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Videovernehmung


Begriff und rechtliche Einordnung der Videovernehmung

Die Videovernehmung bezeichnet eine Form der Beweisaufnahme im Straf-, Zivil- und Verwaltungsverfahren, bei der Zeugenaussagen oder Vernehmungen von Verfahrensbeteiligten mittels Bild- und Tonübertragung durchgeführt werden. Ziel der Videovernehmung ist es, persönliche Anwesenheit im Gerichtssaal oder an einem anderen Vernehmungsort zu ersparen, ohne auf die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme zu verzichten. Technische Grundlage dafür ist die Übertragung der Vernehmung mittels Live-Video und synchronem Ton.

Gesetzliche Grundlagen

Strafprozessordnung (StPO)

Die Videovernehmung ist insbesondere in der deutschen Strafprozessordnung (StPO) normiert. Die einschlägigen Vorschriften lauten:

  • § 58a StPO: Ermöglicht die Zeugenvernehmung durch Bild- und Tonübertragung zur Entlastung besonders schutzbedürftiger Personen oder wenn aus anderen Gründen die Vernehmung am Sitz des Gerichts oder Beweiserhebung vor Ort untunlich ist.
  • § 247a StPO: Regelt die Bild- und Tonübertragung im Sitzungssaal in Fällen, in denen die Anwesenheit der zu vernehmenden Person im Gerichtssaal nicht zulässig oder nicht möglich ist, etwa bei schweren Gesundheitshindernissen.
  • § 168e StPO: Erlaubt die audiovisuelle Dokumentation einer Vernehmung.

Das Gericht trifft die Entscheidung zur Videovernehmung per Beschluss. Grundlage kann entweder ein Antrag einer Partei oder das eigene Ermessen des Gerichts sein.

Zivilprozessordnung (ZPO)

Auch das Zivilverfahren sieht nach § 128a ZPO die Möglichkeit vor, mündliche Verhandlungen und Zeugenaussagen mit Bild- und Tonübertragung durchzuführen, sofern sämtliche Beteiligte zustimmen oder das Gericht die Maßnahme anordnet und keine schutzwürdigen Interessen entgegenstehen.

Verwaltungs- und Sozialgerichtsverfahren

Das Prozessrecht in Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), Sozialgerichtsgesetz (SGG) oder Finanzgerichtsordnung (FGO) enthält jeweils analoge Regelungen zur Videoverhandlung und Videovernehmung (z. B. § 102a VwGO, § 110a SGG, § 91a FGO).

Voraussetzungen und Ablauf einer Videovernehmung

Anordnung und technische Voraussetzungen

Die Anordnung der Videovernehmung erfolgt, wenn

  • eine persönliche Vorführung dem Zeugen oder der zu vernehmenden Person nicht zumutbar ist (z. B. Minderjährige, schwer erkrankte Personen),
  • eine Gefährdung der Person bei Anwesenheit im Gerichtssaal zu erwarten ist,
  • oder eine Vernehmung effizienter oder zeitnaher per Video möglich erscheint.

Erforderlich ist die rechtzeitige Information aller Verfahrensbeteiligten. Die technische Übertragung muss gewährleisten, dass Bild und Ton in Echtzeit und ohne wesentliche Qualitätseinbußen übertragen werden.

Durchführung und prozessuale Stellung

Die Videovernehmung findet meist in einem gesonderten Raum statt. Gericht, Staatsanwaltschaft, Verteidigung und gegebenenfalls weitere Parteien können Prinzip der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der Vernehmung wahren, indem Fragen per Video gestellt werden.

Das Recht, Fragen zu stellen sowie Erklärungen abzugeben und Beweisanträge zu stellen, bleibt unberührt. Aufzeichnungen der Videovernehmung sind zulässig, sofern das Gericht dies ausdrücklich anordnet und dies dokumentiert wird.

