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Verwaltungsunrecht


Begriff und Wesen des Verwaltungsunrechts

Verwaltungsunrecht bezeichnet das rechtswidrige Verhalten einer Verwaltung im Rahmen amtlicher Tätigkeit. Es umfasst alle Akte, Unterlassungen oder Maßnahmen von Behörden, welche im Widerspruch zu geltenden Rechtsnormen stehen. Das Konzept ist zentral für das Verständnis des Rechtsstaates und seiner Anforderungen an die Verwaltung, da damit ein effektiver Rechtsschutz der Bürger:innen gegen behördliche Maßnahmen gewährleistet wird.

Der Begriff umfasst nicht lediglich die Verletzung subjektiver Rechte Einzelner, sondern schließt auch Verstöße gegen objektive Rechtsnormen ein. Verwaltungsunrecht grenzt sich insoweit von Strafunrecht und Privatrechtsunrecht ab, betrifft jedoch regelmäßig Überschneidungen mit anderen Rechtsmaterien, insbesondere dem Amtshaftungsrecht und dem Disziplinarrecht.

Rechtsgrundlagen des Verwaltungsunrechts

Verfassungsrechtliche Grundlagen

Das deutsche Grundgesetz verpflichtet die öffentliche Verwaltung zur Einhaltung von Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG – Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung). Verstöße gegen diese Grundpflichten stellen regelmäßig Verwaltungsunrecht dar. Zusätzlich resultieren aus den Grundrechten (z.B. Art. 2 Abs. 1, Art. 3, Art. 19 Abs. 4 GG) Schutzpflichten zugunsten Einzelner, deren Missachtung ein Verwaltungsunrecht darstellen kann.

Einfache gesetzliche Grundlagen

Auf einfachgesetzlicher Ebene finden sich die wichtigsten Regelungen im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sowie in zahlreichen Spezialgesetzen (z.B. Sozialgesetzbuch, Baugesetzbuch). Fehlerhafte Verwaltungsakte, Verfahrensfehler, Ermessensmissbrauch oder das Unterlassen erforderlicher Verwaltungsmaßnahmen sind typische Erscheinungsformen des Verwaltungsunrechts.

Arten des Verwaltungsunrechts

Rechtswidrigkeit von Verwaltungsakten

Ein Verwaltungsakt ist dann rechtswidrig, wenn er nicht im Einklang mit der Rechtsordnung steht. Rechtswidrigkeit kann aus folgenden Gründen gegeben sein:

  • Formelle Fehler: z. B. fehlende Anhörung, fehlende Begründung, unzuständige Behörde.
  • Materielle Fehler: Verstoß gegen gesetzliche Vorgaben, Überschreitung gesetzlicher Grenzen.
  • Ermessensfehler: Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung oder -fehlgebrauch.

Unterlassen von Verwaltungsmaßnahmen

Verwaltungsunrecht liegt auch in der pflichtwidrigen Untätigkeit einer Behörde vor, etwa wenn ein Bürger einen Anspruch auf behördliches Handeln hat (Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, Anspruch auf Erlass eines Verwaltungsakts), die Behörde aber untätig bleibt oder nicht binnen angemessener Frist handelt (Untätigkeit, § 75 VwGO).

Realakte und schlicht-hoheitliches Handeln

Auch Verwaltungshandeln ohne Erlass eines Verwaltungsakts, beispielsweise durch Realakte oder schlicht-hoheitliches Handeln, kann rechtswidrig sein und damit Verwaltungsunrecht darstellen (z. B. rechtswidrige Abschleppmaßnahme, ungerechtfertigtes staatliches Handeln).

Verwaltungsunrecht bei Ermessensgebrauch

Verwaltungsträger verfügen in vielen Fällen über Spielräume (Ermessen) bezüglich des Ob und Wie ihres Handelns. Verwaltungsunrecht kann sich daraus ergeben, dass diese Spielräume nicht einwandfrei genutzt werden, etwa bei:

  • Ermessensunterschreitung (Ermessen wird nicht ausgeübt),
  • Ermessensüberschreitung (durch Überschreiten der gesetzlichen Grenzen),
  • Ermessensfehlgebrauch (Zweckverfehlung).

