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Verwaltungsvollstreckungsgesetze


Verwaltungsvollstreckungsgesetze: Begriff, Rechtsgrundlagen und Systematik

Begriff und Bedeutung der Verwaltungsvollstreckungsgesetze

Verwaltungsvollstreckungsgesetze sind spezielle Rechtsvorschriften, die das Verfahren und die Voraussetzungen für die zwangsweise Durchsetzung von Verwaltungsakten regeln. Sie dienen dazu, die hoheitliche Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen durch Verwaltungsbehörden zu ermöglichen, wenn diese nicht freiwillig erfüllt werden. Verwaltungsvollstreckungsgesetze stellen damit eine zentrale Grundlage für das Verwaltungsvollstreckungsrecht in Deutschland dar.

Allgemeine Rechtsgrundlagen

Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes (VwVG)

Das Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) des Bundes bildet die rechtliche Basis für die Durchführung der Vollstreckung bundesrechtlicher Verwaltungsakte durch Bundesbehörden. Es ist bundesweit anwendbar, soweit Bundesrecht durch Bundesbehörden vollzogen wird und keine abweichenden spezialgesetzlichen Regelungen existieren.

Verwaltungsvollstreckungsgesetze der Länder

Neben dem VwVG des Bundes existieren in jedem Bundesland eigene Verwaltungsvollstreckungsgesetze (z. B. das Verwaltungsvollstreckungsgesetz Nordrhein-Westfalen – VwVG NRW, das Hessische Verwaltungsvollstreckungsgesetz – HVwVG). Diese gelten für die Vollstreckung von Verwaltungsakten im Vollzug von Landesrecht durch Landesbehörden sowie kommunale Behörden. Die Regelungen weisen inhaltlich zwar Gemeinsamkeiten mit dem Bundesrecht auf, können sich aber im Detail unterscheiden.

Anwendungsbereich der Verwaltungsvollstreckungsgesetze

Sachlicher Anwendungsbereich

Verwaltungsvollstreckungsgesetze finden Anwendung, wenn eine natürliche oder juristische Person einer behördlichen, auf öffentlich-rechtlicher Grundlage beruhenden Verpflichtung nicht freiwillig nachkommt und diese Verpflichtung nicht bereits nach anderen Vorschriften durchgesetzt werden kann. Typische Bereiche sind unter anderem:

  • Die zwangsweise Erfüllung von Geldforderungen (z.B. Gebühren, Beiträge, Bußgelder)
  • Die zwangsweise Vornahme oder Unterlassung einer Handlung (z.B. Abrissverfügungen, Nutzungsuntersagungen)
  • Die zwangsweise Duldung von Maßnahmen

Persönlicher Anwendungsbereich

Adressaten der Verwaltungsvollstreckung können sowohl natürliche als auch juristische Personen des Privatrechts sein, soweit sie Adressaten von Verwaltungsakten sind, die öffentlich-rechtliche Pflichten begründen.

Formen und Mittel der Verwaltungsvollstreckung

Verwaltungsvollstreckungsgesetze sehen verschiedene Vollstreckungsmaßnahmen vor, abhängig von der Art der zu vollstreckenden Pflicht:

Zwangsvollstreckung von Geldforderungen

  • Beitreibung durch Vollstreckung in das Vermögen: Dies erfolgt in der Regel nach Maßgabe des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes und in Verbindung mit den Vorschriften der Abgabenordnung (AO).
  • Pfändung von Forderungen und anderer Vermögensrechte: Behördliche Fällung, etwa von Kontopfändungen.

Zwangsvollstreckung von Handlungs-, Duldungs- und Unterlassungspflichten

  • Zwangsgeld: Androhung und Festsetzung gegen den Pflichtigen zur erzwingenden Erfüllung.
  • Ersatzvornahme: Die Behörde lässt die geschuldete Handlung auf Kosten des Pflichtigen durch einen Dritten ausführen.
  • Unmittelbarer Zwang: Anwendung körperlicher Gewalt, insbesondere gegenüber Sachen (z.B. Räumung einer Liegenschaft).

Rechtsschutz und Grenzen der Verwaltungsvollstreckung

Rechtsbehelfe

Gegen Verwaltungsvollstreckungsmaßnahmen stehen dem Betroffenen verschiedene Rechtsbehelfe zur Verfügung, insbesondere:

  • Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (z.B. nach § 80 Abs. 5 VwGO)
  • Widerspruch gegen Maßnahme der Vollstreckungsbehörde (soweit vorgesehen)
  • Anfechtungsklage oder andere verwaltungsgerichtliche Klagen

Die Anfechtung der Vollstreckungsmaßnahme setzt in der Regel die Wirksamkeit und Bestandskraft des der Maßnahme zugrunde liegenden Verwaltungsakts voraus.