Dokumentation und Aufzeichnung

Die Aufzeichnung einer Videovernehmung erfolgt nach richterlicher Anordnung. Die audiovisuelle Speicherung dient der Beweissicherung, vor allem, wenn die spätere Anwesenheit der Person im weiteren Verfahren unsicher erscheint (§ 58a Abs. 2 bis 4 StPO).

Die beteiligten Personen sind im Vorfeld über die Aufzeichnung zu informieren. Die gespeicherte Aufzeichnung wird zu den Akten genommen und kann im weiteren Verfahrensverlauf abgespielt werden.

Rechtsfolgen und Beweiswert

Die per Bild- und Tonübertragung vorgenommene Aussage steht hinsichtlich ihres Beweiswertes der klassischen persönlichen Befragung im Gerichtssaal grundsätzlich gleich. Die Aussage kann wie jede andere Aussage prozessual gewürdigt, hinterfragt und gewichtet werden.

Ein Unterschied zur schriftlichen Vernehmung besteht darin, dass das Gericht und die Verfahrensbeteiligten unmittelbar auf die Aussagedynamik, Körpersprache und Reaktionen des Zeugen reagieren und diese in die Beweiswürdigung einbeziehen können.

Schutz von Zeugen und Opferschutz

Im Vordergrund steht bei der Anordnung der Videovernehmung regelmäßig der Schutz besonders vulnerabler Personen. Dies betrifft insbesondere:

  • Minderjährige, beispielsweise bei Aussage zu sexualisierten Straftaten (§ 58a Abs. 1 StPO),
  • Zeugen, bei denen eine erhebliche Belastung bei direkter Konfrontation mit der beschuldigten Person zu befürchten ist,
  • stark gefährdete Personen (z. B. im Zeugenschutzprogramm).

Die Videovernehmung ermöglicht eine Art räumlicher Distanzierung, um psychische Belastungen zu reduzieren.

Zugang und Rechte der Beteiligten

Alle Verfahrensbeteiligten müssen technisch in der Lage sein, der Videovernehmung in gleichwertiger Weise wie bei physischer Anwesenheit zu folgen und ihr Fragerecht auszuüben. Bei technischen Störungen muss die Vernehmung unterbrochen oder wiederholt werden.

Internationale Aspekte und europarechtliche Einflüsse

Europäische Rechtsvorschriften, wie etwa die Richtlinie 2012/29/EU zum Schutz von Opfern und die Empfehlungen des Europarats, befürworten Videotechnik zur Beweisaufnahme, insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten.

Die Videotechnik wird auch regelmäßig bei internationalen Rechtshilfeersuchen eingesetzt (z. B. im Rahmen der Europäischen Ermittlungsanordnung, EIO).

Datenschutz und Persönlichkeitsrechte

Der Einsatz von Videovernehmung unterliegt den Bestimmungen des Datenschutzrechts, insbesondere der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und den jeweiligen datenschutzrechtlichen Vorschriften der Prozessordnungen.

  • Verarbeitung personenbezogener Daten muss auf gesetzlicher Grundlage erfolgen.
  • Die Aufnahmen dürfen Dritten nur unter engen Bedingungen zugänglich gemacht werden.
  • Löschung und Archivierung der Aufzeichnungen richten sich nach den gesetzlichen Vorgaben zur Aktenaufbewahrung.

Rechtsprechung zur Videovernehmung

Die Rechtsprechung betont, dass die Videovernehmung besonderen Anforderungen an die Transparenz und Protokollierung unterliegt. Fehler in der technischen Durchführung oder Unterlassen der vorgeschriebenen Belehrungen können zur Unverwertbarkeit der Aussage führen.

Höchstrichterliche Gerichte würdigen die Videovernehmung als ein zeitgemäßes Instrument der Verfahrensführung, fordern aber besonders sorgfältige Beachtung der Verfahrensrechte aller Beteiligten.

Bedeutung und Entwicklung

Die Videovernehmung gilt als wertvolles Mittel zur Entlastung der Justiz, Beschleunigung von Verfahren und Schutz schutzbedürftiger Personen. Mit Fortschreiten der Digitalisierung in der Justiz wird erwartet, dass Videovernahmen künftig noch öfter zum Einsatz kommen, auch über die Pandemie hinaus.

