Vollerbe

Was bedeutet Vollerbe?

Als Vollerbe wird eine Person bezeichnet, die eine Erbschaft ohne erbrechtliche Verfügungsbeschränkungen erhält. Sie tritt umfassend in die Rechte und Pflichten des Verstorbenen ein, kann über den Nachlass grundsätzlich frei verfügen und ist nicht durch eine angeordnete Vor- oder Nacherbfolge gebunden. Der Begriff beschreibt damit die unbeschränkte Erbenstellung und grenzt sich von beschränkt eingesetzten Erben ab.

Einordnung im Erbrecht

Der Vollerbe wird durch Verfügung von Todes wegen (Testament oder Erbvertrag) oder durch gesetzliche Erbfolge berufen. Die Erbenstellung entsteht mit dem Tod der Erblasserin oder des Erblassers. Der Vollerbe erwirbt den Nachlass als Ganzes und übernimmt damit sowohl Vermögenswerte als auch Nachlassverbindlichkeiten.

Vollerbe, Alleinerbe und Miterbe

Vollerbe und Alleinerbe sind nicht deckungsgleich. Alleinerbe ist, wer den gesamten Nachlass allein erbt. Vollerbe bezeichnet die unbeschränkte Erbenstellung. Eine Person kann Alleinerbe und zugleich Vollerbe sein, wenn keine Beschränkungen angeordnet sind. Umgekehrt kann eine Person Alleinerbe sein, aber als Vorerbe eingesetzt und damit in ihrer Verfügungsbefugnis beschränkt. Mehrere Vollerben nebeneinander gibt es nicht; mehrere Erben bilden eine Erbengemeinschaft und sind Miterben. Ein Miterbe ist rechtlich Erbe, jedoch nicht Vollerbe über den gesamten Nachlass, weil er nur einen Bruchteil erwirbt und gemeinschaftlich mit den anderen Miterben disponiert.

Abgrenzung zu verwandten Begriffen

Vorerbe und Nacherbe

Der Vorerbe ist in seiner Verfügungsmacht über den Nachlass zugunsten eines Nacherben beschränkt. Der Nachlass soll ganz oder teilweise zu einem späteren Zeitpunkt auf den Nacherben übergehen. Der Vollerbe ist demgegenüber nicht treuhänderisch gebunden; der Nachlass verbleibt endgültig bei ihm, vorbehaltlich sonstiger Anordnungen wie Auflagen oder Vermächtnissen.

Vermächtnisnehmer

Vermächtnisnehmer sind keine Erben. Sie erhalten einen einzelnen Vermögensvorteil aus dem Nachlass, ohne in die gesamte Rechtsposition des Erblassers einzutreten. Der Vollerbe hat Vermächtnisse zu erfüllen, sofern solche zugunsten Dritter angeordnet wurden.

Testamentsvollstreckung

Eine Testamentsvollstreckung schränkt die sofortige Verfügungsbefugnis des Erben in praktischer Hinsicht, nicht aber seine rechtliche Stellung als Vollerbe ein. Der Testamentsvollstrecker verwaltet den Nachlass gemäß den Anordnungen und kann Verfügungen vornehmen; der Vollerbe bleibt jedoch Erbe mit allen Rechten und Pflichten.

Rechte des Vollerben

Verfügungsbefugnis

Der Vollerbe kann Nachlassgegenstände veräußern, belasten, umschichten, verschenken oder zu Sicherungszwecken einsetzen. Er kann Forderungen einziehen und über Bankguthaben, Wertpapiere und Immobilien verfügen. Beschränkungen können sich nur aus ausdrücklich angeordneten Bindungen (z. B. Vor- und Nacherbfolge) oder aus einer Testamentsvollstreckung ergeben.

Verwaltung und Nutzung

Der Vollerbe verwaltet den Nachlass eigenverantwortlich, zieht Nutzungen (beispielsweise Mieten oder Dividenden) und trifft Entscheidungen zur Erhaltung, Verwertung oder Entwicklung des Nachlassvermögens.

Nachlassverwertung

Der Vollerbe ist zur Verwertung von Nachlassgegenständen befugt, etwa zum Begleichen von Nachlassverbindlichkeiten oder zur Umstrukturierung des Vermögens. Er kann den Nachlass ganz oder teilweise verkaufen, aufteilen oder in andere Anlageformen überführen.

