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Verwaltungsstrafrecht


Begriff und Grundzüge des Verwaltungsstrafrechts

Das Verwaltungsstrafrecht ist ein eigenständiges Teilgebiet des öffentlichen Rechts, das die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten und verwaltungsrechtlichen Verstößen durch spezielle Verwaltungsbehörden regelt. Es kommt immer dann zur Anwendung, wenn Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften vorliegen, die nach geltendem Recht nicht als Straftaten gelten, sondern lediglich mit Verwaltungsstrafen – häufig Bußgelder oder ähnliche Sanktionen – belegt werden. Das Verwaltungsstrafrecht bildet die Schnittstelle zwischen dem allgemeinen Verwaltungsrecht und dem Strafrecht und ist in vielen europäischen Staaten, wie auch im deutschen und österreichischen Recht, gesetzlich normiert.

Abgrenzung zu anderen Rechtsgebieten

Unterschied zum Strafrecht

Das Verwaltungsstrafrecht unterscheidet sich vom klassischen Strafrecht insbesondere durch die Zuständigkeit der Behörden, den Zweck der Maßnahme und die Art der Sanktionen. Während im Strafrecht Gerichte zur Entscheidung berufen sind und üblicherweise Freiheitsstrafen oder kriminalstrafrechtliche Geldstrafen verhängt werden, entscheiden im Verwaltungsstrafrecht Verwaltungsbehörden über Sanktionen, die primär repressiv und präventiv wirken sollen, dabei aber grundsätzlich einen geringeren Eingriffscharakter besitzen.

Abgrenzung zum Ordnungswidrigkeitenrecht

In Deutschland besteht das Ordnungswidrigkeitenrecht als Teil des Verwaltungsstrafrechts, geregelt im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG). In Österreich hingegen wird das Verwaltungsstrafrecht umfassender verstanden und erfasst sämtliche Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften, unabhängig davon, ob diese dem deutschen Ordnungswidrigkeitenbegriff entsprechen.

Verhältnis zum Verwaltungsrecht

Das Verwaltungsstrafrecht ist Teil der öffentlich-rechtlichen Ordnungsfunktion. Es ergänzt das Verwaltungsrecht insofern, als dass es Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften effektiv sanktioniert und so die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Ordnung sichert.

Rechtsgrundlagen

Deutschland

Die rechtlichen Bestimmungen finden sich maßgeblich im Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG), daneben in zahlreichen Spezialgesetzen wie beispielsweise dem Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB). Die formellen Vorschriften zum Verwaltungsverfahrensrecht spielen ebenso eine Rolle, etwa hinsichtlich Zustellung und Rechtsmittel.

Österreich

Die maßgeblichen Vorschriften ergeben sich aus dem Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), dem Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) und unterschiedlichen Materiengesetzen, die verwaltungsstrafrechtlich relevante Tatbestände normieren.

Schweiz

In der Schweiz finden sich verwaltungsstrafrechtliche Regelungen im Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR), das die Grundsätze der Strafverfolgung durch Verwaltungsbehörden und Gerichte des Bundes vorgibt.

Wesentliche Merkmale des Verwaltungsstrafrechts

Tatbestand

Der Verwaltungsstraftatbestand entsteht durch einen Verstoß gegen eine verwaltungsrechtliche Vorschrift, der rechtswidrig und schuldhaft begangen werden muss. In der Regel reicht einfache Fahrlässigkeit aus.

Sanktionen

Sanktionen umfassen vor allem Geldbußen, aber auch Nebenfolgen wie Fahrverbote, Verwarnungen, Einziehungen oder sogar vorübergehende Betriebsschließungen. Freiheitsentzug ist – außer in Ausnahmefällen – typischerweise ausgeschlossen.

Verfahren

Das Verfahren im Verwaltungsstrafrecht folgt eigenen prozessualen Regeln. Die meisten Verfahren werden schriftlich geführt; mündliche Verhandlungen sind die Ausnahme. Die betroffene Person hat Anspruch auf rechtliches Gehör und kann gegen die Entscheidung der Verwaltungsbehörde Rechtsmittel einlegen.

Rechtsmittel

Im Verwaltungsstrafverfahren stehen in der Regel dem Betroffenen Einspruch, Widerspruch oder Berufung gegen die Verwaltungsentscheidung zu, abhängig vom jeweiligen Landesrecht.

Systematik und Funktion des Verwaltungsstrafrechts

Präventive und repressive Funktion

Das Verwaltungsstrafrecht dient sowohl der Prävention als auch der Repression. Präventiv wirkt es, indem es Regelverstöße durch Sanktionen unattraktiv macht und so die Einhaltung verwaltungsrechtlicher Normen fördert. Repressiv wirkt es durch die Ahndung bereits begangener Verstöße.