Folgen und Rechtsfolgen des Verwaltungsunrechts

Anfechtung und Korrektur rechtswidriger Verwaltungsakte

Ein rechtswidriger Verwaltungsakt ist grundsätzlich anfechtbar (vgl. § 113 Abs. 1 VwGO). Je nach Art des Fehlers kann der Verwaltungsakt nichtig sein (§ 44 VwVfG) oder lediglich rechtswidrig, aber wirksam bleiben (heilbare Fehler, § 45 VwVfG).

Amtshaftung

Verwaltungsunrecht kann zu Ansprüchen auf Schadensersatz führen. Gemäß Art. 34 GG und § 839 BGB haftet der Staat für Schäden, die durch rechtswidriges Verhalten von Amtsträgern verursacht werden. Die Durchsetzung erfolgt regelmäßig vor den Zivilgerichten.

Disziplinarrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen

Verwaltungsunrecht kann nicht nur zivilrechtliche, sondern auch dienstrechtliche oder gar strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Beamte oder Angestellte im öffentlichen Dienst können wegen rechtswidrigen Verwaltungshandelns disziplinarisch belangt werden; in schweren Fällen (z.B. Rechtsbeugung, § 339 StGB) kommt eine strafrechtliche Verfolgung in Betracht.

Rücknahme und Widerruf

Die Verwaltung ist verpflichtet, rechtswidriges Handeln zu korrigieren. Dies geschieht durch Rücknahme (bei rechtswidrigen begünstigenden Akt, §§ 48 VwVfG) oder Widerruf (bei rechtmäßigem, aber nachträglich rechtswidrig gewordenem Verwaltungsakt, § 49 VwVfG).

Abgrenzung zu anderen Rechtsverstößen

Verwaltungsunrecht ist zu unterscheiden von:

  • Privatrechtsunrecht: betrifft die Beziehungen zwischen Privaten.
  • Strafunrecht: setzt schuldhaftes, tatbestandsmäßiges Verhalten voraus und wird durch Strafgerichte geahndet.
  • Verfassungsunrecht: betrifft Verstöße gegen die Verfassung, die auch im Bereich der Verwaltung auftreten können, deren Behandlung aber über die Verfassungsorgane erfolgt.

Rechtsschutz gegen Verwaltungsunrecht

Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

Jedem, der durch Verwaltungsunrecht in seinen Rechten verletzt wird, steht gemäß Art. 19 Abs. 4 GG der effektive Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten zu. Die wichtigsten Klagemöglichkeiten sind:

  • Anfechtungsklage (gegen belastende Verwaltungsakte),
  • Verpflichtungsklage (auf Erlass eines Verwaltungsakts),
  • Allgemeine Leistungsklage (sonstiges Verwaltungshandeln),
  • Feststellungsklage (Feststellung der Rechtswidrigkeit oder Nichtigkeit).

Vorverfahren

Vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens ist in manchen Fällen ein Verwaltungsverfahren (Widerspruchsverfahren) vorzuschalten, um der Verwaltung Gelegenheit zur Selbstkorrektur zu geben (§§ 68 ff. VwGO).

Weitere Kontrollinstanzen

Unabhängig von der Verwaltungsgerichtsbarkeit existieren weitere Kontrollmöglichkeiten, etwa durch Petitionen, den Bund oder die Länderbeauftragten für Datenschutz, den Bürgerbeauftragten der Länder oder die Rechnungshöfe.

Verwaltungsunrecht im internationalen Kontext

Verwaltungsunrecht ist nicht auf das nationale Recht beschränkt. Im europäischen Kontext existieren beispielsweise zahlreiche Verpflichtungen zur Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns (Art. 41 GRC, Recht auf eine gute Verwaltung; EMRK, effektiver Rechtsschutz). Auch im internationalen Verwaltungsrecht sind Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung anerkannt.

Zusammenfassung

Verwaltungsunrecht beschreibt sämtliche rechtswidrigen Maßnahmen, Unterlassungen oder Handlungen der Verwaltung im Rahmen hoheitlicher Tätigkeit. Die Einhaltung der legalen Grenzen ist elementar für einen funktionierenden Rechtsstaat und für den Schutz der Bürger:innen vor willkürlicher Staatsgewalt. Die Rechtsordnung stellt Betroffenen differenzierte Rechtschutzmöglichkeiten zur Verfügung, deren Inanspruchnahme Voraussetzung für eine Überprüfung und Korrektur von Verwaltungsunrecht ist. Das gesamte System der Verwaltungskontrolle dient somit der Durchsetzung des Rechts und dem Schutz vor unverhältnismäßigem Verwaltungshandeln.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Folgen hat ein festgestelltes Verwaltungsunrecht?

