Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Familienrecht»Verwandtenunterhalt

Verwandtenunterhalt


Begriff und rechtliche Einordnung des Verwandtenunterhalts

Der Begriff Verwandtenunterhalt bezeichnet im deutschen Unterhaltsrecht den Anspruch auf Unterhaltsleistungen zwischen Verwandten in gerader Linie. Dieser Anspruch ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt und stellt einen Kernbereich des Familienrechts dar. Verwandtenunterhalt umfasst dabei sowohl den Kindesunterhalt als auch den Unterhalt gegenüber Eltern sowie weiteren in gerader Linie verwandten Personen.

Ziel des Verwandtenunterhalts ist es, existenzsichernde Leistungen innerhalb der Familie sicherzustellen, wenn ein Familienmitglied außerstande ist, seinen eigenen Lebensunterhalt vollständig zu bestreiten.

Gesetzliche Grundlagen und Anspruchsvoraussetzungen

Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)

Die zentrale gesetzliche Grundlage bildet das Bürgerliche Gesetzbuch, insbesondere §§ 1601 bis 1615 BGB. Danach sind Verwandte in gerader Linie (z. B. Kinder, Eltern, Großeltern) verpflichtet, einander Lebensunterhalt zu gewähren. Dazu zählen insbesondere:

  • Kindesunterhalt (§ 1601 BGB): Der Anspruch auf Unterhalt für minderjährige und unter bestimmten Voraussetzungen auch für volljährige Kinder.
  • Elternunterhalt (§ 1601 BGB): Anspruch der Eltern gegenüber ihren Kindern, wenn sie ihren eigenen Lebensunterhalt nicht mehr selbst bestreiten können.

Voraussetzungen für den Unterhaltsanspruch

Der Anspruch setzt regelmäßig voraus, dass der Unterhaltsberechtigte außerstande ist, für seinen eigenen Lebensunterhalt zu sorgen und der Unterhaltspflichtige leistungsfähig ist. Nachfolgende Aspekte sind maßgeblich:

  • Bedürftigkeit: Die bedürftige Person muss außerstande sein, sich selbst zu unterhalten.
  • Leistungsfähigkeit: Unterhaltspflichtige dürfen durch die Erbringung des Unterhalts nicht ihren eigenen angemessenen Unterhalt gefährden.
  • Subsidiaritätsprinzip: Primär sind Eigenmittel und sonstige vorrangige Ansprüche (z. B. Ehegattenunterhalt) auszuschöpfen.

Umfang der Unterhaltspflicht

Bedarfsermittlung

Der Umfang des geschuldeten Unterhalts richtet sich nach dem Bedarf des Berechtigten, der grundsätzlich an den Lebensverhältnissen des Pflichtigen und an typisierten Bedarfsansätzen gemessen wird:

  • Beim Kindesunterhalt dienen die Düsseldorfer Tabelle und regionale Unterhaltsleitlinien (z. B. der Oberlandesgerichte) als Orientierungsrahmen.
  • Beim Elternunterhalt steht der notwendige Selbstbehalt des Pflichtigen im Vordergrund, um dessen minimalen Lebensstandard zu sichern.

Art des Unterhalts

Verwandtenunterhalt kann in zwei Formen geleistet werden:

  • Naturalunterhalt: Erfüllung durch Überlassung von Wohnung, Kleidung, Verpflegung.
  • Barunterhalt: Geldzahlungen, insbesondere im Fall getrennter Haushalte.

Rangfolge der Unterhaltspflichten

Grundsatz der Rangordnung (§ 1609 BGB)

Im Falle mehrerer gleichzeitiger Unterhaltsansprüche ist die Rangfolge nach § 1609 BGB zu beachten. Vorrangig sind minderjährige und privilegiert volljährige Kinder. Danach folgen in der Regel Eltern und andere Unterhaltsberechtigte.

Beispielhafte Rangfolge:

  1. Minderjährige und privilegierte volljährige Kinder
  2. Ehegatten und Geschiedene
  3. Nicht privilegierte volljährige Kinder
  4. Weitere Verwandte, darunter nachrangig Eltern

Verwandtenunterhalt im Kontext des Sozialrechts

Kommt es zur Inanspruchnahme staatlicher Leistungen (zum Beispiel durch Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII), treten öffentlich-rechtliche Träger häufig an die unterhaltspflichtigen Personen heran, um Ansprüche auf Elternunterhalt geltend zu machen. Ab dem 01.01.2020 gelten hierbei jedoch erhöhte Einkommensfreibeträge, um den Mittelstand zu entlasten (§ 94 SGB XII).

Berechnung des Verwandtenunterhalts

Einkommensermittlung

Grundlage der Berechnung ist das unterhaltsrelevante Einkommen des Pflichtigen. Berücksichtigt werden dabei regelmäßige Einkünfte, abzüglich berücksichtigungsfähiger Belastungen und des Selbstbehalts. Beim Elternunterhalt sind besondere Abzüge möglich, wie etwa für die eigene Altersvorsorge.