Pflichten und Haftung

Haftung für Nachlassverbindlichkeiten

Der Vollerbe haftet für die Verbindlichkeiten des Nachlasses. Dazu zählen vom Erblasser herrührende Schulden sowie bestimmte mit dem Erbfall verbundene Verpflichtungen. Das Recht sieht Instrumente vor, mit denen die Haftung auf den Nachlass begrenzt werden kann; der Vollerbe bleibt gleichwohl in erster Linie Adressat der Nachlassabwicklung.

Auskunfts- und Herausgabepflichten

Gegenüber Berechtigten, insbesondere Vermächtnisnehmern und Pflichtteilsberechtigten, bestehen Auskunfts-, Wertermittlungs- und gegebenenfalls Herausgabepflichten. Diese dienen der Durchsetzung der Ansprüche Dritter gegenüber dem Vollerben.

Plichtteilsrechte Dritter

Sind nahe Angehörige von der Erbfolge ausgeschlossen oder geringer bedacht, können Pflichtteilsansprüche entstehen. Der Vollerbe muss solche Ansprüche erfüllen und hierfür regelmäßig den Nachlasswert ermitteln. Darüber hinaus kommen Pflichtteilsergänzungsansprüche in Betracht, wenn zu Lebzeiten der Erblasserin oder des Erblassers bestimmte Zuwendungen erfolgt sind.

Vollerbe in der Gestaltung von Verfügungen von Todes wegen

Einsetzung als Vollerbe im Testament

Der Wille, jemanden zum Vollerben zu machen, wird meist durch eine klare Benennung als Erbin oder Erbe ohne Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge ausgedrückt. Übliche Formulierungen betonen, dass die begünstigte Person den Nachlass ungeteilt und unbeschränkt erhält.

Ersatzerben und Schlusserben

Neben der Vollerbeneinsetzung werden häufig Ersatzerben bestimmt, falls die eingesetzte Person wegfällt. In gemeinschaftlichen Verfügungen wird außerdem oft die Stellung als Schlusserbe geregelt, also wer nach dem Tod des zuletzt Versterbenden erbt. Diese Anordnungen sind von der Vollerbeneinsetzung zu unterscheiden.

Auflagen und Teilungsanordnungen

Auflagen können dem Vollerben bestimmte Pflichten auferlegen, etwa die Pflege eines Grabes oder die Zuwendung eines Betrags an eine Person. Teilungsanordnungen legen fest, wie einzelne Gegenstände zuzuweisen sind. Solche Anordnungen beschränken nicht die Erbenstellung als Vollerbe, können aber den Umgang mit einzelnen Nachlassbestandteilen beeinflussen.

Vollerbe in der gesetzlichen Erbfolge

Auch ohne Testament kann eine Person Vollerbe werden, wenn sie nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge als alleinige Erbin oder alleiniger Erbe berufen ist. Das ist beispielsweise der Fall, wenn nur eine erbberechtigte Person vorhanden ist. Sind mehrere gesetzliche Erben vorhanden, entsteht eine Erbengemeinschaft; dann liegt keine Vollerbeneinsetzung hinsichtlich des gesamten Nachlasses vor.

Besondere Konstellationen

Ehegatten und Lebenspartner

Der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner kann durch Testament zum Vollerben eingesetzt werden. Ohne Verfügung von Todes wegen richtet sich die Erbquote nach dem Verwandtenerbrecht und dem jeweiligen güterrechtlichen Regime. Ob der überlebende Partner Vollerbe wird, hängt davon ab, ob weitere gesetzliche Erben vorhanden sind.

Unternehmen im Nachlass

Ist ein Unternehmen Teil des Nachlasses, kann die Einsetzung eines Vollerben die fortlaufende Handlungsfähigkeit sichern. Gleichzeitig sind gesellschaftsrechtliche Bindungen, Nachfolgeklauseln und Zustimmungserfordernisse zu beachten, da sie die Übertragung und Ausübung von Rechten beeinflussen können.

Immobilien und Gemeinschaftsvermögen

Beim Übergang von Immobilien erhält der Vollerbe die Eigentümerstellung und kann Eintragungen im Grundbuch veranlassen. Bei Gemeinschaftsvermögen sind die jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen zu beachten, insbesondere, wenn Miteigentumsanteile oder dingliche Rechte Dritter bestehen.

