Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG): Ergänzende Vorschriften auf Bundes- und Landesebene.
  • Anwendung weiterer spezialgesetzlicher Vorschriften, etwa des Sozialgesetzbuches (SGB) für Beiträge zu Sozialversicherungen.
  • Zivilprozessordnung (ZPO): Soweit die AO auf die Vorschriften der ZPO verweist.

Voraussetzungen der Vollstreckung von Steueransprüchen

Vollstreckbarer Titel

Die Vollstreckung setzt das Bestehen eines vollstreckbaren Titels voraus. Im Steuerrecht stellt der Steuerbescheid (§ 251 AO) einen solchen Titel dar, sobald er unanfechtbar oder sofort vollziehbar ist. Die Vollstreckung ist auch bei vorläufigen oder unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Steuerbescheiden möglich, sofern diese wirksam sind.

Fälligkeit des Anspruchs

Gemäß § 254 AO darf die Vollstreckung nicht vor Eintritt der Fälligkeit durchgeführt werden. Die Fälligkeit ergibt sich grundsätzlich aus dem Steuerbescheid oder gesetzlichen Vorschriften (§ 220 AO).

Mahnung und Fristsetzung

Vor der Vollstreckung ist dem Schuldner eine Mahnung zuzustellen, sofern nicht auf die Mahnung verzichtet werden kann (§ 254 Abs. 1 AO). Die Mahnung hat auf die drohende Vollstreckung und gegebenenfalls entstehende Säumniszuschläge hinzuweisen.

Ablauf des Vollstreckungsverfahrens

Zuständigkeit der Vollstreckungsbehörden

Die Verantwortung für die Durchführung der Vollstreckung obliegt gemäß § 249 Abs. 1 AO normalerweise den Finanzämtern, in deren Bezirk der Steuerschuldner seinen Wohnsitz oder Geschäftssitz hat.

Vollstreckungsmaßnahmen

Die wichtigsten Vollstreckungsmaßnahmen sind:

Sachliche Zwangsvollstreckung

  • Pfändung beweglicher Sachen: Durchführung durch Vollziehungsbeamte der Finanzverwaltung.
  • Pfändung von Forderungen und anderen Vermögensrechten: Vor allem Kontopfändung mittels Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (§§ 309 ff. AO).
  • Pfändung in Grundstücke: Eintragung einer Zwangssicherungshypothek oder Zwangsversteigerung (§ 322 AO).

Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen

Die Zwangsvollstreckung in Grundstücke erfolgt nach den Vorschriften des Zwangsversteigerungsgesetzes (ZVG), wobei die Finanzbehörde die Zwangssicherungshypothek als Sicherungsmittel zunächst eintragen kann.

Ersatzvornahme und Zwangsgeld

Für nicht vertretbare Handlungen oder Duldungspflichten können Maßnahmen wie das Zwangsgeld oder die Ersatzvornahme erfolgen (§§ 329, 334 AO).

Besondere Vollstreckungsarten

Neben der unmittelbaren Zwangsvollstreckung können auch Sicherungsmaßnahmen, beispielsweise Arrest (§ 324 AO), angeordnet werden, wenn Befürchtungen bestehen, dass der Schuldner Vermögen beiseiteschafft.

Rechtsschutzmöglichkeiten und Verfahrensgarantien

Rechtsbehelfe gegen Vollstreckungsmaßnahmen

Betroffene können gegen Vollstreckungsmaßnahmen der Finanzbehörden Rechtsmittel einlegen, insbesondere den Einspruch (§ 347 AO) sowie den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung. Zudem ist der Antrag auf gerichtlichen Rechtsschutz beim zuständigen Finanzgericht nach § 69 FGO möglich.

Einstellung und Beschränkung der Vollstreckung

Die Vollstreckung wird auszusetzen oder einzuschränken sein, wenn ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, der Steueranspruch gestundet wird (§ 222 AO), wenn eine Aussetzung der Vollziehung gewährt wird oder wenn der Steuerbescheid aufgehoben wird (§ 257 AO).

Besondere Vorschriften und internationale Vollstreckung

Vollstreckung von Steueransprüchen im Ausland

Bei grenzüberschreitenden Steuerforderungen regelt das EU-Beitreibungsgesetz (EUBeitrG) die gegenseitige Unterstützung zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Internationale Verträge (etwa das OECD-Musterabkommen) können ebenfalls Unterstützung vorsehen.