Bei festgestelltem Verwaltungsunrecht – also bei einer Verletzung geltenden Rechts durch eine Verwaltungshandlung oder durch pflichtwidriges Unterlassen – ergeben sich eine Vielzahl rechtlicher Konsequenzen. In der Regel ist die unmittelbar betroffene Verfügung oder Maßnahme rechtswidrig und kann daher von Verwaltungsgerichten aufgehoben werden (Anfechtungsklage), sofern ein betroffener Bürger oder ein Dritter dagegen vorgeht und die Klage fristgemäß einreicht. Darüber hinaus können sich Schadensersatzansprüche nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG ergeben, wenn das Verwaltungsunrecht zu einem Vermögensschaden geführt hat, wobei hier insbesondere die Kausalität, das Verschulden und der adäquate Zusammenhang zu prüfen sind. Die geschädigte Person muss jedoch nachweisen, dass ihr durch die rechtswidrige Amtshandlung ein Schaden entstanden ist und keine spezialgesetzlichen Haftungsausschlüsse greifen. Neben individuellen Folgen kann die Verwaltung verpflichtet sein, die rechtswidrigen Zustände zu beseitigen (Folgenbeseitigungsanspruch), auf Antrag hin einen neuen Bescheid zu erlassen oder unter Umständen auch Maßnahmen einzuleiten, um die Rechtsverletzung für die Zukunft auszuschließen. Auch disziplinarrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen sind möglich, wenn das Verhalten der Amtswalter relevante Tatbestände erfüllt.

Welche Klagemöglichkeiten bestehen gegen Verwaltungsunrecht?

Betroffene können verschiedene Rechtsbehelfe nutzen, um gegen Verwaltungsunrecht vorzugehen. Das zentrale Instrument ist die Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO, mit der die Aufhebung eines belastenden Verwaltungsakts begehrt wird. Zudem kann die Verpflichtungsklage erhoben werden, wenn die Behörde zur Vornahme einer bestimmten Handlung gezwungen werden soll (zum Beispiel die Erteilung einer beantragten Genehmigung). Soweit kein Verwaltungsakt vorliegt, aber ein faktisches Verwaltungshandeln rechtswidrig war, kann in Einzelfällen die Feststellungsklage gem. § 43 VwGO Abhilfe schaffen. Ergänzend kann in Eilfällen auch vorläufiger Rechtsschutz durch einen Antrag nach § 80 oder § 123 VwGO erwirkt werden, um nachteilige Wirkungen bis zur Hauptsacheentscheidung abzuwenden. Über diese gerichtlichen Instrumente hinaus besteht die Möglichkeit, gegen Entscheidungen der Verwaltung Widerspruch zu erheben, sofern dies nicht durch Landesrecht ausgeschlossen ist.

Inwiefern haftet die Verwaltung für durch Verwaltungsunrecht verursachte Schäden?

Für Schäden, die unmittelbar auf Verwaltungsunrecht zurückzuführen sind, haftet primär der Staat beziehungsweise die öffentlich-rechtliche Körperschaft, deren Organ oder Amtsträger die Pflichtverletzung begangen hat. Die Grundlage bildet dabei § 839 BGB (Amtshaftung) in Verbindung mit Art. 34 GG, der die Verantwortlichkeit von Amtsträgern auf die jeweilige Körperschaft überträgt. Voraussetzung für einen haftungsbegründenden Anspruch sind ein hoheitliches Handeln, die schuldhafte Verletzung einer Amtspflicht, der Eintritt eines Vermögensschadens sowie das Vorliegen eines adäquaten Zurechnungszusammenhangs. Es besteht zudem eine Subsidiarität, das heißt, grundsätzlich muss der Geschädigte zunächst alle zur Verfügung stehenden Primärrechtsschutzmöglichkeiten (Widerspruch, Anfechtungsklage usw.) nutzen, bevor er einen Schadensersatzanspruch geltend machen kann. Neben Vermögens- können im Einzelfall auch immaterielle Schäden nach § 253 Abs. 2 BGB erstattet werden, etwa bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

Welche Rolle spielen Rechtsbehelfe wie Widerspruch oder Remonstration bei Verwaltungsunrecht?