Grenzen und rechtliche Anforderungen

Die Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen ist an bestimmte Voraussetzungen gebunden, insbesondere:

  • Bestandskraft des Verwaltungsakts: Der zu vollstreckende Verwaltungsakt muss rechtswirksam und vollziehbar sein.
  • Androhung der Maßnahme: Zumeist ist vor Durchführung der eigentlichen Zwangsmaßnahme deren Androhung vorgeschrieben.
  • Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Die Vollstreckungsbehörde darf nur das Mittel wählen, das den Pflichtigen am wenigsten belastet und ausreichend ist, um den Zweck zu erreichen.

Verhältnis zu anderen Rechtsvorschriften

Abgrenzung zu privatrechtlicher Zwangsvollstreckung

Verwaltungsvollstreckung ist von der Zwangsvollstreckung im privatrechtlichen Bereich (nach der Zivilprozessordnung – ZPO) zu unterscheiden. Während die privatrechtliche Zwangsvollstreckung durch Gerichte auf Antrag der Gläubiger erfolgt, wird die Verwaltungsvollstreckung von den zuständigen Behörden selbst durchgeführt.

Spezialgesetze

In bestimmten Verwaltungsbereichen gelten Spezialregelungen, die die allgemeinen Verwaltungsvollstreckungsgesetze verdrängen können, z. B. im Steuerrecht (§§ 249-346 AO) oder im Sozialrecht (z. B. im SGB X).

Harmonisierung und Praxisrelevanz

Die Verwaltungsvollstreckungsgesetze sind bundes- und landesrechtlich eng aufeinander abgestimmt, um eine weitgehende Harmonisierung der Verwaltungsvollstreckung in Deutschland zu erreichen. Dennoch bestehen Unterschiede in den Details der Verfahrensweise und in der Ausgestaltung der einzelnen Zwangsmittel.

Zusammenfassung

Verwaltungsvollstreckungsgesetze regeln in Deutschland umfassend die zwangsweise Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Pflichten durch Verwaltungsbehörden. Sie schaffen die rechtliche Grundlage für den Einsatz von Zwangsmitteln unter Einhaltung formeller und materieller Rechtmäßigkeitsanforderungen und sichern den Rechtsschutz der betroffenen Personen. Die Kenntnis der Verwaltungsvollstreckungsgesetze ist für die Anwendung und das Verständnis des Verwaltungsvollstreckungsrechts unerlässlich.

Häufig gestellte Fragen

Welche Behörde ist für die Anordnung und Durchführung der Verwaltungsvollstreckung zuständig?

Die Zuständigkeit für die Anordnung und Durchführung der Verwaltungsvollstreckung richtet sich in Deutschland grundsätzlich nach dem anzuwendenden Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG für den Bund, entsprechende Ländergesetze für die Länder). Im Regelfall ist die Behörde vollstreckungsbefugt, die auch für den Erlass des Verwaltungsaktes zuständig war, aus dem vollstreckt werden soll (sog. Vollstreckungsbehörde). In Fällen, in denen die Zwangsmittel von der Polizei zu vollziehen sind oder besondere Maßnahmen (z. B. Durchsuchungen oder Ersatzvornahmen bei Gefahr im Verzug) erforderlich werden, kann die Zuständigkeit auf speziell benannte Vollstreckungsorgane oder Behörden übergehen. Bei der Verwaltungsvollstreckung von Geldforderungen ist die Vollstreckung regelmäßig dem Kassen- oder Vollstreckungsamt der jeweiligen Körperschaft übertragen, wobei sich die weiteren Einzelheiten, wie etwa die Zusammenarbeit mit Gerichtsvollziehern oder die Inanspruchnahme behördlicher Amtshilfe, aus dem jeweiligen Recht des Bundes oder der Länder ergeben.

Welche Arten von Zwangsmitteln sieht das Verwaltungsvollstreckungsrecht vor?

Das Verwaltungsvollstreckungsrecht unterscheidet typischerweise zwischen verschiedenen Zwangsmitteln, die je nach Art der Verpflichtung des Pflichtigen zur Anwendung kommen können. Im Kern handelt es sich dabei um Ersatzvornahme, Zwangsgeld und unmittelbaren Zwang. Die Ersatzvornahme ist insbesondere zur Durchsetzung vertretbarer Handlungen zulässig, das heißt Maßnahmen, die auch von Dritten vorgenommen werden können (z. B. Beseitigung einer baulichen Anlage). Das Zwangsgeld dient als Druckmittel zur Erzwingung sowohl von Handlungen als auch von Duldungen und Unterlassungen und stellt eine wiederholt festsetzbare Geldleistung dar. Der unmittelbare Zwang kommt als letztes Mittel in Betracht und umfasst physisch wirkende Maßnahmen gegen Personen oder Sachen, etwa durch die Anwendung polizeilicher Gewaltmittel. Die Anordnung und Anwendung der Zwangsmittel unterliegt dabei strengen gesetzlichen Voraussetzungen, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Gebot, das mildeste taugliche Mittel zu wählen.