Nachlassabwicklung und Nachweise

Erbschein und Nachweis der Erbenstellung

Zur Legitimation gegenüber Banken, Grundbuchamt oder Vertragspartnern wird häufig ein Nachweis der Erbenstellung verlangt. Als Vollerbe kann man die Erbenstellung durch geeignete Dokumente belegen; im Rechtsverkehr wird typischerweise ein amtlicher Nachweis akzeptiert.

Annahme und Ausschlagung

Die Erbschaft fällt mit dem Erbfall an, kann aber angenommen oder ausgeschlagen werden. Mit der Annahme übernimmt der Vollerbe die Nachlassposition; mit der Ausschlagung wird er, als ob er nicht berufen worden wäre, behandelt und die Erbfolge richtet sich nach den weiteren Anordnungen oder gesetzlichen Regeln.

Abgrenzung: Vollerbe und Schlusserbe

Der Schlusserbe ist derjenige, der beim Tod des zuletzt versterbenden Beteiligten eines gemeinschaftlichen Testaments oder Erbvertrags erben soll. Schlusserbenstellung sagt für sich genommen nichts über eine Beschränkung aus. Eine Person kann zugleich Schlusserbe und Vollerbe sein, wenn keine Vor- und Nacherbfolge vorgesehen ist.

Häufig gestellte Fragen

Was ist der Unterschied zwischen Vollerbe und Vorerbe?

Der Vollerbe erbt ohne Bindung an eine Nacherbfolge und kann grundsätzlich frei über den Nachlass verfügen. Der Vorerbe ist in seiner Verfügungsmacht zugunsten eines Nacherben beschränkt; der Nachlass soll später ganz oder teilweise auf den Nacherben übergehen.

Ist jeder Alleinerbe automatisch Vollerbe?

Nein. Wer zwar allein erbt, aber als Vorerbe eingesetzt ist, ist in seiner Verfügungsmacht beschränkt und daher nicht Vollerbe. Alleinerbe und Vollerbe fallen nur zusammen, wenn keine Beschränkungen wie eine Vor- und Nacherbfolge angeordnet sind.

Welche Pflichten treffen den Vollerben gegenüber Pflichtteilsberechtigten?

Pflichtteilsberechtigte können einen Geldanspruch in Höhe eines bestimmten Bruchteils des Wertes des Nachlasses geltend machen. Der Vollerbe muss die hierfür erforderlichen Auskünfte erteilen, den Nachlass bewerten und den Pflichtteil erfüllen. Unter Umständen kommen ergänzende Ansprüche in Betracht, wenn zu Lebzeiten des Erblassers Zuwendungen erfolgt sind.

Kann der Vollerbe über alle Nachlassgegenstände frei verfügen?

Grundsätzlich ja. Grenzen können sich aus angeordneten Beschränkungen ergeben (etwa Vor- und Nacherbfolge) oder aus einer Testamentsvollstreckung, bei der der Testamentsvollstrecker den Nachlass verwaltet. Auch Rechte Dritter, etwa Grundpfandrechte oder Gesellschaftsrechte, sind zu beachten.

Wie wird man Vollerbe?

Die Vollerbeneigenschaft ergibt sich aus einer entsprechenden Einsetzung in einem Testament oder Erbvertrag oder aus der gesetzlichen Erbfolge, wenn eine Person allein zur Erbfolge berufen ist und keine Beschränkungen angeordnet wurden.

Welche Haftung trifft den Vollerben?

Der Vollerbe haftet für Nachlassverbindlichkeiten. Das umfasst Schulden des Erblassers und bestimmte mit dem Erbfall zusammenhängende Verpflichtungen. Das Recht sieht Möglichkeiten vor, die Haftung auf den Nachlass zu beschränken; die Erbenstellung als solche bleibt bestehen.

Welche Rolle spielen Vermächtnisse bei einem Vollerben?

Vermächtnisse begründen Ansprüche zugunsten bestimmter Personen auf einzelne Leistungen aus dem Nachlass. Der Vollerbe ist verpflichtet, diese Ansprüche zu erfüllen. Seine Stellung als Erbe bleibt unberührt; es handelt sich um schuldrechtliche Ansprüche gegen den Nachlass beziehungsweise den Erben.