Zusammenfassung

Die Videovernehmung ist ein modernes, rechtssicheres Instrument zur Beweisaufnahme in deutschen und europäischen Gerichtsverfahren, das vielfältigen prozessualen Anforderungen und dem Schutz Betroffener gerecht wird. Sie ermöglicht ortsunabhängige, schonende und effiziente Befragungen, wobei den Persönlichkeits- und Datenschutzrechten der zu vernehmenden Personen besondere Aufmerksamkeit zukommt.

Häufig gestellte Fragen

Welche gesetzlichen Voraussetzungen müssen für eine Videovernehmung vorliegen?

Die Durchführung einer Videovernehmung ist im deutschen Recht insbesondere in der Strafprozessordnung (StPO) sowie punktuell in der Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt. Nach § 247a StPO kann das Gericht, unter bestimmten Voraussetzungen, einer Person gestatten, sich während ihrer Vernehmung an einem anderen Ort aufzuhalten und dabei Bild- und Tonübertragung zu nutzen. Dies ist insbesondere zum Schutz von Zeugen oder zur besseren Verfahrensführung möglich, etwa wenn eine Zeugenaussage aus gesundheitlichen Gründen nicht in Präsenz erfolgen kann oder ein besonderer Schutzanspruch besteht (z. B. bei Opferschutz). In Zivilsachen regelt § 128a ZPO die Möglichkeit, einzelne Verfahrensabschnitte per Videokonferenz durchzuführen. In beiden Fällen ist stets abzuwägen, inwiefern die Anwesenheit der Parteien, die Öffentlichkeit der Verhandlung sowie das rechtliche Gehör gewahrt bleiben. Weiter wird vorausgesetzt, dass die technische Ausstattung den Anforderungen der Verfahrenssicherheit entspricht (z. B. Störungsfreiheit, Verschlüsselung, Identitätssicherung).

Welche Rechte haben die Verfahrensbeteiligten bei einer Videovernehmung?

Alle Verfahrensbeteiligten – einschließlich der Angeklagten, Zeugen, Verteidiger und Nebenkläger – haben das Recht, an der Videovernehmung teilzunehmen und sich durch ihre Anwälte vertreten zu lassen. Wichtig ist, dass das rechtliche Gehör (§ 33 StPO) vollumfänglich gewahrt bleibt; dazu gehört auch, dass alle Beteiligten die Gelegenheit haben, Fragen zu stellen oder Beweisanträge zu stellen. Die betroffenen Personen müssen zudem rechtzeitig von der Modalität der Videovernehmung, dem Ablauf und den technischen Voraussetzungen informiert werden. Ein Verstoß gegen die Teilnahmerechte kann zur Unverwertbarkeit der so erhobenen Aussagen führen. Ein weiteres Recht besteht darin, Einwendungen gegen die Durchführung der Vernehmung in dieser Form zu erheben, wobei das Gericht diese Einwendungen prüfen und in einer nachvollziehbaren Weise bescheiden muss.

Wie wird in einer Videovernehmung die Identität der zu vernehmenden Person sichergestellt?

Die Identitätsfeststellung ist ein zentrales Element jeder Vernehmung, auch im Rahmen einer Videoübertragung. Üblicherweise erfolgt diese durch die Vorlage eines gültigen amtlichen Ausweisdokuments (Personalausweis, Reisepass) in die Kamera, sodass das Gericht bzw. die zuständigen Behörden das Ausweispapier und das Gesicht der Person abgleichen können. Teilweise sind hierzu auch sog. Identitätszeugen im Raum der zu vernehmenden Person zulässig, etwa ein Justizbeamter. Die gesamte Identitätsfeststellung und -prüfung sind lückenlos im Protokoll zu dokumentieren, um die Authentizität der Aussage zu sichern und etwaigen Anfechtungen vorzubeugen. Auch die verwendete Technik muss Manipulationen zuverlässig ausschließen.