Typische Anwendungsfelder

Zentrale Anwendungsbereiche des Verwaltungsstrafrechts sind unter anderem:

  • Straßenverkehrsrecht (z. B. Geschwindigkeitsüberschreitungen, Falschparken)
  • Gewerberechtliche Vorschriften (z. B. Verstoß gegen Ladenöffnungszeiten)
  • Umwelt- und Naturschutzrecht (z. B. unerlaubte Abfallentsorgung)
  • Arbeitsrechtliche Auflagen (z. B. Arbeitszeitverstöße)
  • Lebensmittelrecht (z. B. Hygieneverstöße beim Betrieb von Gastronomiebetrieben)

Besonderheiten im Verwaltungsstrafrecht

Behördenzuständigkeit

Zuständig für die Verfolgung und Ahndung von Verwaltungsübertretungen sind regelmäßig speziell hierfür eingerichtete Verwaltungsbehörden, wie Ordnungsämter, Landratsämter oder Fachabteilungen der Bezirksverwaltungen. Diese Behörden verfügen über eigene Ermittlungs- und Entscheidungsbefugnisse.

Grundrechtsschutz

Trotz der geringeren Eingriffsintensität ist beim Erlass von Verwaltungsstrafentscheidungen der Grundrechtsschutz zu beachten. Das gilt namentlich für das Recht auf ein faires Verfahren, Gleichbehandlungsgebot und das Verhältnismäßigkeitsprinzip.

Verjährung

Verstöße im Verwaltungsstrafrecht unterliegen der Verfolgungsverjährung. Die Dauer der Verjährungsfrist ist im jeweiligen Gesetz geregelt und fällt deutlich kürzer aus als im Kriminalstrafrecht.

Zusammenfassung

Das Verwaltungsstrafrecht ist ein zentrales Instrument zur Durchsetzung verwaltungsrechtlicher Vorschriften und Gewährleistung der öffentlichen Ordnung. Es zeichnet sich durch spezifische materielle und prozessuale Regelungen aus und dient der Normdurchsetzung im Bereich der nicht-kriminalrechtlichen Ordnungsübertretungen. Die Einhaltung verfahrensrechtlicher Standards, die Angemessenheit der Sanktionen sowie der effektive Grundrechtsschutz sind zentrale Elemente, die diesem Rechtsgebiet seine eigenständige Bedeutung verleihen.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rechtsmittel stehen gegen einen Straferkenntnisbescheid im Verwaltungsstrafrecht zur Verfügung?

Gegen einen Straferkenntnisbescheid im Verwaltungsstrafrecht besteht grundsätzlich das Rechtsmittel der Beschwerde. Diese muss innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Frist, in der Regel zwei Wochen ab Zustellung des Bescheides, bei der zuständigen Behörde eingebracht werden. Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung und ermöglicht es dem Betroffenen, die Entscheidung durch das Verwaltungsgericht überprüfen zu lassen. Im Rahmen der Beschwerde können sowohl rechtliche als auch tatsächliche Einwendungen gegen das Straferkenntnis vorgebracht werden, auch Beweisanträge sind zulässig. Das Verwaltungsgericht überprüft den angefochtenen Bescheid umfassend und kann diesen entweder bestätigen, abändern oder aufheben. Darüber hinaus besteht nach Erschöpfung des Instanzenzuges die Möglichkeit, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben, sofern eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung gegeben ist. Ergänzend kann beim Verfassungsgerichtshof eine Beschwerde wegen behaupteter Verletzung verfassungsrechtlich gewährleisteter Rechte eingebracht werden.

Was bedeutet die Selbstanzeige im Verwaltungsstrafrecht und welche rechtlichen Konsequenzen hat sie?

Die Selbstanzeige ist eine im Verwaltungsstrafrecht vorgesehene Möglichkeit, sich wegen einer begangenen Verwaltungsübertretung selbst bei der Behörde anzuzeigen, bevor der Verstoß bei dieser anderweitig bekannt wird. Voraussetzung ist, dass die Anzeige vollkommen und rechtzeitig erfolgt; das bedeutet, der Betroffene muss den Sachverhalt vollständig offenlegen und alle relevanten Informationen freiwillig vorlegen. Eine wirksame Selbstanzeige bewirkt unter bestimmten Voraussetzungen einen Ausschluss oder eine Milderung der Strafe, sofern kein Schaden für die öffentliche Ordnung oder dritte Personen eingetreten ist oder dieser wiedergutgemacht wurde. Allerdings entfaltet eine Selbstanzeige dann keine strafbefreiende Wirkung, wenn bereits Ermittlungen gegen den Anzeigenden eingeleitet wurden oder der Verwaltungsverstoß der Behörde auf andere Weise bekannt geworden ist.

Welche Rolle spielt das Verschulden im Verwaltungsstrafrecht, und wie wird es festgestellt?