Selbstbehalt und Mangelfall

Der Selbstbehalt bezeichnet den Betrag, der dem Unterhaltspflichtigen mindestens verbleiben muss. Übersteigt die Summe der Unterhaltsansprüche die Leistungsfähigkeit, liegt ein Mangelfall vor; es erfolgt eine anteilige Kürzung der Ansprüche.

Besonderheiten und Ausschlüsse

Befreiungsgründe

Die Unterhaltspflicht entfällt unter bestimmten Voraussetzungen, etwa bei unbilligem Verhalten des Berechtigten (z. B. schwere Verfehlungen gegenüber dem Pflichtigen) nach § 1611 BGB.

Verwandtenunterhalt bei Patchwork-Konstellationen

Bei Mehrfachverpflichtungen, beispielsweise durch Kinder aus mehreren Beziehungen, sind die Unterhaltslasten entsprechend zu verteilen. Die aktuellen Leitlinien der Oberlandesgerichte bieten Orientierung zur gerechten Zuweisung.

Beendigung und Einschränkung der Unterhaltspflicht

Die Unterhaltspflicht endet grundsätzlich mit dem Wegfall der Bedürftigkeit (z. B. durch eigenständige Lebensführung oder Tod des Berechtigten) oder bei nachträglichem Eintritt der Erwerbsfähigkeit. Zeitliche Begrenzungen kommen vor allem beim Ausbildungsunterhalt oder im Rahmen der Eigenverantwortung in Betracht.

Rechtliche Durchsetzung und Verfahren

Der Verwandtenunterhalt kann im Wege einer außergerichtlichen Einigung oder gerichtlich durchgesetzt werden. Grundlage ist regelmäßig die Titulierung des Unterhaltsanspruchs durch gerichtlichen Beschluss oder eine vollstreckbare Urkunde (§ 794 ZPO). Überwiegend finden familiengerichtliche Verfahren Anwendung.

Zusammenfassung

Verwandtenunterhalt stellt einen essentiellen Bestandteil familiärer Solidarität im deutschen Recht dar. Die gesetzlichen Regelungen schaffen einen Ausgleich zwischen berechtigtem Unterstützungsbedarf und zumutbarer Belastung des Pflichtigen. Insbesondere in sozial- und familienrechtlichen Schnittbereichen sind zahlreiche Einzelregelungen zu beachten, die sich an dem Interesse der Existenzsicherung für hilfebedürftige Familienmitglieder orientieren. Einzelfallbezogene Abweichungen können sich aus den Besonderheiten der individuellen Lebenssituation ergeben.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist beim Verwandtenunterhalt verpflichtet, Unterhalt zu zahlen?

Im deutschen Recht sind grundsätzlich Verwandte in gerader Linie einander zum Unterhalt verpflichtet. Dies bedeutet, dass Eltern gegenüber ihren Kindern und umgekehrt Kinder gegenüber ihren Eltern unterhaltspflichtig sein können. Auch Großeltern und Enkel sind in diese Verpflichtung einbezogen, allerdings wird die Unterhaltspflicht der näheren Verwandten, wie beispielsweise der Eltern, vorrangig behandelt. Die gesetzliche Grundlage dafür findet sich in den §§ 1601 bis 1615 BGB. Die Unterhaltspflicht entsteht dabei unabhängig von einem tatsächlichen Kontakt oder Verhältnis zwischen den Parteien, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Die Leistungsfähigkeit der unterhaltspflichtigen Person wird dabei ebenso geprüft wie der Bedarf des Unterhaltsberechtigten. Der Rangfolge im Unterhaltsrecht kommt hierbei erhebliche Bedeutung zu, da etwa der Ehegatten- und Kindesunterhalt vorrangig vor dem Elternunterhalt ist.

Was umfasst der Verwandtenunterhalt konkret?

Der Verwandtenunterhalt umfasst das gesamte Lebensbedürfnis des berechtigten Angehörigen. Rechtlich gesehen geht es dabei nicht nur um den sogenannten Barunterhalt – also Geldleistungen -, sondern auch um Naturalunterhalt, beispielsweise Unterkunft und Verpflegung. Zu den Bedarfspositionen zählen vor allem Kosten für Ernährung, Kleidung, Unterkunft, Kranken- und Pflegeversicherung, Ausbildung sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Im Falle von Kindern wird zwischen Minderjährigen- und Volljährigenunterhalt unterschieden, wobei bei Minderjährigen grundsätzlich der Naturalunterhalt durch Betreuung und Versorgung von nicht getrennt lebenden Elternteilen erbracht wird. Bei volljährigen Kindern und beim Elternunterhalt dominieren in der Regel Geldleistungen. Der Bedarf wird meist anhand der Düsseldorfer Tabelle sowie unter Berücksichtigung laufender Kosten konkret ermittelt.

Nach welchen Kriterien wird die Höhe des Verwandtenunterhalts bestimmt?