Vor der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes bieten Rechtsbehelfe wie der Widerspruch (vgl. § 68 VwGO) Betroffenen eine effektive Möglichkeit, sich gegen rechtswidrige Verwaltungsakte zu wehren. Das Widerspruchsverfahren ermöglicht es der übergeordneten Verwaltungsbehörde, die Recht- und Zweckmäßigkeit der angegriffenen Maßnahme eigenständig zu überprüfen, Fehler zu korrigieren und Missstände außergerichtlich zu beheben. Damit wird nicht nur dem Grundsatz der Selbstkontrolle der Verwaltung Rechnung getragen, sondern auch das gerichtliche Verfahren entlastet. Die Remonstrationspflicht ist ein beamtenrechtlicher Mechanismus, wonach Beamte sich an ihre Vorgesetzten wenden müssen, wenn sie die Rechtmäßigkeit einer Weisung anzweifeln (vgl. § 36 BeamtStG, § 63 BBG). Beide Rechtsbehelfe dienen der internen Fehlerkontrolle und tragen dazu bei, Verwaltungsunrecht bereits auf verwaltungsinternem Wege zu beseitigen.

Kann Verwaltungsunrecht auch strafrechtliche Konsequenzen haben?

Verwaltungsunrecht, das über eine bloße Verletzung öffentlich-rechtlicher Verfahrensvorschriften oder materieller Rechte hinausgeht, kann strafrechtliche Relevanz entfalten, wenn durch das Verhalten eines Amtsträgers strafrechtliche Tatbestände – etwa Bestechlichkeit (§ 332 StGB), Vorteilsannahme (§ 331 StGB), Rechtsbeugung (§ 339 StGB) oder fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB) – verwirklicht werden. In solchen Fällen wird das Verwaltungsunrecht zur Straftat, was eine gesonderte Verfolgung durch Strafverfolgungsbehörden nach sich zieht. Auch der Versuch oder die Vorbereitung bestimmter Delikte ist strafbar. Neben strafrechtlichen Sanktionen kann der betroffene Amtsträger weiteren dienstrechtlichen oder disziplinarrechtlichen Maßnahmen ausgesetzt sein, wie etwa der Entlassung aus dem Dienst, der Versetzung oder der Aberkennung von Beamtenrechten.

Wie kann ein Betroffener nach festgestelltem Verwaltungsunrecht die Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes verlangen?

Hat ein Verwaltungsgericht oder eine andere zuständige Stelle ein Verwaltungsunrecht festgestellt, besteht für den Betroffenen die Möglichkeit, die Beseitigung der rechtswidrigen Folgen im Wege eines Folgenbeseitigungsanspruchs zu verlangen. Dieser Anspruch ist verschuldensunabhängig und zielt darauf ab, den Zustand herzustellen, der vor der rechtswidrigen Maßnahme bestanden hat, sofern und soweit dies tatsächlich und rechtlich möglich ist. Dazu zählt beispielsweise die Rücknahme eines belastenden Verwaltungsakts, die Rückerstattung widerrechtlich einbehaltener Gelder oder auch die Wiederherstellung von Rechtspositionen. Der Folgenbeseitigungsanspruch wird gerichtlich durch eine Verpflichtungsklage geltend gemacht, sofern die Verwaltung nicht freiwillig Abhilfe schafft.

Besteht ein Anspruch auf Entschädigung für immaterielle Schäden infolge von Verwaltungsunrecht?

Ein Anspruch auf Entschädigung für immaterielle Schäden, wie etwa seelische Belastungen oder Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts, ist im deutschen Verwaltungsrecht nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Grundsätzlich sieht § 839 BGB Schadensersatz primär für Vermögensschäden vor. Ein Anspruch auf Schmerzensgeld ist darüber hinaus nach § 253 Abs. 2 BGB dann gegeben, wenn durch das Verwaltungsunrecht besonders geschützte Rechtsgüter wie Körper, Gesundheit, Freiheit oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt wurden. In diesen Fällen findet die Amtshaftung auch für immaterielle Schäden Anwendung, sofern die übrigen Haftungsvoraussetzungen – insb. Verschulden des Amtsträgers – vorliegen. Die messbare Beeinträchtigung muss dabei in ihrer Intensität über eine alltägliche Unannehmlichkeit hinausgehen und eine objektiv nachvollziehbare persönliche Verletzung beinhalten.