Begriff und rechtliche Grundlagen des Verzögerungsgelds
Das Verzögerungsgeld ist ein finanzrechtliches Instrument im deutschen Steuerrecht. Es dient dazu, die Mitwirkungspflichten von Steuerpflichtigen in Verwaltungsverfahren sicherzustellen und Verzögerungen im Rahmen steuerlicher Außenprüfungen oder anderer steuerlicher Ermittlungsmaßnahmen zu sanktionieren. Das Verzögerungsgeld ist in § 146 Absatz 2b und § 146b der Abgabenordnung (AO) geregelt. Es kann sowohl gegenüber natürlichen als auch gegenüber juristischen Personen festgesetzt werden.
Gesetzliche Regelungen
Das Verzögerungsgeld wurde durch das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz (StHinBG) zum 1. Januar 2009 im deutschen Steuerrecht eingeführt. Seitdem ist es ein eigenständiges Zwangsmittel neben den bisherigen Maßnahmen wie Zwangsgeld oder Ordnungsgeld. Das Verzögerungsgeld wird durch die Finanzbehörden festgesetzt und ist unmittelbar vollstreckbar.
Zweck und Zielsetzung
Ziel des Verzögerungsgelds ist es, die rechtzeitige Erfüllung von Mitwirkungspflichten im steuerlichen Verwaltungsverfahren zu gewährleisten. Insbesondere soll es die Herausgabe von Unterlagen und Datenträgern im Rahmen von Außenprüfungen beschleunigen und Verzögerungen vermeiden. Die Einführung wurde mit dem Bedürfnis nach einer effektivieren Verfahrensdurchführung und einer Stärkung des Steuerverfahrensrechts begründet.
Anwendungsbereich des Verzögerungsgelds
Mitwirkungspflichten im Steuerverfahren
Das Verzögerungsgeld findet Anwendung, wenn Steuerpflichtige ihren Pflichten zur Vorlage von Urkunden, zur Auskunftserteilung oder zur Vorlage von Aufzeichnungen und Unterlagen trotz Aufforderung nicht oder nicht rechtzeitig nachkommen. Die Mitwirkungspflichten ergeben sich aus verschiedenen Vorschriften der Abgabenordnung, insbesondere aus den §§ 90, 93, 97 und 200 AO.
Voraussetzungen und Festsetzung
Für die Festsetzung eines Verzögerungsgelds müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- Die Finanzbehörde hat den Steuerpflichtigen zur Mitwirkung aufgefordert.
- Der Steuerpflichtige hat die geforderte Mitwirkungshandlung nicht, nicht vollständig oder nicht fristgerecht erbracht.
- Ein Ermessen der Finanzbehörde wird ausgeübt, da ein Automatismus nicht besteht.
Das Verzögerungsgeld kann bereits bei erstmaliger Pflichtverletzung festgesetzt werden. Voraussetzung ist, dass die verspätete Mitwirkung die Durchführung des steuerlichen Verwaltungsverfahrens erschwert oder verzögert.
Höhe des Verzögerungsgelds
Die Höhe des Verzögerungsgelds ist gesetzlich geregelt. Es beträgt mindestens 2.500 Euro und höchstens 250.000 Euro pro Verstoß. Die konkrete Höhe der Festsetzung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde. Maßgeblich sind die Dauer und das Ausmaß der Verzögerung sowie die Bedeutung der zurückgehaltenen Unterlagen oder Informationen für das Steuerverfahren.
Mehrfache Festsetzung
Das Verzögerungsgeld kann wiederholt festgesetzt werden, solange die Mitwirkung nicht erbracht wird. Damit unterscheidet es sich von einmaligen Zwangsgeldern, denn jede weitere Verzögerung kann zu zusätzlichen Verzögerungsgeldern führen.