Welche Anforderungen bestehen an die technische Ausgestaltung einer Videovernehmung?

Die technische Umsetzung einer Videovernehmung unterliegt strengen rechtlichen Vorgaben, um die Vertraulichkeit, Echtheit und Störungsfreiheit des Kommunikationsvorgangs zu garantieren. Es sind verschlüsselte Übertragungswege zu verwenden, um die Datensicherheit gemäß DSGVO und den einschlägigen landesspezifischen Datenschutzregelungen zu gewährleisten. Die Bild- und Tonübertragung muss von ausreichender Qualität sein, sodass Mimik, Gestik und die Verständlichkeit sichergestellt sind. Das System muss Ausfall- und manipulationssicher sowie in der Lage sein, die Vernehmung zu unterbrechen und zu protokollieren. Der gesamte Ablauf muss dokumentiert werden, einschließlich etwaiger technischer Probleme oder Unterbrechungen, die Einfluss auf die Aussage oder deren Beurteilung haben könnten.

Wie wird die Öffentlichkeit des Verfahrens bei Videovernehmungen gewährleistet?

Die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung ist ein fundamentaler Grundsatz im deutschen Strafprozessrecht (§ 169 GVG) und muss auch bei Videovernehmungen gewahrt bleiben. Die Vernehmung per Video darf daher in der Regel nur dann stattfinden, wenn die Übertragung in den Sitzungssaal erfolgt und dort für das Publikum zugänglich ist. Einschränkungen der Öffentlichkeit sind nur unter den gesetzlich zulässigen Voraussetzungen (Opferschutz, Schutz von Zeugen, Jugendschutz o. ä.) möglich und müssen förmlich beschlossen sowie begründet werden. Es darf keine verdeckte oder geheime Vernehmung per Video stattfinden, es sei denn, das Gesetz sieht ausdrücklich eine Ausnahme vor.

Können Videovernehmungen aufgezeichnet werden und welche rechtlichen Vorgaben gelten dabei?

Eine Aufzeichnung der Videovernehmung, sei es zur Beweissicherung oder zur späteren Überprüfung, ist grundsätzlich nur zulässig, wenn das Gesetz dies explizit vorsieht oder das Gericht eine Aufzeichnung anordnet. In der Strafprozessordnung ist z. B. in § 58a Abs. 3 StPO geregelt, dass die audiovisuelle Aufzeichnung einer polizeilichen Vernehmung Minderjähriger angeordnet werden kann. In anderen Fällen ist die Anfertigung und Aufbewahrung von Aufzeichnungen aus datenschutzrechtlichen Gründen und zugunsten des Persönlichkeitsrechts der Beteiligten nur sehr eingeschränkt möglich. Die Protokollierung der Vernehmung bleibt in aller Regel das maßgebliche Dokumentationsmittel. Eventuelle Aufzeichnungen sind zudem nach Abschluss des Verfahrens zu löschen, sofern keine anderweitigen gesetzlichen Aufbewahrungspflichten greifen.

Welche Folgen hat ein technischer Ausfall während der Videovernehmung für die Rechtswirksamkeit der Aussage?

Kommt es während der Videovernehmung zu technischen Störungen – etwa bei der Bild- oder Tonübertragung -, kann dies erhebliche Auswirkungen auf die Verwertbarkeit der Aussage haben. Ist durch die Störung eine durchgehende, ununterbrochene und verständliche Kommunikation nicht gewährleistet, kann die Aussage gegebenenfalls nicht rechtswirksam in das Verfahren eingebracht werden. Die betroffenen Passagen oder die gesamte Vernehmung müssen dann vollständig oder teilweise wiederholt werden. Zudem ist jeder technische Zwischenfall im Sitzungsprotokoll zu vermerken, sodass im Rahmen eines Rechtsmittels überprüft werden kann, ob die Rechte der Beteiligten gewahrt wurden. In gravierenden Fällen kann dies sogar zur Verfahrensverzögerung oder zu einer Wiederholung der Beweisaufnahme führen.