Welche formellen Anforderungen gelten für die Anordnung von Zwangsmitteln im Verwaltungsvollstreckungsverfahren?

Vor der Anwendung von Zwangsmitteln muss die Behörde einen sogenannten Androhungsbescheid erlassen, in dem das konkrete Zwangsmittel, die zu vollstreckende Verpflichtung und eine angemessene Frist zur freiwilligen Erfüllung angegeben sind. Die Vorschriften des jeweiligen Verwaltungsvollstreckungsgesetzes regeln, dass der Androhungsbescheid grundsätzlich schriftlich zu ergehen hat und an den Pflichtigen zuzustellen ist. Ausnahmen hiervon gelten etwa bei Gefahr im Verzug. Zudem muss der zugrunde liegende Verwaltungsakt unanfechtbar oder sofort vollziehbar sein, bevor mit der Vollstreckung begonnen werden darf. Der Zustellungsvorgang und die Formvorschriften (zum Beispiel elektronische Zustellung) richten sich nach den einschlägigen Verfahrensvorschriften des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungszustellungsgesetzes.

Welche Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen gegen Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung?

Gegen Zwangsmittel und Vollstreckungsmaßnahmen steht dem Betroffenen grundsätzlich Rechtsschutz zu. Er kann geltend machen, dass die formellen oder materiellen Voraussetzungen der Vollstreckung nicht vorliegen, etwa eine fehlende Bestandskraft des Leistungsbescheids oder eine fehlerhafte Androhung. Zulässig ist die Anfechtung des Zwangsmittelbescheids im Wege der Anfechtungsklage gemäß § 42 VwGO. Zusätzlich kann ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5, § 123 VwGO gestellt werden. In dringenden Fällen, beispielsweise bei drohendem unmittelbarem Zwang, kann insbesondere der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Vollstreckungsmaßnahme erhoben werden. Die Ausgestaltung der jeweiligen Rechtsbehelfe folgt aus der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sowie den entsprechenden Landesgesetzen.

Wie verhält sich die Verwaltungsvollstreckung zu zivilrechtlichen Vollstreckungsverfahren?

Das Verwaltungsvollstreckungsrecht ist vom zivilrechtlichen Vollstreckungsrecht streng zu unterscheiden. Die Besonderheit der Verwaltungsvollstreckung besteht darin, dass sie auf hoheitlicher Grundlage und im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Verwaltungshandelns zur Durchsetzung öffentlicher Pflichten aus Verwaltungsakten erfolgt. Im Gegensatz dazu setzt die Zwangsvollstreckung nach der Zivilprozessordnung (ZPO) einen zivilrechtlichen Titel voraus und wird durch Gerichte sowie Gerichtsvollzieher durchgeführt. Überschneidungen können etwa bei der Pfändung von Geldforderungen bestehen; hier sieht das Verwaltungsvollstreckungsrecht Sonderregelungen hinsichtlich des Pfändungsschutzes oder der Rangfolge von Forderungen vor. Im Kollisionsfall gelten spezifische Vorschriften über die Bindungswirkung und Abgrenzung der beiden Vollstreckungsarten.

Unter welchen Voraussetzungen kann die Ersatzvornahme als Zwangsmittel angeordnet werden?

Die Ersatzvornahme ist nach den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen zulässig, wenn der Pflichtige eine vertretbare Handlung nicht vornimmt, zu der er durch einen vollstreckbaren Verwaltungsakt verpflichtet wurde (z. B. das Räumen eines Grundstücks). Vertretbar ist eine Handlung immer dann, wenn sie von jemand anderem als dem Ordnungspflichtigen vorgenommen werden kann. Die Behörde muss vor Durchführung der Ersatzvornahme die Maßnahme grundsätzlich androhen und eine angemessene Frist setzen. Die Kosten der Ersatzvornahme kann die Behörde anschließend dem Pflichtigen auferlegen und gegebenenfalls im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung beitreiben. Insbesondere ist zu prüfen, dass keine unvertretbare Handlung vorliegt (wie eine höchstpersönliche Erklärung oder Unterlassungsverpflichtung) und dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip beachtet wird.