Verfahren zur Festsetzung des Verzögerungsgelds
Erlass und Verwaltungsverfahren
Das Verzögerungsgeld wird durch Verwaltungsakt festgesetzt. Die Festsetzung ist schriftlich zu begründen. Gegen den Verwaltungsakt kann der betroffene Steuerpflichtige innerhalb eines Monats Einspruch einlegen (§ 347 AO).
Rechtsschutz und Rechtsmittel
Die Entscheidung über die Festsetzung des Verzögerungsgelds ist mit dem Einspruch anfechtbar. Im weiteren Verfahren ist eine Überprüfung durch das Finanzgericht möglich. Die gerichtliche Prüfung erstreckt sich neben der Frage der Zulässigkeit insbesondere auf das Ermessen der Finanzbehörde bei der Festsetzung der Höhe und der Voraussetzungen.
Abgrenzung zu anderen Zwangsmitteln
Das Verzögerungsgeld ist von anderen Zwangsmitteln wie dem Zwangsgeld, dem Ordnungsgeld und der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen klar abzugrenzen. Während das Zwangsgeld gemäß § 328 AO darauf abzielt, die Mitwirkung durch Zwang zu erzwingen, ist das Verzögerungsgeld ein eigenständiges Instrument, das ausschließlich die Verzögerung des steuerlichen Verfahrens sanktioniert. Es kann neben anderen Zwangsmitteln Anwendung finden, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Rechtsfolgen und Auswirkungen des Verzögerungsgelds
Fälligkeit und Vollstreckung
Das Verzögerungsgeld ist unmittelbar bei Bekanntgabe des Festsetzungsbescheids fällig. Es unterliegt als öffentlich-rechtliche Forderung der Beitreibung nach den Vorschriften der Abgabenordnung und des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes. Die Zahlungspflicht besteht unabhängig davon, ob die verlangte Mitwirkung später doch noch erfolgt.
Steuerrechtliche Bedeutung
Das Verzögerungsgeld hat erhebliche praktische Bedeutung für die Durchführung von Außenprüfungen und steuerlichen Ermittlungen. Es erhöht den Druck auf säumige Steuerpflichtige, ihren gesetzlichen Pflichten zeitnah nachzukommen, und wirkt sich unmittelbar auf den Ablauf von Steuerprüfungen aus.
Auswirkungen auf Folgepflichten
Ein festgesetztes Verzögerungsgeld entbindet nicht von der Pflicht, die ursprünglich verlangte Mitwirkungshandlung dennoch vorzunehmen. Die Erhebung eines Verzögerungsgelds steht einer weiteren Zwangsmittelfestsetzung nicht entgegen, solange weitere Mitwirkungspflichten bestehen oder ihnen weiterhin nicht nachgekommen wird.
Zusammenfassung
Das Verzögerungsgeld ist ein zentrales Instrument des deutschen Steuerverfahrensrechts zur Durchsetzung der Mitwirkungspflichten von Steuerpflichtigen. Es trägt zur Verfahrensbeschleunigung und zur Einhaltung von Mitwirkungspflichten bei Außenprüfungen maßgeblich bei. Mit seiner eigenständigen gesetzlichen Ausgestaltung bietet es den Finanzbehörden ein wirkungsvolles Sanktionsinstrument, welches die Funktionsfähigkeit der steuerlichen Verwaltung nachhaltig stärken soll.
Relevante Rechtsgrundlagen:
- § 146 Absatz 2b AO
- § 146b AO
- §§ 328, 329 AO (zur Abgrenzung zu Zwangsgeldern)
Weiterführende Informationen:
Das Verzögerungsgeld ist in Fachliteratur und Kommentaren zur Abgabenordnung ausführlich erläutert. Eine regelmäßige Beobachtung der Rechtsprechung ist empfehlenswert, um über Entwicklungen bei der Anwendung und Auslegung informiert zu bleiben.
Häufig gestellte Fragen
Wann darf ein Verzögerungsgeld nach § 146 AO überhaupt festgesetzt werden?