Vermögenssicherung und Antizipation von Steuerhinterziehung

Bei Verdacht auf Steuerhinterziehung oder vor drohender Vollstreckungsvereitelung können die Finanzbehörden im Wege der Arrestanordnung Vermögenswerte sichern, um den Steueranspruch zu sichern.

Kosten der Vollstreckung

Die mit der Vollstreckung verbundenen Kosten und Gebühren werden dem Schuldner auferlegt (§ 337 AO). Diese umfassen Vollstreckungskosten, Auslagen sowie gegebenenfalls Kosten für Gutachter und Versteigerungen.

Verjährung

Die Vollstreckung steuerlicher Ansprüche unterliegt der Verjährung, die sich aus § 228 AO ergibt. Die Vollstreckungsverjährung beträgt grundsätzlich fünf Jahre und beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch fällig geworden ist.

Literatur und weiterführende Informationen

Ausführliche Informationen sind in den einschlägigen Fachkommentaren zur Abgabenordnung, im Anwendungserlass zur AO (AEAO) sowie den Verlautbarungen der Finanzbehörden zu finden.


Die Vollstreckung von Steueransprüchen bildet einen zentralen Bestandteil im System des Steuerrechts, um die Einhaltung steuerlicher Pflichten und die Durchsetzung der öffentlichen Haushaltsinteressen sicherzustellen. Sie ist durch ein präzises Regelungssystem gekennzeichnet, das die Rechte und Pflichten von Schuldnern und Behörden gleichermaßen beachtet.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rechtsmittel stehen gegen Vollstreckungsmaßnahmen der Finanzbehörde zur Verfügung?

Gegen Vollstreckungsmaßnahmen der Finanzbehörde bestehen mehrere Möglichkeiten des rechtsstaatlichen Schutzes. Vor allem kann der Vollstreckungsschuldner einen Einspruch gegen die dem Vollstreckungsverfahren zugrundeliegenden Steuerbescheid nach § 347 AO erheben, soweit dieser noch nicht bestandskräftig ist. Daneben kann unmittelbar gegen die konkrete Vollstreckungsmaßnahme – wie etwa den Vollstreckungsbescheid oder Pfändungs- und Überweisungsbeschluss – der Rechtsbehelf der sogenannten Erinnerung gemäß § 766 ZPO (i. V. m. § 249 AO) eingelegt werden. Für den Fall, dass der Steuerbescheid bereits bestandskräftig geworden ist, kann grundsätzlich nur noch gegen die Art oder die Durchführung der Zwangsmaßnahme vorgegangen werden; hierfür ist die Erinnerung oder in manchen Fällen die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO i. V. m. § 251 AO) das geeignete Mittel. Darüber hinaus kann der Betroffene bei besonderer Eilbedürftigkeit auch einstweiligen Rechtsschutz beim zuständigen Finanzgericht nach § 114 FGO beantragen, um die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs anordnen zu lassen.

Wann beginnt die Verjährung der Vollstreckung eines Steueranspruchs und wie lange dauert sie?

Die Verjährungsfrist für die Vollstreckung eines Steueranspruchs richtet sich nach § 228 AO. Die Vollstreckungsverjährung beginnt mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Steueranspruch erstmals fällig geworden ist. Die Dauer der Vollstreckungsverjährung beträgt regelmäßig fünf Jahre. Die Verjährung kann jedoch gehemmt oder unterbrochen werden, zum Beispiel durch Vollstreckungsmaßnahmen selbst (§ 231 AO) oder durch Stundung, Aussetzung der Vollziehung sowie durch Ermittlungen oder Rechtsbehelfe. Jeder Beginn einer Vollstreckungshandlung unterbricht regelmäßig die Verjährung; nach jeder Unterbrechung beginnt die Verjährungsfrist erneut.

Welche Voraussetzungen müssen für die Einleitung der Zwangsvollstreckung vorliegen?

Voraussetzung für die Einleitung der Zwangsvollstreckung nach der Abgabenordnung ist zunächst, dass eine fällige Steuerforderung besteht, die mit Leistungsgebot in einem vollstreckbaren Titel (meist Steuerbescheid oder Nachforderungsbescheid) festgesetzt wurde (§§ 249, 254 AO). Der Steuerbescheid muss dem Schuldner ordnungsgemäß bekanntgegeben und fällig geworden sein (§ 220 AO). Die Fälligkeit ergibt sich regelmäßig aus der im Bescheid bestimmten Zahlungsfrist. Vor der Vollstreckung ist grundsätzlich eine Mahnung (§ 254 AO) zu ergehen, es sei denn, es liegt ein Ausnahmefall vor, etwa bei Gefahr im Verzug. Weiterhin darf kein Zahlungsaufschub (z. B. durch Stundung, Aussetzung der Vollziehung oder Insolvenzantrag) bestehen.