Das Verschulden ist ein zentrales Element im Verwaltungsstrafrecht und grundsätzlich Voraussetzung für die Verhängung einer Strafe. Verschulden bedeutet, dass die Verwaltungsübertretung vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde. Die Behörde hat das Ausmaß des Verschuldens – insbesondere das Vorliegen von Vorsatz oder Fahrlässigkeit – im Ermittlungsverfahren festzustellen und in der Begründung des Bescheides nachvollziehbar darzulegen. Bei der Feststellung des Verschuldens werden sowohl die objektiven Umstände der Tat als auch subjektive Aspekte, wie etwa das Wissen und Wollen des Täters sowie seine Möglichkeiten, die Rechtsvorschriften einzuhalten, berücksichtigt. Das Ausmaß des Verschuldens wirkt sich direkt auf die Bemessung der Strafe aus, insbesondere bei der Abwägung zwischen gesetzlichem Strafrahmen und individuellen Erschwerungs- oder Milderungsgründen.

In welchen Fällen kann ein Verwaltungsstrafverfahren eingestellt werden?

Ein Verwaltungsstrafverfahren kann aus verschiedenen Gründen eingestellt werden. Zum einen geschieht dies, wenn sich im Laufe des Verfahrens herausstellt, dass kein strafbares Verhalten vorliegt, weil entweder keine gesetzliche Grundlage besteht, die Tat nicht nachweisbar ist oder der Betroffene nicht verantwortlich gemacht werden kann. Ebenso führt ein geringes Verschulden oder ein geringes Maß der Rechtsverletzung ggf. zur Einstellung nach dem Opportunitätsprinzip. Das Verfahren wird auch eingestellt, wenn Verfolgungsverjährung eingetreten ist, d.h. wenn die Tat nicht innerhalb der gesetzlich bestimmten Frist verfolgt wurde. Die Behörde kann das Verfahren weiters einstellen, wenn die Voraussetzungen einer wirksamen Selbstanzeige erfüllt sind oder andere strafbefreiende Gründe vorliegen.

Wie wird die Höhe der Strafe im Verwaltungsstrafrecht bemessen?

Die Höhe der Strafe im Verwaltungsstrafrecht richtet sich grundsätzlich nach dem jeweiligen gesetzlichen Strafrahmen, der im anzuwendenden Verwaltungsgesetz festgelegt ist. Bei der Bemessung der Strafe hat die Behörde insbesondere das Ausmaß des Verschuldens, die Schwere der Rechtsverletzung, das Ausmaß des verursachten Schadens, sowie allfällige Erschwerungs- und Milderungsgründe zu berücksichtigen. Zu den Milderungsgründen zählen etwa ein Geständnis, tätige Reue oder eine wirksame Schadenswiedergutmachung. Erschwerungsgründe können beispielsweise einschlägige Vorstrafen sein. Die Behörde hat bei jeder Entscheidung über die Strafhöhe eine nachvollziehbare Begründung vorzulegen, aus der die Abwägung der genannten Kriterien hervorgeht. Darüber hinaus sind im Verwaltungsstrafrecht sowohl Geldstrafen als auch – in bestimmten Ausnahmefällen – Ersatzfreiheitsstrafen möglich.

Welche Bedeutung hat die Verfolgungsverjährung im Verwaltungsstrafrecht?

Die Verfolgungsverjährung stellt eine prozessrechtliche Schranke dar, nach deren Ablauf eine Verwaltungsübertretung nicht mehr geahndet werden darf. Sie beginnt grundsätzlich mit dem Zeitpunkt der Tatbegehung und dauert – je nach Gesetz und Schwere der Tat – mehrere Monate bis Jahre. Während laufender Ermittlungen oder bei Einbringen von Rechtsmitteln kann es zu einer Unterbrechung oder Hemmung der Verjährung kommen. Nach Eintritt der Verfolgungsverjährung ist die Behörde verpflichtet, das Verwaltungsstrafverfahren von Amts wegen einzustellen. Die Bestimmungen zur Verfolgungsverjährung dienen der Rechtssicherheit und sollen verhindern, dass Verwaltungsübertretungen unbegrenzt verfolgt werden können.

Was ist die Funktion der Ersatzfreiheitsstrafe im Verwaltungsstrafrecht?

Die Ersatzfreiheitsstrafe kommt im Verwaltungsstrafrecht zur Anwendung, wenn eine verhängte Geldstrafe nicht beigetrieben werden kann, also der Betroffene nicht zahlt und keine Möglichkeit der Pfändung oder sonstigen Einbringung besteht. Sie dient der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches und soll die Sanktionswirkung der ursprünglich verhängten Geldstrafe sicherstellen. Die Dauer der Ersatzfreiheitsstrafe ist gesetzlich begrenzt und steht in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe der uneinbringlichen Geldstrafe. Ihre Verhängung ist als letztes Mittel vorgesehen, wenn alle zumutbaren Einbringungsmaßnahmen ausgeschöpft wurden. Im Verfahren ist der Behörde eine genaue Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse und der Vollstreckungsmöglichkeiten vorgeschrieben.