Ein Verzögerungsgeld kann von der Finanzbehörde grundsätzlich festgesetzt werden, wenn eine vom Steuerpflichtigen geforderte Mitwirkungs- oder Vorlagehandlung in steuerlichen Außenprüfungen, wie z. B. die Vorlage von Unterlagen, die Erteilung von Auskünften oder die Duldung einer Prüfung, nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erfolgt (§ 146 Abs. 2b, § 200 Abs. 1 AO). Voraussetzung ist jedoch, dass die Finanzbehörde zuvor formell und rechtmäßig zur Mitwirkung aufgefordert und auf die Möglichkeit der Festsetzung eines Verzögerungsgeldes hingewiesen hat. Das Verzögerungsgeld kommt oftmals zum Einsatz, wenn andere Maßnahmen, wie Zwangsgeld (§ 328 AO), nicht zielführend erscheinen, insbesondere bei verlangsamender, aber nicht vollständig verweigerter Mitwirkung. Die behördliche Ermessensausübung muss dabei dokumentiert und nachvollziehbar begründet werden, wobei insbesondere die Dauer und das Ausmaß der Verzögerung, die Bedeutung der Unterlagen sowie das Verschulden des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen sind.
Kann das Verzögerungsgeld zusätzlich zu anderen Zwangsmitteln verhängt werden?
Das Verzögerungsgeld kann grundsätzlich neben anderen Zwangsmitteln, wie dem Zwangsgeld nach § 328 AO, festgesetzt werden, wobei jedoch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das sogenannte Kumulationsverbot zu beachten sind. Die gleichzeitige Festsetzung verschiedener Zwangsmittel zur Erzwingung derselben Handlung ist grundsätzlich ausgeschlossen, solange das Verzögerungsgeld nicht seine Wirkung verfehlt hat oder solange ein Zwangsgeld nicht bereits angedroht beziehungsweise festgesetzt wurde. Das Verzögerungsgeld soll gerade zu einer nachhaltigen Disziplinierung des Steuerpflichtigen beitragen und behält auch dann eigenständige Bedeutung, wenn der Steuerpflichtige wiederholt Pflichtverstöße begeht. Das Zusammentreffen mit einem Verspätungszuschlag ist möglich, wenn beide Sanktionen unterschiedliche Sachverhalte betreffen. Nur in Ausnahmefällen sind Kumulationen zulässig, insbesondere bei Staffelung von Pflichtverletzungen oder fortschreitender Weigerungshaltung.
Besteht ein Rechtsanspruch auf Erstattung oder Aufhebung des Verzögerungsgeldes?
Ein Verzögerungsgeld ist grundsätzlich bestandskräftig, sofern kein wirksamer Einspruch gegen den entsprechenden Verwaltungsakt eingelegt wird. Der Steuerpflichtige hat aber die Möglichkeit, gegen die Festsetzung form- und fristgerecht Einspruch einzulegen (§ 347 AO). Im Rahmen des Einspruchsverfahrens wird die Rechtmäßigkeit der Festsetzung umfassend überprüft, insbesondere hinsichtlich der formellen Voraussetzungen und der Ausübung des Ermessens durch die Finanzbehörde. Wird ein Rechtsfehler festgestellt, so ist das Verzögerungsgeld aufzuheben oder zu erstatten. Eine Erstattung nach Bestandskraft ist nur noch nach den allgemeinen Regeln über die Rücknahme und den Widerruf rechtswidriger Verwaltungsakte (§§ 130, 131 AO) oder im Rahmen der Restitutions- und Wiederaufnahmeverfahren (§ 172 ff. AO) möglich. Zudem kann im Einzelfall auch eine Billigkeitsmaßnahme nach § 227 AO in Betracht kommen, wenn die Einziehung des Verzögerungsgeldes unbillig wäre, was jedoch sehr restriktiv gehandhabt wird.