Welche Möglichkeiten der gütlichen Regelung bestehen im Rahmen der Vollstreckung?

Neben der Durchführung von Zwangsmaßnahmen eröffnet die Abgabenordnung gewisse Möglichkeiten einer gütlichen Regelung. Beispielsweise kann die Finanzbehörde auf Antrag eine Stundung der Forderung (§ 222 AO) gewähren, sofern die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Vollstreckungsschuldner bedeuten würde, ohne dass der Anspruch gefährdet erscheint. Ebenfalls kann bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheides die Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO, § 69 FGO) beantragt werden. Auch kann mit der Vollstreckungsbehörde eine Ratenzahlungsvereinbarung geschlossen werden. Erfolgt die Zahlung im Rahmen einer gütlichen Regelung, kann eine Unterbrechung oder Aussetzung der Zwangsvollstreckung erfolgen.

In welchem Umfang haften Dritte im Rahmen der Vollstreckung steuerlicher Ansprüche?

Neben dem eigentlichen Steuerschuldner können nach den Vorschriften der Abgabenordnung auch Dritte für Steuerschulden haften. Die wichtigste gesetzliche Grundlage hierfür ist die Haftung nach § 69 AO für gesetzliche Vertreter juristischer Personen oder nach §§ 34, 35 AO für Organe bzw. Verwalter fremden Vermögens. Auch nach einer Haftungsinanspruchnahme durch Haftungsbescheid (§ 191 AO) kann gegen diese haftenden Personen zwangsweise vollstreckt werden. Ferner können Dritte durch Pfändung von Forderungen – beispielsweise bei Banken oder Arbeitgebern des Schuldners – eingebunden werden (§§ 309 ff. AO). In diesen Fällen trifft die Drittschuldner die Verpflichtung, den gepfändeten Betrag an das Finanzamt abzuführen.

Welche Rangfolge gilt bei der Verwertung von gepfändeten Gegenständen durch die Finanzbehörde?

Die Rangfolge bei der Verteilung des Erlöses aus der Verwertung gepfändeter Gegenstände richtet sich nach den gesetzlichen Vorgaben der AO und den zivilrechtlichen Pfändungsregeln. Die Finanzbehörde nimmt die Verwertung durch öffentliche Versteigerung oder freihändigen Verkauf nach den §§ 282 ff. AO vor. Bei mehreren Pfändungen, die von unterschiedlichen Gläubigern vorgenommen wurden, ist die Reihenfolge des Eingangs der Pfändungen beim Vollstreckungsschuldner maßgeblich (§ 825 ZPO i. V. m. § 309 AO). Die Finanzbehörde hat im Hinblick auf Steuerforderungen in bestimmten Fällen ein Vorrecht (z. B. bei Steuern vom Einkommen und Vermögen, § 322 AO). Das bedeutet, dass sie bei der Verteilung des Erlöses teilweise bevorrechtigt ist gegenüber anderen Gläubigern.

Welche Beschränkungen bestehen hinsichtlich der Pfändung im Rahmen der Zwangsvollstreckung?

Die Pfändung unterliegt gesetzlichen Beschränkungen. Zum Schutz des Schuldners sind bestimmte Sachen nach § 811 ZPO i. V. m. § 319 AO unpfändbar, beispielsweise Gegenstände des täglichen Bedarfs, Arbeitsmittel oder auch Bargeld in geringer Höhe zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts. Für Geldforderungen, etwa Arbeitslohn, gelten die Pfändungsfreigrenzen gemäß §§ 850c ff. ZPO, sodass nur ein über den Freibetrag hinausgehender Betrag gepfändet werden kann. Darüber hinaus sind besondere soziale Leistungen, wie bestimmte Renten und Sozialleistungen, unter bestimmten Voraussetzungen ganz oder teilweise der Pfändung entzogen. Diese Regelungen gewährleisten, dass trotz Zwangsvollstreckung die menschenwürdige Existenz des Schuldners gesichert bleibt.