Die Höhe des Verwandtenunterhalts richtet sich einerseits nach dem konkreten Bedarf des Berechtigten und andererseits nach der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten. Maßgeblich ist jeweils das sogenannte bereinigte Nettoeinkommen der unterhaltspflichtigen Person, von dem bestimmte Abzüge – zum Beispiel beruflich bedingte Aufwendungen und ein Selbstbehalt – vorgenommen werden. Die Höhe des Selbstbehalts ist gesetzlich bzw. anhand aktueller Leitlinien geregelt und stellt sicher, dass dem Unterhaltsverpflichteten ein angemessener Eigenbedarf verbleibt. Der Unterhaltsbedarf wird bei Kindern überwiegend nach der Düsseldorfer Tabelle festgesetzt. Für den Bedarf von Eltern (sogenannter Elternunterhalt) wird häufig ein pauschalierter Betrag angesetzt, der nach oben oder unten abweichend sein kann, je nach Lebenssituation des Berechtigten. Eventuelle Einkünfte, Sozialleistungen oder das eigene Vermögen des Unterhaltsberechtigten werden mindernd angerechnet.

Welche Rolle spielen Einkommen und Vermögen beim Verwandtenunterhalt?

Beim Verwandtenunterhalt sind sowohl das Einkommen als auch das Vermögen des Verpflichteten maßgeblich. Grundsätzlich ist zunächst das Einkommen für die Bestimmung der Leistungsfähigkeit relevant. Wird die Unterhaltslast durch das laufende Einkommen nicht gedeckt, kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Zugriff auf das Vermögen erfolgen, sofern dies zumutbar ist. Beispielsweise kann dem Unterhaltspflichtigen zumutbar sein, etwaige Sparguthaben, Wertpapiere oder Immobilien zum Teil zu verwerten, sofern dadurch keine unbilligen Härten entstehen. Allerdings besteht ein geschützter Vermögenssockel, insbesondere für die Altersvorsorge, den der Unterhaltsverpflichtete grundsätzlich nicht antasten muss. Auch beim Unterhaltsberechtigten sind vorhandene Einkünfte und verfügbares Vermögen zur Bedarfsdeckung vorrangig einzusetzen, ehe ein Anspruch gegen Verwandte entsteht.

Gibt es Rangfolgen unter den Unterhaltspflichtigen?

Ja, das deutsche Unterhaltsrecht kennt eine festgelegte Rangfolge unter verschiedenen Unterhaltsberechtigten und -verpflichteten. An erster Stelle steht der Unterhalt für minderjährige Kinder und privilegierte volljährige Kinder, gefolgt vom Ehegattenunterhalt (nach einer Scheidung) und danach erst der Elternunterhalt. Innerhalb der gleichen Ranggruppe haften die Unterhaltspflichtigen anteilig nach ihren Einkommensverhältnissen. Bei mehreren gleichrangigen Unterhaltspflichten kann das Einkommen entsprechend verteilt werden, sodass jeder Berechtigte einen Teil seines Bedarfs erhält, bis zur jeweiligen Leistungsgrenze des Verpflichteten. Diese Rangfolge ist insbesondere relevant, wenn die finanziellen Mittel nicht ausreichen, um allen Ansprüchen vollumfänglich nachzukommen.

Wie wird ein Anspruch auf Verwandtenunterhalt durchgesetzt?

Der Anspruch auf Verwandtenunterhalt wird in der Regel zunächst außergerichtlich, beispielsweise durch ein Auskunftsersuchen und eine Zahlungsaufforderung, geltend gemacht. Der Verpflichtete ist bei berechtigtem Anspruch zur Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse verpflichtet. Wird keine Einigung erzielt, kann der Unterhaltsanspruch im Wege des gerichtlichen Verfahrens (z. B. durch eine Unterhaltsklage beim Familiengericht) durchgesetzt werden. Das Gericht prüft dann die Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit der Beteiligten und setzt im Streitfall die Höhe des Unterhalts durch Urteil fest. Zwischen Ehegatten und in Eltern-Kind-Konstellationen ist häufig eine vorherige Vermittlung durch das Jugendamt oder die Familienkasse vorgesehen.

Können sich die Ansprüche auf Verwandtenunterhalt zeitlich verändern?

Ja, der Anspruch auf Verwandtenunterhalt ist grundsätzlich ein dynamisches Rechtsverhältnis. Änderungen in den Einkommens- oder Vermögensverhältnissen einer Partei, neue Bedarfe (z. B. durch veränderte Wohn- oder Pflegekosten), der Eintritt von Rentenbezug, Aufnahme einer eigenen Erwerbstätigkeit oder das Erreichen der Volljährigkeit bei Kindern können zu einer Anpassung der Unterhaltspflicht führen. Jeder Anspruch kann daher sowohl nach oben als auch nach unten angepasst oder sogar entfallen, wenn die Voraussetzungen sich ändern. Es besteht die Pflicht, veränderte Verhältnisse zeitnah anzuzeigen und auf Antrag eine neue Unterhaltsfestsetzung zu ermöglichen. Im Streitfall kann die Anpassung gerichtlich eingefordert werden.