In welcher Höhe kann ein Verzögerungsgeld festgesetzt werden und wie erfolgt die Bemessung?
Das Verzögerungsgeld beträgt gem. § 146 Abs. 2b Satz 5 AO mindestens 2.500 EUR und höchstens 250.000 EUR. Die Festsetzungshöhe liegt im Ermessen der Finanzbehörde und richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Bei der Bemessung sind insbesondere die Dauer und das Ausmaß der Pflichtverletzung, das Gewicht der Beeinträchtigung der Steuerfestsetzung und -erhebung, der Grad des Verschuldens sowie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu beachten. Wiederholtes oder besonders schwerwiegendes Fehlverhalten kann zur Festsetzung eines höheren Verzögerungsgeldes führen. Die Festsetzung ist schriftlich zu begründen und muss eine genaue Darlegung der ermessensleitenden Erwägungen enthalten.
Gibt es Verjährungsregelungen für die Festsetzung und die Beitreibung des Verzögerungsgeldes?
Für die Festsetzung des Verzögerungsgeldes gilt die Festsetzungsverjährung entsprechend § 228 AO; diese beträgt gemäß § 169 AO regelmäßig vier Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Verzögerungsgeld hätte festgesetzt werden können, also im Regelfall nach Eintritt der mit der Pflichtverletzung verbundenen Verzögerung. Nach Bestandskraft der Festsetzung unterliegt die Durchsetzung des Zahlungsanspruchs sodann der Vollstreckungsverjährung, die nach § 229 AO grundsätzlich fünf Jahre beträgt. Rechtsbehelfe und Vollstreckungsmaßnahmen hemmen bzw. unterbrechen die Verjährung entsprechend der allgemeinen Regelungen der Abgabenordnung.
Können auch Dritte, wie etwa Steuerberater, als Adressaten eines Verzögerungsgeldes in Betracht kommen?
Adressat des Verzögerungsgeldes ist grundsätzlich nur der Steuerpflichtige oder die für ihn wirtschaftlich oder tatsächlich verantwortliche Person. Ein Steuerberater, der lediglich als Vertreter oder Erfüllungsgehilfe auftritt, ist somit regelmäßig nicht selbst für die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes heranziehbar. Anders verhält es sich jedoch, wenn der Berater kraft Vollmacht als gesetzlicher Vertreter im Sinne von § 34 AO gegenüber der Finanzverwaltung auftritt und selbst gegen Mitwirkungspflichten verstößt. Hier ist stets im Einzelfall zu prüfen, ob die Pflichtverletzung originär dem Steuerpflichtigen oder dem Vertreter zuzurechnen ist. Letztlich bleibt das Verzögerungsgeld ein Instrument der steuerlichen Pflichtenlenkung gegenüber dem Steuerpflichtigen, nicht der beratenden Dritten.
Unter welchen Voraussetzungen ist eine mehrfache Festsetzung eines Verzögerungsgeldes möglich?
Eine mehrfache beziehungsweise wiederholte Festsetzung eines Verzögerungsgeldes ist zulässig, wenn der Steuerpflichtige trotz vorausgegangener Festsetzung weiterhin seine Mitwirkungspflichten verletzt oder den geforderten Handlungen nicht bzw. nicht vollständig nachkommt. Jeder eigenständige Verstoß gegen eine neue oder fortbestehende Aufforderung der Finanzbehörde kann Grundlage für ein weiteres Verzögerungsgeld sein, sofern die einzelnen Pflichtverletzungen unabhängig voneinander bestehen. Die Behörde ist hierbei verpflichtet, das fortdauernde oder erneute Fehlverhalten zu dokumentieren und bei der Bemessung eine eventuell bereits festgesetzte Summe zu berücksichtigen, um eine unverhältnismäßige Belastung zu vermeiden. Voraussetzungen und Grenzen ergeben sich unmittelbar aus dem Sinn und Zweck des § 146 AO sowie der jeweiligen Behördenpraxis.